Kapitel 1
„Und das funktioniert tatsächlich?“ Ich runzele die Stirn.
„Ihr backt ein Auslöseband in den Kuchen.“ Philipps Augen leuchten, und ich frage mich nicht zum ersten Mal, was diese Verbindung noch hervorbringt.
Wie um das zu unterstreichen, streift mein Blick Terrys Bauch. Hat der an Umfang zugenommen? Würde sie mir das nicht sagen? Bestimmt würde Terry sich nicht von Philipp schwängern lassen, aber, wie gesagt, die gesamte Beziehung der beiden war etwas, das ich bis vor Kurzem für unmöglich gehalten hätte.
Auch ihr Umgehen miteinander hätte ich niemals so erwartet. Anfangs vermieden sie Körperkontakt und begegneten einander eher kumpelartig, zumindest in meiner Gegenwart. Was in mir die Gewissheit heranreifen ließ, dass Terry nicht der Typ war für Süßholzraspelei, falsch gedacht.
„Du hast so geile Ideen“, schwärmt Terry und drückt Philipp einen Kuss auf den Mund.
Der errötet zart und entgegnet: „Du hast die geilen Ideen, ich verfeinere die allenfalls.“
„Bist du süß.“
Ich verziehe den Mund, als würde ich einen sauren Drops lutschen, und irgendwie stimmt das auch. Die in Liebe entbrannten Terry und Philipp sind nur schwer zu ertragen, und das heißt nicht, dass ich ihnen ihre Liebschaft nicht gönne. Ganz im Gegenteil. Doch ich sehne mich nach Unterhaltungen zu zweit und ohne dass der Name Philipp oder eine Koseform in jedem dritten Satz fällt. Bin ich zu hart?
„Sorry, Linny“, gibt sich Terry kleinlaut und lehnt ihren Kopf an meine Schulter. „Wir sind schon anstrengend, oder?“
„Joa“, mache ich, da ich einerseits nicht lügen, andererseits weder meine Freundin noch meinen Ex-Freund, wenn man ihn so bezeichnen kann, vor den Kopf stoßen möchte. „Aber wo kommt das Konfetti hin und der Auslöser, und wie verhindern wir, dass ein unachtsamer Kunde eines oder beides verspeist?“, versuche ich das Gespräch wieder auf das Thema unseres Treffens zu lenken. Das ist nämlich eine neue Kreation Terrys und, wie ich soeben erfuhr, Philipps: Ein Konfettikuchen.
Der Clou an der Sache ist oder soll sein, dass er beim Anschneiden Konfetti versprüht. Für mich eindeutig zu viel Schnickschnack, aber die Begeisterung, mit der Terry und Philipp ihre Kreation präsentieren, hat etwas Rührendes.
„Wir nutzen eine Springform“, sagt Terry. „Damit bleibt in der Mitte eine Öffnung frei, in der die Konfettipatrone Platz hat.“
„Aha“, mache ich. Kanone ist ein Wort, das meines Erachtens bei einem Kuchen nichts zu suchen hat.
„Der Auslösekontakt steckt in einer Papierschablone, die dem Kuchen nach dem Backen aufgelegt wird, und wenn dann jemand den Kuchen anschneiden möchte.“ Philipp macht eine Pause. „Kabumm!“, ruft er dann, und Terry bricht in gackerndes Gelächter aus.
„Und für wen soll dieser Kuchen sein? Al-Kaida?“, frage ich und bin mir durchaus des schnippischen Untertons bewusst. Wenn die beiden schon ununterbrochen zusammenhocken, kann dann nicht etwas Vernünftiges dabei herauskommen?
„Überleg dir mal, wie ein solcher Kuchen bei den Leuten ankommen würde.“ Philipp deutet auf seine Skizze, die einen Kuchen zeigt, aus dessen Mitte Konfetti katapultiert wird.
„Ich überlege, was unseren Gästen passieren kann bei derartigen Backexperimenten.“ Ich stehe auf. Diese Besprechung ist für mich beendet.
„Komm schon, Linny.“ Terry hält mich am Arm fest.
„Terry, wir hatten genügend Erlebnisse mit außer Kontrolle geratenen Backwerken. Ich bin für geschmackliche oder Formvariationen offen, aber für nichts, was unsere Gäste unter Drogen setzt oder in ihrem Mund explodiert.“
„Jetzt übertreibst du aber.“ Philipp verschränkt die Arme vor der Brust.
„Philipp, sei mir nicht böse, aber es ist Terrys und mein Café, und Entscheidungen treffen wir gemeinsam und einstimmig. Danke für deine Mühe, aber ich möchte, dass du dich in Zukunft aus Angelegenheiten, die unser Geschäft betreffen, heraushältst.“ Ohne eine Antwort abzuwarten, verlasse ich die Küche und gehe auf mein Zimmer.
Eigentlich ist alles gut. Was das Café anbelangt zumindest. Wir scheinen es endlich geschafft zu haben, erwirtschaften zwar keine Reichtümer, aber einen Verdienst, mit dem wir zufrieden sind. Der Montag ist jetzt ein fester Ruhetag, und Terry hat das Ausfahren von Medikamenten eingestellt. Nur ab und zu hilft sie aus, wenn Mrs Norch sie bekniet, da wirklich Not am Mann ist.
