Leseprobe King of My Scars – Er rettet mich. Er zerstört mich. Er ist King. | Eine leidenschaftliche Romantic Suspense

Prolog

Ich musste verschwinden. Diesmal war es zu schlimm.

Dummerweise hatte ich ihm jedes Mal vergeben, wenn es passierte. Mir war klar, dass es wieder geschehen würde, und wie zu erwarten war, wurde es jedes Mal schlimmer.

Ich war mir nicht einmal mehr sicher, ob ich noch körperliche Schmerzen empfand. Innerlich und äußerlich fühlte ich mich wie betäubt. Nur noch ein Schatten meiner selbst.

Aber dieses Mal … dieses Mal war er zu weit gegangen. Ich musste ärztlich behandelt werden. Mit dem Tritt gegen die linke Seite hatte er mir zwei Rippen gebrochen. Eine davon hatte meine Lunge punktiert. Durch seine wiederholten Schläge war die Haut um meine Nieren von Blutergüssen verfärbt, und mein Handgelenk war gebrochen, weil er es in einem unmöglichen Winkel verdreht hatte.

Bislang hatte er darauf geachtet, keine Spuren in meinem Gesicht oder an anderen sichtbaren Stellen zu hinterlassen. Jedes Mal, wenn es passiert war, brachte er mich irgendwohin, um die Dinge wieder in Ordnung zu bringen und die Blutergüsse heilen zu lassen. Und jedes Mal raubte er mir ein Stückchen mehr von meiner Seele.

Meine Mutter hegte einen Verdacht; ich erkannte es in ihren Augen und an den behutsam gestellten Fragen, die nie direkt waren, aus Angst, ihm etwas anzulasten, das er vielleicht nicht getan hatte.

Aber sie wusste es.

Ich wollte es ihr sagen, jemandem … irgendjemandem. Es war eine einsame Last, wie ein Elefant, der auf meiner Brust saß. Er hatte mich so sehr zermürbt, dass ich keine Identität mehr besaß. Ich funktionierte im Alltag, aber jegliches Gefühl war verflogen.

Ich gehörte ihm.

Nicht mehr und nicht weniger.

Er war ein mächtiger, angesehener Geschäftsmann, also würde mir niemand glauben. Und selbst wenn, würde er denjenigen bestechen und alles wäre vergessen. Anfangs hatte ich es kaum glauben können, dass Geld das Gewissen eines Menschen kaufen konnte, aber es war so alltäglich geworden, dass mich nichts mehr überraschte.

Er hatte mich in eine Privatklinik gebracht, hatte den hingebungsvollen Verlobten gespielt und mich jeden Tag besucht. Unter Tränen hatte er den Krankenschwestern erzählt, wie ich in unserem Haus von einem Eindringling angegriffen worden war, und ich hatte angesichts meiner Hilflosigkeit geweint.

Zehn Tage verbrachte ich in dieser Klinik, ohne Angst und ohne Druck, mich fügen zu müssen, denn dort konnte er mir nichts antun. In fünf Jahren war das die längste Zeit, die ich von ihm getrennt gewesen war, und es war das Beste, was mir hätte passieren können. Mein Selbstvertrauen wuchs Tag für Tag, und ich fand ein bisschen mehr von dem Mädchen wieder, das ich einmal gewesen war. Nur dass dieses Mädchen jetzt erwachsen geworden war. Ich war zu einer Frau geworden, die wusste, was die Zukunft für sie bereithielt. Das Feuer in meinem Bauch war klein, kaum mehr als ein Funke, aber es war da, und ich begriff, dass dieses winzige Licht der Hoffnung vergehen würde, wenn ich blieb, und ich selbst höchstwahrscheinlich ebenfalls.

Also tat ich das Einzige, was ich tun konnte …

Ich lief weg.

Kapitel 1

Ich dachte, ich wäre ziemlich hart im Nehmen. Ich habe gelernt, mich an jede Situation anzupassen und daran zu wachsen. Ich habe weitaus Schlimmeres erlebt als meine derzeitige Situation und habe es überlebt.

