Leseprobe Wish You Weren't Here | Eine Fake Dating RomCom zum Verlieben

Kapitel 1

14. Februar 2023

Ich bin nicht herrisch, ich bin die Herrscherin!

Schmunzelnd mustere ich die pinkfarbene Kaffeetasse in meiner Hand und den schmuckvollen Aufdruck, der stolz darauf prangt. Ich stelle sie zurück auf den Schreibtisch, räkele mich genüsslich in dem ergonomischen Stuhl und strecke mich, bevor ich wieder eine bequeme Position einnehme. Einen meiner High Heels streife ich kurzerhand ab und lege meinen Fuß auf den Tisch – perfekt.

Ich bemerke ein Post-it, das irgendwie an meinem Ellbogen klebengeblieben ist und reiße ihn ab wie ein Pflaster.

Nette Mädchen bekommen kein Chefbüro.

Na, wenn das nicht die Wahrheit ist. Ich weiß nicht, wie viele schicke Eckbüros für Führungspersonen es hier gibt (Also, ich stelle mal die wilde Vermutung auf, dass es höchstwahrscheinlich so vier pro Stockwerk sind), aber ich würde wetten, dass in den meisten davon Männer arbeiten.

Die Sonne strahlt durch die großen, bodentiefen Fenster – wobei ,strahlen‘ übertrieben wäre, wir haben schließlich erst Februar. Eines der Dinge, die ich sehr an Leeds Dock mag, ist, dass es immer malerisch wirkt, ganz gleich in welcher Jahreszeit. Selbst wenn das Wetter mal nicht mitspielt, gibt es immer etwas, das dich mit seiner Schönheit in seinen Bann zieht.

Rund um den Kanal und die Boote, die dort anlegen, kann man eine Menge entdecken. Und ich liebe es sehr, den niedlichen kleinen Wassertaxis bei ihrer An- und Abfahrt zuzusehen. Es gibt kaum einen besseren Ort, um die vorbeikommenden Menschen zu beobachten. Unter den Umständen, dass wir vom Büro aus einen guten Blick auf das Royal Armouries Museum haben, ist auch der Anblick eines Ritters oder das Dröhnen von Kanonenschüssen nichts Ungewöhnliches. Langweilige Momente gibt es hier nicht. Okay, abgesehen von all den sehr, sehr langweiligen Momenten natürlich.

Ich seufze zufrieden, rolle meine Schultern zurück und spüre, wie die Verspannung langsam nachlässt. So ist das Leben.

Ein Klopfen an der Tür reißt mich aus meinen Gedanken und ich schwinge hastig den Fuß vom Schreibtisch. Mein Herz rast, als ich aufblicke.

Durch ein kleines Fenster in der Tür kann ich einen Mann erkennen. Wow. Er ist heiß – auf diese als-hätte-Josh-Hartnett-einen-jüngeren-Bruder-Art heiß. Groß, mit scheinbar achtlos zerzausten dunklen Haaren, haselnussbraunen Augen und Wangenknochen, an denen man sich schneiden könnte.

Durch die Glasscheibe treffen sich unsere Blicke für einen Moment und als sein Lächeln breiter wird, halte ich unweigerlich die Luft an. Das sieht man nicht jeden Tag.

Ich schüttele mich innerlich und setze eine professionelle Miene auf.

„Herein“, rufe ich kühl und winke ihn mit einer Handbewegung zu mir. Seine Anwesenheit füllt sofort den gesamten Raum; anders kann ich es nicht beschreiben. Und wow, er ist wirklich verdammt groß. Natürlich sitze ich, aber ehrlich gesagt gewinne ich stehend nicht wirklich viel Höhe dazu. Wenn er um die 1,90 Meter groß ist, dann ist er locker dreißig Zentimeter größer als ich. Allein der Gedanke daran gefällt mir sehr.

„Hallo“, sagt er. „Jennifer Carter?“

Seine Augen wandern kurz über das Namensschild an der Tür, bevor mich sein Blick wieder trifft.

„Ich bin eine sehr beschäftigte Frau. Was kann ich für Sie tun?“ Ich komme direkt zum Punkt und versuche, so autoritär wie möglich zu klingen. Oh Gott, was mache ich hier?

„Ich bin hier, um den Computer zu reparieren“, antwortet er und lässt sein Lächeln erneut aufblitzen.

„Oh, endlich!“ Ich lehne mich mit einem gespielt-verärgerten Seufzen in den Stuhl zurück. „Ich habe bloß so extrem viel zu tun.“

„Schauen wir mal, ob wir dem Problem schnell auf den Grund kommen“, schmunzelt er und tritt näher.

