Leseprobe Tod und Tulpen | Der unterhaltsame Cosy Crime aus dem Blumenladen

KAPITEL 1

Hektisch zog ich mein Taschentuch heraus, um das fünfte Niesen an diesem Morgen aufzufangen.

»Gesundheit«, trällerte Ryder hinter dem bunten Tulpenwald auf dem Tresen.

»Der Frühling liegt in der Luft. Und offenbar auch in meiner Nase.« Mit einer so empfindlichen Nase wie meiner war es wissenschaftlich gesehen nur logisch, dass ich anfällig für Allergien war. Doch jedes Frühjahr wurde ich von dem ständigen Pollenflug überrumpelt. Besonders dumm von mir, da ich das ganze Jahr über von Blumen umgeben war.

Ich nahm meine Gartenschere in die Hand und begann, die Enden der Tulpen abzuschneiden. »Ich frage mich, warum es Heuschnupfen heißt, wenn es eindeutig weder mit Heu noch mit Schnupfen zu tun hat.«

»Das kann ich dir beantworten.« Ryder schob seinen langen Pony von seiner Stirn zurück. Mein wunderbarer, multitalentierter Verkäufer war eine wandelnde Enzyklopädie von Trivialitäten. »In den alten Tagen –« Er hielt inne. »Ich frage mich, warum wir das sagen, wenn es keinen bestimmten Tag dafür gibt? Ich werde den Ursprung dieses Satzes nachschlagen müssen. Wie auch immer, in den alten Tagen, als die Menschen das Land bearbeiteten, gab es bei der Heuernte häufig laufende Nasen und rote Augen.«

»Das erklärt den Teil mit dem Heu, aber was ist mit dem Schnupfen?«

Ryder steckte drei gelbe Tulpen in eine schmale Glasvase. »Gute Frage. Vielleicht liegt es daran, dass laufende Nasen und rote Augen auch mit Schnupfen einhergehen.«

»Das klingt plausibel.« Ich trat einen Schritt zurück, um mir die Tulpenarrangements anzusehen. Die leuchtenden, wächsernen Blüten reichten von tiefem, sattem Burgunderrot über Magentaviolett bis zu Cremeweiß. »Da bekomme ich Lust, mir ein Paar Holzschuhe zu kaufen. Ich weiß nicht, was es mit Tulpen auf sich hat, aber ich habe sie nie als Teil der Blumenwelt betrachtet. Sie sind so robust und solide. Sie sind mit nichts anderem in der Natur vergleichbar. Ich bin froh, dass wir uns für die Darwin-Tulpe entschieden haben. Ich glaube, diese schnörkeligen Papageientulpen wären zu viel für Blumenarrangements gewesen. Sie sind besser im Garten aufgehoben. Sie geben sich einfach zu viel Mühe mit ihren voluminösen Blütenblättern.«

Ryder lachte. »Hast du dich gerade über die Papageientulpe lustig gemacht, weil sie eine Streberin ist?«

»Ich schätze, ja. Ich bin auch froh, dass wir uns für die Regenbogenfarben entschieden haben und nicht nur für die üblichen Frühlingsfavoriten. Auf diese Weise können die Leute die Farben auswählen, die zu ihrem Frühlingstisch passen.«

Ryder schnippte mit den Fingern und deutete auf mich. »Brillant.«

»Danke?«, fragte ich, nicht ganz sicher, womit ich das Kompliment verdient hatte.

»Regenbögen. Rog G. Biv«, fuhr er fort.

Ich sah ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Ich kann dir nicht folgen. Wer ist Rog G. Biv, und warum bin ich brillant? Abgesehen von den offensichtlichen Gründen, natürlich.«

»Rog G. Biv ist keine Person. Es ist eine Eselsbrücke.« Er tippte sich mit dem Finger ans Kinn, während er in eine kurze geistige Debatte versank, was er oft tat. »Oder ist es ein Akronym? Bin mir nicht sicher. Nein, ich glaube, es ist eine Eselsbrücke.«

Ich blinzelte ihn an. »Ich glaube, mein Heuschnupfen ist schlimmer als ich dachte, denn seit Regenbogen habe ich kein einziges Wort mehr verstanden.«

Ryder riss sich aus seinen Gedanken. »Tut mir leid. Rog G. Biv ist das, was man benutzt, um sich die Farben des Regenbogens zu merken. Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo, Violett.« Er zeigte auf die passende Tulpe, als er jede Farbe rezitierte. »Ich werde einen Regenbogen aus Tulpen im Schaufenster arrangieren.«

»Ich liebe es. Das wird die Kunden anlocken und sie wissen lassen, dass wir eine große Auswahl an Farben haben.« Ich ging um die Arbeitsinsel herum, um Kingstons Dose mit den Leckerchen zu holen. Ich brauchte nur in die Nähe des Bereichs zu gehen, und die Krähe begann ihren Tanz auf ihrer Stange, wobei sie mit ihren langen, krallenbewehrten Zehen wie ein Schlittschuhläufer auf dem Eis über das Holz glitt. Mein Vogel war den ganzen Morgen über besonders brav gewesen, während Ryder und ich uns um die Tulpen gekümmert hatten. Er verdiente eine Belohnung.

Kingston breitete seine schwarzen Flügel in Erwartung der Erdnüsse aus. Ich ließ eine Handvoll in seinen Napf fallen und schaute aus dem Fenster. Die blühenden Pflaumenbäume, die die Harbor Lane säumten, sahen aus wie eine Parade aus rosa Popcornbäumen, deren zarte Blüten im Wind an der Küste zitterten. Als unglaubliches Schauspiel der Pracht der Natur waren sie in ihrer Schönheit fast blendend. »Allerdings wird es für jede Schaufensterdekoration, selbst für einen Regenbogen aus Tulpen, schwer werden, mit den spektakulären blühenden Pflaumenbäumen der Harbor Lane zu konkurrieren.« Im Sommer würden die zarten, papierartigen Blüten durch dunkles Pflaumenlaub ersetzt werden.

