Leseprobe Mord im Blue Boar | Ein viktorianischer Krimi

Kapitel 1

London 1840

Mrs Frogerton winkte mit ihrem Spitzentaschentuch der abfahrenden Kutsche nach, bis diese um die Ecke bog und aus ihrem Blickfeld verschwunden war. Als sie ihre Hand senkte, verschwand auch ihr Lächeln.

„Ich war noch nie in meinem Leben so froh, jemanden gehen zu sehen.“

„Das ist durchaus verständlich, Madam.“ Miss Caroline Morton schloss die Tür des gemieteten Hauses in der Half Moon Street und bedeutete ihrer Arbeitgeberin, ihr die Treppe hinauf zu folgen. „Die letzten Wochen waren außergewöhnlich arbeitsreich, mit der Hochzeit und allem, was damit zusammenhing.“

Mrs Frogerton seufzte. „Zwei Jahre, meine Liebe, zwei Jahre meines Lebens habe ich in London verbracht und darauf gewartet, dass Dotty sich entscheidet und endlich ihren Viscount heiratet.“

„Ich nehme an, sie hat es genossen, Teil des gesellschaftlichen Treibens zu sein, Madam“, vermutete Caroline. „Und ich bewundere sie dafür, dass sie so lange gewartet hat, um sicherzugehen, dass ihre Gefühle für den Viscount stark genug als Grundlage für eine gute Ehe sind.“

„Ihre Gefühle hatten nichts damit zu tun“, entgegnete Mrs Frogerton. „Ich habe nur so lange gebraucht, um den Ehevertrag auszuhandeln. Die Dowager Countess mag zwar zum Adel gehören, Caroline, aber sie und ihre Anwälte haben wie Fischweiber um jeden Penny gefeilscht.“

Mrs Frogerton saß in ihrem Lieblingssessel und streckte die Hand aus, um ihre Hunde zu streicheln. Sie trug ein Morgenkleid aus bronzefarbener Seide, das ihre dunklen Augen und ihr kastanienbraunes Haar zur Geltung brachte. Sie hatte ihre Kinder relativ jung bekommen und hatte sich noch immer ihr jugendliches Aussehen und ihre intensive Neugier auf das Leben bewahrt.

Um ehrlich zu sein, sah sie in diesem Augenblick aber vor allem recht erschöpft aus. Caroline hoffte, dass ihre Arbeitgeberin, jetzt, wo Dorothy auf ihrer verlängerten Hochzeitsreise war, genügend Zeit haben würde, um sich zu erholen, bevor sie beschloss, nach Hause zurückzukehren, um ihre zahlreichen Unternehmen zu führen. Ob Caroline sie dabei begleiten würde, stand noch nicht fest.

„Ich werde Tee bestellen, Madam“, sagte Caroline.

„Danke.“ Mrs Frogerton sah sie an. „Und danke für Ihre Unterstützung mit Dotty. Ohne Sie hätte ich das wohl nicht geschafft.“

„Sie hätten das wunderbar gemeistert“, entgegnete Caroline. „Sie sind dafür bestens gerüstet.“

Mrs Frogerton winkte ab. „Im Geschäftsleben, ja, aber der Umgang mit den gesellschaftlichen Feinheiten des Hochadels und den Snobs der Gesellschaft ist nicht meine Stärke. Dafür aber die Ihre.“

Caroline lächelte. Sie war als Tochter eines Earls aufgewachsen und die subtilen Nuancen der Gesellschaft waren ihr von Geburt an eingeschärft worden. Hätte ihr Vater den Namen seiner Familie nicht in Verruf gebracht und sie und ihre Schwester Susan mittellos und auf die Wohltätigkeit anderer angewiesen zurückgelassen, wäre sie inzwischen verheiratet, würde einen großen Haushalt führen und hätte wahrscheinlich einen adeligen Ehemann.

Stattdessen musste sie ihren Lebensunterhalt selbst verdienen und anderen dabei helfen, das zu erreichen, was eigentlich ihr Geburtsrecht hätte sein sollen. Gleichzeitig behandelte der Rest des Tons sie so, als existierte sie nicht.

Zuerst war Dorothy, als gut situierte Tochter einer Industriellen, nicht bereit gewesen, auf Carolines Rat zu hören. Erst als sie erkannt hatte, wie wertvoll Carolines Wissen war, um sich in den Feinheiten des Tons zurechtzufinden, hatte sie Caroline als ihre Verbündete erkannt.

Und jetzt war Dorothy eine Viscountess, während Caroline weiterhin ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten musste und darauf hoffte, dass das kleine Erbe ihrer Tante ausreichen würde, um ihr irgendwann im Alter einmal Sicherheit zu bieten …

„Bereuen Sie es?“, fragte Mrs Frogerton.

Schuldbewusst glaubte Caroline einen Moment, Mrs Frogerton hätte ihre Gedanken gelesen.

„Ich bin mir nicht ganz sicher, worauf Sie sich damit beziehen, Madam.“

Der Butler stellte das Tablett vor ihr ab.

„Die Hochzeit. All diese feinen Herrschaften auf den Kirchenbänken zu sehen, wie sie meiner Dotty dabei zuschauen, wie sie einen Viscount heiratet.“

„Bereue ich es, dass ich nicht länger ein Teil der Gesellschaft bin? Oder dass ich nicht geheiratet habe?“ Caroline schüttelte den Kopf. „Nicht besonders.“

Mrs Frogerton zwinkerte ihr zu. „Das ist leicht für Sie zu sagen, meine Liebe, wo Sie doch wissen, dass Inspector Ross und Dr. Harris Sie sofort heiraten würden.“

„Dr. Harris hat nicht die nötigen Mittel, um sich eine Frau zu nehmen.“ Caroline schenkte den Tee ein und Mrs Frogerton nahm sich eine der Tassen. „Außerdem sind wir nur Freunde.“

„Und Inspector Ross?“ Mrs Frogerton seufzte. „Allerdings hat er kaum einen freien Moment, um jemandem den Hof zu machen, neben seinem Beruf und dann noch dem schlechten Benehmen seines Bruders, das er geradebiegen muss.“

Caroline hatte Inspector Ross bei der aufwendigen Hochzeitszeremonie gesehen, der er in Vertretung seines Vaters beigewohnt hatte. Allerdings hatten sie kaum auch nur ein Wort wechseln können. Doch soweit sie erfahren hatte, stand seine adlige Familie durch die wilden Exzesse seines älteren Bruders unter enormem Druck. Die gesamte freie Zeit des Inspectors wurde davon in Anspruch genommen. Nachdem Caroline ihrem eigenen Vater beim Kampf mit seinen Dämonen zugesehen hatte, verspürte sie daher großes Mitgefühl für den Inspector. Besonders, weil sie wusste, wie sehr er dafür gekämpft hatte, aus den familiären Ränkespielen herausgehalten zu werden.

„Wo wir gerade von ihm sprechen: Wie geht es seinem Bruder?“, erkundigte sich Mrs Frogerton.