Eigentlich bedeutet, dass geschäftlich alles gut ist, nicht aber, was mein Liebesleben anbelangt. Damit könnte ich leben, hätte ich nicht die dauerturtelnden Terry und Philipp vor der Nase. Auch, wenn es nicht ihre Absicht ist, führen sie mir vor Augen, dass ich immer noch Single bin. Schlimmer. Unglücklich verliebt. Als wäre das nicht genug, kann ich mit Terry nicht mal darüber reden. Zwar würde sie mir zuhören und Rat geben, aber seit Philipp in ihrem Leben ist, habe ich den Eindruck, dass das nur noch mit einem Ohr geschieht. Außerdem ist mir der Gedanke, dass etwas von meinen Bekenntnissen zu Philipp durchsickert, unerträglich. Auch hier weiß ich, dass Terry niemals mit Absicht etwas ausplaudern würde, aber, wie ich schon ausführte, kenne ich die verliebte Terry nicht gut, und selbst ein unbeabsichtigtes Entschlüpfen wäre mir unangenehm. Zumal Philipp und ich eine komplizierte Vergangenheit teilen.
Somit bleibe ich seit Wochen mit meinen Gedanken für mich. Im Grunde, seit der Pinguin des Mordes an seiner Frau überführt werden konnte. Was auch der Zeitpunkt meines letzten Kontakts zu Bruce, dem sicherlich attraktivsten Detective Chief Inspector der Metropolitan Police, ist, der wiederum der Grund für all diese Gefühle ist, die mir das Herz schwer machen.
Unser unrühmlicher Versuch, Dr. Sullivan auf die Schliche zu kommen, gefolgt von Bruce’ Rüge, dann der Verdacht gegen mich, dass ich einen falsch deklarierten Kuchen verkaufte, der die Frau vom Pinguin das Leben kostete, irgendwie erscheint mir dies alles keine gute Basis, um darauf eine Beziehung zu begründen.
Und doch gehen mir Bruce’ braune Augen nicht aus dem Kopf, sein lockiges Haar, der Dreitagebart, dessen Kitzeln ich nur zu gerne auf meiner Haut spüren würde. Nein!, beschließe ich. Ein weiteres Mal von unzähligen Malen, in denen ich gedanklich durchgespielt habe, welche Möglichkeiten der Kontaktaufnahme ich hätte und wie diese verlaufen würden. Um es vorwegzunehmen, sie steuern allesamt auf ein Ergebnis zu, nämlich, dass ich mich lächerlich mache. Weshalb ich sie jedes Mal verwerfe.
Es klopft an der Tür. „Ja“, sage ich.
Durch den Türspalt schiebt Terry ihren Kopf. „Alles in Ordnung, Linny?“
Ich nicke halbherzig.
Terry tritt ein und schließt die Tür hinter sich. „Ich hätte niemals für möglich gehalten, so zu werden und würde mich wahrscheinlich zum Mond schießen, wenn ich an deiner Stelle wäre.“ Sie steckt die Hände in die Hosentaschen und betrachtet ihre Schuhe.
„Es ist nicht deine, eure Schuld. Ihr seid frisch verliebt, da gehört das dazu. Wir müssen das nur vom Geschäftlichen trennen, weißt du?“
„Klar.“
„Ich neide dir dein Glück nicht.“ Das hört sich an, als sei das Gegenteil der Fall, finde ich und füge daher zügig hinzu: „Ich bin nicht eifersüchtig oder so.“ Was rede ich bloß?
Ich stehe auf und gehe zu Terry. „Das hört sich total schräg an, ich weiß.“ Ich verdrehe die Augen und grinse.
„Allerdings.“ Terry beginnt zu lachen, und ich bin froh, dass sich die Spannung damit löst.
„Es ist wegen Bruce“, platze ich endlich heraus. Schließlich ist Terry immer noch meine Freundin, und ich möchte ihr gegenüber ehrlich sein. Meine Äußerungen zuvor haben außerdem gezeigt, dass ich mich eher um Kopf und Kragen rede, wenn ich die Dinge nicht klar anspreche. „Ich muss immer an ihn denken, obwohl ich weiß, dass ich ihn mir aus dem Kopf schlagen sollte.“
„Warum denkst du das?“
„Unser letzter Kontakt?“ Ich gehe zu meinem Bett und lasse mich seufzend darauf fallen.
Terry setzt sich neben mich. „Du machst dir viel zu viele Gedanken. Es war eindeutig, dass er Interesse an dir hat. Warum sollte ihn unsere Aktion davon abbringen?“
„Keine Ahnung. Aber inzwischen sind fast vier Wochen vergangen. Irgendwie ist es doch komisch, wenn ich mich jetzt plötzlich aus der Versenkung zurückmelde?“
Terry streichelt mir den Oberschenkel. „Viel zu verkopft, Linny. Bruce hat seinen Job gemacht, und wenn wir ehrlich sind, haben wir ihm, insbesondere du, dabei geholfen.“
„Ob er das genauso sieht?“, murmele ich, besinne mich dann gleich dessen, was Terry mir geraten hat. „Den Kopf ausschalten“, sage ich.
„Ganz genau.“
Ich schicke Terry zurück zu ihrem Lover, die beiden möchten noch etwas trinken gehen, aber ich schlage die Einladung aus. So lieb ich Terry habe und ihr für ihre Aufmunterung dankbar bin, ich kann keine weiteren Zärtlichkeiten zwischen ihr und Philipp ertragen. Für heute zumindest.
Kapitel 2
Traurig sieht sie aus, wie sie auf die perfekte Schaumkrone ihres Cappuccinos starrt. Keine Ahnung, warum das Mädel, mutmaßlich in meinem Alter, meine Aufmerksamkeit mehr auf sich zieht als die übrigen Gäste, überwiegend Shopping-Jünger mit vielen bunten Tüten. Vielleicht ist es gerade das, denke ich. Es ist, als habe sich um die junge Frau eine Blase der Stille gelegt, während um sie herum geschwatzt und gelacht, in Einkaufstüten gewühlt und auf Handydisplays getippt wird.