»Stimmt wohl.« Ein kurzes Lachen folgte. »Ist dir aufgefallen, dass diese rosa Blüten wie eine Tarnung für den zartrosa Anstrich deines Ladens wirken? Hätte ich nicht gewusst, dass er zwischen dem Coffee Hutch und Elsie’s Sugar and Spice Bakery liegt, wäre ich vielleicht direkt daran vorbeigelaufen.«

»Daran habe ich gar nicht gedacht. Ich nehme an, dass wir im Moment sozusagen unsichtbar sind.«

»Dann muss ich die Tulpenauslage eben besonders eindrucksvoll gestalten.« Ryder ließ sich selten entmutigen. Zumindest nicht, wenn es um Ideen für den Laden ging. Sein Liebesleben war eine ganz andere Sache, und das lag vor allem an meiner besten Freundin, Lola Button, der flatterhaftesten Frau in Port Danby. Das grünäugige Monster namens Eifersucht hatte Lola gebissen, nachdem Ryder begonnen hatte, sich regelmäßig mit Cherise zu verabreden. (Auch wenn Lola sich weigerte, es zuzugeben.) Nachdem die Cherise-Episode mit einer Trennung endete, war ich mir sicher, dass Lola endlich zur Vernunft kommen und erkennen würde, dass sie in Ryder verliebt war. Sie hatte sich fast augenblicklich in ihn verliebt, aber sobald Ryder sein Interesse bekundet hatte, wandte Lola sich von ihm ab. (Daher auch der Titel »die flatterhafteste Frau in Port Danby«.) Nun hatte sie einen neuen Partner gefunden, aber ich hoffte, dass es nicht von Dauer sein würde. Nicht um Ryders willen, sondern um Lolas. Und um unserer Freundschaft willen. Chuck, der neue Mann, war einfach unausstehlich.

»Ich gebe dir freie Hand, dein Regenbogen-Schaufenster zu gestalten.«

»Danke. Ach ja, Boss, kann ich heute etwas mehr Zeit für die Mittagspause haben?«

»Natürlich.« Ich schnappte mir einen Besen, um die Tulpenreste zusammenzufegen. »Irgendwelche besonderen Pläne?«

»Nur ein Mittagessen mit meiner Freundin Denise aus der Highschool. Ich habe sie seit dem Schulabschluss nicht mehr gesehen. Wir waren früher in denselben Leistungskursen. Sie hat ihr Wirtschaftsstudium abgeschlossen, aber kurz darauf festgestellt, dass sie die Geschäftswelt hasst. Sie möchte sich der Kunst widmen. Sie besucht einen Kurs für Landschaftsmalerei. Sie sind heute Morgen unten am Pickford Beach und arbeiten an Ölgemälden des Leuchtturms.«

»Klingt spaßig. Dieser Leuchtturm ist die perfekte Vorlage für ein Gemälde. Groß, gut aussehend und bewegt sich keinen Zentimeter.« Der Pickford Leuchtturm war eine schöne Erinnerung an die romantische Seefahrer-Vergangenheit. Er konnte von fast jeder Straße der Stadt aus bewundert werden.

Ryder lachte. »Daran habe ich nie gedacht. Ich schätze, das macht es wirklich zu einem großartigen Modell.«

Die Ziegenglocke an der Tür läutete. Elsie, eine der fittesten Personen, die ich kannte, bewegte sich ungewöhnlich langsam, als sie einen Teller mit Muffins mit köstlicher Buttercreme hereintrug.

Ich atmete ihren Duft ein. »Ich rieche Zitrone und – mmh, ich bin mir nicht sicher. Vielleicht beeinträchtigt meine Allergie meinen Geruchssinn.«

»Nein, deine altmodischen Zellen funktionieren genau richtig.«

Ryder unterdrückte ein Lachen, als Elsie ›olfaktorisch‹ durch ›altmodisch‹ ersetzte. Ich fand tatsächlich, dass ›altmodisch‹ viel angenehmer klang.

»Zitrone.« Elsie zeigte auf zwei Kuchen, die über die Ränder der silbernen Verpackungen hinausragten. Sie bewegte ihre Finger zu den Kuchen, die in braune Pergamentförmchen gewickelt waren. »Red Velvet. Die haben keinen ausgeprägten Geschmack, es sei denn, deine Nase kann die Farbe Rot riechen. Dann wäre sie wirklich eine Million Dollar wert.« Sie hob den Cupcake, als würde sie einen schweren Ziegelstein heben. »Du wirst feststellen, dass die Magie von Red Velvet ganz allein im Frischkäse-Frosting liegt, nämlich meinem Frischkäse-Frosting.«

Ich nahm den Cupcake. Er hatte genau das Gewicht, das man von einem Cupcake erwartete. »Elsie, was ist los?«

»Nichts.« Das war genau die Antwort, mit der ich gerechnet hatte. Elsie war einer dieser starken, selbstbewussten Menschen, die nie gerne Schwäche zeigten.

»Nichts? Warum hast du dann gerade diesen winzigen, luftigen Kuchen angehoben, als ob er zehn Pfund wiegt? Und du bist in den Laden gekommen, als würdest du dich durch Teer bewegen, obwohl du normalerweise hier hereinstürmst, als hättest du kleine Raketenantriebe an deinen Schuhen.«

»Es ist nichts. Eine kleine Zerrung in meinem Rücken, das ist alles. Ich habe ein paar Kuchen aus dem Ofen geholt und mich falsch gedreht. Habe ich dir schon erzählt, dass meine neuen Terrassenmöbel heute kommen?«

»Schöner Themenwechsel«, bemerkte ich ironisch. »Ich dachte, das Fiasko mit dem Papp-Mr.-Darcy hätte für Ruhe an der Westfront gesorgt und es würde endlich Frieden einkehren. Aber wie es scheint, habe ich mich geirrt.«

»Hör auf mit dieser albernen Tisch-Kriegs-Sache.« Elsie wollte mit der Hand winken, hielt sich aber zurück, was bedeutete, dass sie wirklich Schmerzen hatte. »Es sind nur ein paar süße kleine Korbsofas. Du weißt schon, etwas, um die Ladenfront aufzupeppen.«

»Und etwas, das die Kunden von Lesters sehr beliebten Thekenhochtischen weglockt.«

»Oh, damit werde ich die Leute sicher auf meine Seite locken. Sie sind bequem und mit einem bezaubernden Stoff mit Sonnenblumen-Print überzogen. Perfekt für den Sommer. Ich wünschte nur, es würde nicht immer alles am gleichen Tag passieren. Die Möbel sollten eigentlich Anfang der Woche geliefert werden. Jetzt bin ich damit beschäftigt, für den großen Flohmarkt an diesem Wochenende zu backen.«

»Der Flohmarkt? Willst du deine Backwaren verkaufen?«

»Ich verkaufe meine Cupcakes immer auf dem jährlichen Flohmarkt. Ich hoffe nur, dass ich genug davon herstellen kann, um mit der hohen Nachfrage Schritt zu halten. Red Velvet und Zitrone waren letztes Jahr meine Bestseller.« Ihr Telefon piepste. »Das bedeutet, dass die nächste Ladung mit Zitrone fertig ist. Bis später.« Sie zwang sich zu einem Lächeln, um den offensichtlichen Schmerz zu verbergen, den sie empfand, während sie sich alle Mühe gab, hinauszueilen, als hätte sie Raketenantriebe an ihren Schuhen.

