Leseprobe Er wird mich finden | Ein beklemmender Psychothriller

Kapitel 1

Ich war die eine, die ihm entkam.

Er hieß Stewart Brooks. Man nannte ihn den Singing Woods Killer und in fünf langen, schrecklichen Monaten machte er sich die ruhige Kleinstadt Dayfield, New York, zum Jagdrevier. Eine Mutter nach der anderen beraubte er ihrer Töchter und bis heute noch steht der Ort im Schatten seiner Schreckensherrschaft.

Ich hätte die fünfte Tochter sein sollen.

Wie seine anderen Opfer auch war ich sechzehn, als er mich in den Wald brachte. Es hieß, er habe mich eine Woche lang festgehalten, aber ich kann mich nicht an die Zeit erinnern. Ich erinnere mich nicht an das, was ich scheinbar durchgemacht habe: die Misshandlung, die Schmerzen und den Hunger. Ich erinnere mich an nichts. Die Geschichten ergänzten andere für mich, Ärzte, Psychiater und Ermittler mit ihren kalten, übergriffigen Untersuchungen und ihren unaufhörlichen, auslaugenden Befragungen. Keinen einzigen Artikel habe ich mir durchgelesen, nicht einmal einen von denen über mich. Ich konnte es nicht riskieren zu sehen, wo er die Leichen ablud und wieder die endlose Weite an Bäumen vor Augen zu haben.

Nur von einer Begebenheit weiß ich mit Sicherheit. Den schmerzhaften, herzzerreißenden Beweis dafür trug ich bei mir und die Narben begleiten mich noch bis heute. Doch selbst in Bezug darauf ist mein Gedächtnis ein schwarzes Loch, ein grausamer, komplett blanker Fleck, an dem nichts lebt.

Ich erinnere mich an die Todesangst bei meiner Entführung. Ich erinnere mich an die Gewissheit, gleich zu sterben. Ich spüre immer noch dieses schreckliche, leere Gefühl, die Vorstellung, dass ich bald aufhöre zu existieren und zu Nichts zerfalle. Und dass meine Erinnerungen mit mir sterben werden. Nie wieder könnte ich mich an meine Freunde oder meine Familie erinnern oder an den Campingurlaub mit Carson und Tricia im Sommer nach dem ersten Jahr an der Highschool oder an meinen zehnten Geburtstag, als Mom mir eine Gitarre schenkte, von der ich zwei Wochen lang komplett besessen war, bevor ich sie in meinen Schrank stellte und nie wieder anfasste, oder daran, wie gern ich Pistazieneis esse und barfuß über warmen Sand spaziere. Dieses Gefühl – das schreckliche, schauerhafte schwarze Nichts des Todes – überkommt mich immer wieder, wenn es zu still ist und dann muss ich fernsehen, Musik anmachen oder mir schreckliche Geschichten ausdenken. Jegliche Form der Ablenkung, bevor mich das Gefühl komplett einnehmen kann.

Ich weiß noch, wie ich durch den Wald gerannt bin. Auf der Flucht vor dem Tod. Ich erinnere mich, dass ich den Tod in Person umgebracht habe.

Wenn ich die Augen schließe, sehe ich noch immer vor mir, wie ich wegrannte. Die dunkle, schwere Stille des Waldes, die Bäume, die wie aus dem Nichts aus der Schwärze auftauchten und mich bremsten, an mir kratzten, als stünden sie auf seiner Seite. Sein lauter Atem und seine schweren Schritte, die mich einholten und dann sein Gewicht auf mir. Der abgebrochene Ast, den ich ihm in den Hals rammte, um ihn abzuwehren, weil ich nur noch den Tod fühlte – die grausame, verfaulte Leere tief in meiner Magengrube, die ich nie wieder spüren wollte. Ich stellte mir vor, all das Blut wäre eine warme Dusche, die den schaurigen Schmerz des Todes wegspült.

Vor zwanzig Jahren, in den Abendstunden des 4. Junis, habe ich irgendwo tief in den Singing Woods Stewart Brooks getötet.

Er ist tot, längst dahin, in einem nummerierten Armengrab auf dem Woodlawn-Friedhof zu Staub und Knochen zerfallen. Meine Psychiaterin redet mir immer wieder ein, dass es in Ordnung sei, dass er tot ist. Es sei in Ordnung, dass ich ihn umgebracht habe. Ich dürfe mir den Mord verzeihen. Denn jetzt kann er nie wieder jemandem etwas antun.

Doch heute Morgen habe ich ihn wieder gesehen. Er beobachtet mich. Verhöhnt mich. Ich bin verrückt. Das weiß jeder. Ich selbst weiß es, aber das spielt keine Rolle.

Er ist zurückgekommen, um mich zu holen, und die große, gähnende Leere wartet nach all den Jahren noch immer darauf, mich zu verschlingen.

Die Jagd ist eröffnet.

Kapitel 2

Montag, 2. Juni, 7:30 Uhr

Der Morgen beginnt wie jeden Montag: Renata macht sich grummelig für die Schule fertig und schleppt sich schließlich fünf Minuten zu spät ins Auto. Diese Woche bin ich damit an der Reihe, eine Fahrgemeinschaft an Kids zur Schule zu bringen, und wie jeder anderen Teenagerin auch ist es meiner Tochter todpeinlich, von ihrer Mom herumchauffiert zu werden.

Mit einem genervten Stöhnen lässt sie sich auf den Beifahrersitz plumpsen und hievt ihren Rucksack ins Auto, als wäre er mit Ziegelsteinen gefüllt anstatt mit Büchern. Zur Schule zu gehen ist für junge Leute ganz schön lästig. „Wie lange noch, bis ich mit den Fahrstunden anfangen kann?“

Ich warte ab, bis sie sich angeschnallt hat, bevor ich den Rückwärtsgang einlege und rückwärts aus der Einfahrt fahre. „Sechs Monate“, antworte ich, als ob ich ihr das nicht bereits hundertmal gesagt hätte, seit sie letzte Woche ihre theoretische Prüfung bestanden hat.

Sie gibt einen dramatischen Seufzer von sich. „Warum muss ich so lange warten?“

„Weil der Staat New York Teenager hasst.“ Ich hoffe, dass ich ihr ein Lächeln entlocken kann. Beinahe klappt es, doch sie wehrt sich bewusst gegen das Zucken ihrer Mundwickel. Sechzehnjährige sollten nicht über schlechte Witze ihrer Moms lachen.

Gott, wie kann es sein, dass sie schon sechzehn ist? Manchmal kommt es mir so vor, als hätte ich einmal geblinzelt und mein süßes kleines Mädchen, das Cupcakes mit zu viel Zuckerguss liebte, sowie alles rund um Harry Potter und außerdem ausgerechnet Monstertrucks, wäre verschwunden. Ersetzt wurde sie von diesem schönen, zerstreuten Wesen, halb Frau, halb Kind, dem ein Handy an die Hand angewachsen ist, das mit Freundinnen kichernd über echte Jungs flüstert, anstatt über fiktive, und das Geheimnisse vor mir hat, obwohl wir früher alles miteinander geteilt haben.

