Leseprobe Winterglück im kleinen Katzencafé | Ein weihnachtlicher Liebesroman

1. Das entzauberte Fest – Malva

Der Duft von Vanille und Kakao hängt in der Luft, während ich die letzte Schicht Sahne auf die Torte streiche. Sie ist ein kleines Meisterwerk, wenn ich das so sagen darf. Die rosafarbenen Marzipanblumen sind perfekt drapiert und die Details, die ich in stundenlanger Arbeit geformt habe, bringen mich selbst zum Staunen. „Lizzy, reich mir mal die Schokoraspel rüber!“, rufe ich über die Schulter, ohne meinen Blick von dem guten Stück abzuwenden.

Lizzy Pennyvine, meine Freundin und treue Begleiterin im Whiskers&Warmth, dem Katzencafé, das ich seit drei Jahren in der englischen Stadt York betreibe, kommt mit einem breiten Grinsen und einer Schüssel Schokoraspel auf mich zu. „Diese Torte sieht so gut aus, dass es fast eine Schande ist, sie anzuschneiden. Kein Wunder, dass der Laden boomt“, kichert sie und strahlt mich mit ihren rehbraunen Augen an. Neuerdings trägt sie einen blondierten Pixie, der ihrem herzförmigen Gesicht wunderbar schmeichelt. Sie ist zierlich und wirkt fast zerbrechlich, doch jeder, der sie näher kennt, weiß, dass sie es faustdick hinter den Ohren hat.

Ich lache. „Nun, aber das ist der Sinn einer Geburtstagstorte, oder? Sie soll fantastisch aussehen und noch besser schmecken.“ Ich streue die Raspel über die Torte, als die Türglocke klingelt. Ein Kunde. Die Augen der Katzen richten sich synchron zur Tür. Mit gespitzten Ohren und neugierigen Blicken heben sie ihre Köpfe, nur um dann friedlich weiterzuschlummern. Lizzy eilt zur Theke, und ich höre sie freundlich grüßen. Es ist bisher ein herrlich ruhiger Nachmittag gewesen, und ich genieße die Zeit, mich auf die vorab bestellten Torten zu konzentrieren, ohne den üblichen Trubel im Katzencafé.

Das Whiskers&Warmth ist mein ganzer Stolz. Die Wände sind in einem warmen Cremeton gestrichen und mit nostalgischen Blechschildern dekoriert. Über den Tischen hängen Pendelleuchten, die ein gemütliches Licht spenden. Die Vitrine in der Mitte des Raumes ist stets gefüllt mit einer Auswahl an Torten, Kuchen und allerlei Gebäck – ein Paradies für Naschkatzen. Und die Samtpfoten? Im Whiskers&Warmth leben sie königlich, verwöhnt mit weichen Körbchen, Kratzbäumen und unzähligen Versteckmöglichkeiten, während die Gäste sie mit Streicheleinheiten und Leckerchen umsorgen. Die Tiere haben schwere Schicksale hinter sich – einige von ihnen waren einst Straßenkatzen oder entkamen nur knapp einer Tötungsstation. Hier im Café haben sie endlich ein sicheres Zuhause gefunden und ich liebe sie alle gleichermaßen: Tipsy, Fluffy, Mr. Snugglesby, Minerva, Hazel, Artemis, Belladonna …

„Malva, kannst du mal kurz kommen?“, ruft Lizzy nach einigen Sekunden.

Ich wische mir die Hände an meiner Schürze ab und gehe zur Theke. Dort steht ein gut aussehender Mann in einem eleganten Anzug. Er lächelt breit, und ich bemerke seine grünen Augen, die neugierig aufblitzen, als er mich sieht. Auf den ersten Blick ist er kein typischer Katzencafékunde. „Hallo, wie kann ich Ihnen helfen?“, frage ich höflich.