Für einen Moment blickt er über meine Schulter auf den Bildschirm, bevor er seine Hände links und rechts von mir auf dem Tisch platziert. Als er sich vorbeugt, sein Gesicht nur Zentimeter von meinem entfernt ist und seine Brust meine Schulter sanft berührt, kann ich nur noch daran denken, wie gut er riecht. Ob unser Körperkontakt schon ausreicht und er meinen Herzschlag spüren kann? Denn jetzt gerade fühlt es sich an, als wolle dieses verräterische Organ jeden Moment aus meiner Brust springen, genau wie bei einer Zeichentrickfigur.

„Was würden Sie sagen, woran hakt’s?“, fragt er, seine Stimme tief und seidig weich.

Was würde ich sagen?

„Oh, wie das immer ist mit Computern“, beginne ich, während ich vage mit der Hand gestikuliere und energisch Luft ausstoße. „Damit ist doch immer irgendwas.“

Wow, das war echt … furchtbar.

„Na, dann schauen wir mal“, murmelt er, wobei er die Maus bereits über den Bildschirm jagt und sich durch die Einstellungen klickt. „Interessant, dass Sie Ihren eigenen Computer nicht reparieren können“, überlegt er laut und wirft mir aus den Augenwinkeln einen Blick zu. „Ich hätte gedacht, für eine Firma verantwortlich zu sein, die selbst Apps programmiert …“

„Warum etwas selbst machen, wenn man jemanden hat, der dafür bezahlt wird?“, erwidere ich bemüht lässig, klinge dabei aber eher wie ein Arschloch. „Wenn jeder seinen eigenen Computer reparieren könnte, hätten Sie ziemlich schnell nichts mehr zu tun.“

„Auch wieder wahr.“ Er wirkt amüsiert. „Wissen Sie, ich glaube, der hier muss lediglich einmal aus- und wieder eingeschaltet werden“, stelle er schließlich fest und reißt mich aus meinen Gedanken.

„Im Ernst?“, rutscht es mir heraus.

„Würden Sie mir die Ehre erweisen und den Stecker einmal rausziehen und wieder einstecken?“ Er tritt zur Seite, gerade weit genug, dass ich an ihm vorbeikomme.

Ich seufze ein „Okay“, stehe auf und lehne mich über den Tisch, um die Steckdose dahinter zu erreichen. Gerade, als ich den Stecker ziehen will, spürte ich einen kurzen Ruck an meinem Hintern.

„Wie können Sie es wagen“, fauche ich und wirbele zu ihm herum, Ärger lodert in meiner Brust auf. „Ich bin die Chefin hier, etwas mehr Respekt bitte!“

Der Mann lacht nur und hält mir ein neongelbes Post-it entgegen. „Das hier klebte an Ihrer Jeans.“

Ich blinzele und meine Empörung verwandelt sich in heiße Scham.

„Sie standen ganz kurz vor einem Albtraum mit der Personalabteilung“, brumme ich und greife nach dem Post-it. Er überfliegt den Zettel, bevor er ihn mir zurückgibt und ich sehe, wie er erfolglos ein Lächeln unterdrückt. Mein Innerstes zieht sich zusammen, als ich die Worte darauf erkenne:

Du bist es wert, geliebt zu werden.

 

„Ein Valentins-Gruß an Sie selbst?“, fragt er, immer noch mit diesem verdammt perfekten Schmunzeln im Gesicht.

„Oh, na ja, Sie wissen schon … es ist nicht leicht, eine wichtige Frau mit einem wichtigen Job zu sein“, erwidere ich in dem Versuch, mir nichts anmerken zu lassen. „So viele Männer, so wenig Freizeit.“

„Einen Mr Carter gibt es also nicht?“ Sein Tonfall klingt nach einer Mischung aus Neugier und Verwunderung.

„Mr … Oh, nein, nein, den gibt es nicht.“

„Also keine Pläne für den Valentinstag?“

„Nein, keine Pläne.“ Ich versuche, meine Stimme ruhig zu halten.

„Hätten Sie denn gern welche?“ Bei seiner Frage wird sein Lächeln breiter und verwandelt sich in ein Grinsen. Seine Grübchen sind göttlich, so göttlich, dass sie dich denken lassen: Weißt du was, scheiß drauf; wenn du möchtest, kannst du gern mein Leben ruinieren.

„Sie sind übrigens ziemlich gut im Anmachen“, stellt er fest.

„Was?“, platzt es aus mir heraus und ich merke, wie ich erröte.