Sie sitzt nur da und glotzt weiterhin auf ihre Tasse, als wisse sie nicht, was sie damit anstellen solle. „Kann ich dir vielleicht mit einem Stück Kuchen eine Freude machen? Unser Käsekuchen ist legendär“, sage ich, nachdem ich an ihren Tisch getreten bin.
Sie sieht auf, und es wirkt, als hätte ich sie geweckt. Ihr Blick klärt sich, dann sagt sie: „Käsekuchen hört sich toll an. Danke.“
„Gerne.“ Ich freue mich, ihr ein Lächeln entlocken zu können. Als ich ihr den Kuchen serviere, flüstere ich: „Der geht aufs Haus.“ Und zwinkere ihr verschwörerisch zu, um mich im gleichen Moment zu maßregeln, dass ich nicht jedem Gast, der mir leidtut, Kuchen schenken kann.
Ein erneutes Lächeln, breiter und irgendwie ehrlicher als das zuvor, zeigt mir, dass ich richtig gehandelt habe. „Vielen Dank.“ Das kommt von ganz tief innen, als würde sie sich für viel mehr bedanken als ein Stück Kuchen.
Das rührt mich, gerne würde ich mich weiter mit ihr unterhalten. Ihre Augen werden von den dicken Gläsern der großen Brille, die ihr Gesicht nach unten zu drücken scheint, vergrößert und geben ihr, gepaart mit den roten Pausbacken, eine kindliche Erscheinung.
„Soziales Projekt?“, empfängt mich Terry bei meiner Rückkehr zum Tresen.
„Tut mir irgendwie leid“, antworte ich mit Blick auf unseren stillen Gast, der sich über den Käsekuchen hermacht. Obwohl ihr der zu schmecken scheint, weicht die Melancholie, die ihr gesamtes Wesen durchdringt, nicht von ihr.
„Liebeskummer?“, mutmaßt Terry.
Ich zucke mit den Schultern, aber eine Ahnung sagt mir, dass dies nicht der Fall ist. Liebeskummer, und ich weiß schließlich, wovon ich spreche, erscheint mir zu profan. Dieser Frau zieht eine Traurigkeit Mundwinkel und Blick gen Boden, die tiefer wurzelt.
Viel Zeit bleibt mir nicht, unseren Gast weiter zu studieren, denn die Shopping-Willigen wollen alle zur gleichen Zeit weiter und somit zahlen, was Terry und mich auf Trab hält. Als ich das nächste Mal zum Tisch schaue, an dem sie saß, ist sie verschwunden. „Hast du sie abkassiert?“, frage ich Terry und deute auf den Tisch, auf dem Tasse und leerer Teller noch von der Anwesenheit der Frau künden.
„Die Eule?“, fragt Terry, und ich benötige einen Moment, um den Spitznamen zuzuordnen. Ich muss zugeben, dass die Frau, mit ihren durch die Brille vergrößerten Augen, mich ebenfalls an einen solchen Vogel erinnert.
„Nö“, antwortet Terry und hält das Kännchen mit Milch unter die Aufschäumdüse der Kaffeemaschine. „Die wird doch nicht die Zeche geprellt haben?“
Ich schüttele den Kopf. „Das kann ich mir nicht vorstellen.“
„Das schließt es nicht aus.“
Stimmt. Somit gehe ich an den Tisch, den ich ohnehin abräumen und abwischen muss. Unter der Untertasse klemmt etwas. Ein Zettel und eine Zehnpfundnote, eine fürstliche Entlohnung für einen Cappuccino, denn den Kuchen habe ich ihr ja geschenkt. Und selbst wenn ich das nicht getan hätte, würden zehn Pfund für Kuchen, Cappuccino und ein wenig Trinkgeld reichen.
Ich falte den Zettel auseinander und lese:
Dankeschön für den Kuchen, der sehr gut geschmeckt hat. Das hat mir gutgetan.
„Und?“ Terry sieht mich erwartungsvoll an, als ich mit Geld und Zettel in der Hand zum Tresen zurückkehre.
„Wie ich sagte, keine Zechprellerin“, entgegne ich, nicht ohne einen gewissen Stolz, dass ich richtig lag.
„Fanpost?“ Terry deutet auf das Papier in meiner Hand, den ich ihr daraufhin reiche. Terry liest die zwei Sätze. „Das ist süß“, sagt sie dann.
„Jetzt tut sie mir fast noch mehr leid.“
„Wir können nicht die Welt retten, Linny. Selbst du nicht.“
„Schon klar.“ Ich spreche nicht aus, was ich denke, dass die Reaktion der Frau und die Notiz für mich wirken, als würde sie um Hilfe rufen oder zumindest Kontakt suchen.
„Übernimmst du die Bestellung?“ Terry nickt in Richtung des Tisches, an dem zuvor die Eule saß und der sogleich wieder von einem Pärchen eingenommen wird.
„Klar doch.“
Das Pärchen entpuppt sich als schwerer Fall, insbesondere sie. Brünett und Kaugummi kauend lässt sie sich von mir sämtliche Allergene runterbeten, die in unseren Backwerken vorhanden sein könnten. Um nach, gefühlt, Stunden abzuwinken und zu sagen: „Ich will doch nur einen Kaffee.“ Das entlässt mich jedoch nicht aus der Verantwortung, ihr nun unser Milch- und Milchgetränkeangebot vorzustellen.
„Du hast nicht zufällig einen Prototypen eures Bombenkuchens gebacken?“, frage ich Terry, die gerade einen Kuchen aus unserer Kuchenvitrine genommen hat, um ein Stück davon abzuschneiden.
Terry grinst. „Du meinst den Konfettikuchen?“
„Anstatt Konfetti könnte der doch mit Lebensmittelfarbe gefüllt sein?“, überlege ich laut.