Dieses Jahr wird schwer. Ich bin jetzt schon übertrieben fürsorglich, das weiß ich, und sechzehn ist das Alter. Das gefährliche Alter, zumindest laut meinem traumatisierten Hirn mit seiner Störung. Ich sehe schon vor mir, wie ich sie mit meinen eigenen Ängsten erdrücke, mit den Geistern meiner Vergangenheit, all den toten Mädchen und meinem eigenen Schicksal. Wenn ich nicht aufpasse, könnte ich einen Keil zwischen uns treiben, der nie wieder verschwindet.

Renata bleibt bei ihrem trüben, verschlafenen Schweigen bis wir bei unserem ersten Halt ankommen, einem blassgrünen Haus im Kolonialstil am Ende einer Sackgasse. Das ist das Haus der Klines und Jenny Kline ist Renatas „allerallerbeste Freundin“. Seit dem Kindergarten sind die beiden quasi unzertrennlich. Jenny und Rennie. Als ich anhalte, kommt Jenny strahlend nach draußen, trotz der Uhrzeit in bester Laune, und wirft sich auf die Rückbank. „Guten Morgen, Mrs. Osborn“, ruft sie und noch bevor ich den Gruß erwidern kann, plappern Renata und sie wie zwei Elstern drauflos. Sie sprechen eine unverständliche Sprache der Art, wie sie scheinbar jede Generation Teenager als Abwehrmechanismus gegen lauernde elterliche Ohren entwickelt.

 

Zwei weitere Passagiere müssen wir noch einsammeln. Tonya Washington, die drei Blocks von Jenny entfernt wohnt, ist als nächstes dran. Sie ist die schüchternste der Gruppe und neigt dazu, die ganze Fahrt über aus dem Fenster zu starren und an einem Daumennagel zu kauen. Als letztes halten wir bei Drew Ritter, der Renatas erster offizieller Freund war. Aber da die beiden damals sechs Jahre alt waren, ist von der „Trennung“ keine peinliche Befangenheit zurückgeblieben. Mittlerweile trägt Drew mehr Schmuck und Make-up als meine Tochter. Ich bin mir nicht sicher, was das heutzutage bei Kids heißt, aber es scheint niemanden zu stören, also stört es mich auch nicht.

Von Drews Haus ist es nicht weit bis zur Highschool und als wir dort ankommen, stehen nur ein paar Autos Schlange, um Kinder abzusetzen. Ich fahre hinter dem markanten kanariengelben Humvee vor, der meinen unausstehlich perfekten Nachbarn, den Clarks, gehört, und drehe mich zu Renata um, während wir warten. „Was hast du heute nach der Schule vor, Süße?“

Ein entsetzter Blick huscht ihr über das Gesicht und mir wird klar, dass ich die Todessünde begangen habe, sie vor ihren Freunden „Süße“ zu nennen. „Fußballtraining“, murmelt sie und sinkt mit einem Schnauben tiefer in den Sitz. „Boah, Mom, das habe ich dir doch gestern Abend schon gesagt. Jennys Mom holt uns ab. Ich komme gegen fünf heim.“

„Okay. Dann passt das ja“, erwidere ich. Ich kann mich jetzt nicht für den Ausrutscher entschuldigen, denn das wäre ihr noch peinlicher. „Steht bei dir am Freitagabend immer noch ein Spiel an? Dein Dad meinte, er sollte es rechtzeitig nach Hause schaffen, um mitzukommen. Er macht diesen Freitag schon mittags Feierabend.“

„Wirklich? Es wäre cool, wenn ihr beide kommen könntet“, erwidert sie. „Ja, das Spiel ist um sechs.“

Ich nicke und lächle, froh, dass sie zumindest ein gewisses Maß an Interesse daran hat, ihre Eltern an ihrem Leben teilhaben zu lassen. Mein Mann Richard führt eine sehr erfolgreiche Landschaftsgärtnerei und arbeitet oft bis spät abends, aber er bemüht sich immer, am Leben unserer Tochter teilzuhaben, damit sie seine Abwesenheit nicht so spürt. Er ist ein fantastischer Vater, ein fantastischer Ehemann. Mein Fels in der Brandung und das selbst nach all dem, was wir in den ersten Jahren durchgemacht haben, als ich noch nicht so stabil war wie jetzt. Im Gegensatz zu meiner Mutter hielt er in jenen schweren Zeiten zu mir und jetzt ist unsere Beziehung besser denn je.

Wir haben jung geheiratet – ich war damals erst zwanzig, Richard bereits achtundzwanzig – und uns wurde von allen gesagt, dass das nie halten würde. Doch hier sind wir jetzt und ich bin überglücklich mit unserer Familie, unserem Leben. Das Komplettpaket samt mürrischem Teenager.

Auch das wird sich wieder legen, rede ich mir mal wieder ein.

Schließlich steigen die beiden perfekten Clark-Jungs endlich aus, der Humvee fährt ab und ich halte vorne im vorgeschriebenen Bereich. Renata und Jenny öffnen zeitgleich die Türen auf der Beifahrerseite, doch die andere Hintertür bleibt verschlossen. Selbst vor der Highschool dürfen die Kids nicht auf der Verkehrsseite aussteigen.

„Tschüss, Mom“, ruft Renata reflexartig über ihre Schulter, bevor sie die Tür schließt und sich vom Auto entfernt. Sie scheint zu hoffen, dass niemand sie beim Aussteigen beobachtet hat.

Sobald sie alle ausgestiegen sind und die letzte Tür zuknallt, klammere ich mich an das Lenkrad und unterdrücke einen Seufzer. Unglaublich, wie schwer es ist, sie groß werden zu lassen. Immer heißt es, das sei die Aufgabe von Eltern – ihre Kinder so gut zu erziehen, dass sie einen nicht mehr brauchen –, aber niemand erwähnt dabei, wie schmerzhaft es ist, das zu schaffen und nicht mehr gebraucht zu werden.

Als Elternteil hat man womöglich den einzigen Job der Welt, bei dem Erfolg einen unglücklich machen kann. Die Schülerlotsin winkt mich weiter und ich fahre langsam die kreisförmige Einfahrt der Highschool entlang, bevor ich den Blinker setze, um auf die Hauptstraße abzubiegen. Um neun habe ich einen Termin, aber bis dahin bleibt mir noch über eine Stunde. Nicht genug Zeit, um nach Hause zu fahren und dort irgendetwas zu tun, aber zu viel Zeit, um auf dem Parkplatz vor der Praxis herumzuwarten. Also beschließe ich, in der Zwischenzeit ein paar Sachen zu besorgen.

Dayfield ist nicht groß genug für einen eigenen Walmart, Target oder irgendein anderes Megacenter, aber wir haben einen 24-Stunden-Supermarkt, der nur ein paar Kilometer von der Praxis entfernt liegt. Price Cutter dominiert das kleine Einkaufszentrum am nördlichen Ende der Stadt und nimmt drei Viertel der Fassade ein. In seinem Schatten befinden sich noch ein Nagelstudio, ein Spirituosengeschäft und eine ehemalige Tierhandlung, die seit zwei Jahren auf dem Markt steht.