Er ist also nicht nur IT-Experte, sondern kann auch noch Gedanken lesen?

„Ihr Computer“, ergänzt er taktvoll. „Sie haben ihn wieder eingeschaltet und es sieht so aus, als ob alles funktioniert.“

Nie im Leben ist diese Formulierung ein Versehen gewesen.

„Oh, alles klar“, sage ich laut. Bemüht, meine Fassung zurückzugewinnen. Hat er mich eben nach einem Date gefragt? War das nur ein Scherz? Ich habe keine Ahnung, aber ich will es definitiv, definitiv herausfinden.

„Also, Valentinstag“, nimmt er den Faden tatsächlich wieder auf und beugt sich ein bisschen vor. „Jeder CEO sollte ein Date für den Valentinstag haben.“

„COO“, korrigiere ich automatisch. „Ähm … klar, ja.“

Er öffnet den Mund, um zu antworten, aber in diesem Moment werden wir unterbrochen, weil die Tür mit zu viel Schwung aufgestoßen wird, an die Wand dahinter schlägt und …

„Ich bin da, ich bin da“, ruft Jennifer Carter atemlos und lässt ihre Handtasche auf den Boden fallen.

Die echte Jennifer Carter.

Mein Herz rutscht mir in die Hose, während sie direkt zu ihrem Tisch marschiert und sich mit einem Seufzen in den Stuhl fallen lässt. Dann schenkt sie ihre Aufmerksamkeit dem Mann neben mir und ein Lächeln breitet sich auf ihren Lippen aus.

„Oh, Sie sind schon da“, sagt sie und ganz ohne Zweifel hat sich dabei ihre Stimme verändert, kaum dass sie bemerkt hat, wie attraktiv er ist. „Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“

„Natürlich“, antwortet er und wirft mir einen verschmitzten Blick zu.

„Pemberton, würdest du uns zwei Kaffee bringen?“, bellt Jennifer mir zu, ihr Tonfall plötzlich wieder scharf.

Mist. Ich sollte eigentlich nicht in ihrem Büro sein und schon gar nicht so tun, als wäre ich sie, um die Zeit totzuschlagen. Wenn dieser Typ jetzt auch nur ein Wort darüber verliert, bin ich so gut wie tot.

„Pemberton“, wiederholt Jennifer laut und deutlich, in der Hoffnung auf eine Reaktion. „Ernsthaft, gutes Personal ist so selten geworden“, murmelt sie und wendet sich wieder an ihren Besucher. „Meine Assistentin ist schon wieder im Urlaub … sie ist eigentlich nie da, verdammt nochmal.“

„Jahresurlaub?“, fragt der Mann, klar erkennbar unsicher, was er sonst darauf erwidern soll.

„Wohl eher in verdammter Elternzeit, wie jedes Jahr“, schnaubt Jennifer und verdreht die Augen. „Ehrlich gesagt, dieses Mädchen ist wie eine Strafe. Sie ist eine verdammt gute Assistentin. Wenn sie denn mal da ist. Aber feuern kannst du sie nicht, nur weil sie wieder und wieder schwanger wird, oder?“

„Vermutlich nicht“, murmelt er und sieht dabei so unbehaglich aus, wie ich mich fühle.

„Es geht nicht, ich habe es schon geprüft“, fährt Jennifer fort, offenbar ohne Gefühl für die unangenehme Stimmung im Raum. „Also habe ich mir Pemberton aus der unteren Etage geholt – eigentlich mit der Ansage, draußen vor meinem Büro zu sitzen und Anrufe entgegenzunehmen …“

„Ich habe bloß, ähm …“, beginne ich, aber der Mann fällt mir ins Wort.

„Sie hat mich freundlicherweise hereingelassen“, übernimmt er elegant und wirft mir damit einen Rettungsring in die Wellen der stürmischen See.

„Oh. Na ja, wenn das so ist …“, murmelt Jennifer ungnädig. „Also los jetzt, Pemberton, zwei Kaffee. Ich nehme meinen schwarz; ich verzichte aktuell auf Milch.“

„Für mich nur Milch“, sagt der Mann und begegnet meinem Blick. „Ich bin süß genug.“

Mein Herz klopft heftig, als ich aus dem Raum husche und auf die schmale Küchenzeile nebenan zusteuere.

Während ich den Kaffee koche, kaue ich auf meiner Unterlippe. Er kann mich noch nicht verraten haben, denn wenn es so wäre, dann wäre Jennifer längst hier. Und ihr würde mehr Rauch aus den Ohren dampfen als einem kochenden Teekessel. Aber wenn er es bis jetzt noch nicht getan hat, vielleicht hat er es auch gar nicht vor? Ich meine, er hat gerade für mich gelogen, das war immerhin etwas.