Aber mein Leben ist eine Lüge.

Ich bin mit einem Mann verheiratet, den ich nicht liebe, höre auf einen Namen, der nicht meiner ist. Zwar bin ich für meine eigenen Handlungen verantwortlich, aber ich finde keinen Ausweg und alles ist so verworren, dass ich den Wald vor lauter Bäumen nicht sehe.

Ich habe mich entschieden, wegzulaufen. Ich habe mich entschieden, mich zu verstecken. Und jetzt weiß ich nicht, wie es weitergehen soll.

Ich möchte nach Hause, aber ich weiß nicht, ob ich das kann. Ich möchte ich selbst sein, habe aber keine Ahnung, wie ich mich aus diesem Schlamassel befreien soll.

Während Gedanken und Möglichkeiten in meinem Kopf umherwirbeln, trommeln meine Beine immer energischer auf das Laufband. Ich begrüße das Brennen in den Oberschenkeln, während ich mich antreibe und meine Lunge darum kämpft, mehr Luft aufzunehmen – eine willkommene Ablenkung, meine einzige Ablenkung von dem falschen Leben, das ich führe.

Es ist kein schlechtes Leben – es ist um vieles besser als das, vor dem ich geflohen bin. Ich bin auch nicht undankbar. Aber ich bin unglücklich. Ist Überleben das einzige Ziel unseres Daseins … sollte man nicht eher aufblühen? Ich vermisse meine Mutter. Seit meiner Flucht aus Boulder City habe ich sie weder gesehen noch gesprochen, und ich vermisse meine Freundin Lottie, die einzige echte Freundin, die ich je hatte.

Ich bereue, zugelassen zu haben, dass Jonny meine engsten Vertrauten wegdrängt und mein Leben zerstört. Er ist der Grund, warum ich seit achtzehn Monaten unter falschem Namen lebe. Er ist der Grund für alles Schlechte, das mir seit dem Tag widerfahren ist, an dem ich ihn kennengelernt habe.

Jetzt lebe ich in einem schönen Haus in L.A., bin mit Aaron Jamesson, einem wohlhabenden Musikmanager, verheiratet und mir liegt die Welt zu Füßen. Geld kann vieles kaufen, kann Ablenkung schaffen, Illusionen kreieren, aber es füllt nicht die Leere in meinem Herzen.

Zunächst schien Aaron all das zu sein, was Jonny nicht war. Wir hatten eine schöne Zeit des Kennenlernens und eine wunderschöne Hochzeit. Er bot mir eine Freundschaft an, die ich gerne annahm, und gab mir die Möglichkeit, unter einer neuen Identität ein neues Leben anzufangen, etwas, das ich nie für möglich gehalten hätte. Aber um ehrlich zu sein, habe ich ihn benutzt, um unter dem Radar zu bleiben und es Jonny schwerer zu machen, mich zu finden. Ich erfand mich neu. Um mein Leben zu retten, schuf ich eine Persönlichkeit, die sich stark von meinem eigentlichen Wesen unterschied, und stimmte Dingen zu, zu denen ich sonst nein gesagt hätte. Zum Beispiel, ein Baby zu machen. Gott, allein der Gedanke daran lässt mir kalten Schweiß ausbrechen. Ich weiß, dass es nicht lange dauern wird, bis Aaron sich fragt, warum ich noch nicht schwanger bin, und ich weiß nicht, wie ich das Unvermeidliche hinauszögern kann.

Ich führe ein Leben als Natalie Jamesson und versuche, so wenig wie möglich von meinem wahren Ich durchscheinen zu lassen. Lange Zeit hatte ich kein schlechtes Gewissen dabei. Die Möglichkeit, die Vergangenheit hinter mir zu lassen, überwog die Schuldgefühle, die im Hintergrund lauerten. Wie kann man sich schuldig fühlen, wenn man vergessen hat, wie man fühlt?