Als ich mich umdrehte, schälte Ryder gerade die Hülle von einem Red Velvet Cupcake ab. »Ich würde sagen, das ist mehr als nur eine kleine Zerrung in ihrem Rücken.«

»Ja, ich mache mir Sorgen um sie. Ich wünschte nur, sie könnte einen guten Mitarbeiter für die Bäckerei finden. Jemand, der Elsies hohen Ansprüchen gerecht wird.«

Ryder leckte sich die Glasur vom Finger. »Ich schätze, nicht alle Ladenbesitzer haben so viel Glück wie du, Boss.«

»Ich weiß, dass du dich selbstironisch gibst, aber du weißt gar nicht, wie recht du hast, Ryder. Du bist unersetzlich, auch wenn du Red Velvet Krümel auf den Boden fallen lässt, den ich gerade gefegt habe.«

KAPITEL 2

Der Morgen hatte mit einem Paukenschlag begonnen. Ich hatte fünf Aufträge für Tulpensträuße und einen Großauftrag für eine Hochzeit im Juni erhalten. Ich holte eine Dose Root Beer aus dem Mini-Kühlschrank im Büro, den ich mit kalten Limonaden und Wasserflaschen bestückt hatte. Die Limonaden waren hauptsächlich für Ryder, aber nach dem geschäftigen Vormittag hatte ich mir ein Root Beer verdient. Die Vordertür öffnete sich, als ich ein paar kräftige Schlucke nahm.

»Pink«, rief Lola vom Eingang des Ladens her.

Ich verließ das Büro. Lola bemerkte das Root Beer in meiner Hand. »Sieht aus, als hättest du auch einen anstrengenden Morgen gehabt.« Lolas Wangen waren von der Sonne gerötet. Sie hatte ihr Haar zu einem Pferdeschwanz hochgesteckt, der hinten aus einer Trucker-Mütze in Tarnfarben hervorlugte. Sie trug ein T-Shirt von Garth Brooks, das sehr gut zu dem Hut passte.

Lola kletterte auf ihren Lieblingshocker. Kingston verschwendete keine Zeit und schloss sich seiner großen Liebe (die nicht ich war, obwohl ich ihn vor dem sicheren Tod gerettet und ihn ständig mit Leckereien versorgt hatte) auf der Arbeitsinsel an. Der Vogel landete direkt in einem Haufen Laubabfälle und blieb mit einer Kralle darin hängen. Er stieß mehrmals mit dem Fuß aus, um das Blatt aus seiner Kralle zu lösen, was mich an den bekannten Tanz erinnerte, der ausbricht, wenn jemand mit Toilettenpapier am Schuh aus einer öffentlichen Toilette kommt. Kingston brauchte mehrere Versuche, um das Blatt loszuwerden. Während des gesamten, etwas peinlichen Ereignisses ließ er seine glasigen schwarzen Augen nicht von Lola. Aber meine Freundin war zu sehr in ihre eigenen Gedanken vertieft, um es zu bemerken.

»Um Himmels willen, Lola, nimm meinen Vogel zur Kenntnis, bevor er zu einem gebrochenen Klumpen schwarzer Federn zusammenbricht.«

Lola griff lustlos nach Kingston und streichelte seinen Kopf. »Es liegt nicht an dir, King. Es liegt an mir. Ich bin total fertig.«

»Willst du ein Root Beer?« Ich hielt die Dose hoch. »Es ist das perfekte Getränk für einen schaumigen Rausch und den dringend benötigten Blutzuckeranstieg.«

Lola schüttelte den Kopf. Dann brachte ein Energieschub sie dazu, sich aufzurichten, und sie sah sich schnell im Laden um.

»Wenn du nach Ryder suchst, er ist beim Mittagessen. Mit einer Frau namens Denise, die er aus der Highschool kennt.«

Ihre Haltung sackte etwas zusammen. »Ich habe nicht nach Ryder gesucht. Und es ist mir völlig egal, ob er mit Debbie zum Mittagessen gegangen ist.

»Denise.«

»Wie auch immer.« Lola gab sich immer besonders viel Mühe, Desinteresse zu zeigen, wenn es um Ryder ging. Sie nahm ihre Hand von Kingston weg. Er sah sehr enttäuscht aus. »Ich habe Tage damit verbracht, die perfekten Gegenstände für meinen Flohmarktstand auszusuchen: alte Lampen, Vintage-Glaswaren, Beistelltische aus der Mitte des Jahrhunderts, Dampferkoffer. Was auch immer du suchst, ich habe das Sammlerstück. Es hat Stunden gedauert, das Zeug auf den Stadtplatz zu schleppen.«

»Du hättest nach Hilfe fragen sollen. Ryder und ich hätten ein paar Hände beisteuern können.« Ich reichte Kingston einen seiner Lieblingssnacks, ein knuspriges Hundeleckerli mit Erdnussbuttergeschmack. Es schien ihn aus der schlechten Stimmung zu befreien, die Lolas mangelnde Aufmerksamkeit ausgelöst hatte. Er klemmte die Leckerei in seinen langen Schnabel und flog zurück zu seiner Stange. Es war seine Lieblingszeit am Fenster. Die Sonne stand genau im richtigen Winkel, um ihre wärmenden Strahlen durch das Glas zu senden und seinen Platz in ein gemütliches Licht zu hüllen.

Lola sprang vom Hocker und hob ihre Hände hoch, um sich mit einer Yoga-Dehnung zu strecken. »Ich hatte jede Menge Hilfe. Chuck ist noch auf der Suche nach einem neuen Job, also habe ich ihn überredet zu helfen. Er kam zwei Stunden zu spät, aber er hat das mit seiner rohen Kraft wieder wettgemacht.« Sie beugte sich vor, um ihre Füße zu berühren.