Ich kehre mit zwei Kaffee zurück und versuche, trotz meiner zitternden Hände nichts zu verschütten.

„Stell sie einfach hin, Pemberton“, brummt Jennifer ohne aufzusehen. „Und ich brauche dich noch ein bisschen hier oben, bis die Aushilfe da ist. Halte alle Anrufe, die reinkommen, zurück.“

„Okay, klar.“ Ich stelle die Tassen ab, vor meinem Rückzug an den Schreibtisch außerhalb des Büros, an den ich eigentlich gehöre.

Unruhig rutsche ich auf meinem Stuhl hin und her, drehe mich von links nach rechts und versuche, ihr Gespräch zu belauschen, kann jedoch durch die Wand nichts verstehen. Nach einer gefühlten Ewigkeit verlässt der Mann Jennifers Büro endlich. Er schließt die Tür leise hinter sich und schlendert dann mit einem Grinsen auf dem Gesicht an meinem Platz vorbei.

„Pemberton?“, fragt er und deutet auf mich.

„Das ist mein Nachname“, stelle ich schnell klar und meine Nervosität steigt. „Ich bin Lana.“

„Ethan“, entgegnet er und hält mir seine Hand hin. Ich ergreife sie und will ihn am liebsten nie wieder loslassen. „Du bist kein IT-Techniker, oder, Ethan?“, rate ich und runzele die Stirn.

„Und du bist weder Jennifer Carter noch COO“, erwidert er, wobei mein Herz sich zusammenzieht. „Ich würde dich am Valentinstag trotzdem gern einladen.“

Meine Güte. Hat er mich eben …

„Ähm, ja, okay …“ stammele ich und versuche, nicht zu eifrig zu klingen.

„Hier ist meine Nummer.“ Er schnappt sich einen Stift von meinem Tisch und kritzelt Zahlen auf die Rückseite von einem weiteren motivierenden Post-it, das es irgendwie aus Jennifers Büro hierher geschafft hat. Auf diesem steht:

Deine Intention weiß, was sie will.

 

„Schreib mir eine Nachricht, damit ich deine Nummer auch habe, dann verabreden wir uns“, sagt er mit einem Lächeln.

„Okay“, antworte ich. Mein Herz klopft mir bis zum Hals. Irgendwie wird es immer schneller. Ich dachte wirklich, es hätte seine Höchstgeschwindigkeit erreicht, als Jennifer herein kam und mich fast dabei erwischt hat, wie ich vorgab, sie zu sein.

„Dann sehen wir uns später“, verabschiedet er sich und lächelt, während er sich umdreht und geht.

„Ja, dann bis später!“, wiederhole ich.

Und schon ist er verschwunden. Genauso schnell, wie er gekommen ist.

Als die Tür hinter ihm ins Schloss fällt, kann ich nicht anders, als unter dem Tisch vor Freude mit den Beinen zu strampeln. Ich habe fest damit gerechnet, den Valentinstag alleine zu verbringen – nicht, dass mich das groß gekümmert hätte, dieser Tag war sowieso überflüssig – aber vielleicht ist er dieses Mal nicht ganz so scheiße wie sonst, in all den Jahren zuvor.

Kapitel 2

Mir geht’s nicht gut. Mir ist total heiß, mein Herz schlägt viel zu schnell, mein Atem ist unregelmäßig und ich habe dieses überwältigende Gefühl von … o Gott. Ich bin nervös. Ich bin nicht krank, ich bin verdammt nochmal nervös. Wegen eines Mannes. Was passiert mit mir? Ich werde normalerweise vor einem Date nie nervös, aber trotzdem stehe ich in der Damentoilette und überprüfe mein Outfit, meine Haare und mein Make-up. Als ob er mich heute nicht schon bei der Arbeit gesehen hätte. Das gedämpfte Licht hier ist um einiges schmeichelhafter als die Neonröhren im Büro und ich habe ein paar Stunden daran gearbeitet, so gut wie möglich auszusehen. Trotzdem überprüfe ich noch einmal jedes Detail.

Meine blonden Haare fallen in sanften Wellen so um mein Gesicht, dass sie meine Nervosität fast verbergen können. Oder zumindest bilde ich mir das ein, denn irgendwie kann ich mich dahinter ein bisschen verstecken. Ich schiebe eine Strähne in die richtige Position, um sicherzugehen, dass alles perfekt sitzt.