Terry macht große Augen. „Muss ich mir Sorgen machen?“
„Die Tussi da drüben ist eine Zumutung. Erst wollte sie sämtliche Allergene aufgezählt haben und nimmt dann gar keinen Kuchen.“
„Hat sie wahrscheinlich genervt, dass ihr Kerl dich interessiert angeglotzt hat.“
„Mach keinen Quatsch!“ Ich winke ab.
„Wenn mir das von hier auffällt“, Terry führt den Satz nicht zu Ende.
Ist Terrys Beobachtung zutreffend? Irgendwie habe ich mich daran gewöhnt, nicht das sexyeste Chick im Raum zu sein, muss aber zugeben, dass ich seit der Pinguin-Geschichte wieder regelmäßig ins Fitnessstudio gehe und außerdem wieder mehr auf Haar und Make-Up achte. Unterschätze ich meine Wirkung auf die Männerwelt?
Ich beschließe, mich auch mal aufreizend zu geben und achte beim Gang mit der Bestellung zum Tisch von Miss Allergen und ihrem Lover auf eine besonders aufrechte Körperhaltung und Hüftschwung und schenke ihm beim Servieren einen gekonnten Augenaufschlag. Tatsächlich sehe ich aus dem Augenwinkel, dass Miss Allergen die Luft anhält.
„Miss Fleet. Du verkommenes kleines Flittchen“, flüstert Terry, die absichtlich meinen Weg kreuzt, als ich mich umdrehe, um den Tisch zu verlassen.
Das Leben geht manchmal sparsam mit den guten Augenblicken um oder begrenzt deren Dauer gnadenlos. So auch heute. Denn während ich mich noch darüber freue, mal für sexy gehalten worden zu sein, sogar einer hübschen Tussi Konkurrenz zu machen, geht die Tür auf, und er tritt ein.
Die braunen Augen tasten sich durch den Gastraum und treffen dann auf meine. Ein kurzes Lächeln, das in meinem Magen explodiert. Ich überlege, ob ich den positiven Schub der soeben gemachten Erfahrung nutzen kann, um auch Bruce in meinen Bann zu schlagen, da tritt sie ein: Blondes, langes Haar, Wespentaille und Schmollmund.
Mein kurzes Aufatmen, dass sie nicht zusammen gehören müssen, wird von der nächsten Szene torpediert. Bruce dreht sich zu der Dame um, während er auf die Theke zugeht, um ihr etwas zu zuraunen, woraufhin ihr Gesicht durch ein äußerst charmantes Lächeln aufblüht. Die beiden kennen einander nicht nur, das ist echte Sympathie.
„Das ist eine Überraschung“, gehe ich in die Offensive, als Bruce und die Blonde am Tresen eintreffen.
„Ich wollte Lindsey mein Lieblingscafé zeigen sowie die Spürnase, die entscheidend zur Lösung des Woodsborough-Falls beigetragen hat“, sagt Bruce.
Ich öffne den Mund, um dieses Kompliment sogleich wieder zu entkräften, doch Terry kommt mir zuvor. „Gestern erst habe ich Linn gesagt, wie stolz sie auf sich sein kann, dass sie die entscheidende Information beitragen konnte.“
Lindsey nickt mir anerkennend zu, und mir schießt die Hitze in den Kopf.
„Wir können bei der Polizei gute Mitarbeiterinnen gebrauchen“, sagt Lindsey.
„Danke für das Angebot.“ Ich versuche mich an einem Lächeln. „Aber ich liebe meinen Job.“
„Das weiß ich.“ Bruce wirft mir einen Blick zu, den ich nicht deuten kann. Liegt darin anerkennende Begeisterung, wie mein kribbelnder Bauch mir weismachen will?
„Ein schönes Café.“ Lindsey lässt ihren Blick durch den Gastraum schweifen.
„Dankeschön.“ Ich bin an die Kaffeemaschine getreten und klopfe den Siebträger aus. „Was darf ich Ihnen anbieten. Cappuccino, Latte macchiato, Milchkaffee?“
„Milchkaffee.“
„Kommt gleich und ein doppelter Espresso.“ Bei den letzten Worten sehe ich Bruce an, der freudig nickt.
Das Café bleibt gut besucht, und so bleibt nur wenig Zeit, um mich mit Bruce und Lindsey auszutauschen. Ich erfahre, dass sie von Brighton nach London zog, da ihr Brighton zu provinziell gewesen sei. Lindsey wurde in London geboren und wuchs in der City auf, verließ die dann, der Liebe wegen, wie sie es ausdrückt, um in Brighton ihre Ausbildung abzuschließen. Auch sie arbeitet bei der Polizei.
Als Bruce und sie gehen, sehe ich ihnen nach und frage mich, ob sie vertrauter miteinander umgehen, als es eine kollegiale Verbindung vermuten lässt? Ob Bruce nach wie vor Interesse an mir hat und ich seinen Blick richtig deute?
„Ich glaube nicht, dass da was läuft.“ Terry legt mir von hinten eine Hand auf die Schulter.
„Lindsey ist freundlich und sehr hübsch.“
„Und doch muss sie nicht sein Typ sein.“
Das möchte ich gerne glauben, aber eine Ahnung sagt mir, dass ich dabei bin, das Rennen um Bruce zu verlieren. Womöglich habe ich das bereits.
Kapitel 3
„Ich glaube das einfach nicht“, flüstere ich.
„Wenn ich es dir doch sage. Eine Frauenstimme.“ Terry flüstert ebenfalls.
Man könnte meinen, es ginge um ein Staatsgeheimnis, und in unseren Augen ist es auch eines, betrachtet man unsere WG als einen Staat und Terry und mich als Parlament. Zumindest einen Teil davon. Wahrscheinlich bekleide ich in dieser Analogie den Posten des Innen-, Terry den des Außenministers.