Diese Gedanken beschäftigen mich jeden Tag.

Ich finde nie eine Lösung, sehe keinen Ausweg und fühle mich unglücklich. Ich nehme jeden Tag, wie er kommt, und hoffe, dass es schon irgendwie klappen wird, überlasse das Schicksal seinem Lauf und hoffe auf ein bisschen Glück.

Ich beende das Training, schnappe mir ein Handtuch, lege es mir um den Hals, schalte das Licht aus und verlasse den Fitnessraum. Die Haustür schlägt zu und Aarons laute Stimme hallt durch den Flur. Sein aufgeregter Tonfall macht mich etwas unruhig. Seit wir von unserer Hochzeitsreise zurückgekommen sind, wo ein kleiner Teil von mir zu glauben begann, dass wir vielleicht wirklich glücklich werden könnten, läuft es nicht mehr so besonders. Das zeigt mir wieder einmal, dass ich mein Herz hätte verschließen und meine Gedanken klar halten sollen. Dieses kleine goldene Band um den Finger hat die Dinge verändert, Aaron verändert. In dem Moment, als wir wieder in L.A. landeten, hat sich etwas verschoben, und meiner Erfahrung nach ist etwas, das sich auf den ersten Blick nicht richtig anfühlt, wahrscheinlich auch nicht richtig.

„Ich habe dir gesagt, dass ich es im Moment verdammt noch mal nicht habe … Nein, ich kann es dir frühestens nächsten Freitag bringen … Okay.“ Abrupt legt er auf, bleibt in der Tür stehen und fährt sich mit den Händen durch die Haare. Sein Stress ist beinahe sichtbar, und ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, mit ihm zu reden, wenn er in dieser Stimmung ist, aber ihn zu ignorieren, würde die Situation definitiv verschlimmern. Er blickt auf und bemerkt, dass ich ihn anschaue.

„Hey!“, sage ich fröhlich, gehe zu ihm hinüber, stelle mich auf die Zehenspitzen und küsse ihn auf die Wange. Der starke Alkoholgeruch, der von ihm ausgeht, deutet darauf hin, dass er sein Mittagessen mit mehr als nur einem Glas hinuntergespült hat. In letzter Zeit trinkt er ziemlich viel, aber wenn ich ihn darauf anspreche, wischt er meine Bedenken beiseite.

„Wie lange stehst du schon da?“, fragt er schnippisch.

„Ähm, nur ein paar Sekunden. Ich habe trainiert und war gerade fertig, als du hereingekommen bist. Ich gehe nur schnell duschen, dann komme ich runter, okay?“

„Gut.“ Sein Tonfall ist flach, völlig gleichgültig, und das verwirrt mich. Es sollte mich nicht so enttäuschen, aber dennoch tut es das.

„Äh, gib mir zehn Minuten“, murmele ich.

„Klar.“ Die monotone Antwort entmutigt mich noch mehr. Dummerweise freue ich mich jedes Mal, wenn er nach Hause kommt, weil ein sehr naiver Teil von mir denkt, dass er anders sein könnte. Aber an diesem Tag ist es nicht anders als am vergangenen, und alles, was er von sich gibt, sind einsilbige Antworten. Angst kriecht durch meine Sinne und mich beschleicht das Gefühl, dass ich das schon einmal erlebt habe. Wäre ich allein nicht besser dran?

In der Hoffnung, dass er sich beruhigt hat, wenn ich wieder herunterkomme, drehe ich mich um und nehme die Treppe – immer zwei Stufen auf einmal. In Rekordzeit ziehe ich meine schweißnassen Kleider aus und werfe sie in die Ecke des Badezimmers. Warum lasse überhaupt zu, dass er mich so fühlen lässt? War es wirklich zu viel verlangt, auf ein paar Jahre Ehe zu hoffen? Wir haben es gerade einmal auf zwölf Wochen gebracht. Ich löse die Spange, die mein Haar zusammenhält, und fahre mit den Fingern durch die langen blonden Locken. Seit der Hochzeit habe ich sie weder schneiden noch färben lassen, und sie reichen mir fast bis zur Taille.