Ich trage ein schwarzes schulterfreies Minikleid, das meine Kurven hoffentlich an den richtigen Stellen betont. Die Idee eines Kleinen Schwarzen ist zwar ein Klischee, aber das heißt nicht, dass es eine schlechte Idee ist. Es ist die Art von Kleid, die elegant und mühelos, aber nicht verzweifelt wirkt - und dabei so cool und selbstbewusst aussieht, überzeugend wie kein anderes Kleidungsstück. Man könnte es zu jedem Anlass tragen (sogar zu einer Beerdigung – obwohl ich in dem Fall eher eines wählen würde, das beide Schultern und bestenfalls auch meine Knie bedeckt, aber ihr versteht meinen Punkt), und es ist fast unmöglich, die Preisklasse zu erkennen. War das Kleid von Prada und der Preis vierstellig oder zweistellig und von Zara? Wisst ihr, wer diese Frage nicht beantworten kann? Die Art von Männern, die mit mir ausgehen (nur zur Info: es handelt sich um Letzteres).

Meine roten Absätze geben mir ein paar Zentimeter mehr und das Gefühl, etwas erhabener zu sein, auch wenn es nicht die bequemsten Schuhe der Welt sind. Mein leuchtend roter Lippenstift hat das gleiche Ziel.

Schließlich streiche ich den Stoff meines Kleides ein letztes Mal glatt und atme tief durch. Warum bin ich so aufgeregt? Es ist ja nicht so, als hätte ich noch nie ein Date gehabt – tatsächlich habe ich schon öfter gedated, als mir lieb ist –, aber irgendetwas an Ethan macht mich nervös.

Ich habe ihm vorhin meine Nummer geschickt und er hat fast sofort geantwortet. Sowas passiert sonst nie. Männer lassen einen doch normalerweise warten, oder? Oder vielleicht sind es auch nur die, mit denen ich mich bisher getroffen habe. Aber nicht Ethan. Er hat vorgeschlagen, dass wir uns im Thin Aire treffen. Einer Bar auf einer Dachterrasse im Stadtzentrum (die mir übrigens ebenfalls nicht unbekannt ist). Also bin ich hier, bis in die Haarspitzen angespannt und gespannt darauf, ob mir unser Wiedersehen nochmal dieses komische Gefühl in der Magengrube bescheren wird.

Ich verlasse die Toilette und bahne mir einen Weg durch die Menge. Es ist Valentinstag, also ist der Laden voll mit Paaren oder Gruppen alleinstehender Frauen, die Cocktails schlürfen. Und mit Männern, die mit ihren Kollegen unterwegs sind. Niemand möchte den Valentinstag allein verbringen, natürlich nicht.

Es herrscht eine gute Stimmung. Falls jemand hier verzweifelt ist, lässt er oder sie sich das nicht anmerken. Alle haben eine gute Zeit, lachen, tanzen und trinken. Na ja, zumindest diejenigen, die überhaupt bis an die überfüllte Bar vordringen können.

Und dann sehe ich ihn. Ethan. Er steht am Eingang, pünktlich auf die Minute. Nicht zu spät, nicht mal ein bisschen, einfach … da. Und verdammt, er sieht noch besser aus als vorhin.

Er trägt einen eleganten dunklen Blazer über einem taillierten weißen Hemd. Die oberen Knöpfe sind so lässig geöffnet, dass man am liebsten den Rest von ihnen aufreißen würde – und zwar mit den Zähnen. Seine Hose ist schmal geschnitten und elegant. Passt perfekt zu seinem Blazer. Das gedämpfte Licht in der Bar fängt seine dunklen Augen ein und lässt sie noch intensiver strahlen. Halleluja, ob er mich wohl heiraten wird?

„Hallo“, sagt er, während sich ein warmes Lächeln auf seinem Gesicht ausbreitet. Er tritt auf mich zu und begrüßt mich mit einem Kuss auf die Wange, seine Lippen streifen dabei gerade so leicht über meine Haut, dass mir ein Schauer über den Rücken läuft. „Schön, dich wiederzusehen, Jennifer.“

„Haha“, schnaube ich kopfschüttelnd. „Ich freue mich auch, IT-Support-Typ. Also, was bist du …“

Bevor ich meinen Satz beenden kann, unterbricht uns die junge blonde Hostess, die in der Nähe steht.

„Leider gibt es nur noch Stehplätze“, teilt sie uns entschuldigend mit.