So früh am Tag gibt es noch viele gute Parkplätze. Ich halte neben einer Sammelstelle für Einkaufswagen am vorderen Ende des Parkplatzes. Von hier aus bietet sich mir die Aussicht auf einen Streifen an Kiefern und Birken, der den Parkplatz des Einkaufszentrums von den Häusern dahinter trennt. Ich denke nicht oft darüber nach, wie viele Bäume es hier eigentlich gibt. Die Stadt ist an allen Seiten von Wald umgeben und hier und da auch von Bäumen durchzogen.

Direkt hinter diesem Platz befindet sich die östliche Grenze der Singing Woods.

Ich bekomme schlagartig Gänsehaut, schließe die Augen und atme langsam durch. Ich mache mir den Kopf frei, wie Dr. Bradshaw es mir beigebracht hat. Weißes Licht einatmen, dunkle Gedanken ausatmen. Die Gefahr ist gebannt. Stewart Brooks ist tot.

Endlich fühle ich mich stabil genug, um mich wieder meinen Plänen für heute zu widmen. Ich steige aus dem Auto aus, schließe es per Knopfdruck ab und gehe auf den Supermarkt zu. Als ich gerade an den Einkaufswagen vorbeigehe, nehme ich eine blitzartige Bewegung wahr und werfe einen Blick auf die Bäume, die den Parkplatz umgeben. Ich rechne mit einem Eichhörnchen, einem Vogel oder einer Katze auf ihrem morgendlichem Spaziergang.

Vor den Bäumen steht ein Mann, als wäre er gerade aus dem Wald hervorgetreten. Panik durchfährt mich und der Schock lässt mir das Blut in den Adern gefrieren, bevor mir wirklich bewusst wird, was ich da sehe. Er steht komplett ruhig da. Schmutzige schwarze Jeans, eine verfärbte Tarnweste über einem dunklen Thermohemd, dicke Stiefel, eine unförmige Cap, die er sich über sein dunkles, strähniges Haar gezogen hat. Glatt rasiert. Stürmische Augen und ein finsterer Blick, der mich trifft wie der Blitz.

Sein Gesicht. Sein Gesicht. Genau so, wie er vor zwanzig Jahren aussah. Es ist unmöglich, das weiß ich, aber es ist unverkennbar. Mir ist nie gelungen, das Angesicht des Todes aus meinem Kopf zu verbannen.

Jemand schreit. Mir ist kaum bewusst, dass ich es bin, kaum klar, dass ich falle, bis plötzlich ein Schmerz in meinen Knien explodiert, als ich auf den Asphalt knalle und der Boden in einem verschwommenen Grau auf mein Gesicht zurast. Ich höre nur noch ein intensives Summen in den Ohren, als wäre direkt neben mir eine Bombe in die Luft gegangen.

Auf einmal versucht jemand, mich hochzuziehen.

Ich weiche abrupt zurück und stehe auf, wobei ich wild mit den Armen um mich schlage. Mein Handrücken trifft auf etwas Kaltes und Hartes, das ein hohles, metallisches Bonk von sich gibt, und ich schreie auf und stolpere blind ein paar Schritte. O Gott, er ist zurück, er kommt mich wieder holen. Das kann jetzt nicht wirklich passieren. Das darf jetzt nicht passieren.

„Madeline!“ Die Stimme ist eindeutig weiblich – das ist er nicht – und voller Angst und Sorge. „Was ist los? Paul, ich glaube, du solltest den Notruf wählen.“

Ich besinne mich schlagartig und zwinge mich dazu, durchzuatmen und mich der Stimme zuzuwenden. „Nein, Moment. Tut mir leid“, keuche ich und konzentriere mich auf die beiden älteren Herrschaften, die vor den Einkaufswagen stehen und mich beobachten, als wäre ich ein wilder Bär, der sich gerade aus einer Falle losgerissen hat. Ich kenne die beiden. Paul und Diane Blanchard. Ihre Enkelin Eve spielt in Renatas Fußballmannschaft und wir waren schon so oft gemeinsam bei Spielen, dass wir uns mittlerweile duzen, obwohl unsere Gespräche nie über Small Talk hinausgehen.

Diane runzelt die Stirn und wirft mir einen besorgten Blick zu. „Du wärst beinahe ohnmächtig geworden und … geht es dir gut, Liebes? Du siehst schlimm aus.“

Mir geht es nicht gut. Doch anstatt die Frage zu beantworten, stelle ich selbst eine. „Habt ihr da drüben bei den Bäumen einen Mann gesehen?“ Ich winke grob in die Richtung, aus der er kam, und muss entsetzt, wenn auch nicht überrascht, feststellen, dass dort keine Spur von dem Mann zu sehen ist, der unmöglich Stewart Brooks gewesen sein konnte. „Dunkle Kleidung, dunkles Haar, Jagd-Cap?“

Diane schüttelt den Kopf und wirft einen Blick auf ihren Mann, der sich unbeholfen räuspert. „Nein, wir haben niemanden gesehen“, erklärt er. „Sicher, dass ich niemanden für dich anrufen soll?“

Ich zittere am ganzen Körper und einen Moment lang weiß ich nicht, ob ich ihm antworten kann. Schließlich erwidere ich: „Danke, aber ich glaube, ich muss mich nur kurz setzen.“ Ich mache mich bereits auf den Weg zurück zum Auto und krame nach meinen Schlüsseln.

„Ich habe heute nicht gefrühstückt“, murmle ich, während ich aufsperre und die Scheinwerfer aufblitzen.

Ich kenne die beiden kaum und kann nicht erklären, dass ich gerade einen toten Mann gesehen habe.

Diane setzt gerade dazu an, noch etwas zu sagen, aber ich steige ins Auto ein und schließe die Tür, bevor ihre Worte mich erreichen können. Ich habe ein ziemlich schlechtes Gewissen dabei. Sie wollte mir nur helfen und ich muss entweder sie oder Paul erwischt haben, als ich zusammenbrach und einer der beiden mich gepackt hatte. Mein Handrücken pocht an der Stelle, die ich mir an der Rückgabestelle für die Einkaufswagen gestoßen habe. Dort hat sich ein unschöner roter Bluterguss gebildet, der am Rand bereits blau anläuft. Außerdem habe ich mir mindestens ein Knie aufgeschürft und spüre, wie mir Blut am Schienbein hinabläuft.

Ich sitze mit verschlossenen Türen im Auto, der geplante Einkauf ist längst in Vergessenheit geraten. Irgendwie muss ich wohl halluziniert haben. Der Mann, der mich entführt und all die anderen Mädchen umgebracht hat, ist längst tot.

Aber das war er. Ich kenne dieses Gesicht. Allein daran kann ich mich erinnern. Sein Gesicht, als er mich verfolgte und als er starb.

Als ich ihn tötete.

Nicht zum ersten Mal denke ich mir, dass ich Dayfield hätte verlassen sollen, als ich die Chance dazu hatte. Ich hätte nie wieder zurück nach Hause kommen sollen. Ich könnte jetzt ganz woanders sein, könnte irgendwo neu angefangen haben. Doch ich war wieder bei den Geistern eingezogen. Trotzdem würde ich meine Familie gegen nichts eintauschen wollen. Meinen Mann, meine Tochter.

Für sie lohnt es sich.