„Hi, ich bin Caleb“, stellt er sich vor und reicht mir etwas steif die Hand. „Ich habe gehört, dass Sie die besten Torten in ganz York machen. Ich dachte, ich überzeuge mich selbst davon und gebe eine Bestellung auf.“

„Oh, wie aufmerksam“, sage ich und spüre, wie sich meine Wangen leicht röten. „Und was genau kann ich für Sie tun, Caleb?“

„Hmm, ich bräuchte eine Torte für eine vorweihnachtliche Veranstaltung … in etwa drei Monaten. Etwas, das die Gäste so richtig beeindruckt. Sie wissen schon …“

„Verstehe. Haben Sie bestimmte Vorlieben?“

„Ähm … das hier ist ein sogenanntes Katzencafé, oder? Also bitte keine Katzen aus der Torte springen lassen …“

„Bestimmt nicht“, sage ich lächelnd und greife nach einem Bestellformular. „Also, was haben Sie sich denn ungefähr vorgestellt? Geschmack, Farbe, Form?“

Während Caleb seine Wünsche beschreibt, mache ich mir Notizen. Nicht zu süß, aber pompös soll die Torte aussehen und bestenfalls eine Mischung aus Schoko- und Erdbeercreme. Das dürfte nicht allzu schwer sein. Caleb wirkt zwar charmant, aber etwas an seinem Auftreten lässt mich auf der Hut sein. Vielleicht sind es die altmodischen Manschettenknöpfe oder das selbstgefällige Grinsen, das gelegentlich über sein Gesicht huscht. Er ist arrogant, keine Frage. Und die Katzen, die untypischerweise keinerlei Aufmerksamkeit einfordern, scheinen ihn nicht weiter zu interessieren. Sein maßgeschneiderter Anzug sitzt wie angegossen und lässt keinen Zweifel daran, dass er weiß, wie er auf andere wirkt. Die dunklen Haare sind akkurat gestylt und jedes Detail an ihm strahlt Selbstbewusstsein und Perfektion aus. Er trägt eine klobige Armbanduhr, die unter seinem Hemdärmel hervorschaut. Ein Snob? Jedenfalls ein erfolgreicher Geschäftsmann.

„Und könnten Sie vielleicht auch einige von diesen kleinen … Marzipanblumen … daraufsetzen? Die sehen echt putzig aus“, fügt er hinzu und deutet auf die Blumen in der Auslage.

Putzig? Ich unterdrücke ein Prusten. „Äh, natürlich, wie Sie meinen“, sage ich und notiere es. „Wobei diese Blumen nicht gerade weihnachtlich sind, nur am Rande erwähnt.“

Er zuckt die Schultern. „Das macht nichts. Ähm, da wäre noch etwas – die Hygiene im Café ist einwandfrei, nehme ich an? Nicht falsch verstehen, nur …“

Ich lasse den Stift sinken. „Wegen der Tiere, meinen Sie?“ Ich versichere ihm, dass die Katzen niemals mit dem Essen in Kontakt kommen.

Nachdem Caleb wieder gegangen ist, gehe ich um die Theke und streichle das rabenschwarze Fell von Artemis, einem Kater aus Athen, der sich auf einem Barhocker niedergelassen hat. Er schnurrt zufrieden. „Dieser Typ war irgendwie … ich weiß auch nicht. Nett, aber … besonders.“

Lizzy lacht. „Er hat definitiv Charme. Aber ich verstehe, was du meinst. Er wirkt übertrieben, oder? Und seine Sorge, dass dein Café unhygienisch sein könnte … tja, kennt sich wohl nicht aus …“

„Ich kann es ihm nicht verübeln. War wohl sein erstes Mal in einem Katzencafé“, antworte ich glucksend. Dann streiche ich durch mein Haar und werfe einen letzten Blick auf Artemis, bevor ich mir die Hände wasche und zurück an die Arbeit gehe. „Solange er pünktlich bezahlt, soll’s mir recht sein. An Geld scheint es ihm jedenfalls nicht zu mangeln. Ich würde aber auch seine Armbanduhr als Zahlungsmittel nehmen. Vielleicht war es sogar eine Rolex!“

Die nächste halbe Stunde verläuft ruhig und ich kann mich auf mein Schaffen konzentrieren. Lizzy unterbricht mich jedoch, als sie aus der Küche kommt und sich geschickt um Minerva, eine mausgraue Katze aus Italien schlängelt, die vor der Tür liegt.

„Hast du eigentlich schon gehört, dass die Norringtons dieses Jahr wieder ihren berühmten Weihnachtsball veranstalten?“, fragt sie beiläufig, während sie einen bewundernden Blick auf meine Torte wirft.