„Richard lebt noch.“ Caroline verzog das Gesicht, als sie wieder Platz nahm. „Aber er scheint es sich in den Kopf gesetzt zu haben, jedes erdenkliche Mittel auszuschöpfen, um seiner weltlichen Existenz ein Ende zu bereiten. Erst vor Kurzem musste Inspector Ross ihn körperlich davon abhalten, zum Frühstück eine komplette Flasche Brandy zu leeren.“

„Viele Gentlemen trinken bis zum Exzess.“

„Nicht so viel wie Richard.“

„Wenn es ihm doch noch gelingt, unter unglücklichen Umständen von uns zu gehen, dann wäre Inspector Ross der Erbe seines Vaters, nicht wahr?“

Caroline erschauderte. „Ich denke, das wäre ganz und gar nicht in seinem Interesse, aber auch, wenn er den Titel nie haben wollte, so wäre er dennoch der rechtmäßige Träger, ja.“

„Ich glaube nicht, dass er dann noch in der Lage wäre, für Scotland Yard zu arbeiten“, stellte Mrs Frogerton fest. „Nicht, während er zeitgleich einen Sitz im House of Lords innehat.“

„Der Sitz ist erblich, Madam, Inspector Ross würde also erst nach dem Tod seines Vaters im House of Lords sitzen.“

„Das mit den Titeln ist alles so verwirrend, Caroline. Wozu sind sie nutze, wenn sie keinen echten Wert haben?“ Mrs Frogerton schüttelte den Kopf. „Das ergibt für mich nur wenig Sinn.“

„Ich denke, sie haben insofern eine Bedeutung, als dass sie den Status der jeweiligen Familien signalisieren, aber ich weiß, was Sie meinen“, erwiderte Caroline. „Und im Falle von Inspector Ross wäre das bloße Führen eines reinen Ehrentitels eine Verschwendung seiner Fähigkeiten.“

„Ich bin mir sicher, dass die ihm in der Politik durchaus ebenfalls nützlich sein könnten, meine Liebe. Wir könnten ein paar mehr Stimmen der Vernunft im Parlament gebrauchen.“

Mrs Frogerton war eine leidenschaftliche Zeitungsleserin und als Unternehmerin hatte sie eine bestimmte Meinung zur Leistung der derzeitigen Regierung und zögerte nicht, diese jedem, der gewillt war, zuzuhören, auch kundzutun.

Der Butler kehrte mit der Nachmittagspost auf einem Silbertablett zurück und präsentierte sie Mrs Frogerton. Sie bedankte sich und begann damit, den Haufen durchzusehen. „Es überrascht mich, dass wir noch immer Einladungen erhalten, jetzt wo Dottys Vermögen nicht länger auf dem Markt ist.“

„Wie ich Ihnen schon sagte, Madam, sind Sie auch um Ihretwillen als Gast geschätzt.“

Mrs Frogerton schnaubte und hielt ihr einen Brief entgegen. „Der hier ist für Sie, meine Liebe.“

„Danke.“ Von Hoffnung beseelt, sprang Caroline auf, nahm den Brief und untersuchte ihn ausführlich. Es stand kein Absender darauf, aber ihr war schon klar, dass er nicht von der Person stammte, von der sie am meisten hören wollte.

„Haben Sie schon etwas von Ihrer Schwester gehört, meine Liebe?“, erkundigte Mrs Frogerton sich mit sanfter Stimme.

„Nein.“ Caroline blickte hinunter auf den ungeöffneten Brief und schluckte schwer. „Seit ihrem ersten Brief, in dem sie mir von ihrer sicheren Ankunft in Maryland erzählte, kam nichts mehr. Wenn sie mir keine neue Adresse gibt, kann ich ihr meine Briefe nur über den Captain des Schiffs zukommen lassen, in der Hoffnung, dass mein Schreiben im Hafen abgeholt und ihr zugestellt wird.“

Susans Entscheidung, England mit Abschluss ihres achtzehnten Lebensjahrs zu verlassen, um bei ihrer Cousine Mabel in Amerika zu leben, war ein schwerer Schlag für Caroline gewesen. Trotz all ihrer Bemühungen hatte Susan Caroline nie verziehen, dass sie sie einst von Mabel getrennt hatte. Sie war entschlossen gewesen, mitsamt ihrer Erbschaft abzureisen. Am Ende hatte Caroline nachgegeben und ihrer Schwester gestattet zu gehen, aber es war die schwerste Entscheidung ihres Lebens gewesen. Nicht zu wissen, wie es Susan ging, war wie ein andauernder, hartnäckiger Schmerz, der sie täglich begleitete.

Sie öffnete den Brief und las ihn gründlich, während sie spürte, wie sich ihre Stirn in Falten legte. „Der ist von unserem Familienanwalt.“

„Gute Güte, was ist es denn diesmal?“, fragte Mrs Frogerton. „Ich dachte, Sie hätten inzwischen alle Geschäfte an meinen Mr Lewis übertragen.“

„Das habe ich auch, Madam, aber Mr Potkins kümmert sich immer noch um den Nachlass der Mortons. Er sagt, jemand habe ihm geschrieben und behauptet, der nächste Earl of Morton zu sein.“

„Und was hat das mit Ihnen zu tun?“ Mrs Frogerton sog scharf Luft ein. „Ihre Familie hat wohl kaum Ihre Aufmerksamkeit verdient.“

„Er bittet mich um Hilfe.“

„Der hat vielleicht Nerven! Nachdem er und seine Kollegen Ihre Interessen derart schlampig vertreten haben, verdient er nicht auch nur einen Brief von Ihnen, geschweige denn Ihre Hilfe!“

„Die Mutter des besagten Gentlemans hat den Anspruch geltend gemacht. Mr Potkins und das College of Arms untersuchen derzeit dessen Rechtmäßigkeit. In der Zwischenzeit möchte Mr Potkins, dass ich als einzige lebende Vertreterin der Familie Morton in England diese Herrschaften treffe. Vorzugsweise in Morton House.“

Mrs Frogerton blickte finster drein. „Ich dachte, Morton House sei verkauft worden.“

„Das dachte ich ursprünglich auch, Madam, aber offenbar ist das aufgrund der festgelegten Erbfolgeregeln des Titels nicht ohne weiteres möglich. So wie ich es verstehe, hat Coutts Bank die darauf lastenden Schulden beglichen und verwaltet das Haus treuhänderisch für den nächsten Earl.“

„Wahrscheinlich haben die sich dieses Privileg für ein paar Pennys erkauft“, bemerkte Mrs Frogerton. „Und sie gedenken sicher, es gegen eine stark überhöhte Aufwandsentschädigung an den Earl zurück zu übertragen.“

„Wenn man bedenkt, dass mein Vater ihnen zum Zeitpunkt seines Todes tausende Pfund schuldete, kann ich ihnen nicht gerade einen Vorwurf daraus machen.“

„Vielleicht sollten wir dem Haus einen Besuch abstatten. Wurde es in den letzten paar Jahren vermietet?“

„Da bin ich mir nicht sicher.“ Caroline blickte ihre Arbeitgeberin an. „Ich dachte, Sie hätten gerade gesagt, dass mich das nicht kümmern braucht.“

Mrs Frogerton, deren Miene sich sichtlich aufgehellt hatte, winkte ab. „Es in Augenschein zu nehmen, ist das Mindeste, das wir tun können, Caroline. Und es wird nicht schaden.“

Erfreut über die nun bessere Stimmung ihrer Arbeitgeberin, beschloss Caroline, dass es ihnen beiden wohl guttun würde, wenn sie Morton House genauer unter die Lupe nähmen. Mrs Frogerton würde der Tapetenwechsel gefallen und Caroline würde es die Gelegenheit bieten, mit ein paar alten Geistern in ihrem Leben abzuschließen.