Das Zuschlagen einer Autotür irgendwo auf dem Parkplatz reißt mich aus meinen rasenden, brüchigen Gedanken und ich sehe auf meinem Handy nach der Uhrzeit. Ich weiß nicht, wie lange ich schon hier sitze. Fünf Minuten, vielleicht zehn. Wenn ich mich zusammenreiße, kann ich vielleicht doch noch ein paar Sachen besorgen gehen.

Verblüfft stelle ich fest, dass es bereits fast neun ist. Ich sitze schon seit über vierzig Minuten im Auto.

Ich lasse den Motor an und öffne per Knopfdruck das Fenster auf der Fahrerseite, weil mir plötzlich bewusst wird, wie warm und stickig die Luft hier drin eigentlich ist. Mein Termin heute wird anstrengend, denn ich muss Dr. Bradshaw erzählen, was ich gerade gesehen habe. Oder vermeintlich gesehen habe. Ich sehe ihre Enttäuschung bereits vor Augen. Laut ihr mache ich zurzeit gute Fortschritte.

Jetzt sind diese Fortschritte dahin und ich bin mir nicht sicher, ob ich mich der Vorstellung stellen kann, womöglich wieder den Verstand zu verlieren.

Kapitel 3

Sie ist hier.

So viel Zeit ist vergangen und jetzt ist sie hier. Ich glaube es kaum. Ich bin angewidert, rasend vor Wut. Bitch.

Was macht sie hier? In dieser Stadt gibt es für sie nichts zu holen. Dafür habe ich gesorgt. Nichts zu beanspruchen, nichts zu haben.

Ich spüre, wie die Wut von damals zurückkehrt, und ich kann mich gerade so davon abhalten, sie jetzt gleich zu töten. Was fällt ihr ein? So herumzuspazieren, als sei sie normal, als gehöre sie hier hin. Als sei sie nicht komplett wahnsinnig. Sie sollte irgendwo weggesperrt sein und umgeben von gepolsterten Wänden und Überwachungskameras ihre giftigen Tiraden von sich geben.

Wusste ich es doch, dass ich sie längst hätte töten sollen! Ich hätte problemlos erneut an sie herankommen können. Aber ich habe es gelassen, weil ich irgendwie ein wenig Mitleid mit ihr hatte, dank unserer gemeinsamen Zeit. Wie albern von mir. Sie war das offene Kapitel, das ich bereits vor Jahren hätte abschließen sollen, bevor es hierzu kommen konnte. Aber ich hätte nie gedacht, dass sie es wagen würde, hier aufzukreuzen, nach allem, was geschehen ist.

Einst habe ich sie geliebt, aber jetzt führe ich ein anderes Leben. Der Mann bin ich jetzt nicht mehr.

Doch sie weigert sich, das zu glauben.

Ich kann nicht zulassen, dass sie mich konfrontiert. Sie wird alles ruinieren. Schon wieder.

Diese verdammte Frau. Ich hatte alles unter Kontrolle. Vergangenes war abgehakt, meine Fehler waren tief vergraben, wo niemand jemals nach ihnen suchen würde. Ich war frei. Und jetzt lässt ihr bloßer Anblick mich zittern und mir juckt es danach in den Fingern, erneut jemandem das Leben zu nehmen.

Ihr.

Ich muss etwas unternehmen. Aber ich darf nicht voreilig sein, darf nicht ungeduldig sein wie beim letzten Mal. Ich werde warten. Ich werde planen. Und ich werde sie vernichten.

Bevor sie mich vernichten kann.

Kapitel 4

Montag, 2. Juni, 9:20 Uhr

Dr. Gillian Bradshaw ist eine Mammutsfrau. Groß mit kräftigem Körperbau, beinahe wie eine Amazone, mit dickem, braunem Haar, das ihr bis zu den Schultern reicht, und den dunkelsten Augen, die ich je gesehen habe – so braun, dass sie beinahe schwarz sind. Obwohl sie meistens Anzüge mit langen, fließenden Blazern trägt, habe ich sie mir schon oft mit geflügeltem Helm und Rüstung vorgestellt, die Art Kürass wie sie in den 80ern auf den Covern von Pulp-Fantasy-Büchern zu sehen war. Ich glaube, der Look könnte ihr stehen.

In ihrer Gegenwart fühle ich mich sicher und das bereits seit ich vor fünfzehn Jahren meine erste Therapiestunde bei ihr hatte. Als ich nach den Qualen, die ich erlitten hatte, schließlich aus dem Krankenhaus entlassen wurde, schickte man mich zu mehreren Psychotherapeuten und Psychiatern und sie war die dritte. Nach den gelinde gesagt unproduktiven Sitzungen mit den beiden anderen – beides kleine, zierliche Frauen, die genau gleich schlimm waren, mich aufgesetzt anlächelten und mir unsinnige Fragen stellten –, klammerte ich mich an diesen sanften Riesen, diese Powerfrau mit ruhigem Auftreten und Nerven aus Stahl.

Aber heute fühlt sich gar nichts mehr sicher an.

Ich sitze auf der Couch. Genauer gesagt kauere ich dort, in die Ecke gedrückt mit zusammengepressten Händen, und mein Blick wandert ruhelos durch den Raum. Die Praxis von Dr. Bradshaw hat sich im Laufe der Jahre kaum verändert, eine Beobachtung, die mich normalerweise beruhigt.

Heute allerdings nicht.

Sie sitzt mir in ihrem Stuhl zugewandt, ihre Haltung locker und entspannt. Keine Halbbrille, kein Stirnrunzeln, kein Notizbuch und auch kein Diktiergerät. Ich erkenne an ihrem Blick und an ihren Mundwinkeln, dass sie besorgt ist.

„So. Ich würde Sie ja fragen, ob Sie vergessen haben, Ihre Medikamente einzunehmen, aber das passiert Ihnen nie“, setzt Dr. Bradshaw schließlich an, während sie ihre Hände über einem Knie verschränkt. „Wie sicher sind Sie sich, dass Sie diesen Mann wirklich gesehen haben?“

„Ich … ich weiß nicht.” Ich möchte schreien, dass ich mir sicher bin, dass er genauso real war, wie wir beide in diesem Moment, aber das kann ich nicht. Ich weiß, dass das nicht möglich ist. Ich muss daran glauben, dass es nicht real war, denn wenn ich den Gedanken daran zulasse, dass der Mann, den ich getötet habe, wieder zum Leben erwacht ist, bitte ich quasi darum, wahnsinnig zu werden. „Paul und Diane haben ihn nicht gesehen“, erkläre ich.

Dr. Bradshaws Blick wird sanfter und sie scheint Verständnis mit mir zu haben. „Ihnen ist sicher bewusst, was in zwei Tagen ansteht, oder?“, fragt sie mit einer gewissen Zögerlichkeit, als ob sie mich nur ungern daran erinnert.

Ich werfe einen Blick auf den großen Kalender an der Wand, denn in diesem Moment weiß ich tatsächlich nicht, was auf mich zukommt. Auf ihrem Kalender sind jeden Monat die entsprechenden Geburtsblumen zu sehen und gerade stehen weiße Rosen für den Juni.

Heute ist Montag, der zweite Juni, und in zwei Tagen ist der vierte Juni.

Dann ist es auf den Tag genau zwanzig Jahre her, dass ich Stewart Brooks getötet habe.