Ich stelle die Dusche so heiß ein, wie ich es aushalten kann, und steige hinein. Die zahlreichen Düsen massieren meine überlasteten Muskeln und ich schließe die Augen, während das brennende Wasser auf der Haut prickelt. Es grenzt an Schmerz, aber das Gefühl ist eine willkommene Ablenkung von meinen Gedanken. Ich neige den Kopf nach hinten und lasse das Wasser durch meine Haare fließen.

Eine kalte Hand auf der Taille lässt mich zusammenzucken. Ich hebe den Kopf und öffne die Augen. Aaron steht vor mir. Seiner fehlenden Kleidung nach zu urteilen, wird er mit mir duschen, ob ich will oder nicht.

„Baby“, sagt er leise, „es tut mir leid, dass ich so kurz angebunden zu dir war …“

Mein ganzer Körper spannt sich an, als seine Hände über die Rundung meiner Hüfte gleiten, sich auf meinem Po niederlassen und mich näher zu ihm ziehen, während er Küsse auf Schulter und Schlüsselbein verteilt. Während seine Hände über meine feuchte Haut streichen, drückt seine Erregung gegen meinen Bauch. So sehr ich mich auch nach der körperlichen Nähe sehne, die wir früher hatten, ich will ihn nicht. Nicht jetzt, nicht so. Sein neuerliches Verhalten hat mich von ihm entfernt, und die Distanz wächst mit jeder Sekunde, die ich in seiner Gesellschaft verbringe. Mein zurückhaltendes Ich kehrt langsam aber sicher zurück, und mein Instinkt sagt mir, dass ich mich darauf vorbereiten muss, zu überleben.

Ich drehe ihm die Schulter zu und trete zurück. „Nicht jetzt, Aaron.“

Er hört auf, meinen Körper zu erkunden, schiebt mich ein wenig von sich weg, hält meine Schultern mit den Händen fest und geht ein wenig ins Knie, um mir direkt in die Augen sehen zu können.

„Was meinst du mit nicht jetzt?“ Sein kalter Blick lässt mich erschauern, aber ich straffe die Schultern und weigere mich, mich unterkriegen zu lassen.

„Genau das meine ich. Nicht. Jetzt.“ Ich presse die letzten Worte durch zusammengebissene Zähne, damit er versteht, dass ich mich nicht umstimmen lasse. Ich drücke seine Arme weg und schiebe mich an ihm vorbei, um aus der Dusche zu treten, aber er krallt die Finger um meinen Ellbogen und hindert mich daran.

„Nicht jetzt? Du weist mich zurück? Ich bin dein Ehemann, verdammt noch mal. Wie sollst du denn jemals schwanger werden?“

Ich hasse seinen Egoismus und dass er so tut, als hätte ich seine Pläne ruiniert. Nun, er ist nicht der Einzige, der wütend ist. Ich bin wütend, dass ich mich auf ihn eingelassen und meine Wachsamkeit über Bord geworfen habe, und vor allem bin ich wütend auf mich selbst, weil ich auf diesen Mist hereingefallen bin und mich wieder einmal in eine beschissene Situation gebracht habe.

Ich stemme die Hände in die Hüfte und beuge mich mutig zu ihm hin. „Was ist mit mir? Was, wenn ich nicht schwanger werden will, hm? Hast du daran gedacht?“

Er wird blass und verstärkt den Griff um meinen Arm. Scheiße, habe ich das wirklich gerade gesagt? Mist, Mist, Mist … Ich bereue es sofort, diese Worte laut ausgesprochen zu haben. Er verzieht das Gesicht und plötzlich fühlt sich der Raum, in dem wir uns befinden, sehr klein an.