***

Nachdem sie in Lincoln’s Inn Fields angehalten hatten, um von den Anwälten die Schlüssel entgegenzunehmen, machten sich Caroline und Mrs Frogerton auf den Weg zum Cavendish Square, wo sich Morton House befand. Als Caroline zuletzt dort gewesen war, waren die Gerichtsvollzieher gekommen, um die nicht von der Erbfolgeregelung betroffenen Besitztümer des verstorbenen Earls einzufordern. Sie hatte auf der Treppe gesessen, während alles von den Männern weggetragen wurde, und hatte versucht, ihrer viel jüngeren Schwester zu erklären, warum die bösen Männer all ihr Spielzeug mitnahmen.

Einmal hatte Susan so sehr geweint, dass einer der Gerichtsvollzieher ihr eine Puppe zurückgegeben hatte. Caroline hatte versucht, sich bei ihm zu bedanken, aber er hatte seinen Finger vor die Lippen gepresst, um ihr zu signalisieren, dass sie still sein sollte, und sie hatte folgegeleistet. Sie hatte zumindest die Perlenkette ihrer Mutter und ein silbernes Armband in den Saum ihres Reisemantels eingenäht, aber es hatte keine Möglichkeit gegeben, irgendetwas Größeres zu retten.

Während sie darauf gewartet hatten, dass Tante Eleanor sie und ihre armseligen Habseligkeiten abholte, hatte sogar der Vorsteher der Gerichtvollzieher Mitleid mit ihnen und sie wieder ins Haus zum gemeinsamen Mittagessen eingelassen. Es war merkwürdig gewesen, an den leeren Zimmern vorbeizugehen. Die Möbel hatten zu einem großen Haufen gestapelt auf den zwei Karren vor der Tür gestanden. Keiner der Nachbarn war gekommen, um sich nach dem Wohlergehen der Mädchen zu erkundigen; das war Carolines erster Hinweis darauf gewesen, dass sich ihr sozialer Status unwiederbringlich verändert hatte. Sie hatte damit gerechnet, dass ihr Verlobter erscheinen würde, aber trotz ihres erst kurz zuvor verfassten Briefes, in dem sie ihm ihre damalige Lage geschildert hatte, war Lord Francis Chatham nicht gekommen.

„Caroline?“ Mrs Frogertons Stimme durchbrach ihre Erinnerungen. „Wir sind da.“

„Ja, Madam.“ Sie schüttelte ihre Gedanken an die Vergangenheit ab und kletterte die Stufe der Kutsche hinunter, bevor sie ihrer Arbeitgeberin die Hand anbot, um ihr beim Aussteigen zu helfen. „Ich habe den Schlüssel.“

Sie gingen die Stufen zum Eingang hinauf, wobei Caroline sehr genau darauf achtete, nicht die Stelle anzusehen, wo sie und Susan an ihrem letzten Tag hier gewartet hatten. Der Türklopfer war entfernt worden und alles war voller Spinnweben. Die Fenster waren schmutzig und die Fensterläden geschlossen. Caroline steckte den Schlüssel ins Schloss, woraufhin es mit einem Quietschen protestierte und sich weigerte nachzugeben. Schließlich rief Mrs Frogerton ihren Kutscher herbei, dessen Kraft schließlich ausreichte, um den Schlüssel zu drehen, woraufhin die Tür sich widerspenstig öffnen ließ. Caroline trat ein und wich sofort wieder zurück ob des Geruchs nach Feuchtigkeit und Schimmel.

„Guter Gott!“ Mrs Frogerton, die aus stärkerem Holz geschnitzt war, schritt an ihr vorbei. „Sieht so aus, als wäre das Dach undicht.“ Sie deutete zur Decke, wo ein großer Fleck schwarzen Schimmels auf dem Stuck zu erkennen war. „Das zieht sich wahrscheinlich durch das ganze Haus.“

Caroline ging den zentralen Flur entlang. Die Zimmer im Erdgeschoss waren vom Sekretär des verstorbenen Earls genutzt worden, um Besucher zu empfangen, die es nicht wert gewesen waren, in den Salon oben vorgelassen zu werden, wo die Countess und ihre Töchter Gäste zu empfangen pflegten. Im Keller waren die Küche, Spülküche, das Arbeitszimmer des Butlers und das Gemeinschaftszimmer des Haushaltspersonals. Eines der Stockwerke beherbergte die Schlafzimmer und Salons des Earls und der Countess, ein weiteres die Kinderstube und darüber befand sich der Dachboden für das hier lebende Hauspersonal.

Sie blieb am unteren Ende der Treppe stehen und rang mit ihren Gedanken. Es war schwer zu glauben, dass dies zu Lebzeiten ihrer Mutter ein Haus voller Wärme und Liebe gewesen war. Jetzt war es eine trostlose Ruine, ebenso wie die Familie Morton selbst.

„Ich denke, dass sich das Haus nicht einmal als Wohnort für Geister eignet, geschweige denn Gäste.“ Mrs Frogerton trat an Carolines Seite und rümpfte angewidert die Nase. „Wenn dieser Gentleman wirklich der neue Earl of Morton ist, wird ihn der Anblick seines Erbes vielleicht dazu motivieren, schnell wieder in der Versenkung zu verschwinden.“

„Das sehe ich auch so.“ Sie atmete unruhig. „Früher einmal sehr elegant, Madam. Meine Mutter kannte wohl irgendein Geheimnis, um diesen Ort trotz seiner Größe zu einem echten Zuhause zu machen.“

Ihre Arbeitgeberin drückte ihren Arm. „Tut mir leid, meine Liebe. Das ist sicher nicht leicht für Sie. Lassen Sie uns in die Half Moon Street zurückkehren. Ich werde einen Brief an Mr Potkins aufsetzen und ihm erklären, dass seine Idee, die Türen von Morton House wieder zu öffnen, so albern ist wie die meisten seiner Vorschläge.“

„Ich kann ihm schreiben, Madam.“ Caroline wandte sich zur Eingangstür um.

„Ich wünschte, Sie würden mich das übernehmen lassen.“ Mrs Frogerton folgte ihr hinaus. Sie blieb unter dem beeindruckenden mit Ziersäulen versehenen Eingangsportal stehen. „Es bereitet mir solche Freude, ihm Unbehagen zu bereiten.“

Sie kehrten zur Kutsche zurück und Mrs Frogerton plapperte über Belanglosigkeiten vor sich hin, was Caroline die Möglichkeit gab, sich wieder zu sammeln. Wenn dieser Herr, der Anspruch auf den Titel erhob, wirklich der rechtmäßige neue Earl of Morton war, dann wünschte Caroline ihm alles Gute. Die Aufgabe, das Anwesen wieder zu altem Glanz zu bringen, wäre ein gewaltiges Unterfangen. Wenn der neue Earl nicht selbst die finanziellen Mittel besaß, würde es praktisch unmöglich sein, dies zu bewerkstelligen, sofern sich keine Bank erbarmte, ihn zu unterstützen. Und, wenn er, was seinen Umgang mit Geld betraf, seinem Vorgänger auch nur im Entferntesten glich oder die Bankiers dies vermuteten, dann würden sie nur sehr zögerlich mehr als auch nur einen Penny verleihen.