Ich atme schlagartig auf und ein Gefühl der Erleichterung legt sich über mich wie eine Decke. Daran muss es liegen, dass ich ihn gesehen habe. Es ergibt sogar Sinn, dass ich mir des bevorstehenden Jahrestages nicht bewusst war, denn warum sollte ich mich daran erinnern wollen? Ich hatte jedenfalls noch nie das Bedürfnis, den Anlass zu feiern.

Dr. Bradshaw lächelt, als sie sieht, wie ich mich entspanne. „Das stehen Sie durch, Madeline“, beschwichtigt sie mich. „Das kann sogar mit Ihrer Erkrankung zusammenhängen. Ich habe von Fällen gehört, in denen Betroffene Fremde mit Menschen verwechseln, die sie kennen – eine Art Umkehrung des Phänomens, Doppelgänger zu sehen.“

Mir trocknet die Kehle aus und ich nicke. Seit wir uns für ein Medikament entschieden hatten, das hilft, habe ich seit Jahren keine Symptome meiner Erkrankung mehr gehabt und ich hatte gehofft, das würde für immer so bleiben.

Bei mir wurde das Capgras-Syndrom diagnostiziert. Es handelt sich um eine seltene psychische Störung, bei der eine Wahnvorstellung zu Verwechslungen führt. Die betroffene Person glaubt dann, dass eine oder mehrere Personen, die sie kennt, durch Doppelgänger oder Betrüger ersetzt worden sind. Meistens treten diese Anfälle im Familienkreis auf, aber es kann auch bei allen anderen Personen vorkommen, sogar mit den Betroffenen selbst.

Die meisten entwickeln dieses Syndrom als Komplikation einer Psychose. Sie kann allerdings auch durch ein Schädel-Hirn-Trauma ausgelöst werden und genau das passierte mir im Wald an dem Tag, an dem ich Stewart getötet habe.

„Ich weiß, dass die nächsten Tage nicht leicht sein werden, aber Sie stehen das durch“, ermutigt Dr. Bradshaw mich. „Wenn Sie möchten, kann ich Ihnen allerdings ein leichtes Beruhigungsmittel verschreiben …“

„Nein, danke“, erwidere ich hastig. Nach meiner Entführung und der schrecklichen Tragödie nur eine Woche darauf hatte ich jahrelang mit Albträumen und Schlaflosigkeit zu kämpfen. Beruhigungsmittel waren meine einzige Abhilfe. Doch sie machten mich wochenlang benebelt und unkonzentriert und sie auszuschleichen war eine neue Art von Albtraum. Das will ich nicht noch einmal durchmachen.

„Also gut“, fährt Dr. Bradshaw fort. „Melden Sie sich, wenn Sie sich umentscheiden. Sie wissen ja, dass Sie mich jederzeit anrufen können.“ Sie lehnt sich in ihrem Stuhl zurück und nimmt eine andere Haltung ein. Jetzt sind wir im Therapiemodus. „Sollen wir da weitermachen, wo wir beim letzten Mal aufgehört haben?“

Ich nicke leicht, während es mir beim Gedanken an ihn wie immer in den Augen brennt. Die Wunden sind noch immer so frisch wie an dem Tag, an dem es geschah. Ich habe mit Dr. Bradshaw bereits öfter über meinen Vater gesprochen, aber nie so ausführlich wie in den letzten Therapiestunden. Es fällt mir schwer, denn ich kann ihn nicht wirklich aufbringen, ohne auch auf meine Mutter einzugehen. Und sie ist immer noch am Leben und plagt mich.

Dr. Bradshaw wartet darauf, dass ich anfange, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich das kann. Wenn ich an meinen Vater denke, sehe ich das Gesicht meiner Mutter vor Augen. Rot und fleckig, mit Wimperntusche, die ihr wie Teer die Wangen hinablief, und rund um ihren Mund verschmierter Lippenstift, der nach getrocknetem Blut aussah, während sie schrie: Das ist alles deine Schuld, du kleines Miststück! Du hättest ihn auch gleich selbst erschießen können!

Ich atme tief durch. Weißes Licht einatmen, dunkle Gedanken ausatmen. „Ich wünsche mir einfach, er hätte uns einen Abschiedsbrief hinterlassen“, erkläre ich schließlich kleinlaut mit der Stimme eines Kindes. „Ich wünschte, ich wüsste, warum.

„Was denken Sie, warum?”

Wegen mir. Es ist meine Schuld! Zum zweiten Mal innerhalb von zehn Minuten möchte ich schreien. „Ich habe keine Ahnung“, erwidere ich und ignoriere die widerhallende Stimme meiner Mutter in meinem Kopf. „Das ist doch das eigentliche Problem, oder? Keiner kennt die Antwort.“

Mein Vater, Wendell Grant, war ein guter Mann. Kein perfekter Mann und auch kein Held der Gemeinde. Kein Heiliger. Aber er war ein guter Vater und, soweit ich weiß, ein guter Ehemann, der seine Familie liebte und dem sein Job gefiel. Er unterrichtete Geschichte bei den Zehntklässlern an der Dayfield Highschool. Er wurde selten laut und schlug weder mich noch meine Mutter jemals. Er trank gelegentlich, war aber kein Alkoholiker, rauchte ab und zu eine Zigarre, war aber nicht nikotinsüchtig oder anderweitig drogenabhängig.

Er war weder bemerkenswert noch unscheinbar. Es … gab ihn einfach. Und dann gab es ihn nicht mehr.

Genau eine Woche nachdem ich dem Singing Woods Killer entkommen war, nahm sich mein Vater das Leben. Er hielt einen Revolver unter sein Kinn und jagte sich eine Kugel ins Gehirn. Zu keinem Zeitpunkt hatte es dafür irgendwelche Anzeichen gegeben. Als ich aus dem Wald zurückkam, war er überglücklich, dass ich am Leben und in Sicherheit war und dass der Mann, der mir das angetan hatte, nie wieder jemandem wehtun konnte.

Meinen Vater so zu verlieren, zusätzlich zu allem anderen, was geschehen war, schien mir einfach nicht fair.

Und dass meine Mutter mir die Schuld an seinem Tod gab, brach mir das Herz. Später versuchte sie schließlich, die Aussage zurückzunehmen, aber ich konnte sie nicht vergessen. Das und die schrecklichen Dinge, die ich ihr aufgrund des Capgras-Syndroms an den Kopf geworfen hatte, führten dazu, dass wir seitdem ein schwieriges Verhältnis haben.

Gelinde gesagt. Wir reden kaum miteinander, wenn es nicht sein muss.

Es half auch nicht gerade, dass sie mich für zwei Jahre in die Psychiatrie eingewiesen hatte, bis ich schließlich volljährig war und ohne ihre Erlaubnis wieder gehen konnte. Dort war ich damit konfrontiert gewesen, was im Wald geschehen war – und mit den langen, schrecklichen Konsequenzen – und das alleine.