Die sensationelle Neuigkeit betrifft unseren IT-Minister, Randall, denn anscheinend hat Shauns Umstyling Früchte getragen. Terry will auf dem Weg zur Toilette aus Randalls Zimmer eine Frauenstimme gehört haben.
Nach dem langen und anstrengenden Tag im Café will ich eigentlich nur ins Bett, doch meine Neugierde ist geweckt, und Terry und ich werden uns so lange in der Küche herumdrücken, bis wir Genaueres zu Randall und seinem Damenbesuch erfahren haben.
„Können wir nicht Shaun fragen?“, schlage ich vor.
„Der ist nicht da. Womöglich schon auf dem Weg zum Club.“
Ich schaue auf die Uhr. Sieben. „Eigentlich nicht seine Zeit.“
„Kann sein, dass er vorher ins Fitnesscenter ist.“
Terrys Entgiftung Shauns, indem sie ihn von Viagra auf ein Placebo setzte, hat einiges in unserer WG zum Positiven verändert. Shaun rammelt nicht mehr alles, was ihm vor den Schritt läuft, und wenn es ihm sogar gelungen ist, dem menschenscheuen Randall eine Frau zu verschaffen, werde ich ihm wohl huldigen müssen.
Ich will etwas sagen, aber Terry hält den Zeigefinger an die Lippen. Jetzt höre auch ich, was Terry zu ihrer Schweigegeste veranlasste. Die Stimme der Frau und Randalls sind deutlich zu vernehmen, da die beiden sich durch den Flur in Richtung Küche bewegen. Da Randalls Zimmer am äußersten Ende des Flurs ist, dauert das einige Sekunden.
Zu hastig verwandele ich mein Umdrehen, sitze ich doch mit dem Rücken zur Küchentür, in ein Aufstehen und knalle kurzerhand mit dem Stuhl auf den Fliesenboden. Das tut nicht nur weh, sondern beschert mir einen ungewollt großen Auftritt.
„Oh Mann, Linny. Hast du dir wehgetan?“, fragt Terry, die sich neben mich gehockt hat.
Ich schüttele den Kopf, während mein Blick zur Tür geht, in der Randall nebst seinem Frauenbesuch steht. An Randalls Anblick ohne seine Nerdbrille muss ich mich erst noch gewöhnen, Shaun verordnete ihm im Rahmen des Umstylings Kontaktlinsen.
„Geht es dir gut?“, fragt er.
Ich rappele mich auf und ignoriere den Schmerz in meinen Händen, mit denen ich den Sturz abgefangen habe. Ist das peinlich! „Alles gut. Ich sollte halt nicht mit dem Stuhl wippen.“ Ich werfe Randalls Begleitung einen Blick zu und füge hinzu: „Dumme Angewohnheit.“
Randall bemerkt meinen Blick, deutet auf die blonde Frau, die einen Kopf kleiner ist als er: „Das ist übrigens Gaby.“ Er zeigt erst auf mich, dann auf Terry und führt aus: „Das sind Linn und Terry.“
Ehe ich mich versehe, ist Gaby auf mich zugestürmt und drückt mich an ihren üppigen Busen. „So schön, dich kennenzulernen.“ Im Anschluss wiederholt sich die Szene mit Terry und ihr.
Normalerweise halte ich nichts von Leuten, die zu schnell auf Tuchfühlung mit einem gehen, aber bei Gaby erscheint es authentisch. Mit ihren roten Wangen und den großen blauen Augen hat sie etwas Kindliches. Obwohl ich sie gerade erst kennenlerne, wirkt sie wie eine Partnerin, die zu Randall passt.
„Na, ihr zwei?“ Terry grinst. „Wo habt ihr euch denn kennengelernt?“
„Na ja, also …“, beginnt Randall, und Gaby berührt ihn vorsichtig am Arm. Eine Geste, die mein Herz erwärmt. Die beiden wirken schon jetzt wie ein eingeschworenes Team.
„Ich bin Test-Spielerin bei der Firma, für die Randall Computerspiele entwickelt. Und das letzte Projekt erforderte eine intensive Zusammenarbeit und …“ Sie wirft Randall einen schmachtenden Blick zu, weitere Worte sind überflüssig.
„Wow!“ Terry klatscht in die Hände. „Ich freue mich für euch.“
„Ich mich auch.“ Ich hoffe, das klingt nicht aufgesetzt. Wenn ich ehrlich bin, bin ich immer noch baff von dieser Neuigkeit und muss, wenn auch ungern, zugeben, dass es schmerzt. Nicht nur Terry hat ihr Liebesglück gefunden, sondern sogar Randall, bei dem ich niemals damit gerechnet hätte. Nur ich bleibe allein, glücklos in Liebesdingen.
Als ich später im Bett liege, starre ich in die Dunkelheit und frage mich, ob es an mir liegt. Bin ich nicht liebenswert oder schlicht zu verkopft, wie Terry beklagt? Aber wie soll ich meinen Kopf abstellen? Mit dem Kopf?
Ich wälze mich im Bett herum, bis das Geräusch der Eingangstür von Shauns Heimkehr kündet. Zwar war die in den letzten Wochen meist ruhig, aber es fällt mir schwer, zu glauben, dass Shaun nachhaltig zölibatär bleiben wird. Soll er auch nicht, aber eine, sagen wir mal, eingeschränkte Aktivität wäre wünschenswert. Meine Hoffnung scheint erfüllt zu werden, ich höre nur die Badezimmertür und später Shauns Zimmertür, kein Gespräch, keine Frauenstimme und keine Porno-Synchronisation.