Ich fühle mich klein.

„Was hast du gerade gesagt?“ Er kommt so nah, dass sein Gesicht nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt ist; seine Stimme ist leiser geworden und seine Pupillen sind vor Wut so geweitet, dass ich mich kurz frage, ob er irgendwelche Drogen genommen hat. Ich habe dieses Gefühl schon einmal gehabt, und eigentlich hatte ich nicht vor, es noch einmal zu erleben, aber hier stehe ich nun, Adrenalin schießt durch meinen Körper und lässt meine Beine zittern. Ich bin unfähig, den Mut aufzubringen, den ich brauche, um hier zu verschwinden. Aarons Launen sind in letzter Zeit unberechenbar. Ich habe es darauf zurückgeführt, dass er einen schlechten Tag hatte oder unter dem Stress und den Belastungen der Arbeit litt. Ich bin in meine alten Gewohnheiten zurückgefallen und habe Ausreden für seine schnippischen Antworten und seine unvernünftigen Launen gefunden.

„Du willst mein Baby nicht?“, fragt er.

„Aaron, so ist es nicht.“ Genervt atme ich aus. „Ich bin müde, du bist müde, und offensichtlich hattest du einen schlechten Tag. Also bitte, lass uns einfach etwas anziehen und etwas essen.“ Ich klinge verzweifelt. Was ich verdammt noch mal noch mehr hasse, ist, dass ich mich im Moment auch verzweifelt fühle. Ich würde alles tun, um dieses Gespräch und die Spannung, die diesen Raum ausfüllt, hinter mir zu lassen. Ich will nur, dass er mich loslässt, damit ich hier raus kann.

„Seit drei verdammten Monaten versuchen wir, ein Baby zu machen.“ Er presst die Worte heraus, seine Stimme ist angespannt und seine Zähne sind zusammengebissen. Er hält mich immer noch am Arm, und seine Finger umklammern mich so fest, dass ich sicher bin, dass sie blaue Flecken hinterlassen werden.

Als wäre ihm gerade etwas klar geworden, verändert sich seine Miene. Er lockert den Griff, zieht die Augenbrauen zu einem tiefen Stirnrunzeln zusammen und tritt aus der Dusche. Während ich meinen Bademantel anziehe, reißt er den Inhalt der Schränke heraus und wirft alles durcheinander. Cremes und Lotionen fallen um uns herum auf den Boden, Fläschchen zerbrechen und hinterlassen eine rutschige Sauerei.

„Aaron, was zum Teufel tust du da?“

Er antwortet nicht, sondern räumt weiter die Schränke und Schubladen aus, bis der Badezimmerboden bedeckt ist. Einige der Sachen tritt er aus dem Weg, als er an mir vorbei aus dem Badezimmer in unser Schlafzimmer stürmt.

„Wo sind sie?“, brüllt er und eilt zu meinem Schminktisch.

„Wovon redest du? Aaron, hör auf …“ Ich versuche, ihn am Arm zu packen, um ihn aufzuhalten, aber er reißt sich los, zieht die oberste Schublade heraus, schüttet den Inhalt auf den Boden, und mir wird klar, wonach er sucht. Wir sehen sie beide gleichzeitig.

Scheiße.

Sein Blick schießt hoch und fixiert meinen.

Ich kann mich nicht bewegen. Ich kann nicht sprechen. Ich weiß, dass er es weiß.

Wir hechten beide gleichzeitig nach der Schachtel, aber er ist schneller und schnappt sie sich, bevor ich sie greifen kann. Er öffnet den Verschluss und holt die halb leere Packung heraus, betrachtet die kleinen weißen Pillen und zählt sie, während ich wie angewurzelt dastehe und nervös auf seine Reaktion warte. Je länger er schweigt, desto mulmiger wird mir.