„Ich kann Ihnen Fachbegriffe zu möglichen Gründen nennen, aber Symptome oder Diagnosen haben nichts Beruhigendes an sich“, erklärt Dr. Bradshaw. „Und Sie haben recht, dass man unmöglich in Erfahrung bringen kann, warum. Womit Sie sich allerdings beschäftigen können, sind Ihre Gefühle.“

Ich schüttele den Kopf. Das Letzte, was ich will, ist, mich meinen Gefühlen über den Selbstmord meines Vaters zu stellen. Doch laut sage ich mit kindlicher Stimme: „Ich werde es versuchen.“

Mitgefühl zeigt sich auf Dr. Bradshaws Gesichtsausdruck. Sie drängt mich selten dazu, etwas zu teilen, wenn ich das offensichtlich nicht will. Stattdessen wirft sie einen Blick auf ihre Uhr und schenkt mir ein Lächeln. „Das können Sie sich ja vielleicht bis zur nächsten Therapiestunde mal überlegen“, schlägt sie vor. „Unsere Sitzung ist so gut wie rum. In der Zwischenzeit verschreibe ich Ihnen eine höhere Dosis Pimozid, um Ihre Symptome unter Kontrolle zu bekommen, bis Sie die neuen Stressfaktoren überwunden haben.“ Ich weiß zu schätzen, dass sie nicht „den Jahrestag“ sagt. „Sie können das Rezept heute Nachmittag abholen.“

Ich bedanke mich und als mein aufgeschürftes Knie erneut schmerzt, ziehe ich an meiner Hose. Ich muss mich wirklich bald um die Wunde kümmern. Mich verunsichert immer noch, was ich da vorhin, vermeintlich, gesehen habe, aber zumindest bin ich nicht mehr so panisch.

„Sie stehen das durch, Madeline“, ermutigt mich Dr. Bradshaw. „Oh, eines noch. Ich weiß, dass Ihnen der Vorschlag nicht gefallen wird, aber ich möchte Ihnen wirklich ans Herz legen, morgen Abend an der Selbsthilfegruppe für Überlebende und Hinterbliebene teilzunehmen. Sie waren seit über einem Jahr nicht mehr bei einem Treffen und das ist vollkommen in Ordnung. Sie kommen auch so gut zurecht. Aber ich bin davon überzeugt, dass Sie bei dem, was bald ansteht, ein bisschen zusätzliche Unterstützung gebrauchen können.“

Bei dem Gedanken an die Selbsthilfegruppe dreht sich mir der Magen um. Ich war lange Zeit regelmäßig zu den Treffen gegangen und das war größtenteils auch hilfreich gewesen, aber schlussendlich musste ich aufhören. Wegen Dallas Walsh.

Seine Tochter Angeline war das erste Opfer des Singing Woods Killers. Nach dieser düsteren Zeit verließ ihn seine Frau und zog mit der verbliebenen Tochter weit weg von Dayfield. Dallas wurde zum Alkoholiker und verlor sich so komplett, dass er quasi zum wandelnden Spottbild eines Säufers wurde. Nur ist daran nichts lustig oder charmant.

Er wird gemein, wenn er trinkt, und wütend, und er verabscheut mich von ganzem Herzen. Denn ich habe überlebt und seine Tochter nicht.

„Madeline?“, spricht Dr. Bradshaw mich sanft an.

Ich blinzle, um mich aus den Gedanken zu reißen. „Ja, vielleicht … wahrscheinlich gehe ich hin“, antworte ich. Sie hat recht, dass ich etwas zusätzliche Unterstützung gebrauchen kann, und die Gruppenleiterin, Delphine Pearce, ist immer lieb und lässt nie zu, dass jemand über andere Anwesende schimpft. Ich muss zugeben, dass ich ihre beruhigende Ausstrahlung tatsächlich vermisse. Außerdem ist es schon so lange her, dass Dallas mittlerweile vielleicht selbst gar nicht mehr dabei ist.

„Ich gehe hin“, korrigiere ich mich entschlossener.

„Das freut mich“, erwidert Dr. Bradshaw mit einem Lächeln. „Vergessen Sie nicht, heute Nachmittag Ihr Medikament abzuholen.“

Ich versichere ihr, dass ich daran denken werde, und wir verabschieden uns. Ich verlasse die Praxis eilig, um den Stress von heute Morgen endlich abzuschütteln und etwas zu tun. In meinem Kopf drängen sich bereits Erinnerungen an die Vergangenheit auf und wollen meine Aufmerksamkeit, also muss ich mich ablenken. Ich bin froh, dass ich mich nicht daran erinnern kann, was mir im Wald widerfahren ist, bin dankbar für das schwarze Loch in meinem Kopf, das eine ganze Woche meines Lebens für immer geschluckt hat.

Ich will mich an nichts davon erinnern.

Kapitel 5

Madeline – Vergangenheit

Ich seufzte genervt, weil sich meine Haare an diesem Morgen einfach nicht bändigen ließen. Doch ich war spät dran, also band ich sie zu einem Pferdeschwanz zusammen, kämmte mir vergeblich mit einem Kamm über den Pony und eilte dann mit meinem Rucksack nach unten. In wenigen Minuten würde Carson vor der Tür stehen und wir hatten auf dem Weg zur Schule eine Menge zu besprechen. Wie zum Beispiel meine Party dieses Wochenende.

Sweet Sixteen. Endlich.

Mom saß gerade am Küchentisch und las die Zeitung. Ich ging beschwingt an ihr vorbei zu den Vorratsschränken und suchte nach einem Frühstück für unterwegs und einem Snack für die Mittagspause, für den Fall, dass ich sonst verhungern müsste. Heute gab es Pizza und die Qualität der Schulpizza schwankte extrem. Manchmal war sie so gut, als käme sie direkt vom Restaurant Angelo's in der Poplar Street, wo freitags alle herumhingen.

Aber manchmal schmeckte sie auch nach Wachs und nasser Pappe.

Ich fand eine Packung Pop-Tarts mit Kirschgeschmack, schnappte mir eine der glänzenden Packungen und stopfte sie in meinen Rucksack. Frühstück geklärt. Als ich weiter die Schränke durchwühlte, raschelte hinter mir die Zeitung und Mom räusperte sich. „Dir auch einen guten Morgen, Schlafmütze“, stichelte sie. „Was war los, bist du in der Dusche ertrunken?“

„Meine Frisur ist eine Vollkatastrophe, das war los.“ Ich drehte mich zu ihr um und grinste sie an, bevor ich das nächste Schränkchen öffnete und den Inhalt inspizierte. „Hey, Mom, haben wir noch so Cracker mit Käsefüllung?“

Sie antwortete nicht. Doch ihre ausbleibende Reaktion sprach Bände. Ihr Schweigen war ohrenbetäubend.

„Mom?“ Langsam drehte ich mich um und sah, wie sie entsetzt die Zeitung anstarrte, ihre Augen weit aufgerissen und ihre Haut erschreckend bleich. „Mom, was ist los?“

„O Gott“, quietschte sie mit seltsamer Stimme. Ihre Hände begannen so stark zu zittern, dass die Zeitung raschelte. „O Gott.“

Schwere Schritte ertönten aus der Richtung des Wohnzimmers und mein Dad stürmte mit alarmiertem Gesichtsausdruck in die Küche. „Was ist passiert?“, fragte er. „Judith?“

„Wendell, mein Gott“, flüsterte sie und reichte ihm die gefaltete Zeitung.