Heute hätte ich damit leben können, denn ich rotiere weiterhin etappenweise um meine Längsachse. Um vier Uhr morgens und damit einige Stunden früher, als ich aufstehen müsste, beende ich meine Nacht, ohne dass sie richtig begann. Ich entscheide mich für eine Katzenwäsche, um die anderen nicht mit dem Geräusch der Dusche zu wecken, und mache mich auf den Weg zum Café.
Es ist bereits hell, auch ein Grund, warum ich den Sommer so liebe. Obwohl wir mitten in der Stadt leben, lässt sich sogar Vogelgezwitscher vernehmen, wohl auch, weil die City noch dabei ist, zu erwachen.
Im Café angekommen, begebe ich mich sogleich in die Backstube. Ich rühre einen Käse-, dann einen Möhrenkuchen und schiebe beide in den Ofen. Dann gehe ich in mein Abstellkammerbüro und kümmere mich um die Bestellungen. Es ist einer dieser Tage, an denen alles wie am Schnürchen läuft. Die Kuchen sind genau in dem Augenblick fertig gebacken, als ich mit den Bestellungen durch bin. Während sie auskühlen, bereite ich den Gastraum vor, um mich anschließend an die Buchhaltung zu setzen.
Ich zucke zusammen, als ich Terrys Stimme hinter mir höre: „Du bist ja früh dran.“
„Konnte nicht schlafen.“
„Zu viel Love Vibes um dich herum, oder?“
„Kann schon sein.“ Ich gähne. „Aber ich will nicht die unglückliche alte Jungfer mimen.“
Terry knufft mir in die Seite. „Mach dir mal keine Gedanken. Die Dinge werden sich schon fügen.“
Ich nicke und würde Terry gerne glauben, aber die Stimme in meinem Kopf, die mir einredet, ich würde einsam und allein sterben, will nicht schweigen. So vielversprechend der Tag begann, von diesem Moment an ist es vorüber. Nach einer halben Stunde schiebe ich den Buchhaltungskram entnervt beiseite und bin froh, dass wir bald öffnen können.
Als ich zur Eingangstür gehe, um aufzuschließen, blicken mir Augen hinter einer großen Brille entgegen. Es ist die Eule. Ich freue mich richtig, sie zu sehen. „Guten Morgen. Schön, dass du wieder bei uns bist.“
Sie lächelt verlegen. „Ich komme von der Arbeit und hoffe, dass ich einen Kaffee und ein Stück von dem phänomenalen Käsekuchen bekommen kann, bevor ich heimgehe.“
„Aber gerne doch. Und dieses Mal geht der Kuchen wirklich aufs Haus.“ Ich halte ihr die Tür auf, und sie zieht den Kopf ein, als sie an mir vorbei in den Gastraum huscht. „Ich habe heute Morgen einen Käsekuchen gebacken, und du bist die Erste, die ein Stück bekommt.“
Die Eule nimmt am gleichen Tisch Platz wie bei ihrem letzten Besuch, und ich gehe zum Tresen.
„Du überschlägst dich ja geradezu. Willst du es beim anderen Geschlecht versuchen?“, fragt Terry, bemerkt meinen gequälten Blick und fügt hinzu: „Sorry, blöder Witz.“
„Ach, schon gut. Ich muss weniger empfindlich sein, und der Witz war gar nicht schlecht.“ Ich hole den Käsekuchen, der mittlerweile abgekühlt ist, aus der Backstube und schneide ein großes Stück heraus. Dann mache ich mich an die Zubereitung des Cappuccinos und bringe beides auf einem Tablett zum Tisch der Eule.
„Da wären wir. Ganz frischer Käsekuchen und dazu ein Cappuccino.“
„Super! Vielen Dank.“
Das Tablett in der Hand haltend, bleibe ich einen Moment unschlüssig stehen. Das Gefühl, dass die Frau wieder da ist, weil sie sich etwas von der Seele reden möchte, ist übermächtig. Doch sogleich stelle ich mir die Frage, ob ich falsch interpretiere?
Ich beginne am Nachbartisch, den Tischaufsatz, der Rührstäbchen und Zuckerpäckchen enthält, neu zu sortieren, was unnötig ist, aber so fällt es nicht auf, dass ich noch ein wenig Zeit in ihrer Nähe verbringen will. Als würde mir dies gerade erst einfallen, wende ich mich ihr zu und frage: „Und du hast bis jetzt gearbeitet? Also Nachtschicht gehabt?“
Die Eule, die auf einem Stück Kuchen kaut, nickt.
Eine Nachteule, denke ich. „Arbeitest du in der Klinik? Sorry, geht mich im Grunde nichts an.“
„Kein Problem. Ich arbeite bei der Telefonseelsorge.“
Damit habe ich nicht gerechnet. „Wow“, entfährt es mir. Und weiß nicht, ob das die richtige Entgegnung ist. Mir fällt jedoch nichts Besseres ein. Ein Job als Krankenschwester hätte meines Erachtens nach besser in das Bild gepasst, das ich von der Nachteule hatte.
„Ich heiße übrigens Norah“, sagt sie.
„Freut mich.“
Sie blickt auf den Aufdruck der Kaffeetasse und fragt: „Und du bist Terry oder Linn?“
„Linn. Terry ist meine beste Freundin und Café-Kumpanin.“
Norah sieht zu Terry hinüber, die dabei ist, Kaffee zuzubereiten, denn das Café beginnt sich zu füllen. Ich bin immer noch fasziniert, wie schnell sich die Zeiten geändert haben, wenn ich bedenke, wie trostlos es vor einigen Wochen aussah. Wegen dieser Erfahrungen fällt es mir schwer, loszulassen, ich fürchte jeden Tag, dass die Besucher ausbleiben. Erneut muss ich an Terrys Mahnung denken, lockerer zu werden.