»Ja, natürlich. Chuck«, sagte ich und merkte, dass ich mich genau wie meine Mutter anhörte, als ich ihr gesagt hatte, dass ich mit Troy North zum Abschlussball gehen würde. Troy trug einen silbernen Ohrring in einem Ohr und kämmte sich nie seine langen Haare. Es war meine rebellische Phase, eine Phase, die schnell endete, als ich feststellte, dass er sich nicht nur die Haare nicht kämmte, sondern auch nie die Zähne putzte.

Lola hatte Chuck (dessen Nachnamen ich mir nicht einmal gemerkt hatte) auf der Hochzeit eines Freundes kennengelernt. Sein dunkelblondes Haar war kurz an seinem großen Kopf geschoren. Sein kantiges Gesicht wurde in der Breite nur von seinem Hals übertroffen, und er trug T-Shirts, die für seinen kräftigen Körperbau zu eng waren. Und das waren seine charmanten Eigenschaften. Er hatte immer in allem Recht, selbst wenn er spektakulär falschlag. Ich war mir ziemlich sicher, dass es dieser besonders irritierende Charakterzug war, der ihn davon abhielt, eine feste Anstellung zu finden.

»Meine Güte, könntest du deine Missbilligung noch offensichtlicher machen, Pink? Du sollst meine Freundin sein, nicht meine Mutter.«

»Du hast Recht. Ich werde meinen mütterlichen Ton für mich behalten.« Ich hatte mir den letzten Monat lang gesagt, ich solle nicht zu viel Zeit damit verbringen, Fehler und Abneigung bei diesem Mann zu suchen, weil ich mir sicher war, dass Lola ihn bald leid sein würde. Allerdings war ein Monat ein Rekord für Lola. Nach etwa zwei Wochen dachte ich darüber nach, es mit umgekehrter Psychologie zu versuchen, indem ich so tat, als wäre ich beeindruckt und angetan von Chuck. Dann wurde mir klar, dass mein Plan zum Scheitern verurteilt war. Ich war einfach nicht so eine gute Schauspielerin.

Lola beendete ihre Dehnübungen. »Wie auch immer, der Grund für meine schlechte Laune hat nichts mit Chuck zu tun. Es liegt an Fiona Diggle.«

»Fiona Diggle? Wer in aller Welt ist Fiona Diggle?«

»Fiona ist eine krumme, weißhaarige Dame, die in einem hundertfünfzig Jahre alten Bauernhaus an der Culpepper Road lebt. Wahrscheinlich hat sie gesehen, wie das Ding gebaut wurde. Sie lebt mit ihrer Schwester Rhonda zusammen, die ebenso alt ist. Rhonda ist zu Besuch bei ihren Söhnen in Arizona. Also beschloss Fiona, den Dachboden ihres alten Bauernhauses zu entrümpeln. Sie bezahlte ein paar Schüler, ihr dabei zu helfen, das ganze Gerümpel zum Flohmarkt zu schleppen. Nur, dass es kein Gerümpel ist. Es sind Kronleuchter, Möbel aus dem neunzehnten Jahrhundert, Porzellanpuppen, Gemälde, es gibt sogar ein paar Truhen. Niemand wird sich meine Sachen ansehen, weil sie sie jeden Tag in meinem Laden sehen können. Aber die Besucher waren noch nie auf Fionas Dachboden. Anscheinend nicht einmal Fiona. Ich kann nicht glauben, wie viel Zeug sie auf den Markt gebracht hat. Und sie hat sich auch noch direkt neben mir niedergelassen. Jedes Mal, wenn eines dieser Kinder mit einem weiteren Schatz aus dem Dachboden vorbeiging, sank meine Begeisterung und ich hätte mich am liebsten im nächstbesten Erdloch verkrochen.«

»Unsinn, du hast coole Antiquitäten, und dank deiner weltreisenden Eltern kommen die meisten Sachen von einem fernen, exotischen Ort. Genau diesen Blickwinkel solltest du nutzen. Bring Etiketten an den Artikeln an, auf denen steht, woher sie stammen. Ich bin sicher, dass die Leute Schlange stehen und an Fionas Dachboden-Schätzen vorbeigehen werden.«

Der Vorschlag schien Lola aufzumuntern. Während sie über die Idee nachdachte, beugte ich mich vor, um meine Getränkedose in den Recyclingbehälter unter dem Tresen zu werfen. Die Tür zum Laden öffnete sich. Ich tauchte wieder auf, um meinen Kunden zu begrüßen, und freute mich, einen Überraschungsbesucher zu sehen. Eigentlich zwei Überraschungsbesucher: Detective Briggs und der übergroße, ausgelassene Welpe, der Briggs an der Leine hinter sich herzog.

Immer wenn es so aussah, als hätten Detective James Briggs und ich eine neue Stufe unserer Freundschaft erreicht, eine Stufe, die an eine mögliche romantische Beziehung grenzte, waren wir beide zu beschäftigt, um diese weiterzuverfolgen. Ich hatte ihn seit mehreren Wochen nicht mehr gesehen. Wie immer war er eine Augenweide. Besonders heute. Abgesehen von seinem sehr niedlichen Begleiter trug Briggs statt seines üblichen Anzugs ein dunkelblaues T-Shirt, Jeans und schwarze Stiefel, was darauf hindeutete, dass er einen seiner seltenen freien Tage hatte. Er war leitender Ermittler für eine Reihe von Küstenstädten, und es schien, als wäre er ständig im Dienst oder würde zu irgendwelchen Katastrophen gerufen, um diese zu untersuchen.

»Ich weiß nicht, ob es dir bewusst ist, aber du hast einen Welpen am anderen Ende deiner Leine. Der steht dir übrigens sehr gut.«

Briggs’ halbes Lächeln legte seine Wange in Falten. »Ja, das habe ich bemerkt. Und ich hatte gehofft, du könntest mir helfen, herauszufinden, was ich mit meinem neuen Freund machen soll.«

»Ich glaube, das ist mein Stichwort, um zu gehen.« Lola sprang vom Hocker, tätschelte dem Welpen den Kopf und schlenderte dann hinaus. Natürlich zwinkerte sie mir heimlich zu, bevor sie durch die Tür ging.

Ich griff nach der Dose mit den Hundeleckerlis, woraufhin Kingston seinen Tanz auf der Stange begann.