Dann sah sie mich mit Tränen in den Augen an. „Es tut mir so leid, Süße …“

Was?“, fragte ich und kam plötzlich vor Panik ins Schwitzen. „Ich weiß immer noch nicht, was los ist!“

Dad gab einen gequälten Laut von sich und erstarrte mit der Zeitung vor seinem Gesicht.

„Es geht um Angeline“, erklärte meine Mom schließlich, stand vom Tisch auf und ging langsam auf mich zu. Sie streckte einen Arm aus, als wollte sie mich berühren, wüsste aber nicht, ob sie das sollte. „Das Mädchen aus deinem Jahrgang.“

Ich blinzelte. „Angeline Walsh?“, hakte ich unsinnig nach, weil ich nicht mitkam. Ich kannte sie, aber nicht wirklich. Gerade mal gut genug, dass wir einander am Gang grüßten. Außerdem hatte sie mit mir Bio und einmal hatten wir zusammen an einem Experiment gearbeitet, weil wir eine Vertretungslehrerin hatten, die uns dabei helfen wollte, „uns mal durchzumischen“ und „neue Freunde zu finden“. Wir verbrachten aber nicht wirklich Zeit miteinander.

Doch ich wusste, dass sie vor fast einer Woche verschwunden war. Alle in der Schule wussten das und die meisten gingen davon aus, dass sie abgehauen war, obwohl ihre Eltern völlig außer sich vor Angst waren.

„Ja, Schatz. Die Angeline.“ Mom stand jetzt direkt vor mir. Ihr kullerten, nein, strömten, Tränen aus den Augen und verschmierten ihr Make-up. „Sie … kommt nicht zurück.“

„Kommt nicht zurück?“, wiederholte ich. Ich verstand es immer noch nicht, denn ich wusste doch bereits, dass sie noch nicht zurückgekommen war. Ich wandte mich von Moms gequältem Gesichtsausdruck ab und sah zu Dad, der sich immer noch keinen Zentimeter vom Fleck gerührt hatte. Als spielte er ganz allein Wachsmuseum, ohne dass ihn jemand ablösen konnte. „Was meinst du damit?“

Mom nahm meine Hand und drückte sie, so wie damals vor ein paar Jahren, als sie mir sagen musste, dass mein Großvater gestorben war. Mir wurde bewusst, dass sie damals auch so aussah wie jetzt, verschlossen, aufgewühlt und rot im Gesicht. Mir hämmerte das Herz in der Brust und auf einmal wollte ich nicht mehr, dass sie es mir erklärte.

„Sie ist tot, Maddie“, verkündete meine Mom. „Sie wurde …“

„Ermordet.“ Mein Dad brachte das Wort mühsam hervor und die Zeitung fiel mit einem Klatsch auf den Tisch, der mir so laut vorkam wie ein Blitzeinschlag. Selbst von hier aus konnte ich die Schlagzeile auf der aufgeschlagenen Seite lesen, obwohl sie falsch herum vor mir lag.

GESCHÄNDETE LEICHE VERMISSTER SECHZEHNJÄHRIGER IN DEN SINGING WOODS GEFUNDEN

„Wendell!“, schnauzte meine Mutter schrill und erschrocken. „Sag doch so was nicht!“ Ich hörte sie kaum. Ich bekam keine Luft.

Angeline Walsh war tot. Ein Mädchen, dem ich zugewinkt hatte, mit dem ich gesprochen hatte und mit dem ich für ein blödes Chemieprojekt Keime und Giftstoffe auf Plastikwasserflaschen getestet hatte. Das Mädchen, das ich, wenn auch nur entfernt, gekannt hatte, war jetzt eine „geschändete Leiche“, die im Wald entsorgt worden war wie Abfall.

Das war nicht damit zu vergleichen, dass mein Opa im Schlaf verstorben war.

Es war viel beängstigender. Es war der richtige Tod.

Mein Sichtfeld verschwamm vor Tränen. Alles wurde dunkel und irgendwie erdrückend und ich brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass meine Mutter mich umarmte. Ich erwiderte die Geste, eher schockiert und verstört als traurig, und versuchte ihr zu sagen, dass es mir gut ging.

Die Worte blieben mir im Hals stecken.

Meine Mom zitterte und schluchzte, viel aufgelöster als ich. Und inmitten unserer Umarmung, während ein paar ihrer Tränen auf mein Oberteil tropften, kam mir plötzlich ein Gedanke, der mir sehr … erwachsen erschien.

Sie weinte nicht um Angeline. Sie weinte um mich und stellte sich vor, wie sie sich fühlen würde, wenn ich es gewesen wäre, die ermordet in den Singing Woods aufgefunden worden wäre. Sie war eher besorgt als traurig.

„Mir geht es gut, Mom“, brachte ich schließlich hervor. „Mir geht es gut.“

Sie wich schniefend zurück und wischte sich über die Augen. „Bist du sicher, Süße?“, fragte sie und warf einen Blick auf Dad hinter ihr, bevor sie mich wieder ansah. „Du kannst heute daheim bleiben, wenn du willst.“

„Nein, schon gut. Wirklich“, versicherte ich ihr, während ich versuchte, mich daran zu erinnern, wie ein besänftigendes Lächeln auszusehen hatte. Mein Gesicht wollte vor Entsetzen zucken und sich verziehen, aber das lag alles nur am Schock. In Dayfield wurden keine Leute ermordet, schon gar keine Kinder in meinem Alter.

Kinder, mit denen ich mal Bio gehabt hatte.

Gott, das ist so unnötig, hörte ich Angeline in meinem Kopf und mir drehte sich unangenehm der Magen um. Ich konnte sie neben mir an dem glänzenden schwarzen Labortisch stehen sehen. Sie sah gelangweilt und zugleich angewidert aus, während ihre Finger unruhig mit einem der Glasobjektträger für das Mikroskop spielten. Mal im Ernst, wer interessiert sich schon für Eisen und Zink im Wasser? Das sind eh Mineralien. Die bringen einen nicht um. Die Vertretungslehrerin ist ätzend. Wir sollten doch eigentlich diese Woche Frösche sezieren.

Das laute Klingeln an der Haustür löste die Erinnerung auf, in der ich gefangen gewesen war, und ich eilte Richtung Wohnzimmer, um dem auf mich projizierten Elend meiner Mom und der unheimlichen Schockstarre meines Dads zu entkommen. Die beiden jagten mir größere Angst ein als die Nachricht über Angeline. „Das ist Carson“, rief ich ihnen zu und rannte zum Eingang. „Ich mache auf.“

Ich riss die Tür auf und da stand Carson Mills, meine beste Freundin. Ihr schulterlanges blondes Haar war perfekt wie immer, doch ihre großen blauen Augen waren voller Tränen und ihre Nase sah ein wenig gerötet aus. „O Gott, Mads, hast du das mit Angeline gehört?“, sprudelte es sofort aus ihr heraus, während sie an mir vorbei Richtung Küche lief. Sie war ständig bei uns und meine Eltern behandelten sie wie ihre zweite Tochter. „Schrecklich, oder?“

„Äh, ja, wir haben es gerade erfahren“, erklärte ich. Ich konnte sie nicht mehr rechtzeitig warnen, nicht da reinzugehen. Seufzend folgte ich ihr, denn ich wusste, dass meine Eltern gleich eine riesige Show abziehen würden.