„Schon okay“, antwortet Ethan gelassen. Er wendet sich mir mit einem verschmitzten Blick zu. „Schaffen wir es bis zur Bar?“

„Versuchen wir’s!“ Ich bin entschlossen, sein entspanntes Selbstvertrauen und seinen Optimismus zu erwidern.

Wir schlängeln uns durch den überfüllten Raum. Die Luft ist aufgeheizt, wahrscheinlich von den vielen Leuten. Und dabei so stickig, dass ich am liebsten so tun würde, als würde ich rauchen, nur um (ironischerweise) etwas frische Luft schnappen zu können. Es ist nicht gerade romantisch, aber ich bin mir sicher, dass die wirklich verliebten Paare irgendwo hingegangen sind, wo es intimer zugehen kann. Obwohl es sich hier drinnen auch ziemlich intim anfühlt, wenn man bedenkt, wie nah sich manche Leute an mich pressen, während sie sich vorbeidrängen.

Als wir die Bar erreichen, fallen mir nur vereinzelt Pärchen in der Menge auf. Hauptsächlich sind es Gruppen von Freunden, vermutlich Singles, die keine Verabredungen haben und sich weigern, allein zu Hause zu bleiben. Und das, obwohl wir Montag haben.

„Also, aus welchem Grund bist du eigentlich ins Büro gekommen?“, frage ich, neugierig, wie er überhaupt dort gelandet ist. Es ist laut hier, also werde auch ich mit jedem Wort lauter.

„Ich war wegen eines Jobangebots da“, antwortet er und beugt sich ein wenig vor, damit ich ihn besser hören kann.

„Wow, wenn Jennifer diejenige ist, die dich dafür interviewt, haben wir anscheinend wirklich Personalmangel,!“ Meine Worte sind nur halb als Scherz gemeint „Wie ist es gelaufen?“

Er zuckt mit den Achseln, aber in seinen Augen liegt etwas Hoffnungsvolles.

„Ich bin mir nicht sicher. Schauen wir mal.“

„Oh, du bist nicht einer dieser Optimisten, oder?“, stichele ich. Ich muss über seine Einstellung lächeln. „Dabei müsstest du das sein, wenn du glaubst, in letzter Minute noch ein gutes Valentinstags-Date aus dem Hut zu zaubern. Ist nicht alles, was gut ist, ausgebucht, und alles andere überfüllt?“

„Da liegst du falsch“, antwortet er. Oh, ich sehe den Schalk in seinem Gesicht. „Hast du jemals den Film Der Ja-Sager gesehen?“

„Nein“, gebe ich zu, muss aber über seine Ironie lachen.

„Schade, denn das ist genau das, was wir heute Abend machen“, erklärt er. „Auf alles, was uns jemand fragt oder anbietet – egal was – wir sagen: Ja.“

Ich runzele die Stirn und versuche zu verstehen, worauf er hinaus will.

„Ist das eine Falle, um mich ins Bett zu kriegen?“, will ich wissen. „Du fragst und ich muss ,Ja‘ sagen?“

Er lacht und schüttelt den Kopf.

„Keine Sorge. Okay, sagen wir, das ist die einzige Frage, bei der wir ‚Nein‘ zueinander sagen können“, stellt er klar. „Und das gilt für uns beide. Glaubst du, ich hätte nicht gesehen, wie du mich vorhin mit den Augen ausgezogen hast?“

Ich muss ebenfalls lachen.

„Okay, na dann, los.“

Als wir endlich vor der Bar ankommen, trommelt Ethan begeistert mit den Händen auf die Theke.

„Was können Sie empfehlen?“, fragt er. „Egal was es ist, wir wollen zwei davon.“

Der Barkeeper reibt sich das Kinn.

„Ihr zwei seht aus, als könntet ihr was vertragen“, bemerkt er. „Korrekt?“

„Ja“, antwortet Ethan, ohne zu zögern.

Ich kann trinken, also passt das.

„Wie wär’s mit zwei Zombies?“, fragt der Barkeeper. „Die Stärksten in der Stadt gibt’s hier.“

„Ja“, sagt Ethan. „Wir nehmen zwei.“

„Was, zwei für jeden?“, hakt der Mann nach.

Ich glaube nicht, dass Ethan das gemeint hat, aber er sieht mich mit einem Lächeln an.

„Ja“, antworte ich mit etwas unsicherer Stimme.

„Ja“, wiederholt Ethan.

„Ja!“, sage ich noch einmal, dieses Mal lachend.