***

Zu Carolines Überraschung traf, kurz nachdem sie ihre Nachricht gesendet hatte, der recht aufgeregte Mr Potkins bei ihnen ein und bettelte förmlich darum, mit Mrs Frogerton und Caroline sprechen zu dürfen. Er betrat den Salon und verbeugte sich tief, bevor er auf dem Sessel Platz nahm, den Mrs Frogerton ihm anbot.

„Ihre Nachricht hat mich schockiert, Lady Caroline. Ich hatte ja keine Ahnung, dass die Bank zuließ, das Haus in einen solch miserablen Zustand verfallen zu lassen!“

Mrs Frogerton sah aus, als gäbe es eine Menge, was sie dazu zu sagen hätte, aber nach einem Blick zu Caroline schwieg sie. „Es ist jedenfalls ganz und gar nicht geeignet, um darin Gäste zu empfangen“, pflichtete Caroline ihm bei.

„Wieso kann Caroline die Herrschaften nicht in Ihren Räumlichkeiten treffen, Mr Potkins?“, fragte Mrs Frogerton.

„Wir dachten, dass ein eher … soziales Herangehen im Rahmen der Familie mehr über den Anwärter auf das Erbe zutage fördern könnte als ein Haufen Dokumente“, erklärte Mr Potkins.

„Sie glaubten, dieser ‚Anwärter‘, würde sich vielleicht verraten, wenn er sich in entspannterer Atmosphäre befindet“, stellte Mrs Frogerton fest. „Und dass ein Treffen mit einem echten Angehörigen der Familie Morton vielleicht seine Entschlossenheit ins Wanken bringen würde.“

„Da könnte etwas Wahres dran sein, Madam.“ Mr Potkins wandte sich Mrs Frogerton zu. „Aber da das Haus offensichtlich nicht bewohnbar ist, halten wir das Treffen vielleicht wirklich besser in meinem Büro ab.“

„Sie könnten die Herrschaften einladen, uns hier zu treffen“, schlug Mrs Frogerton vor.

Sowohl Caroline als auch Mr Potkins starrten sie ungläubig an.

„Wie bitte, Madam?” Mr Potkins war der erste, der seine Stimme wiederfand.

„Ich gelte als sehr gute Menschenkennerin, Mr Potkins“, stellte Mrs Frogerton heraus. „Das ist einer der Gründe, warum ich als Geschäftsfrau so erfolgreich bin.“ Sie schenkte Caroline ein Lächeln. „Würden Sie da nicht zustimmen, meine Liebe?“

„Das ist sehr … großzügig von Ihnen, Mrs Frogerton.“ Mr Potkins sprang eilig auf. „Ich werde das Treffen arrangieren und Ihnen die Details so bald wie möglich zukommen lassen.“

„Ausgezeichnet.” Mrs Frogerton nickte dem Anwalt zu. „Guten Tag, Sir.“

Caroline wartete, bis Mr Potkins die Treppe nach unten erreicht hatte, bevor sie ihre Arbeitgeberin anstarrte. „Das war sehr freundlich von Ihnen, Madam, aber Sie müssen sich nicht so für mich einsetzen.“

Mrs Frogerton seufzte. „Ich muss gestehen, dass ich dabei nicht nur an Sie gedacht habe, meine Liebe. Seit Dottys Abreise fürchte ich, dass meine Stimmung leiden, oder mir zumindest die Beschäftigungsmöglichkeiten ausgehen könnten. Vielleicht wird uns das ein wenig von unseren Sorgen ablenken?“ Sie sah Caroline fragend an.

„Auch ich fühle mich ein wenig verloren“, gestand Caroline. „Wenn Sie gewillt sind, den Anwärter auf die Erbschaft des Earls zu empfangen, dann kann ich Ihre Gutmütigkeit und Großzügigkeit nur schätzen und loben.“

Mrs Frogerton ließ sich mit einem zufriedenen Lächeln zurücksinken. „Dann lassen Sie uns auf Mr Potkins’ Antwort warten und vielleicht darüber nachdenken, welche Fragen wir stellen könnten, um herauszufinden, ob dieser Anspruch rechtmäßig ist.“

„Ich werde Mr Potkins darum bitten, uns mit allen Informationen bezüglich dieser Sache zu versorgen“, erwiderte Caroline. „Er steht in Ihrer Schuld, das wäre also das Mindeste, was er tun kann.“

„Ich bin tatsächlich ein wenig aufgeregt, Caroline“, gab Mrs Frogerton zu. „Ich kann mir kaum vorstellen, was für eine Art Mann er wohl sein mag.“

Caroline läutete die Glocke nach frischem Tee und nahm wieder Platz. „Ich frage mich, ob ich ihm schon einmal begegnet bin. Wenn er ein entfernter Verwandter ist, war er in der Vergangenheit vielleicht schon einmal bei einem Familientreffen. Möglicherweise erkenne ich ihn und kann Mr Potkins so zu einem sehr glücklichen Mann machen.“

„Von dem, was Sie mir bisher erzählt haben, Caroline, teilte die Familie Morton nicht gerade eine enge Verbundenheit. Es ist durchaus denkbar, dass dieser Zweig der Familie mit Ihrem eigenen herzlich wenig zu tun hatte.“

„Das ist in der Tat sehr wahrscheinlich, Madam.“ Caroline freute sich über das Interesse, das in den Augen ihrer Arbeitgeberin leuchtete. Außerdem war sie selbst erleichtert, etwas zu haben, um sich von ihren Sorgen um Susan abzulenken. „Aber wenn das der Fall ist, bezweifle ich, dass ich Mr Potkins überhaupt eine große Hilfe sein werde.“

„Lassen Sie das seine Sorge sein, meine Liebe. Sie können nur Ihr Bestes geben“, riet ihr Mrs Frogerton und strahlte Caroline an. „Ich muss zugeben, dass ich mich schon sehr darauf freue!“

Kapitel 2

Als es an der Tür klingelte, blickte Caroline hinüber zu Mrs Frogerton, bevor sie die Röcke ihres zweitbesten Kleids glattstrich und sich erhob. Es hatte über eine Woche gedauert, um einen passenden Tag für den Besuch des angeblichen Erben des Earls zu arrangieren. Caroline hatte die spärlichen Informationen studiert, die Mr Potkins ihr gegeben hatte, und mithilfe von Mrs Frogerton eine Liste mit Fragen aufgestellt.

Jenkins, der Butler, erschien in Begleitung von Mr Potkins im Türrahmen. „Ihre Gäste, Madam.“

„Danke.“ Mrs Frogerton erhob sich und nickte dem Anwalt zu. „Mr Potkins.“

Carolines Blick war bereits zu der Gruppe hinter den beiden gewandert, die unsicher vor dem Zimmer wartete.

Mr Potkins verbeugte sich. „Lady Caroline, Mrs Frogerton, dürfte ich Ihnen Mr Thomas Scutton, seine Mutter Mrs Scutton und seine Schwester Mrs Mary Brigham vorstellen?“

Mrs Frogerton ging auf sie zu und streckte ihnen die Hand entgegen. „Herzlich willkommen.“

Caroline folgte ihrer Arbeitgeberin und ließ dabei Mr Scuttons Gesicht nicht aus den Augen. Er war hochgewachsen und dunkelhaarig. Seine Haut war blass und er machte einen etwas ungeduldigen Eindruck, der ihr von jedem Mitglied des Hochadels, das sie bisher getroffen hatte, bekannt vorkam.