Ich nicke unbeeindruckt. „Ja, das machen sie doch jedes Jahr, wie ich mitbekommen habe. Weiß nicht, was ich davon halten soll. Ist nicht unsere Welt, oder? Ich kenne diese Leute nicht mal.“

„Ach nichts. Ich dachte nur, vielleicht bekommen wir ja auch eine Einladung.“

„Träum weiter, Lizzy. Diese Norringtons laden uns stinknormale Leute bestimmt nicht zu ihren Festivitäten à la Bridgerton ein.“

Wir kichern. Die Wahrheit ist, dass ich nicht im Geringsten Lust hätte, dort Gast zu sein. Denn eines ist sicher – ich hasse Weihnachten! Und mit Glanz und Glamour habe ich auch nichts am Hut. Allein der Gedanke an dieses traditionelle Fest mit all seinem Glitter und Flitter lässt mich rasend werden. Lizzy meint es bestimmt gut, wenn sie sagt, ich solle Weihnachten genießen, aber sie versteht nicht, was in mir vorgeht. Wie tief das geht. Abgesehen davon habe ich eine echte Abneigung gegen Glitzer, Glanz und Gloria. Überall diese übertriebene Festtagsstimmung. Es ist einfach nichts meins – und hat natürlich seine Gründe. Aber woher soll sie es auch wissen? Ich rede ja nie darüber.

Fünf Jahre ist es her. Weihnachten stand vor der Tür, und ich war voller Vorfreude. Mein damaliger Freund Colin und ich hatten Pläne geschmiedet, das Fest zu zweit zu feiern. Es sollte unser erstes gemeinsames Weihnachten werden, magische Tage in Aspen. Doch dann kam alles anders. Wir waren seit zwei Jahren zusammen und hatten gerade unsere erste gemeinsame Wohnung bezogen. Ich hatte mir so viel Mühe gegeben, alles perfekt zu machen. Doch Colin war seit Tagen seltsam distanziert, abwesend und oft schlecht gelaunt. Zwei Tage vor dem Fest kam er sehr spät nach Hause. Mit einem Ausdruck im Gesicht, den ich nie zuvor registriert hatte. Da schrillten bereits sämtliche Alarmglocken.

„Wir müssen reden, Malva“, sagte er schließlich und mein Herz sank, als würde ich ahnen, was mir bevorstand.

Natürlich tat ich das. Ich war eine intuitive Hochleistungsmaschine, was nicht immer von Vorteil ist.

Er setzte sich auf die Couch und vergrub sein Gesicht in den Händen. Fast, als empfände er Reue. Oder er wollte es zumindest so aussehen lassen. „Es tut mir leid, aber die Wahrheit ist … Ich habe jemanden kennengelernt. Das geht schon seit ein paar Wochen so und … Ich kann das hier nicht mehr. Ich ziehe aus. Der Zeitpunkt ist beschissen, das ist mir klar …“

Und so weiter. Seine Worte trafen mich jedenfalls wie ein Faustschlag. Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte.

„Was? Du kannst mich doch nicht einfach so verlassen! Nicht vor Weihnachten?!“

Er konnte. Und er tat es.

Die Tage, die folgten, waren die vielleicht dunkelsten meines Lebens. Die hellen Lichter der Weihnacht, die ich einst so geliebt hatte, schienen mich plötzlich zu verhöhnen. Der Geruch von Plätzchen machte mich krank. Alles, was ich wollte, war, diesen schrecklichen Albtraum irgendwie zu vergessen. Und Weihnachten, das ich von nun an mit Herzschmerz assoziierte!

Meine Familie versuchte mich aufzumuntern, aber ihre Bemühungen prallten an mir ab. Die Festlichkeiten waren für mich gestorben, und nichts konnte das ändern. Monate später zog ich von Boston nach England, um dort meinen Traum vom eigenen Katzencafé zu verwirklichen. Ohne Colin.