„Es muss toll sein, eine beste Freundin zu haben und mit ihr arbeiten zu können.“ Die Wehmut in Norahs Blick zerreißt mich nahezu.
Ich sehe ebenfalls zu Terry und frage mich, ob ich zu würdigen weiß, dass ich sie an meiner Seite habe.
„Deine Arbeit hört sich spannend an und extrem wichtig dazu“, versuche ich, das Thema zu wechseln.
Norah starrt auf die Tischplatte und nickt langsam. „Spannend ja.“ Ihre Stimme ist so leise, dass ich mich vorbeugen muss, um sie gegen den immer mehr anschwellenden Lärm des Cafés zu verstehen. „Aber auch sehr anstrengend.“
Dann tue ich etwas, was ich mir selbst nicht erklären kann. Ich nehme meinen Bestellblock und notiere meine Handynummer, bevor ich den Zettel abreiße und vor Norah lege. „Hier ist meine Nummer. Wenn du möchtest, meld dich bei mir, und wir treffen uns mal in Ruhe. Dann kannst du mir von deinem Job erzählen.“
Norahs große Augen hinter der Brille schwimmen, als sie mich dankbar ansieht. „Dankeschön“, sagt sie.
„Dann lasse ich dich mal deinen Kuchen essen.“ Gerne würde ich mich mit der Nachteule, alias Norah, weiter unterhalten, doch ich möchte und kann Terry nicht alleine mit dem Bedienen der Gäste lassen.
Ich nehme Bestellungen auf und bringe sie an die Tische. Als ich Terry am Tresen treffe, fragt sie: „Und? Wie geht es der Eule?“
„Sie ist sogar eine Nachteule.“
„Hmm?“
Schön, dass ich mal bei Terry für Stirnrunzeln sorgen kann. „Sie arbeitet nachts. In der Telefonseelsorge.“
Terry stößt einen anerkennenden Pfiff aus. „Und möchte wohl zahlen“, sagt sie dann und deutet mit dem Kinn in Richtung Norahs Tisch.
„Heute geht das aber aufs Haus“, sage ich, als ich bei Norah ankomme.
„Echt?“ Ihre Pausbäckchen werden noch röter. „Das kann ich doch nicht annehmen.“
„Kannst du und wirst du.“ Ich verschränke die Arme und ziehe die Brauen zusammen.
Zunächst schaut Norah verwirrt drein, fast ängstlich, und ich bedaure meinen Scherz bereits. Dann entlädt sich ihre Anspannung in einem Auflachen. „Kurz habe ich wirklich geglaubt, du wärest mir böse.“
„Ach Quatsch.“ Ich lächele ebenfalls. „Wollte dem nur Nachdruck verleihen, weil du beim letzten Mal mein Angebot nicht angenommen hast.“
„Das ist so lieb.“ Sie steht auf. „Einverstanden, also, dieses Mal nehme ich es an.“ Sie huscht an mir vorbei, als wäre ihr die gesamte Situation peinlich, dann dreht sie sich noch einmal um und sagt: „Danke, Linn. Das ist unglaublich lieb von dir.“
„Gerne“, entgegne ich.
„Dann bis zum nächsten Mal.“ Ihre Augen werfen mir durch die große Brille noch einen Blick zu, dann entschwindet sie durch die Eingangstür.
Kapitel 4
„Ich möchte nur, dass es dir gut geht, mein Schatz.“
„Das weiß ich, Mom.“ Ich presse die Lippen zusammen und halte die Bemerkung zurück, dass meine Mutter sich aus meinem Liebesleben heraushalten soll, da ich weiß, dass sie es gut meint. Auch, da wir seit dem Tatverdacht gegen mich besser miteinander zurechtkommen. Besser bedeutet nicht super, jedoch glaube ich, dass ich mir super im Zusammenhang mit meiner Mom abschminken kann.
„Und ein Partner, der dich liebt, mit dem du dich auch mal besprechen kannst, das würde dein Leben doch bereichern.“
Trotz aller Bemühungen spüre ich, dass die Wut von innen gegen meine Stirn pocht. „Ich kann keinen Freund online bestellen, Mom, und zum Austauschen habe ich Terry.“
Ich erwarte eine bissige Erwiderung in der Art, dass sich ja wohl zeige, wie sehr ich mich auf Terry verlassen könne, wenn die mir den potenziellen Partnerschaftskandidat wegschnappt. Absurderweise hält meine Mutter nämlich Philipp für einen solchen. Wobei ich ehrlicherweise einräumen muss, dass es von ihrer Seite nicht absurd ist, denn ich ließ sie über meine Schwierigkeiten mit Philipp im Dunkeln. Sie kennt ihn nur von ein paar persönlichen Treffen, in denen er stets Schwiegermutters Liebling mimte. Für sie stellt es sich somit so dar, dass ich einen heißen Typen, der ihr gegenüber auch noch zuvorkommend war, Terry überließ.