„Du verdammte Schlampe!“

Als ich seine laute Stimme höre, zucke ich unwillkürlich zusammen und bereite mich auf einen weiteren Angriff vor. Er wirft die Tabletten zu Boden und ist mit zwei Schritten bei mir, sein Gesicht nur wenige Zentimeter von meinem entfernt. „Du hast mich angelogen, Natalie.“ Er ist so nah, dass ich seinen Atem in meinem Gesicht spüren kann. „Du hast mich glauben lassen, wir würden versuchen, ein Baby zu bekommen, aber die ganze Zeit hast du deine verdammten Pillen genommen.“

Ich schaue nach unten, um seinem Blick auszuweichen, und versuche, einen Weg zu finden, die Situation etwas zu entschärfen, aber es gibt nichts, was ich sagen könnte, um die Lage zu verbessern.

Er packt mein Gesicht grob mit der Hand und hebt es an, sodass ich gezwungen bin, ihn anzusehen. Daumen und Zeigefinger graben sich in meine Wangen, und ich winde mich unter dem Druck. „Ich schufte mich zu Tode, um für dich zu sorgen, um all die schönen Kleider und teuren Mittagessen mit den anderen Frauen zu bezahlen, damit wir eine Familie gründen können, und so dankst du es mir?“

„Aaron, bitte, ich –“

„Du was? Erklär mir, warum du mich VERDAMMT NOCHMAL BELOGEN HAST!“ Er schreit mir die letzten Worte ins Gesicht, und ich schließe die Augen, um sie auszublenden.

„Aaron …“ Ich spüre, wie meine Unterlippe zu zittern beginnt, während mir Bilder davon durch den Kopf schießen, was als Nächstes passieren könnte. Ich weiß, was kommen wird. Ich habe das schon einmal erlebt.

Seine Finger lockern ihren Druck, doch dann trifft die Rückseite seiner linken Hand meine Wange und betäubt mich. Es dauert ein paar Sekunden, bis ich begreife, was er gerade getan hat. Sein Ehering verursacht einen scharfen Stich, und meine Wange beginnt zu brennen. Instinktiv hebe ich die Hand ans Gesicht, während meine Augen seinen begegnen.

„Scheiße.“ Er stößt das Wort mit einem Atemzug aus. Seine Augen sind weit aufgerissen, und sein Mund steht vor Schock offen. „Natalie, o Gott … Ich wollte das nicht, ich weiß nicht, warum …“ Ich weiche zurück und seine Augen füllen sich mit Tränen. Er streckt die Hand nach mir aus. „Bitte, Nat, es tut mir so, so leid.“

„Geh. Weg. Von. Mir.“

Voller Unglauben beginne ich rückwärts zu gehen, meine Hand bedeckt immer noch meine Wange. Ich habe geahnt, in welche Richtung sich die Dinge entwickeln würden. Doch ich hatte mir eingeredet, dass nicht alle Männer wie Jonny sind, dass nicht alle Männer wütend werden und zuschlagen. Aber es ist wieder passiert.

Mit zitternden Beinen laufe ich zurück ins Badezimmer, schlage die Tür hinter mir zu und verriegele sie so schnell ich kann. Ich ziehe den Gürtel meines Bademantels enger, fasse mein nasses Haar zu einem unordentlichen Knoten zusammen und befestige es mit einem Haargummi. Meine Wange brennt, und ich zucke zusammen. Ich blute.

Ich eile zum Spiegel, um nachzusehen. Die Haut unter dem linken Auge beginnt bereits anzuschwellen, und auf meiner Wange prangt ein hässlicher roter Fleck. Aus Erfahrung weiß ich, dass diese Farbe nur noch intensiver werden wird, bis sie in das Violett eines Blutergusses übergeht. Entlang des Wangenknochens ist die Haut etwa zwei Zentimeter lang aufgerissen, und das Blut rinnt mir über die Wange.

„Natalie … bitte, lass mich rein“, fleht er. „Es tut mir leid, Baby. Es tut mir so leid …“

Seine klägliche Stimme durch die Tür zu hören, weckt Erinnerungen. Nur dieses Mal erfüllt es mich nicht mit Angst. Es macht mich entschlossen.