Jetzt, mit mehr Abstand, stehe ich sicher im Leben und habe mich mit dem Gedanken abgefunden, dass Weihnachten nie wieder dasselbe für mich sein wird. Herzwunde. Egal, was ich versuche … Es lässt sich kein Bezug mehr herstellen. Innere Blockade. Lizzy weiß von alldem nichts. Natürlich nicht. Sie kennt nur die Malva, die sich in die Arbeit stürzt und versucht, das Beste aus jedem Tag zu machen. Aber irgendwo in mir bleibt der Schmerz und die Erinnerung an das, was ich verloren habe, lebendig. Anyway, the show must go on! Ich lasse mich von der Vergangenheit nicht beherrschen.

Entschlossen schüttle ich die düsteren Gedanken ab und zwinge mich, an die Gegenwart zu denken. Das Whiskers&Warmth ist mein sicherer Hafen: der Ort, an dem ich echt sein darf. Umgeben von wundervollen Stubentigern und der sanften, beruhigenden Atmosphäre des Cafés … Es erinnert mich täglich daran, dass es noch so viel Gutes im Leben gibt. Und das ist alles, was zählt. Als ich gerade eine frische Ladung Croissants aus dem Ofen hole, lässt mich Lizzys Stimme erneut zusammenzucken. Vor Schreck verbrenne ich mir beinahe die Finger.

„Malva, du musst an die Theke!“ Kurz darauf spitzelt sie um die Ecke und fügt hinter vorgehaltener Hand hinzu: „Unser Lieblingskunde ist wieder da.“

„Ach ja? Mr. Thompson?“

Sie nickt eifrig, und ich schmunzle über ihre gespielte Geheimniskrämerei. Ich unterbreche meine Arbeit und gehe zur Theke, wo mein Stammkunde Mr. Thompson, ein Herr Anfang neunzig, gut gelaunt auf mich wartet. Er trägt einen schief sitzenden Weihnachtsmannhut mit Blinklichtern und einen glitzernden Rentier-Pullover – und das jetzt schon, im September. Zu komisch sieht er aus, und ich muss mich zusammenreißen, um nicht laut loszulachen.

„Hallo, Mr. Thompson“, sage ich vergnügt. Er muss ja nicht wissen, dass ich Weihnachten, aber vor allem sein Outfit einfach nur schrecklich finde. „Wie kann ich Ihnen heute helfen?“

„Malva, meine Liebste“, sagt er dramatisch und zieht seine Mütze zurecht, deren Lichter Kreise an die Wand werfen.

Eine der Katzen, die rot-getigerte Lora und die Jüngste der Tiere, hebt interessiert den Kopf. Ihre Augen verfolgen gespannt die Lichter.

„Ich habe eine Mission. Und hierfür brauche ich die süßesten und verrücktesten Leckereien, die du zu bieten hast. Es ist für meine Schafkopf-Gruppe, weißt du? Wir feiern heute eine Art Vorweihnacht.“

Ich beiße mir auf die Lippe. Warum werde ich Ende September andauernd mit Weihnachten konfrontiert? Und wer feiert um diese Zeit eine Vorweihnacht? „Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, Mr. Thompson. Aber wir haben noch September.“

„Ganz recht, meine Liebste. Allerdings sind wir nicht mehr die Jüngsten. Es wäre durchaus möglich, dass einer von uns – oder alle so Gott will – Weihnachten nicht mehr miterleben dürfen. Deshalb …“

Ich nicke langsam. Auch wenn es traurig und schräg zugleich klingt, ergibt seine These irgendwie Sinn. Total! Ich zeige ihm daraufhin mit deutlich mehr Engagement eine Auswahl an Cupcakes und meinen besonderen Verkaufsschlager, die Katzenpfotenplätzchen. „Wie wäre es mit diesen hier?“

„Oh, die sind in der Tat perfekt!“, ruft er aus und klatscht in die Hände. „Aber …“ Er zwinkert mir verschwörerisch zu, als würde er mir ein Staatsgeheimnis anvertrauen. „Hast du vielleicht auch etwas … wie soll ich sagen … etwas Ausgefalleneres? Etwas, das uns Senioren zum Lachen bringt?“

Ich denke einen Moment nach. „Warten Sie, ich habe da vielleicht genau das Richtige.“ Ich gehe wieder in die Küche, bücke mich und hole eine Box hervor, die ich für besondere Gelegenheiten aufbewahre. Darin befinden sich meine luftdichtverpackten Überraschungskekse – Naschis mit lustigen Nachrichten und kleinen Spielzeugüberraschungen im Inneren, wie eine Mischung aus Glückskeksen und Überraschungseiern. Möglicherweise ist es genau das, was dem Senioren-Stammtisch Spaß bereiten könnte.