Sie wollte gerade das Wort an ihn richten, als seine Mutter ihre Hand ergriff. „Lady Caroline! Meine Güte, sind Sie groß geworden!“

Sie wandte sich widerwillig der älteren Dame zu, die ihr ein breites Lächeln schenkte. „Sind wir uns schon einmal begegnet, Madam?“

Mrs Scutton gluckste. Sie war eine untersetzte Frau mit lebhafter Mimik, braunem Haar und strahlend blauen Augen. Ihr grünes Kleid war nicht modisch, aber anständig, so wie auch das ihrer Tochter. „Daran erinnern Sie sich sicherlich nicht, meine Liebe, Sie waren damals noch sehr jung. Aber Sie sind nicht zu verwechseln.“

„Ich muss gestehen, dass ich mich nicht an eine vorherige Begegnung erinnere, Madam. War das in London?“, fragte Caroline.

„Nein“, erwiderte Mrs Scutton. „Sie und Ihre Mutter waren auf Morton Hall. Es war irgendeine Feier – ein Jubiläum vielleicht? Jeder war dazu eingeladen. Sie waren damals erst zwei oder drei. Sie können sich unmöglich an mich erinnern.“

Caroline befreite vorsichtig ihre Hand und wandte sich Mrs Brigham zu, in deren Blick nichts von der guten Laune ihrer Mutter zu erkennen war. Sie war hochgewachsen wie ihr Bruder und hatte dunkles Haar und blaue Augen wie ihre Mutter. Sie trug unverbrämtes Schwarz und sah so aus, als ginge es ihr erbärmlich.

„Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Madam“, sagte Caroline.

Mrs Brigham reichte ihr zögernd die Hand. „Ganz meinerseits.“

„Oh, kümmern Sie sich nicht um Marys mürrische Miene“, schaltete Mrs Scutton sich ein. „Sie hat erst kürzlich einen Trauerfall erlitten.“

„Es tut mir leid, das zu hören. Darf ich Ihnen mein Beileid aussprechen?“, sagte Caroline zu Mrs Brigham.

„Vielen Dank“, murmelte diese, nachdem sie ihrer Mutter einen strengen Blick zugeworfen hatte. „Ich vermisse meinen Ehemann jeden Tag und kann es kaum erwarten, wieder mit ihm vereint zu sein.“

Schließlich wandte sich Caroline Mr Scutton zu. Er blickte selbstbewusst zu ihr herunter und erinnerte sie mit seiner langen Nase und den braunen Augen an eines der vielen Familienporträts in ihrem früheren Zuhause.

„Mr Scutton.“

„Lady Caroline.” Seine Stimme hatte einen angenehmen Klang und war völlig akzentfrei. Er trug einen schlichten dunklen Mantel, ein weißes Halstuch und eine schwarze Weste, sodass er ein wenig wie ein Mann der Kirche aussah. „Vielen Dank, dass Sie sich mit uns treffen.“

„Da müssen Sie sich bei Mr Potkins und Mrs Frogerton bedanken, die sich um das Organisatorische gekümmert haben“, erwiderte Caroline, während sie ihren Gästen mit einer Geste bedeutete, Platz zu nehmen. „Ich bin mir nicht sicher, ob Mr Potkins erwähnt hat, dass Morton House sich derzeit nicht in einem Zustand befindet, in dem man dort Gäste empfangen könnte.“

„Das hat er erwähnt.“ Mr Scutton warf dem Anwalt einen Blick zu. „Wie ich das verstanden habe, sind die Angelegenheiten der Besitztümer des Earls etwas durcheinandergeraten.“

„Das könnte man sagen.“ Mrs Frogerton schaffte es, ihr plötzliches, schnaubendes Auflachen als Husten zu tarnen und klingelte nach frischem Tee.

„Mein Vater war im Umgang mit Geld nicht sehr geschickt“, eröffnete Caroline ihren Gästen. „Er hat eine Menge Schulden hinterlassen.“

„Das haben wir gehört.“ Mrs Scutton nahm das Gespräch auf. „Tatsächlich haben wir sehr lange überlegt, ob wir unseren Anspruch geltend machen sollen, aber es schien mir falsch, Thomas sein Geburtsrecht vorzuenthalten.“ Sie schenkte ihrem Sohn ein liebevolles Lächeln, das dieser jedoch nicht erwiderte.

Zum ersten Mal fragte sich Caroline, ob der Anstoß zur Erhebung eines Anspruchs auf den Titel nicht gänzlich von Mrs Scutton ausging.

„Wo leben Sie derzeit, Mrs Scutton?“, fragte Mrs Frogerton.

„Wir leben recht komfortablen in Epping in Essex. Mr Scutton besitzt dort ein sehr schönes Haus.“

„Ah! Sicher in der Nähe des Waldes. Eine schöne Gegend“, kommentierte Mrs Frogerton. „Caroline und ich sind letztes Jahr dort hingefahren, um uns das Herbstlaub anzusehen. Das war wirklich ein spektakulärer Anblick.“

„Es ist sehr schön dort.“ Mrs Scutton nickte. „Und da die Postkutsche oft fährt, ist es kein Problem, schnell nach London zu kommen.“

Von der Schlichtheit ihrer Kleidung schloss Caroline, dass ihre Familie nicht reich genug war, um sich eine eigene Kutsche mit Pferden zu leisten. Den Titel zu beanspruchen, würde ihnen einen steilen sozialen Aufstieg bescheren, selbst wenn die Geschäfte der verstorbenen Earls nicht gerade geregelt waren. Caroline konnte verstehen, warum Mrs Scutton sich für dieses Vorgehen entschieden hatte.

„Was hat Sie dazu gebracht, Mr Potkins zu kontaktieren, Mrs Scutton?“, fragte Caroline dennoch.

„Das war ein richtiger Zufall, das kann ich Ihnen sagen.“ Mrs Scutton lächelte und strich ihre Röcke glatt.

„Ich war gerade dabei, das Weihnachtsgeschirr in Zeitungspapier einzuwickeln, das Thomas mir freundlicherweise zur Verfügung gestellt hatte, als mir der Name Morton bei den Todesanzeigen ins Auge fiel.“ Sie warf ihrem Sohn einen Blick zu und dieser nickte. „Ich muss gestehen, dass ich daraufhin das Geschirr gänzlich vergaß und mir die Anzeige durchlas. Ich wusste natürlich, dass Mr Scuttons Familie irgendeine Verbindung zu den Mortons hatte, aber diese war so entfernt, dass ich mich nie sonderlich damit beschäftigte.“

„Aber bei allem gebührenden Respekt, Madam, hatten Sie nicht gerade gesagt, dass Sie auf einer Familienfeier der Mortons waren, und mich dort kennenlernten?“, fragte Caroline.