Das wird mir nicht noch einmal passieren.

Ich weiß, dass er sich wahrscheinlich schrecklich fühlt, und wenn ich ihm die Chance gäbe, würde er sich tausendmal entschuldigen, um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Er würde betteln und flehen und versprechen, dass es nie wieder vorkommen wird. Er würde es mit Schmuck und einem Wochenendausflug wiedergutmachen.

Ich weiß das.

Ich habe das schon einmal erlebt.

Aber ich habe kein Mitleid mit ihm. Ich weiß, ich habe gelogen, aber das habe ich nicht verdient. „Geh weg“, bringe ich hervor, während ich weiterhin auf mein Spiegelbild starre.

„Nat, lass mich einfach rein …“

„Ich sagte, GEH WEG!“

Ich höre, wie sich seine Schritte entfernen, und das laute Knallen der Schlafzimmertür lässt mich zusammenzucken. Meine Beine fühlen sich plötzlich sehr schwach an. Mir schwirrt der Kopf und vor meinen Augen baut sich eine Wand aus Tränen auf, die jeden Moment einzustürzen droht.

Die Angst, das Geschrei, das Gefühl der Hilflosigkeit … ich bin emotional überlastet, es ist zu viel. Ich lasse mich auf den Boden sinken, rolle mich zu einem kleinen Ball zusammen, ziehe die Knie fest an die Brust und schlinge die Arme darum. Dann beginnen die Tränen ungehindert zu fallen, und ich lasse es zu, ohne etwas zurückzuhalten. Ich beginne zu erkennen, dass die letzten drei Monate meine selbst auferlegte Rüstung Stück für Stück abgetragen und mich zu dem Mädchen gemacht haben, das ich nur allzu gut kenne. Sie haben mich zu dem Ort geführt, an den ich nie wieder zurückkehren wollte, zu dem Leben, das ich so sehr zu vermeiden versucht habe. Zwar habe ich einen neuen Namen und eine neue Identität, aber der Weg, den mein Leben in diesem Moment nimmt, kommt mir sehr vertraut vor.

Ich weiß nicht, wie lange ich geweint habe, aber als ich den Kopf hebe und die Augen öffne, ist es draußen schon dämmerig. Meine Schultern sind verspannt und meine Brust schmerzt von den heftigen Schluchzern. Als ich mich aufrichte und aufstehe, protestieren alle Muskeln. Mein Kopf dröhnt, während ich mich umschaue und die Spuren des früheren Streits betrachte. Ich knipse das Licht an und mir kommt eine bittere Erkenntnis: Im Dunkeln fühlt sich alles schon schlimm genug an, aber bei Licht betrachtet, ist es noch viel schlimmer. Ich stütze die Hände auf beiden Seiten des Waschbeckens ab, schaue in den Spiegel, starre mein Spiegelbild an und erkenne das Gefühl der Resignation, das sich in mir breitmacht. Meine Augen sind rot und geschwollen, und jedes Blinzeln brennt. Schwarze Mascara-Spuren haben sich mit Blut vermischt und sind in verschmierten Linien auf meinen Wangen getrocknet. Dieses Gesicht habe ich schon oft gesehen, ein distanzierter, gebrochener Anblick, den ich nie wieder sehen wollte.

Ich kann nicht hierbleiben.

Ich kann nicht mit Aaron verheiratet bleiben.

Tief in meinem Inneren habe ich nie wirklich daran geglaubt, dass dies eine dauerhafte Beziehung sein würde. Ich war dumm und schwach, weil ich mir erlaubt habe, zu hoffen, dass das, was wir hatten, jemals real werden könnte. Mein Gott, der Kerl kannte nicht einmal meinen richtigen Namen …

Glücklich bis ans Ende ihrer Tage war von vornherein unmöglich gewesen.