„Wie wäre es hiermit?“, frage ich noch im Gehen und öffne die Box, damit mein Lieblingskunde einen Blick reinwerfen kann. „Diese einzeln verpackten Kekse haben alle eine kleine Überraschung und eine Lebensweisheit im Inneren. Sie werden Ihre Schafkopf-Gruppe damit bestimmt erheitern.“

„Lebensweisheit? Einwandfrei! Ich nehme acht davon, außerdem noch Cupcakes und diese herrlichen Plätzchen hier sowieso. Das schmeckt nach Weihnachtsvorfreude.“

Neben Mr. Thompson spaziert Artemis, mein schwarzer Kater, würdevoll entlang, als wäre er der eigentliche Chef im Whiskers&Warmth, was ja auch stimmt. Er hebt kurz die Nase und schnuppert in der Luft, bevor er sich mit einem Schnurren wieder davonmacht.

„So ein hübsches Kerlchen. Ich freue mich, demnächst wieder vorbeizukommen und mich ganz den Tierchen zu widmen.“

Ich strahle ihn an und packe die Köstlichkeiten ein, während Mr. Thompson fröhlich weiter plaudert. „Weißt du, Malva, du solltest wirklich mal vorbeikommen und mit uns Schafkopfen. Wir könnten dringend frischen Wind gebrauchen. Die meisten von uns haben die Achtzig schon hinter sich gebracht, der Verein stirbt aus.“

„Ich denke darüber nach“, sage ich kichernd und überreiche ihm die Ware. Kaum ist Mr. Thompson zur Tür hinaus, bricht Lizzy in schallendes Gelächter aus.

„Hast du gesehen, wie begeistert er von dir war? So süß!“

„Ja“, gebe ich sofort zurück. „Das wird sicherlich ein unterhaltsamer Abend für seine Gruppe und ihn.“

Ich genieße einen Augenblick die eintretende Stille und beobachte, wie sich Lora lang macht – die Augen halb geschlossen, als würde sie noch über die schillernden Blinklichter von Mr. Thompsons Mütze sinnieren. Dann gehe ich zurück in die Küche. Als Lizzy dazukommt und sich auffällig räuspert, schaue ich wieder auf und mustere ihren Blick, der mich festhält.

„Apropos unterhaltsam: Dir ist schon bewusst, dass wir so langsam über die weihnachtliche Dekoration dieses Jahr sprechen könnten …“

Ich stöhne und reibe mir mit dem Unterarm die Stirn. „Oh, Lizzy, du weißt doch, wie ich zu Weihnachten stehe. Außerdem kommt erst mal Halloween!“

„Ja, ja, ich weiß. Jedes Jahr die gleiche Leier.“ Sie winkt spöttisch ab, als würde sie über ihre eigene Ungeduld scherzen. „Aber die Kunden lieben es, Malva! Außerdem, denk doch auch mal an die vorbeigehenden Kinder, die sich über all die bunten Lichter in den Fenstern freuen.“

War ja klar. Jetzt spielt sie die Kinderkarte aus.

„Es ist einfach nicht mein Ding“, murmele ich und schiebe Teigreste von der Arbeitsfläche, wissend, dass ich diesem Thema ohnehin nicht auskomme.

„Komm schon, Malva“, drängt sie weiter. „Nur ein paar Lichter, ein bisschen Tannengrün und vielleicht ein kleiner Baum in der Ecke. That’s it.“

Ich seufze und sehe ihr in die Augen. Ihre Begeisterung ist schwer zu ignorieren, und ich weiß, dass sie sowieso recht hat. Lizzy blinzelt schelmisch. Es ist offensichtlich, dass sie sich auf die Deko mehr freut als die Kunden. Und die Katzen? Werden den Baum zum Kratzbaum umfunktionieren!