Mrs Scuttons Lächeln geriet nicht ins Wanken. „Ja, das stimmt. Aber zu der Zeit hatte ich keinen Grund zu vermuten, dass wir derart eng mit Ihrer Familie verwandt sind, meine Liebe. Mein Ehemann William hat nicht gern darüber gesprochen und ich habe seine Entscheidung respektiert.“

„Der Earl ist vor mehreren Jahren gestorben, Mrs Scutton“, bemerkte Mrs Frogerton. „Da stellt sich vielleicht die Frage, wieso Sie so lange damit gewartet haben, Ihren Anspruch geltend zu machen.“

„Weil es unwahrscheinlich ist, dass er erfolgreich sein wird, und weil ich vermutete, dass mein Ehemann es nicht gern gesehen hätte, wenn wir uns eingemischt hätten“, erwiderte Mrs Scutton prompt. „Nach Williams Tod beschloss ich, auf dem Laufenden zu bleiben, was die Suche nach einem Erben anging. Und als schließlich niemand als solcher ausgerufen wurde, fand ich, dass Thomas seinen Anspruch geltend machen sollte.“

„Und wie fühlen Sie sich dabei, Mr Scutton?“ Mrs Frogerton blickte ihn an. „Stehen Sie hinter den Bemühungen Ihrer Mutter in Ihrem Namen oder hielten Sie es für unwahrscheinlich, hier einen Erfolg erzielen zu können?“

„Um ehrlich zu sein, dachte ich zuerst, dass sie von allen guten Geistern verloren war“, antwortete Mr Scutton. „Aber nachdem sie mir die familiären Verbindungen erläutert hatte, fing ich an zu glauben, dass sie recht haben könnte. Also hatte ich nichts dagegen einzuwenden, Mr Potkins zu schreiben.“

Mrs Frogerton lächelte breit. „Was für ein Glück, dass Sie eine so hingebungsvolle Mutter haben.“

„Ja.“ Mr Scutton erwiderte das Lächeln nicht. „Das ist sie.“

Der Butler Jenkins und ein Dienstmädchen kamen mit einem Tablett mit Getränken und mehreren Tellern mit Gebäck herein. Weder Mrs Scutton noch ihr Sohn wirkten eingeschüchtert von ihrer derzeitigen Umgebung. Caroline hatte das Gefühl, dass sie eine angemessene Kombination aus Interesse an dem zur Debatte stehenden Titel und Unglauben darüber, dass sie wirklich zur gleichen Familie gehören könnten, an den Tag legten. Der einzige Misston in diesem Dreiklang war Mrs Brigham, die bisher nichts zum Gespräch beigetragen hatte und auch nicht vorzuhaben schien, daran etwas zu ändern.

„Hat es Sie gefreut zu hören, dass Ihr Bruder vielleicht der Erbe eines Earls sein könnte?“, richtete Caroline das Wort an Mrs Brigham, als sie ihr eine Tasse Tee überreichte.

„Nicht besonders.“ Mrs Brigham stellte ihr Getränk neben sich ab. „Es wirkt mir alles sehr weit hergeholt.“

Mrs Scutton tätschelte die Hand ihrer Tochter, bevor sie sich Caroline zuwandte. „Bitte ärgern Sie sich nicht über die mangelnde Feinfühligkeit meiner Tochter. Ich fürchte, dass sie etwas eifersüchtig ist auf das Glück ihres Bruders.“

„Das stimmt nicht, Mama, ich will nur …“

Mrs Scutton fiel ihr ins Wort: „Bitte, meine Liebe, bring uns nicht in derart gehobener Gesellschaft in Verlegenheit. Du willst doch sicher auch das Beste für deinen Bruder.“

„Thomas will das doch auch nicht. Nur du.“

„Da bin ich anderer Meinung.“ Mrs Scutton bedachte ihre Tochter mit einem mitfühlenden Lächeln. „Du weißt sehr gut, dass Thomas nicht hergekommen wäre, wenn es nicht sein Wille wäre.“

„Er ist nur hier, weil du ihn mit deinem Unsinn überzeugt hast.“

Mr Scutton räusperte sich vorsichtig. „Meine liebe Mary, ich bin hier, weil ich an Gerechtigkeit glaube. Wenn dieser Titel mein Schicksal ist, dann werde ich das akzeptieren müssen.“

Mrs Brigham verdrehte die Augen und richtete den Blick auf ihren Teller.

Mrs Frogerton hob die Teekanne an. „Möchte noch jemand Tee? Ich bin sicher, dass Caroline noch tausend Fragen hat, bevor Sie wieder aufbrechen müssen.“

„Es besteht kein Anlass zur Eile, Mrs Frogerton.“ Mr Potkins sah sie entschuldigend an. „Die Scuttons werden noch mehrere Tage in London bleiben. Sie waren ursprünglich davon ausgegangen, in Morton House wohnen zu können, aber das ist ja nicht möglich. Mein Assistent versucht gerade, ihnen eine geeignete Unterkunft zu finden.“

„Das ist nicht nötig“, erwiderte Mrs Frogerton. „Sie können sehr gern hier unterkommen.“

Alle sahen ihre Gastgeberin mit unterschiedlich nuanciertem Erstaunen an.

Mrs Frogerton zog die Augenbrauen hoch. „Das ist die einfachste Lösung. Caroline kann ihre Verwandten besser kennenlernen und ich weiß ein Haus voller Gäste immer zu schätzen.“ Sie schenkte Mrs Scutton ein Lächeln. „Bitte sagen Sie, dass Sie einverstanden sind.“

Nachdem sie einen kurzen Blick mit ihrem Sohn ausgetauscht hatte, nickte Mrs Scutton. „Das wäre ausgesprochen großzügig von Ihnen, Mrs Frogerton. Ich sehe es auch so, dass Caroline Zeit braucht, um ihre neu entdeckten entfernten Verwandten kennenzulernen. So ist das wunderbar zu bewerkstelligen.“

„Dann wäre das ja geklärt.“ Mrs Frogerton strahlte ihre neuen Gäste an. „Caroline, würden Sie die Haushälterin bitten, die Zimmer vorzubereiten? Und sagen Sie bitte der Köchin, dass sechs von uns beim Mittagessen sein werden und fünf beim Abendessen.“

„Ja, natürlich.“ Caroline erhob sich. „Ich kümmere mich sofort darum.“ Sie gab die Anweisungen an die Bediensteten weiter und kehrte schnell wieder in den Salon zurück.

Mr Scutton kam auf sie zu, bevor sie wieder Platz nehmen konnte. „Ich hoffe doch, dass Ihnen dieses Arrangement zusagt, Lady Caroline.“

„Mrs Frogerton ist sehr großzügig, Sir.“

„Ich muss gestehen, dass ich das Schlimmste befürchtet hatte, als ich hörte, dass sie Ihre Arbeitgeberin sei, aber sie behandelt Sie beinahe wie ein Familienmitglied.“

„Wie ich bereits sagte, sie ist ungemein großzügig. Ich hätte keine bessere Anstellung finden können.“

Eine kleine Falte erschien auf seiner Stirn. „Bei allem Respekt, aber der Umstand, dass Sie als Lady eine Anstellung suchen mussten, ist entsetzlich. Man muss hinterfragen, wo der letzte Earl zu Lebzeiten seine Prioritäten setzte.“

„Er selbst war seine erste Priorität“, erwiderte Caroline. „Er hat nur an seine Bedürfnisse und sein Vergnügen gedacht und hatte keinerlei Interesse daran, seine Familie zu versorgen. Er nahm sogar unsere Mitgift, um seine Exzesse zu finanzieren, sodass meine Schwester und ich mittellos zurückblieben.“