»Nicht für dich, du dumme Krähe. Das ist für unseren Besucher.«

Der Welpe war grau gefleckt, hatte große Schlappohren und eine weiße Brust. Er sah aus wie eine Mischung aus allen großen Hunderassen, die auf der offiziellen Rasseliste stehen. »Er ist ein ziemliches Hundekompott.« Ich hielt ihm das Leckerli hin. »Hat Dad etwas dagegen, wenn ich ihm ein Leckerli gebe?«

»Nein, ich meine, ja … gib ihm ruhig ein Leckerli. Aber ich bin nicht Dad. Jemand hat ihn vor der Polizeiwache abgesetzt. Sie haben ihn mit einem Seil an den Laternenpfahl gebunden und eine Schüssel mit Wasser daneben gestellt. Ich schätze, sie wollten ihn nicht behalten und dachten, dass die Polizeiwache der richtige Ort sei, um ihn zurückzulassen.«

Der Welpe nahm mir eifrig das Leckerli aus den Fingern. Ich streichelte ihm Kopf und Ohren. »Er ist so süß. Hast du dir einen Namen überlegt?«

Briggs hatte zusätzliche Bartstoppeln und sein etwas längeres Haar war nach hinten gekämmt, sodass es sich am Kragen seines Hemdes hochrollte. »Nein, denn wenn ich ihm einen Namen gebe, denkt er, dass er mir gehört. Und das tut er nicht. Kennst du jemanden, der einen großen, albernen Welpen will? Bisher hat er meiner Couch und den Beinen meines Küchentisches nur leichten Schaden zugefügt.«

Ich unterdrückte ein Lachen hinter meinen Fingern. Der Welpe schluckte sein Leckerli herunter und sprang mit seinen riesigen Vorderpfoten an Briggs hoch.

»Ich glaube, er hat sich bereits entschieden, dass er zu dir gehört, Name hin oder her. Ich finde, du siehst gut aus mit einem Hund.«

Ryder kam vom Mittagessen zurück. »Ein Welpe!« Er rannte schnurstracks auf den Hund zu. »Mann, was für ein cooler Hund. Wie heißt er?«

»Detective Briggs wird ihm keinen Namen geben, weil er dem Welpen keine falschen Hoffnungen machen will.«

»Brauchst du einen Hund?«, fragte Briggs Ryder. »Er ist sehr freundlich und isst nur bestimmte Arten von Möbeln.«

Ryder lachte. »Ich würde ihn sofort nehmen, wenn ich nicht bei meiner Mutter wohnen würde. Sie hat drei kläffende kleine Hunde. Ich glaube nicht, dass sie sich freuen würden, wenn dieser Kerl durch die Tür käme.« Ryder hob eine der Pfoten des Hundes an. »Demnach wird dein neuer Kumpel gigantisch werden.«

»Ja, deshalb muss ich ihm einen neuen Kumpel suchen. Mein Haus ist nicht so groß.«

Ryder streichelte den Welpen erneut. »Schade. Ein Hund wie dieser ist ein absoluter Frauenmagnet. Nicht, dass ein Typ wie du einen Wingman bräuchte«, fügte Ryder schnell hinzu. »Ich fange mit der Schaufensterdekoration an, Boss.«

Ich wandte mich wieder an Briggs, während der Welpe an der Leine kaute. »Bist du sicher, dass du deinen großen, wuscheligen Frauenmagneten loswerden willst?«

»Dafür habe ich mein Motorrad«, gab er trocken zurück. »Und es zerkaut nicht meine Möbel.« Er warf einen Blick auf Ryder, der sich sofort an die Arbeit mit der Tulpenausstellung gemacht hatte. »Eigentlich hatte ich gehofft, du hättest Zeit für einen Spaziergang zum Strand. Ich habe festgestellt, dass der Welpe weniger Schaden anrichtet, wenn er müde ist.«

Ich lächelte höflich und behielt meine coole Fassade bei, obwohl mein Herz schneller schlug als sonst. »Ich habe Zeit. Ein Spaziergang zum Strand klingt gut.«

KAPITEL 3

Detective Briggs und ich waren während der ersten Hälfte des Spaziergangs schüchtern umeinander herumgetanzt und hatten uns freundschaftlich über so harmlose Dinge unterhalten wie darüber, wie schnell das Gras auf dem Stadtplatz wuchs, jetzt, da der Frühling zurückgekehrt war, und über die leckere neue Sauce am Hotdog-Stand des Hafens. Es schien, dass wir immer Zeit brauchten, um uns wieder aneinander zu gewöhnen, nachdem wir eine Weile getrennt gewesen waren. Obwohl ›aneinander gewöhnen‹ nicht wirklich der richtige Ausdruck war. Wir waren fast vom ersten Moment an, als ich in seinen Mordfall stolperte, als Beverly Kent tot in ihrem Kürbisbeet aufgefunden wurde, entspannt miteinander umgegangen. Ironischerweise schien es, dass wir uns immer weniger wohlfühlten, je mehr sich unsere Beziehung über eine reine Arbeitsfreundschaft hinaus entwickelte.

Es war ein wenig makaber, aber es schien, als bräuchten wir einen Mord in der Stadt, um das Eis wieder zum Schmelzen zu bringen. Ich beschloss stattdessen, mich mit dem Frauenmagneten zufriedenzugeben, der mit hoch erhobenem Schwanz vor uns her trabte. Tiere waren schon immer die besten Eisbrecher, und Welpen standen ganz oben auf der Liste der Gesprächsstarter, die zu etwas anderem führten als zu einer Diskussion über Graswachstum oder leckere Saucen.

Der Welpe trottete voran, und seine Schlappohren fielen ihm dabei fast vor die Pfoten, die so groß waren wie Elsies riesige Blaubeermuffins. Ryder hatte Recht. Er würde ein großer Hund werden. »Ich denke, du solltest ihn Axl nennen. Es ist ein cooler, knallharter Name, passend für den Hund eines Detectives.«

»Ich behalte den Welpen nicht, Lacey. Ich habe keine Zeit für einen Hund.«

Der Welpe schaute zurück, seine Zunge hing ihm seitlich aus der Schnauze.

»Schau, er weiß, dass wir über ihn reden. Und er lächelt dich an.« Der Hund drehte sich um und bellte mehrere Möwen an, die auf dem Geländer des Piers hockten. Als erfahrene Möwen, die sie waren, zuckten sie kaum mit den Federn und zwitscherten nicht einmal. Sie schienen zu verstehen, dass das große, sabbernde Monster an einer Leine befestigt war, die wiederum an einem Menschen befestigt war.