Doch meine Mutter scheint den entnervten Tonfall meiner letzten Aussage bemerkt zu haben und ist so klug, es dabei bewenden zu lassen. Vorerst. „Ich sollte mich nicht einmischen.“
Damit habe ich nicht gerechnet, und es weicht meine wutverhärtete Front auf. „Ich weiß, dass du es gut meinst, Mom. Aber Philipp und ich, das hat einfach nicht funktioniert, und Terry und er scheinen wirklich happy miteinander zu sein.“
„Und du bist ein hübsches und liebenswertes Mädchen.“
Was ist heute nur los mit meiner Mom? Zwei positive Aussagen in Folge, ich sollte den Tag im Kalender markieren. „Was hältst du davon, wenn ich morgen vorbeikomme?“
„Das wäre schön. Komm doch zum Mittagessen, dann bekommst du auch deinen Vater mal wieder zu Gesicht.“
„Gerne.“ Ich will mich schon verabschieden, da fällt mir noch etwas ein: „Und Mom?“
„Ja, mein Schatz?“
„Danke, dass du das Beste für mich möchtest.“
Damit scheine ich wiederum meine Mom überrascht zu haben. Einen Augenblick herrscht Schweigen, dann entgegnet sie: „Lieb, dass du das sagst.“
Nachdem ich aufgelegt habe, sitze ich noch einen Augenblick in meinem Abstellkammerbüro und denke über das, was meine Mutter gesagt hat, nach. Benötigt jeder Mensch einen Partner, um glücklich zu sein und sich über wichtige Dinge austauschen zu können? Eine Frage, die ich mir noch nie gestellt habe und die zeigt, wie tief dieser Glaube in mir verwurzelt ist. Wohl gerade durch meine Mutter, die dies zu einem Glaubensgrundsatz erhoben hat.
„Bist du fertig?“
Ich drehe mich um und sehe in Terrys Gesicht, die in der halboffenen Bürotür steht. Die letzte Stunde des Cafébetriebs hat Terry allein übernommen, damit ich Zeit für die Buchhaltung hatte. Jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen, denn bis auf das Telefonat mit meiner Mom und das Verschieben von Papieren von einem Stapel auf den anderen, habe ich kaum etwas zustande gebracht.
„Mach dir nichts draus.“ Terry kommt zu mir und legt mir einen Arm um die Schultern, mein Gesichtsausdruck spricht wohl Bände. „Der Papierkram läuft dir nicht weg.“
„Da bin ich mir sicher.“ Mein Lächeln ist nicht Ausdruck von Resignation, sondern endlich einmal dem guten Gefühl, Dinge auch mal aufschieben zu können.
„Komm. Wir machen für heute Feierabend.“
Ich nicke. „Eine gute Idee. War ein langer Tag.“
Als wir durch den Gastraum zur Eingangstür gehen, muss ich an Norah, die Nachteule, denken. „Ich bin sehr froh, dass wir einander haben“, sage ich zu Terry.
Sie wirft mir einen Blick zu, als denke sie, ich hätte einen Scherz gemacht. Da mein Gesicht ernst bleibt, runzelt sie die Stirn. „Das klingt irgendwie dramatisch.“
„Sollte es gar nicht.“ Ich schließe die Tür ab und möchte losgehen, aber Terry berührt mich an der Schulter.
„Was ist los?“
„Keine Ahnung. Es ist wegen Norah.“ Ich bemerke Terrys fragenden Blick und füge hinzu: „Die Nachteule. Ich glaube, sie hat niemanden.“
„Vielleicht ist sie ein bisschen freaky.“
„Ich vermute eher, dass sie zu zurückhaltend ist.“
„Stille Wasser sind tief und oftmals dreckig.“
„Sagt die Frau, die stets laut ist.“
Terry grinst. „Ich habe ja nicht gesagt, dass bei lauten Personen das Gegenteil der Falls sein muss.“
Wir biegen in die Lexington Street ein, und mir fällt ein anderes Thema ein, auf das ich Terry ansprechen möchte. „Was ist eigentlich mit Shaun los?“
„Was soll mit ihm sein?“
„Hast du ihn über deinen Viagra-Austausch informiert?“ Ich bleibe vor der Eingangstür zu unserem Gebäude stehen. In der Wohnung wird es schwierig, das Thema näher zu erörtern, denn dann könnte der Betroffene zuhören.
„Wollte ich, aber dann habe ich keine neuen Pillen mehr gefunden.“
„Er hat aufgehört, das Zeug einzuschmeißen?“
„Was ja ohnehin besser für ihn ist.“
„Und dennoch hast du ihn belogen.“
Terry nickt und schiebt die Unterlippe vor. Womöglich war das zu hart von mir. „Angenommen, dein Partner betrügt dich. Ein einziges Mal in einer Bierlaune, mit einer Fremden, die in eurem Leben keine Rolle spielt und die er niemals wiedertrifft.“
Ich schlucke und ahne, worauf Terry hinaus will.
„Glaubst du, es ist besser, er erzählt dir davon, oder er behält es für sich?“
„Ich weiß es nicht.“
„Ich ebenfalls nicht, aber Paartherapeuten empfehlen, den Seitensprung für sich zu behalten.“ Terry verzieht den Mund zu einem unsicheren Grinsen, das nicht zu ihr passt. „Linny, ich sage nicht, dass ich das Richtige tue, aber die Situation hat sich doch gebessert. Shaun und Randall verstehen sich so gut wie noch nie. Wir haben ruhige Nächte, und ist ein Lebenswandel, für den Mann Pillen einwerfen muss, nicht bedenklich?“
„Es ist nur …“ Ich seufze.
„Dein übergroßes Gewissen gibt keine Ruhe, oder?“
„Hmm.“
„Dann stell dir das Szenario vor, wenn ich Shaun alles beichte.“
Vor meinem geistigen Auge sehe ich einen herumbrüllenden Shaun, der vor lauter Trotz wieder beginnt, Frauen mit nach Hause zu bringen und es mit denen auf unserem Küchentisch treibt. Das mag übertrieben sein, aber was Terry sagt, lässt sich nicht von der Hand weisen.
„Und?“, fragt Terry.
„Ich habe das Gefühl, mein übergroßes Gewissen lässt sich von den möglichen Konsequenzen, oder vielmehr, den vermiedenen Konsequenzen überzeugen.“
„Na, siehst du.“ Terry legt mir ihren Arm um die Hüften, drückt mit der anderen Hand die Haustür auf, und wir verschwinden im Hauseingang.