Ich weiß, was ich tun muss.

Die Devise heißt kämpfen oder fliehen, und wir haben schon viel zu lange gekämpft.

Ohne es zu wissen, hat Aaron mir einen Ausweg verschafft. Er hat mir den perfekten Grund gegeben, zu gehen.

Ich spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht, um die Hitze zu lindern, die ich um meine Augen herum spüre. Ich habe jede einzelne Träne aus meinem Körper geweint, da ist nichts mehr, was ich geben könnte. Ich fühle nichts mehr. Ich bin leer, frei von jeglichen Emotionen außer dem Ärger über mich selbst, dass ich es wieder zugelassen habe. Das kalte Wasser weckt meine Lebensgeister und spornt mich zu dem an, was ich als nächsten Schritt zum Wiederaufbau meines Lebens betrachte.

Ich zucke zusammen, als ich die Schnittwunde auf meiner Wange reinige. Es ist nur eine oberflächliche Wunde, die ziemlich schnell heilen wird. Vielleicht hinterlässt sie nicht einmal eine sichtbare Narbe.

Nur eine weitere unsichtbare Narbe, unter den vielen, die ich bereits trage.

Leise und langsam öffne ich die Badezimmertür und nehme das Chaos um mich herum wahr. Ich lausche auf Anzeichen dafür, dass Aaron hier sein könnte, aber es herrscht nur Stille und eine bedrückende Atmosphäre um mich herum. Ich schaue aus dem Schlafzimmerfenster und stelle fest, dass Aarons Auto weg ist. Mich überkommt Erleichterung. Ich weiß, ich habe wahrscheinlich nicht viel Zeit, um mich aus dem Staub zu machen, aber das ist allemal besser, als ihm gegenüberzutreten. Ich ziehe mir schnell etwas an, hole den großen Koffer aus dem obersten Fach des Kleiderschranks und packe so viele wichtige Dinge hinein, wie ich kann: ein paar Kleidungsstücke, ein paar Toilettenartikel und meine Skizzenblöcke. Mein Leben, zusammengepfercht in einem Koffer und in fünf Minuten gepackt.

Ich rolle den Koffer zur Schlafzimmertür und zwinge mich, stark zu bleiben, zwinge meine Füße, weiterzugehen. Ich laufe immer schneller, bis ich die gewundene Treppe hinunterrenne, wobei der Koffer, den ich hinter mir herziehe, auf jeder Stufe dumpf aufschlägt.

In der Eingangshalle nehme ich meine Handtasche. Ich weiß nicht, wie weit ich mit den Kreditkarten komme, bevor Aaron sie sperren lässt, um mir den Geldhahn zuzudrehen. Oder er lässt sie zurückverfolgen, um mich zu finden. Aber ich habe ein separates Konto, von dem Aaron nichts weiß. Ich glaube, tief in meinem Inneren wusste ich, dass es nicht funktionieren würde, also habe ich mir ein Hintertürchen offengehalten und ein wenig Geld auf die hohe Kante gelegt.

Ich nehme meinen Ehe- und den Verlobungsring ab und lege sie auf den Beistelltisch neben der Eingangstür, damit er sie sieht, wenn er hereinkommt. Falls ihm bislang noch nicht klar war, dass unsere Scheinehe vorbei ist, wird er es wissen, wenn er die Ringe dort findet. Ich schnappe mir die Schlüssel, reiße die Eingangstür auf, packe den Koffer und fliehe. Ich drücke den Knopf der Fernbedienung, mein Porsche Carrera piept und die Lichter blinken, um anzuzeigen, dass er entriegelt ist. Ich schiebe den Koffer auf den Rücksitz und springe hinters Steuer.

Der Wagen schießt aus der Einfahrt und wirbelt eine Wolke aus Staub und Schmutz auf, während ich im Rückspiegel auf das Haus blicke, das ich hinter mir lasse.

Es ist wunderschön, aber es war nie mein Zuhause.