Briggs warf mir einen Seitenblick zu. »Das war kein Lächeln. Er hat immer denselben albernen Gesichtsausdruck. Selbst wenn er schläft. Die einzige Zeit, dass er nicht so aussieht, ist, wenn er das Bein meines Küchenstuhls im Maul hat.«

Ich lachte und klopfte mir insgeheim selbst auf die Schulter, weil ich uns aus unserem gestelzten Gespräch herausgeholt hatte. »Du musst ihm ein paar Kauspielzeuge kaufen. Ansonsten könnte ein Hund seiner Größe ein Haus schneller zerstören als ein Schwarm Termiten. Tom und Gigi führen im Corner Market eine Menge Kauspielzeug für Hunde. Vielleicht könnte Gigi sogar einen Pullover für Axl stricken. Blau und Gold, etwas, das an die Polizei erinnert.« Ich schaute auf den Hund vor mir. »Jetzt, wo ich den Namen in einem Satz verwendet habe, funktioniert er für mich nicht mehr. Er müsste ein bisschen rauer aussehen, wenn er Axl heißen soll.«

»Rauer? Ich hatte keine Ahnung, dass Hunde rau sein können. Lacey, ich werde den Hund nicht behalten.«

»Du bist nur ein großer alter Hosenscheißer.« Ich lachte. »Wow, das kam ganz schön falsch rüber. Harley ist ein cooler Name für den Hund eines Motorradfahrers, aber dann müsste der Pullover orange und schwarz sein, oder –«

»Lacey«, unterbrach Briggs mich scharf.

»Richtig. Tut mir leid. Kein Hund für Detective Briggs und seine Sammlung schöner Möbel.«

»Ich habe nie gesagt, dass sie schön sind. Ich ziehe es einfach vor, dass meine Küchenstühle vier identische Beine haben, wenn ich mich zum Frühstück hinsetze.«

Genau wie Ryder es beschrieben hatte, saß eine Gruppe von fünf angehenden Künstlern in einem Halbkreis am Strand, vor jedem von ihnen stand eine hölzerne Staffelei, während sie mit langen Pinselstrichen Ölfarbe auf weiße Leinwände auftrugen. Schon aus der Ferne konnte ich erkennen, dass einige der Maler sehr geschickt waren. Ryders Freundin Denise war leicht zu erkennen, denn sie war die Jüngste in der Gruppe. Sie war ein hübsches Mädchen mit dunklem, lockigem Haar und mandelförmigen braunen Augen. Vielleicht würde ein neues Mädchen in Ryders Leben Lola aus ihrer Beziehung zu Chuck herausreißen. Oder vielleicht war das auch nur mein Wunschdenken.

Ich starrte hinauf zu der schwarzen Spitze des Turms. Das große Glasauge des Leuchtfeuers blickte über den Steg und über das sanft plätschernde smaragdgrüne Meer. »Dieser Leuchtturm ist an jedem Tag wunderschön, aber besonders malerisch wirkt er immer dann, wenn die weiße Spitze einen Kontrast zum strahlend blauen Himmel bildet.«

»Das ist mir nie aufgefallen, aber du hast recht.«

Wir hielten an, um den Welpen auf dem grasbewachsenen Hügel, der zum Leuchtturm hinaufführt, schnüffeln und sich herumwälzen zu lassen. Briggs hob seine Sonnenbrille, um einen besseren Blick auf die Gruppe zu werfen. »Ich kenne die Frau da vorne, die anscheinend das Sagen hat. Ms. Dean war früher Kunstlehrerin an der Chesterton High.«

Ich sah zu ihm hinüber. »Du hast Kunst gewählt?«

»Ja, warum? Ist das so schwer zu glauben?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich kann mir dich einfach nicht mit einem Pinsel und einer Malerschürze vorstellen. Warst du gut?«

»Nope. Aber ich hatte die Wahl zwischen Bildender Kunst bei Ms. Dean oder Hauswirtschaft bei Mrs. Groffett. Ich dachte, es wäre viel einfacher, etwas Farbe auf eine Leinwand zu spritzen, als Muffins zu backen.«

»Und war es das?«

»Nee. Ich hätte die Muffins nehmen sollen. Ich dachte, ich würde einfach nur rumhängen, den talentierten Kindern beim Malen schöner Bilder zusehen, während ich mit meinen Freunden herumalberte und mit süßen Mädchen flirtete. Ich wäre fast in dem Kurs durchgefallen und hätte wegen Ms. Dean beinahe keinen Abschluss gemacht.«

»Wie hast du dich durchgeschlagen?«

»Ms. Dean mochte mich so sehr, dass sie mir erlaubte, ein paar zusätzliche Leistungen zu erbringen.«

»Dann sollten wir rübergehen und die Lehrerin begrüßen, die deinen Schulabschluss gerettet hat.« Ich machte mich auf den Weg über den Rasen, aber Briggs schien von dieser Idee weniger begeistert zu sein.

Zum Glück entschied der Welpe für ihn. Ohne Vorwarnung sprang der Hund auf seine dicken Pfoten und rannte hinter mir her, wobei er den widerwilligen Detective hinter sich herzog.

Da ich mich nicht durch die Gruppe drängen und den Blick oder die Konzentration stören wollte und gleichzeitig jegliches Unglück vermeiden wollte, das einem ungeschickten, ungestümen Welpen in einem Kreis von Staffeleien folgen könnte, bahnte ich mir einen Weg um die Künstlergruppe herum, einen Weg, der uns drei entlang der grünen Hecke führte, die den Gartenzaun des Leuchtturmwärters begrenzt. Marty Tate, der Mann, der seit Jahrzehnten für den Leuchtturm verantwortlich war, kniete vor seinem schneeweißen Haus und pflanzte ein feuriges Meer aus orangefarbenen und gelben Löwenmäulchen. Es war selten, dass Marty draußen unterwegs war. Niemand schien zu wissen, wie alt er war, aber ich hatte Marty bei einer Kutschfahrt zu Weihnachten kennengelernt und fand ihn außerordentlich charmant. Als ich ihn sah, fiel mir ein, dass er Bilder und Geschichten über Hawksworth Manor hatte, dem berüchtigten Schauplatz eines hundert Jahre alten Familienmordes, die ich unbedingt sehen wollte.