Carson verschwand durch die Küchentür, ein blonder Wirbelwind in knappem hellblauem Outfit. „Hey, Mr. G., guten Morgen, M-o-m“, hörte ich sie sagen. Seit der vierten Klasse nannte sie meine Mutter „Em-o-em“. Die Buchstaben standen für „my other mother“. Mom fand es süß.

„Wow, ist das die Zeitung von heute?“, fragte Carson gerade, als ich in die Küche eilte. „Die arme Angeline. Ich kann es kaum glauben!“

Ich atmete erleichtert auf, als ich die Lage vor Augen hatte. Meine Eltern sahen beinahe wieder normal aus und standen gemeinsam am Tisch. Mein Dad hatte den Arm um meine Mom gelegt und streichelte ihr über die Taille, wie er es immer tat, wenn sie aufgewühlt war. Beide hatten sich ein Lächeln abgerungen.

„Hi, Carson“, grüßte Mom meine Freundin. „Das mit eurer Freundin tut mir so leid, Süße.“

Carson zuckte mit den Schultern, öffnete den Kühlschrank und holte sich zwei Flaschen Wasser mit Geschmack. Sie warf mir eine zu und ich fing sie gerade noch. „Danke. Wir kannten sie nicht wirklich, aber es ist trotzdem echt grausam“, antwortete sie, während sie die Kühlschranktür schloss. „Na ja, Mads und ich müssen jetzt dann los. Wir werden so was von zu spät kommen.“

Dad runzelte die Stirn. Sein Blick war noch immer schrecklich leer, als hätten ihm die Worte in der Zeitung etwas Essenzielles geraubt. „Soll ich euch Mädels zur Schule mitnehmen?“, fragte er. „Ich fahre in fünf Minuten los.“

„Nein, wir laufen gern. Frische Luft und Sonnenschein und so“, erwiderte ich eilig, ergriff Carsons Hand und zog sie zur Hintertür, bevor sie für uns antworten konnte. „Hab euch lieb. Bis später!“

„Wir dich auch, Süße“, rief meine Mom zurück und dann fiel die Tür zwischen uns zu und ich konnte endlich durchatmen. Das war knapp gewesen. Carson kicherte, während wir den Hinterhof zur Einfahrt von Mrs. Vanderwall durchquerten, sodass wir in der Geary Street rauskamen.

Es war schneller, so zur Schule zu gehen, als den Weg um mein Haus herum zu nehmen, bei dem wir anderthalb Häuserblöcke extra gehen müssten. Außerdem hatte meine Nachbarin nichts dagegen, wenn wir durch ihren Garten abkürzten, solange wir nicht über ihre Blumenbeete trampelten. „Komm schon, Mads, was ist los mit dir?“, stichelte meine beste Freundin und gab mir einen spielerischen Schubs. „Warum willst du nicht mit deinem Dad zur Schule fahren?“

Ich verdrehte die Augen. „Ist das dein Ernst? Er ist nicht nur mein Dad, er ist Lehrer“, erwiderte ich gequält.

„Das wäre todespeinlich.“

„Aber dein Dad ist doch ganz cool“, argumentierte sie noch immer grinsend. „Außerdem ist er irgendwie heiß.“

„Ih!“ Ich verpasste ihr einen Seitenhieb und streckte ihr die Zunge raus. „Das ist widerlich.“

„Wie auch immer. Es stimmt aber.“ Ihr Lächeln verschwand, als wir in die Geary Street einbogen, und sie fuhr sich durch die Haare. Ich musste feststellen, dass es ihrem Look nicht im Geringsten schadete. „Aber mal im Ernst, kannst du das mit Angeline glauben?“, fragte sie in einem dramatischen Flüsterton.

„Ich habe gehört, dass man sie zerstückelt gefunden hat, wie nach einem verrückten wissenschaftlichen Experiment. Voll unheimlich.“

Gott, das ist so bescheuert.

Das sind eh Mineralien. Die bringen einen nicht um. Wir sollten doch eigentlich diese Woche Frösche sezieren.

Ich erschauderte, als mir die tote Stimme von Angeline Walsh durch den Kopf ging, und plötzlich wurde mir übel. „Können wir bitte nicht darüber reden?“, bat ich Carson, von meinem energischen Tonfall selbst überrascht.

Gespielt schockiert wich sie zurück, bevor sie mir den Arm um die Schultern legte. „Tut mir leid, Mads. Das war makaber von mir“, räumt sie ein. „Du hast recht. Lass uns über etwas Tolles reden, zum Beispiel über deine Party dieses Wochenende!“

„Ja. Ich freue mich schon voll.“ Ich war immer noch dabei, die Schatten abzuschütteln und musste meinen Enthusiasmus zumindest ein wenig vorspielen. „Mom meinte, dass wir das ganze Gemeindezentrum für uns haben, samt Pool und so.“

Carson schmunzelte verschmitzt. „Ich wette, du hast Dark and Stormy immer noch nicht eingeladen, oder?“

Ich wurde rot im Gesicht und presste die Lippen zusammen. Sie meinte Ian Moody, einen absolut umwerfenden Zwölftklässler, in den ich bereits mindestens seit der siebten Klasse verknallt war. Aber letzte Woche habe ich zum ersten Mal länger als fünf Minuten mit Ian Zeit verbracht. Es war nicht wirklich ein Date, da wir einander nur zufällig auf Sally McKenzies Party begegnet und ins Gespräch gekommen waren, doch wir verbrachten mehrere Stunden zusammen.

Er war genau so, wie ich es mir erträumt hatte. Lieb, witzig, klug und so was von zum Anbeißen. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass er mit mir gesprochen hatte.

„Äh, nein“, gab ich schließlich zu und versuchte, dabei möglichst beiläufig zu klingen. „Ich meine, er geht in die Zwölfte. Er hat sicher Besseres zu tun, als mit einem Haufen Elftklässlerinnen auf einer langweiligen Geburtstagsparty abzuhängen.“

Carson grinste. „Nein, hat er nicht.“

„Woher willst du das wissen?“

„Mädel, du kannst echt froh sein, dass du eine Freundin wie mich hast.“ Sie drückte mir die Schulter. „Ich habe ihn gestern eingeladen und er meinte, er kommt sehr gern.“

„O mein Gott! Nicht dein Ernst!“, quietschte ich und lief noch roter an. Doch ich war begeistert. Schmetterlinge im Bauch und alles.

Unser Gespräch nahm eine Wendung zu vertrauten, fröhlicheren Themen und der Nachhall des Schocks über das gestorbene Mädchen ließ langsam nach. Nach und nach vergaß ich Moms verzweifeltes Schluchzen und den erschreckend leeren Blick in Dads Augen. Selbst Angelines Stimme vergaß ich. Der Alltag trug mich davon und ich strandete in der Banalität des durchschnittlichen Teenagerlebens … und vergaß alles. Als wäre der brutale Mord an einer Mitschülerin nichts weiter als eine lose Wimper, die ich im Bad wegblinzelte und im Waschbecken herunterspülte, bevor sie für immer in Vergessenheit geriet.