„Na schön“, gebe ich schließlich nach. „Aber es wird dieses Jahr dezent.“

Die Jahre zuvor hatte Lizzy es nämlich absolut übertrieben. Kein Mensch braucht künstlichen Schnee, schillerndes Lametta oder hässliche Fensterbilder und noch dazu die Klänge von Wham! oder Mariah Carey in Dauerschleife.

„Super! Ich kümmere mich um alles. Du wirst sehen, es wird wunderbar!“

Kaum hat sie das ausgesprochen, klingelt das Telefon. Ich schiele auf das Display. Unbekannt.

Whiskers&Warmth, das Katzenparadies für die Seele in York, Malva Pelham am Apparat, wie kann ich Ihnen helfen?“

Eine Stimme am anderen Ende des Telefons bittet höflich um eine größere Bestellung für ein Firmen-Event. Und wenigstens diesmal – kein Vorweihnachtsmodus! Nachdem ich die Bestellung aufgenommen hatte, bereitete ich mir eine Tasse heiße Schokolade zu und sah aus dem Fenster. Der nahende Herbst färbte die ersten Bäume golden.

 

2. Ein unerwarteter Fund – Brian

Die Dämmerung senkt sich über unser Anwesen. Ich beobachte den aufziehenden Nebel, der die Felder in der Ferne umhüllt. Von meinem Fenster aus betrachte ich die letzten Sonnenstrahlen, die durch die Baumkronen der Eichen fallen und Schatten auf den Rasen werfen. Der Garten ist perfekt gepflegt wie immer. Ich gähne herzhaft, öffne das Fenster einen Spalt und atme die frische Luft ein, die mich sofort lebendig fühlen lässt.

Plötzlich höre ich Schritte vor meiner Tür. Ich blicke auf.

„Brian, vergiss nicht, dass wir die Cartwrights am Wochenende erwarten!“, ruft meine Mutter den Bruchteil einer Sekunde später aus dem Nebenzimmer.

Diese Wände sind so verdammt hellhörig.

„Brian? Hörst du?“

Ich murre. Die Cartwrights? Was interessiert mich das? Ich antworte ihr nicht, ziehe mir stattdessen meine Laufschuhe an und verlasse das Zimmer. Ich eile die Wendeltreppe hinab, nur um auf schnellstem Weg dem Käfig zu entkommen. Draußen weht’s ein bisschen. Reicht jedenfalls, um wach zu werden. Geruch? Recht herb würde ich sagen … Mischung aus Erde und Laub. Dehnen und strecken, dann laufe ich los. Sport ist meine Art, diesem verrückten Leben zu entkommen – zumindest für eine Weile. Ich will kein langweiliger Schnösel sein. Ich wurde in diese Rolle hineingeboren, aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich mich ohne Widerworte damit arrangiere! Never. Das bin einfach nicht ich. Die Allee, die sich hinter dem Herrenhaus erstreckt, ist gesäumt von hohen Bäumen, deren Blätter sich bereits rotgolden verfärben. Der Oktober naht unaufhaltsam.

Nach einigen Kilometern biege ich spontan vom Weg ab, hinein in das hohe Gras der angrenzenden Felder. Okay, meine Schuhe sind hierfür nicht gut gewählt. Ich trage nämlich keine mit Profil, sondern Laufschuhe, die eigentlich für das Joggen auf Asphalt gedacht sind. Aber ich muss etwas spüren! Der Nebel auf dem Feld ist dicht und die Sicht verschwindet bald. Doch ich laufe immer weiter. Unwahrscheinlich, dass ich hier auf sperrige Gegenstände oder gar andere Menschen stoße. Mein Körper ist warm, mein Herz schlägt gleichmäßig, und zu meiner Verwunderung sinken die Schuhe kaum ein. Der Boden ist noch trocken vom heißen Sommer. Bis auf meine Schritte und das Kreischen eines Raubvogels, als plötzlich ein leises Geräusch zu mir dringt.