„Das … tut mir leid.“

„Es war wohl kaum Ihre Schuld, Sir.“

„Das weiß ich, aber der Gedanke, dass jemand, mit dem ich auch noch so entfernt verwandt bin, seine eigenen Kinder derart behandelte, gefällt mir ganz und gar nicht.“

„Dann sind Sie offensichtlich ein weit besserer Mann, als mein Vater es war.“ Caroline schenkte ihm ein Lächeln. „Sollen wir uns vielleicht hinsetzen? Ich würde gern erfahren, wie genau unsere Verwandtschaftsverhältnisse aussehen.“

„Soweit ich weiß, ist das recht kompliziert.“ Mr Scutton setzte sich zu ihr auf das Sofa. „Mein Großvater – oder war es mein Urgroßvater? Mr Potkins wird das wissen – war einer der jüngeren Söhne des Earl of Morton. Er nahm eine Stelle als Verwalter des Earls auf dessen Landsitz an und heiratete dessen Haushälterin. Daher zeigte ihm der Rest der Familie über Jahre die kalte Schulter.“

Caroline durchforstete ihr Wissen über den Stammbaum. „Ich könnte mir vorstellen, dass es Ihr Urgroßvater war. Er war einer von sechs Söhnen.“

Mrs Frogerton schloss sich der Unterhaltung an. „Wenn das stimmt, Caroline, dann sollte der Familienname doch sicherlich noch Morton sein, oder?“

„Dann muss ich irgendwo einen Schritt übersprungen haben, Madam.“ Mr Scutton sah weder besorgt aus, noch klang er schuldbewusst, als sein Geburtsrecht hinterfragt wurde. „Meine Mutter kennt alle Details.“

Mrs Scutton nickte. „Früher war unser Familienname Morton. Aber als der Urgroßvater von Thomas nicht standesgemäß heiratete, drohte die Familie, ihn zu enterben. Er ignorierte ihre Drohungen und nahm stattdessen den Familiennamen seiner Ehefrau an. Wahrscheinlich, um damit seinem Vater eins auszuwischen. Das ist ihm offensichtlich gelungen, denn ihm wurde der Unterhalt gestrichen, und er führte von diesem Zeitpunkt an den Namen Scutton. Einer der Taufnamen meines Mannes war Morton, daher bin ich überhaupt auf die Verbindung mit dem Titel des Earls gekommen.“

„Das ist alles wirklich recht kompliziert“, stimmte Mrs Frogerton zu. „Aber das ist wahrscheinlich der Grund, warum es so lange dauert, das alles zu entwirren.“

„Das College of Arms ist sehr gründlich“, stellte Mr Potkins fest. „Ich habe volles Vertrauen in ihre Fähigkeit, die richtige Entscheidung zu treffen.“ Er erhob sich. „Ich fürchte, dass ich nun aufbrechen muss, Mrs Frogerton. Ich habe noch im Büro zu tun.“ Er wandte sich Mrs Scutton zu. „Ich werde veranlassen, dass Ihr Gepäck hierhergebracht wird, Madam, und ich melde mich, sobald ich vom College of Arms höre.“

„Vielen Dank, Mr Potkins.“ Mrs Scutton schenkte ihm ein Lächeln. „Sie waren sehr entgegenkommend.“

„Ich möchte diese Angelegenheit so schnell wie möglich beilegen. Es ist nie gut für ein Anwesen, wenn es in der Schwebe hängt.“

Mr Scutton stand auf und ging zu Mr Potkins, um ihm die Hand zu schütteln. „Vielen Dank, Sir.“

Nach dem Mittagessen führte Caroline Mrs Brigham in ihr Schlafzimmer, das zwischen dem ihrer Mutter und ihres Bruders lag. Früher hatte es Susan gehört. Der leere Raum, der jetzt von jemand anderem bezogen wurde, unterstrich nur noch weiter, dass Susan nicht zurückkommen würde.

„Ich hoffe, Sie werden sich hier wohlfühlen, Madam.“ Caroline lächelte Mrs Brigham an. „Wenn Sie irgendetwas brauchen, läuten Sie bitte die Glocke und eins meiner Dienstmädchen wird sich um Sie kümmern. Das Abendessen wird um sechs Uhr serviert.“

Mrs Brigham löste die Bänder ihrer schwarzen Haube und warf sie auf das Bett. „Auch wenn ich nicht glaube, dass wir auch nur entfernt verwandt sind, würde ich es bevorzugen, wenn Sie Mary zu mir sagen.“

„Sie glauben nicht, dass Ihr Bruder der Erbe des Earls ist?“, fragte Caroline.

„Das erscheint mir lächerlich. Aber wenn meine Mutter sich etwas in den Kopf setzt, dann ist sie fest entschlossen, es auch umzusetzen.“ Mary seufzte. „Ich habe Thomas davor gewarnt, ihren Fantastereien zu folgen, aber er hört immer zuerst auf sie.“ In ihrer Stimme lag ein Hauch von Groll, der darauf hinzudeuten schien, dass die Beziehung zwischen ihr und ihrer Mutter nicht gerade rosig war.

„Haben Sie Mr Potkins Ihre Zweifel mitgeteilt?“, fragte Caroline.

„Natürlich nicht. Meine Mutter würde mich enterben.“ Mary zog ihre Pelisse aus und enthüllte ein schwarzes Kleid ohne jegliches Muster. „Wissen Sie, wann unser Gepäck gebracht wird? Ich würde mich gerne zum Abendessen umziehen.“

„Ich werde mich erkundigen“, versprach Caroline, während sie sich zur Tür wandte. „Ich gehe aber davon aus, dass es bald der Fall sein wird.“

Als sie die Treppe hinunterkam, traf sie auf Mrs Scutton, die in einen heftigen Streit mit einem älteren Herrn verwickelt war, der offensichtlich das Gepäck hereingebracht hatte. Er trug einen altmodischen Gehrock, abgetragene Reitstiefel und einen verblichenen Filzhut, der sich im Laufe der Zeit perfekt der Form seines Kopfes angepasst hatte. Caroline blieb auf dem Zwischenabsatz der Treppe stehen, da sie nicht sicher war, ob sie dazwischen gehen sollte.

„Ah! Lady Caroline.” Mrs Scutton blickte auf und winkte sie heran. „Ich wollte Jude gerade sagen, dass wir seine Dienste nicht länger benötigen, und er morgen mit der Postkutsche nach Hause zurückkehren kann.“

Jude nahm seinen Hut ab und verbeugte sich. „Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Miss.“

„Lady Caroline ist die Tochter des verstorbenen Earl of Morton, Jude“, erklärte Mrs Scutton.

Jude musterte sie einen Moment und nickte. „Ja, jetzt sehe ich es auch.“

„Kannten Sie meine Familie, Sir?“, fragte Caroline.

„In gewisser Weise.“

Caroline wollte ihn gerade darum bitten, dies weiter zu erörtern, als Mrs Scutton sich räusperte. „Wie ich schon sagte, Jude. Es gibt keinen Grund für Sie, in London zu bleiben.“

„Aber ich habe Mr Scutton versprochen, immer in Ihrer Nähe zu bleiben“, protestierte Jude. „Besonders an einem Ort wie diesem.“ Er sah sich in der makellosen Eingangshalle um, als befände er sich in einem Bordell.