Der Barkeeper zieht eine Augenbraue hoch, stellt aber keine weiteren Fragen. Er macht sich daran, unsere Drinks zu mischen und ich kann nicht anders, als Ethan aus den Augenwinkeln zu beobachten. Irgendetwas an ihm – sein Selbstbewusstsein, sein Auftreten – unterscheidet ihn von den anderen Typen, mit denen ich bisher Dates hatte. Es ist, als wüsste er genau, wer er ist und was er will. Und er hat keine Angst, sich das zu holen.

„Okay, wir müssen irgendwo sitzen, wenn wir zwei davon trinken wollen“, erklärt Ethan und lässt seinen Blick durch den überfüllten Raum schweifen.

Wie aufs Stichwort hört uns ein Mann in der Nähe und beugt sich vor.

„Wir wollen nur kurz eine rauchen“, sagt er und nickt in Richtung seiner Gruppe. „Ihr könnt unseren Tisch haben, solange wir weg sind. Besetzt ihr ihn für uns?“

„Ja“, antwortet Ethan, ohne zu zögern, und schon haben wir einen Tisch.

Wir machen es uns gemütlich, unsere Zombie-Cocktails in der Hand (na ja, eigentlich in beiden Händen), ich nehme einen Schluck. Der Drink ist nicht ohne, aber überraschend gut. Der Alkohol trifft mich sofort, wärmt mich von innen heraus und macht mich ein wenig schwindelig. Ja, okay, wow, die sind stark.

„O Mann“, ächzt Ethan. „Damit könnte man die ganze Bar desinfizieren.“

„Woher kommst du?“, frage ich. Da war der Hauch eines Akzents in seiner Stimme, der nicht von hier stammt.

„London“, antwortet er. „Aber ich bin beruflich hier. Ich wohne eigentlich aktuell bei meinen Eltern und die sind auf ihrer Mission: Mich dabei zu unterstützen, mein Leben endlich in den Griff zu bekommen. Also ist das hier mehr wie Urlaub.“

Ich spüre einen Anflug von Mitleid.

„Das kann ich richtig gut verstehen“, sage ich. „Meine Eltern, also mein Vater und meine Stiefmutter, sind genauso. Sie drängen mich ständig dazu, mir einen richtigen Job zu suchen – was auch immer das heißen soll –, irgendwo sesshaft werden, heiraten, Kinder bekommen … Und ich bin erst seit ein paar Wochen achtundzwanzig.“

„Ich bin gerade dreißig geworden“, schnaubt er und reißt dramatisch die Augen auf. „Für meine Eltern sind die besten Jahre meines Lebens damit vorbei.“

„Und wie alt sind die beiden?“, frage ich und treffe damit offenbar den Nagel auf den Kopf.

„Tausend Jahre“, antwortet er theatralisch.

Ich lache, erleichtert, jemanden gefunden zu haben, der mich versteht.

„Meine Eltern denken, dass ich aus der Reihe falle, weil ich mich noch nicht festlegen will“, erzähle ich ihm. „Und natürlich habe ich eine verdammt perfekte kleine Schwester, die alles macht, wie sie es sich vorstellen. Aber ich lasse es mir einfach gut gehen und, ehrlich gesagt, bin ich mit meinem aktuellen Job zufrieden. Na ja, theoretisch. Ich arbeite nicht gern für Jennifer. Eine Elternzeit wäre eventuell doch verlockend, nur um ihr zu entkommen.“

Ethan lacht und schüttelt den Kopf.

„Es ist okay, aus der Reihe zu fallen, und es ist okay, sich jetzt noch nicht festlegen zu wollen … Oder nie“, beruhigt er mich.

„Ja, wenn sie bloß nicht denken würden, dass ich Crack rauche und jede Nacht wilde Orgien feiere“, füge ich hinzu. „Wobei ich das in Wirklichkeit nur jede zweite Nacht mache, ansonsten wäre ich schnell am Ende meiner Kräfte.“

Ethan lacht über meinen Sarkasmus, was die Schmetterlinge in meinem Bauch wieder weckt. Doch bevor ich meinen Stand-up-Auftritt fortsetzen kann, bemerke ich, dass einer der Männer aus der Rauchergruppe an den Tisch zurückgekehrt ist. Er blickt zwischen uns hin und her und hat offensichtlich eine Frage auf der Zunge.

„Seid ihr beide zusammen?“, will er unverblümt wissen.

Ethan zögert nur eine Sekunde, bevor er antwortet: „Ja.“

Ach, das Spiel. Natürlich. Wie dumm von mir.

Der Mann zieht überrascht die Augenbrauen hoch.

„Du führst also eine offene Beziehung?“, staunt er. „Also, mit den, äh, den Orgien …“

Ethan nickt erneut.