Ich bleibe abrupt stehen und drehe mich um. Wo kommt das her? Es klang nicht wie ein Rascheln, das der Wind verursacht hatte. Eher … verzweifelt? Noch mal! Ein leises Miauen. Kaum mehr als ein schwaches Wimmern, das irgendwo von links zu kommen scheint und sich mit meinem wummernden Herzschlag vermischt. Ich versuche runterzukommen, was direkt aus der Bewegung nicht gerade einfach ist. Dann zücke ich mein iPhone und versuche damit die Umgebung auszuleuchten. Die Sicht bleibt ziemlich bescheiden.

„Miez miez miez …“ Ich spähe in die Richtung, aus der das Geräusch kommt, aber ich kann nichts erkennen. Es wiederholt sich ein paarmal. Ein klägliches Geräusch, das die Stille schneidet. Ich gehe einige Schritte weiter, die Augen wachsam auf den Boden gerichtet, wenngleich ich mehr trübe Schleier als Untergrund erkenne. Dann höre ich es wieder – ein schwaches, ganz klar herzzerreißendes Miauen.

„Hallo? Katze?“, frage ich, als würde mich tatsächlich eine Antwort erwarten.

Das Miauen klingt für mich kläglich. Ich gehe einige Schritte und dann, versteckt zwischen den dichten Gräsern, sehe ich es endlich: ein winziges Kätzchen, zitternd und verängstigt, allein und verloren in der Weite der Felder.

„Oh Shit …“, murmele ich, als ich mich in die Hocke begebe und das Fellding betrachte. Das kleine Bündel sieht fix und fertig aus, sein Fell ist verfilzt und nass. Es starrt mich mit seinen großen, angsterfüllten Augen an. Ich strecke vorsichtig die Hand aus, lasse sie in erst einmal in der Luft schweben, während ich das Kätzchen und dessen Reaktion beobachte. Es macht keine Anstalten zu fliehen. Zu schwach oder zu verängstigt, wie ich vermute. Mir ist schnell klar, dass es hier draußen nicht lange überleben wird. Vorsichtig hebe ich es hoch – es fühlt sich federleicht an. Hoffentlich beißt es nicht. „Wow. Was machen wir jetzt mit dir?“ Ich stehe wieder auf – etwas überfordert, um ehrlich zu sein. „Wie bist du bloß hierhergekommen?“, frage ich überrascht. Mein erster Gedanke ist, dass es wohl irgendwo ausgesetzt wurde. Es ist viel zu dünn. Man kann die Rippen spüren und es sieht so aus, als hätte es schon länger niemanden gehabt, der sich kümmert. Vielleicht ist es auch ausgebüxt, auf Streunerschaft gegangen? Ich seufze schwer, ehe ich mich auf den Rückweg zum Anwesen mache, das Kätzchen sicher in meinen Händen haltend. An Joggen ist jetzt nicht mehr zu denken. Das zitternde Ding braucht dringend Wärme. Und Futter.

Zurück auf der Allee Richtung Anwesen, höre ich eine vertraute Stimme hinter mir: „Brian?“

Fred Dickies, unser Butler und ein guter Freund meinerseits, durchbricht die Stille. Ich drehe mich um und blicke in sein schweißnasses Gesicht. Ob er auch gejoggt ist?

„Ihre Mutter, Octavia Norrington, schickt mich. Sie war sehr besorgt, weil Sie ihr nicht mehr geantwortet hatten. Dann bemerkte sie, dass Sie weg waren und … Ähm, was ist das denn?“

Dickies, ein übergewichtiger, aber überaus freundlicher Herr in den frühen Siebzigern, schielt ungläubig auf das Kätzchen in meiner Hand.

„Das“, murmle ich und blicke zu dem Tier hinunter, „habe ich soeben gefunden.“

Seine Augen weiten sich einen Moment, bevor er wissend nickt.

„Ein kleines Wesen, das sich verirrt hat, wie es scheint“, sagt er leise. „Kommen Sie, wir sollten zurückkehren. Ich schlage vor, wir kümmern uns erst einmal darum.“

Ich stimme ihm dankbar zu. Dickies hat diesen pragmatischen, ruhigen Ton, der immer eine Art von Lösung impliziert, ohne großen Aufwand. Ich folge ihm mit der unausgesprochenen Bitte, dieses Geschöpf geheim zu halten. Wer weiß, wie meine Mutter darauf reagiert … Sie ist vieles, aber nicht gerade tierlieb.