»Hallo, Mr. Tate«, rief ich so laut wie möglich. Das ständige Rauschen des Meeres unter mir und die unerbittliche Brise an Land übertönten meine Stimme. Er bemerkte uns erst, als wir in seinem Blickfeld ankamen.

Marty sah von seiner Aufgabe auf. Ich winkte und Briggs sagte guten Morgen. Marty zog seine Gartenhandschuhe aus und richtete sich auf. Ich hielt meine Hand hoch, um ihn aufzuhalten. »Nein, bitte hören Sie nicht wegen uns auf. Wir wollten nur guten Morgen sagen.«

Tiefe Falten zogen sich über Martys Stirn und Wangen, als er lächelte. »Guten Morgen. Wenn ihr Lust habt – ich werde den Leuchtturm dieses Wochenende für Besucher öffnen.«

»Interesse?«, wiederholte ich aufgeregt. »Natürlich. Vielen Dank, dass Sie uns Bescheid gesagt haben. Viel Spaß beim Einpflanzen.« Ich wandte mich wieder an Briggs. »Jetzt hat mich das Gartenfieber gepackt. Ich werde bei mir zu Hause ein paar bunte Stauden pflanzen müssen.«

»James Briggs«, rief eine Stimme von der anderen Seite des Weges. Briggs erstarrte irgendwie. Er zwang sich zu einem Lächeln, das ihn einige Mühe kostete, bevor er sich zu seiner Highschool-Lehrerin umdrehte.

Ms. Dean war herumgelaufen und hatte die Arbeiten ihrer Schüler kommentiert, als sie uns am Tor von Marty stehen sah.

»Ms. Dean«, Briggs trat vor, um sie zu begrüßen, wurde aber von dem Welpen überholt. Die Kunstlehrerin war etwas erstaunt über den aufgeschlossenen Hund, griff dann aber nach seinem Kopf, um ihn zu streicheln. Briggs riss an der Leine, um den Hund zurückzuziehen. »Ich bitte um Entschuldigung. Wie geht es Ihnen, Ms. Dean?«

»Bitte nennen Sie mich Jodie. Ich bin keine Lehrerin mehr, und Sie sind kein Schüler mehr.« Sie blickte in meine Richtung und nickte.

»Entschuldigung«, sagte Briggs hastig. »Das ist meine Freundin Lacey. Ihr gehört das Blumengeschäft Pink’s Flowers in der Stadt.«

Wir lächelten uns höflich an. Jodie Dean war eine Frau um die fünfzig mit kurzem, widerspenstigem Haar, das sie mit Spangen nach hinten gesteckt hatte. Ihre Shorts und ihre Bluse waren ein paar Größen zu klein, und sie zog immer wieder am Saum. Sie hatte eine tiefe, beeindruckende Stimme, und ich konnte mir gut vorstellen, wie sie vor einer Klasse von zwanzig Schülern stand und ihnen die richtigen Techniken des Zeichnens beibrachte.

»James Briggs«, sagte Jodie mit einem freundlichen Grinsen. Ihr Tonfall deutete darauf hin, dass sie ihre Zuneigung zu ihrem ehemaligen Schüler nicht verloren hatte. »Sie sind der zweite Chesterton Tiger, den ich heute gesehen habe. Ich bin sicher, Sie erinnern sich an Ihren Football-Teamkollegen Dashwood Vanhouten. Wenn ich an diese Zeit zurückdenke, waren Sie beide doch sogar Freunde.«

Briggs’ ohnehin schon perfekte Haltung wurde bei der Erwähnung des Namens noch aufrechter. »Ja, ich erinnere mich an ihn.« Er antwortete buchstäblich mit zusammengebissenen Zähnen, als würde es ihm Schmerzen bereiten, zuzugeben, dass er Dash kannte. Und jetzt schien es, als wären sie mehr als nur zwei Jungs im selben Team gewesen. Laut Jodie Dean waren sie befreundet gewesen. Ich hatte immer noch nicht herausgefunden, warum Briggs meinen Nachbarn Dash hasste, und ich war mir nicht sicher, ob ich es jemals erfahren würde. Oder ob ich es wissen wollte. Ich bewunderte und schätzte die Freundschaft beider Männer und fürchtete mich davor, etwas herauszufinden, das mich dazu bringen könnte, einen oder beide von ihnen nicht mehr zu mögen. Also steckte ich meinen Kopf in den Sand und verzichtete darauf, einen von beiden nach Einzelheiten zu fragen. Ich bemühte mich auch sehr, den einen nicht vor dem anderen zu erwähnen. Besonders Briggs fiel es schwer, irgendetwas zu hören, was mit Dash zu tun hatte, und es schien, als hätte Jodie Deans Erwähnung von ihm den schönen Morgenspaziergang verdorben.

»Ihre Schüler scheinen einen wunderbaren Job zu machen, die romantische Mystik des Leuchtturms unserer Stadt einzufangen«, sprang ich hastig ein und hoffte, den Morgen zu retten.

»Danke.« Einige kurze Locken lösten sich aus ihren Spangen, als sie sich umdrehte, um einen Blick auf die Reihe von Leinwänden zu werfen. »Einige besser als andere. Aber sie sind alle sehr engagiert. Letty, die junge Frau im grünen Kittel, ist neu in der Gruppe. Sie zeigt bereits großes Potenzial.«

»Also haben Sie den Unterricht im Klassenzimmer aufgegeben, um vor Ort zu unterrichten«, stellte Briggs fest. Der Welpe hatte sich zu seinen Füßen für ein spontanes Nickerchen niedergelassen.

Jodie lachte. Es war ein starkes, etwas einstudiertes Lachen. »Ich unterrichte nur in Teilzeit. Ich arbeite auch als Kunsthändlerin. Nun, ich sollte zu meinen Schülern zurückkehren. Es war schön, Sie wiederzusehen, James.« Sie zwinkerte. »Ich meine, Detective Briggs

Wir wandten uns zur Marina und in Richtung Stadt. Die kurzzeitige Wut, die beim Hören von Dashs Namen aufgekommen war, war glücklicherweise verschwunden. Der Welpe sprang aus seinem kurzen Nickerchen auf, erfrischt und voller Energie. Er sprang vor der Leine davon, wurde jedoch schnell an deren Existenz erinnert. Aber das hielt den Hund nicht davon ab, wie ein aufgeregtes Pferd über die Wiese zu galoppieren.