Caroline schaltete sich eilig ein. „Ich bin mir sicher, dass Mrs Frogerton ein Zimmer für Mr …“

Mrs Scutton fiel ihr ins Wort: „Ich kann nicht von ihr erwarten, auch noch meine Bediensteten zu beherbergen, Lady Caroline. Das wäre eine zu große Zumutung und Jude wird zuhause benötigt.“ Sie wandte sich wieder dem Mann zu. „Sie können im Blue Boar in Aldgate nächtigen, wo die Postkutsche Richtung Epping abfährt. Ich werde Ihnen genug Geld für die Rückreise geben.“

„Es ist nicht sicher, Sie und Ihre Kinder hier zu lassen, Madam.“ Jude schüttelte den Kopf. „Das ist nicht der richtige Weg für Sie.“

Mrs Scutton nahm ihr Portemonnaie heraus und zählte einige Münzen ab. „Das sollte ausreichen, um für die Herberge und die Fahrkarte aufzukommen.“

„Aber Mr Scutton sagte …“

„Mr William Scutton ist tot. Ich bin jetzt für die Familie verantwortlich, Jude, und ich bitte Sie darum, nach Hause zu fahren und sich um mein Haus zu kümmern, bis ich zurückkehre.“

Caroline warf Jenkins einen Blick zu, der lautlos hinter ihr aufgetaucht war. „Können Sie Mrs Scuttons Bediensteten dabei helfen, den Weg zum Blue Boar in Aldgate zu finden?“

„Ja, natürlich, Miss Morton.“ Der Butler bedeutete Jude mit einer Geste, ihm zu folgen. „Hier entlang bitte.“

Nach einem letzten finsteren Blick in Mrs Scuttons Richtung ging Jude widerwillig mit dem Butler.

Mrs Scutton atmete tief aus. „Danke, ich dachte, er würde sich weigern zu gehen.“

„Seine Sorge um Ihr Wohlergehen ist lobenswert, Madam“, sagte Caroline.

„Er macht sich immer furchtbare Sorgen“, gestand Mrs Scutton. „Aber das ist vielleicht nicht die beste Eigenschaft für ein Leben in London.“ Sie seufzte. „Die letzten Tage waren recht trubelig. Ich bin nicht überrascht, dass ihn das aufgeregt hat.“

„Jenkins wird Ihr Gepäck hochbringen lassen, sobald er zurück ist“, sagte Caroline. „Soll ich Sie in Ihr Schlafzimmer begleiten?“

„Ja, bitte.“ Mrs Scutton lächelte sie an und sie gingen die Treppe nach oben. „Das Haus ist größer, als es den Anschein hat.“

„Und es gibt viel zu viele Treppen“, stimmte Caroline ihr zu, während sie zwei Stockwerke hinaufgingen. „Da wären wir, Madam. Ihr Zimmer überblickt den rückwärtigen Garten, eine angenehm ruhige Lage.“

„Danke.“ Mrs Scutton zögerte. „Ist es schwierig für Sie, in Ihrer Lage in diesem Haus angestellt zu sein?“

„Ich bin sehr zufrieden hier.“ Während Mrs Scutton sprach, durchschritt Caroline das Zimmer, um sicherzugehen, das alles den hohen Ansprüchen von Mrs Frogerton für ihre Gäste genügte.

„Ich meinte eher allgemein als Angestellte zu leben, wenn Sie doch die Tochter eines Earls sind.“

„Es ist keine Schande, den eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, um zu überleben, Madam“, stellte Caroline fest. „Und Mrs Frogerton ist eine großzügige Arbeitgeberin.“

„Trotzdem …“ Mrs Scuttons brach ab und ließ den Blick auf Carolines Gesicht ruhen. „Es war sicher nicht leicht.“

Caroline lächelte. Sie hatte keinerlei Absicht, sich einer Frau anzuvertrauen, die sie gerade erst kennengelernt hatte, besonders wenn diese eine Verbindung zu ihrer Familie haben könnte. „Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit, Mrs Scutton? Das Abendessen wird um sechs Uhr serviert. Falls Sie bis dahin etwas benötigen, klingeln Sie bitte nach einem der Dienstmädchen.“

„Das werde ich, danke.“ Mrs Scutton hielt inne. „Wenn Sie jemanden brauchen, mit dem Sie über Ihre … Situation sprechen möchten, bin ich gerne bereit, Ihnen zuzuhören.“

„Danke.“ Caroline verließ Mrs Scutton und ging los, um Mrs Frogerton zu suchen.

Ihre Arbeitgeberin genoss gerade ein kurzes Nickerchen in ihrem Lieblingssessel umgeben von ihren Hunden. Keiner von ihnen regte sich, als sich Caroline ihr gegenüber niederließ. Es war eine gute Gelegenheit, um ihre ersten Eindrücke von den Scuttons zu verarbeiten, ohne Mrs Frogertons enthusiastische Unterstützung.

Mrs Scutton wirkte nett und hatte offensichtlich ihre Familie gut in der Hand. Mary war unglücklich und zögerte nicht, ihr Unbehagen jedem, der gewillt war, zuzuhören, kundzutun. Und Mr Scutton? Was ging hinter seinem ruhigen Äußeren vor sich? War er so ehrgeizig wie seine Mutter oder teilte er die Zurückhaltung seiner Schwester? Es war noch zu früh, um darüber ein Urteil zu fällen.

Als eines der Gepäckstücke beim Hochtragen etwas lauter gegen die Treppe prallte, schreckte Mrs Frogerton aus ihrem Schlaf hoch. Sie blinzelte Caroline an, richtete sich auf und rückte ihre Spitzenhaube zurecht. „Also, was für ein Trubel! Ich habe ja einige Eindrücke unserer Gäste, die ich gern mit Ihnen teilen würde, aber ich würde lieber zuerst Ihre Meinung hören.“

„Ich bin mir nicht sicher, was ich denken soll, Madam“, begann Caroline. „Sie wirken recht nett.“

„Abgesehen von der verwitweten Mrs Brigham. Ich möchte wetten, dass sie nicht freiwillig mitmacht, was bei mir die Frage aufwirft, warum sie darauf bestanden, sie mitzubringen.“

„Vielleicht wollten sie sie nicht trauernd allein lassen“, bot Caroline als Erklärung an.

„Ich nehme an, das könnte der Grund sein.“ Mrs Frogerton runzelte die Stirn. „Aber sie wird ihrer Sache kaum dienlich sein.“

„Sie sagte mir, dass sie skeptisch sei, was den Anspruch ihres Bruders angeht.“

„Ach, wirklich?“ Mrs Frogerton lächelte. „Wie interessant! Das alles scheint mir wirklich ein wenig verwirrend zu sein. Man hätte erwarten können, dass sie ihre Geschichte im Vorfeld untereinander abgestimmt hätten.“

„Aber vielleicht deutet gerade diese Verwirrung darauf hin, dass es nichts gibt, was angezweifelt werden müsste“, überlegte Caroline. „Wenn sie alle nur den immer gleichen Singsang von sich gäben, würde uns diese Einigkeit sicher verdächtig vorkommen.“

„Also sind Sie geneigt, ihnen zu glauben, meine Liebe?“

„Ich bin mir nicht sicher“, sagte Caroline langsam.

„Dann lassen Sie uns unser Bestes geben, um in den nächsten Tagen zu einem Urteil zu gelangen“, sagte Mrs Frogerton. „Ich selbst bin mir ebenfalls ob ihrer Aufrichtigkeit noch unschlüssig.“