„Ja.“

Der Mann grinst und beugt sich näher zu uns.

„Hättet ihr Lust auf eine dritte Person heute Abend?“, schlägt er vor. „Auf mich, natürlich. So etwas wollte ich schon immer mal ausprobieren.“

O Mann. Ich will sein Angebot gerade höflich ablehnen, als ich Ethans Blick sehe – eine stille Erinnerung an das Spiel. Ich verdrehe die Augen, spiele aber mit.

„Ja?“, sage ich. Meine Stimme schießt am Ende des Wortes höher, als könnten meine Lippen gerade nicht glauben, dass ich sie dazu bringe, das zu sagen.

„Verdammt geil“, grinst der Mann und lallt dabei ein wenig. „Ich hole mir noch einen Drink. Kann ich euch auch noch was bringen?“

„Ja“, antwortet Ethan ohne Umschweife.

„Sind das Zombies?“, fragt der Mann, als er die Gläser vor uns sieht. Er bemerkt nicht einmal, dass sie noch nicht leer sind. „Noch zwei Zombies?“

„Ja“, sage ich und lache über die Absurdität der ganzen Sache.

Unser neuer Freund und potenzieller Dreier-Partner (ich weiß, wir spielen das Ja-Spiel – aber das machen wir auf keinen Fall) begrüßt zwei seiner Freunde an der Bar. Er redet auf sie ein, fuchtelt mit den Armen herum, führt eine Art Scharade auf. Oh, offenbar redet er über Sex. Dann zeigt er auf uns.

Einer seiner Kumpel kommt herüber, einen amüsierten Ausdruck auf dem Gesicht.

„Er ist heiß darauf, mit euch beiden nach Hause zu gehen“, sagt er und blickt zwischen uns hin und her. „Er sagt, du lässt ihn mal deine Hübsche ausprobieren.“

Er sieht Ethan an, der – natürlich – zustimmt.

„Mit ihm?“, fragt der Mann ungläubig. Er denkt offensichtlich, sein Freund würde schwindeln. Was ja auch stimmt, irgendwie. Wenn ich schon riskieren würde, einen weiteren Mann mit ins Spiel zu bringen (Multitasking ist nicht meine Stärke; ich konnte mir noch nie den Kopf tätscheln und gleichzeitig den Bauch reiben), dann müsste es jemand sein, der es wirklich wert ist. Jake Gyllenhaal oder Tom Hardy, zum Beispiel. Oh, diese Vermessenheit. Allein der Gedanke daran, mit den beiden ins Bett zu springen, kommt mir ziemlich arrogant vor. Schließlich sind sie Filmstars und ich bin … Ich.

„Er bezahlt dich, oder?“, lässt der Mann nicht locker. „Mit Sicherheit.“

Ethan grinst.

„Ja.“

Der Kumpel lacht und schüttelt ungläubig den Kopf.

„Warte, seid ihr zwei … Seid ihr zwei … Ihr verlangt Geld für Sex und so?“

Ich unterdrücke ein Lachen und nicke.

„Ja.“

Der Mann reißt die Augen auf und geht wieder, nun, da alle seine Fragen klar beantwortet sind.

„Kann dieses Spiel auch mit Tränen enden?“, frage ich und drehe mich zu Ethan um.

Er zuckt nur mit den Achseln und lächelt.

„Ich weiß nicht. Ich habe es noch nie gespielt“, gibt er zu.

Ich ziehe eine Augenbraue hoch.

„Du hättest ,Ja‘ sagen sollen, halt dich an die Spielregeln“, bemerke ich.

Ethan grinst und beugt sich näher zu mir.

„Ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Abend in Tränen endet.“

Bevor ich antworten kann, erscheint die blonde Hostess mit zwei Türstehern im Schlepptau. Sie sieht uns streng an, die Hände in die Hüften gestemmt.

„Ich muss Sie bitten, zu gehen. Wegen Werbung für unangemessene Angebote.“

„Was? Wirklich?“, fragt Ethan und tut so, als sei er überrascht.

Die Hostess kneift die Augen zusammen.

„Haben Sie solche Angebote gemacht?“, fragt sie.

Ethan sieht mich an, dann wieder sie, und ein Lächeln breitet sich langsam auf seinem Gesicht aus.

„Ja.“

Er dreht sich zu mir um und streckt mir die Hand entgegen.

„Sollen wir die Party verlegen?“, fragt er.

Ich lächle und nehme seine Hand.

„Ja.“

Und zum ersten Mal an diesem Abend meine ich es auch so.