Briggs schüttelte den Kopf. »Nun, das nenne ich mal einen Powernap

KAPITEL 4

Als wir zurückgingen, führte uns unser hartnäckiger vierbeiniger Reiseleiter zu den Aktivitäten auf dem Stadtplatz. Verkäufer arrangierten ihre Waren für den jährlichen Flohmarkt. Bürgermeister Price hatte einen Teil der Verkäufergebühren dafür verwendet, einen provisorischen Maschendrahtzaun um die Tische herum errichten zu lassen, damit die Waren vor Beginn des Marktes sicher ausgestellt werden konnten. Dies war mein erster früher Frühling in meiner neuen Heimat und somit auch mein erster Port Danby Flohmarkt. Ich freute mich darauf. Soweit ich sehen konnte, war Fiona Diggle nicht die einzige Person, die Relikte vom Dachboden holte. Rostige Spielzeugwagen, Fahrräder, die aussahen, als hätten sie viele Kilometer hinter sich, verblasste Filmplakate, alte Bücher und Glaswaren in allen Größen, Formen und Farben lagen verstreut auf den Tischen der Verkäufer.

Lola hatte eine lebhafte, bissige Beschreibung ihrer Hauptkonkurrentin Fiona Diggle gegeben, aber statt einer spröden, alten Frau, die hinter jahrhundertealten Dachbodenfunden stand, war es eine zierliche Frau mit schneeweißem Haar, einem strahlenden Lächeln und einer niedlichen gelben Schürze mit Rüschen, die sorgfältig einige antike Puppen auf ihrem Tisch aufstellte. Aber Lola hatte nicht übertrieben, was die Dachboden-Schätze anging. Ich wusste nicht viel über Antiquitäten, aber es schien, als würden sich die Käufer um Fionas Sammlung reißen werden, sobald der Markt eröffnet war. Sie hatte einige wirklich schöne und alte Gegenstände.

Lola stand vornübergebeugt da, ihr Oberkörper parallel zum Boden, während sie mit ihrem ganzen Gewicht gegen einen großen Schrankkoffer drückte. Die sperrige, unhandliche Truhe bewegte sich kaum auf dem grob gemähten Gras. Und während Lola schob und stöhnte und rot im Gesicht wurde, stand ihr begriffsstutziger Freund drei Meter entfernt im Schatten und schaute auf sein Handy.

Briggs reichte mir die Leine und eilte voraus, um Lola beim Bewegen des Koffers zu helfen.

Lola wischte sich den Schweiß von der Stirn, während sie Briggs für seine Hilfe dankte. Sie warf Chuck einen wütenden Blick zu und versuchte erfolglos, ihn zu verbergen, bevor ich ihn bemerkte.

»Ich schätze, du hättest doch noch ein paar zusätzliche Hände gebrauchen können«, sagte ich, während ich bedeutungsschwer in Chucks Richtung schaute. Der Trottel starrte immer noch auf sein Handy, ohne zu bemerken, was um ihn herum geschah.

Lola wand sich leicht von Kopf bis Fuß und versuchte mir zu versichern, dass es ihr nichts ausmachte, dass er im Schatten mit seinem Handy beschäftigt war, während sie in der heißen Sonne schwere Gegenstände herumschob. »Er macht nur eine Pause.«

»Das sehe ich.« Hör auf, Lacey, sagte ich mir. Lass Lola das selbst herausfinden. Sie ist erwachsen. Ich konzentrierte meine Aufmerksamkeit auf ihre Antiquitätensammlung und insbesondere auf eine sechseckige Schachtel, als eine schroffe, vertraute Stimme über den Stadtplatz hallte. Meine Schultern zogen sich bis zu den Ohren hoch.

»Detective Briggs«, sagte Bürgermeister Price noch lauter, nachdem Briggs das erste Gebrüll ignoriert hatte.

Briggs lehnte seinen Kopf näher zu mir. »Der glaubt, ich hätte nie einen freien Tag.«

»Briggs, ich muss mit Ihnen sprechen.« Bürgermeister Price marschierte mit wütender, geröteter Gesichtsfarbe und kämpferischer Haltung auf uns zu.

»Ich würde dir ja sagen, dass du ihn ignorieren sollst, aber mir wäre es lieber, er käme nicht hierher. Er wird noch röter im Gesicht und noch streitlustiger, wenn er die nervige Blumenladenbesitzerin sieht«, sagte ich schnell.

»Ich bin sicher, dass er nach Parkmöglichkeiten für den Flohmarkt fragen will.«

»Es scheint, als könne diese Stadt ohne dich nicht funktionieren, Detective Briggs.« Unsere Blicke trafen sich und wir verharrten einen stillen Moment lang lächelnd. Es waren stille Gespräche, die gelegentlich und unerwartet stattfanden, und ich freute mich immer darauf. »Ich werde ein Auge auf deinen neuen besten Freund haben.«

Der Welpe ließ sich unter Lolas Tisch fallen, um sich im Schatten auszuruhen. Briggs ging widerwillig auf den Bürgermeister zu. Ich war erleichtert, dem Mann nicht von Angesicht zu Angesicht begegnen zu müssen. Unsere letzte Begegnung fand im Blumenladen statt, als er dort Blumen für seine Frau zum Valentinstag kaufte. Ich hatte mutig einige Fragen zu einigen seiner Verwandten gestellt, insbesondere zu seinem Urgroßvater Harvard Price und einer Großtante namens Jane. Es schien, als hätte Jane Price für kurze Zeit als Schatzmeisterin von Port Danby fungiert, bevor sie die Stadt plötzlich verließ. Der derzeitige Bürgermeister Price wurde knallrot und ließ mich wissen, dass er es nicht schätze, dass ich in der Vergangenheit seiner Familie herumstochere. Er wies meine Anfrage in seiner üblichen schroffen Art zurück. Seine abrupte Reaktion verstärkte nur mein unstillbares Verlangen, mehr über die Familie Price und ihr langjähriges Vermächtnis in Port Danby zu erfahren.

Lola ging hinter ihren Tisch und begann, Preise auf kleine gelbe Aufkleber zu schreiben. »Siehst du die wahre antike Goldmine nebenan?«, murmelte sie leise.

»Sie hat tatsächlich ein paar schöne Sachen«, gab ich zu. »Aber du auch.« Ich öffnete den Messingriegel der sechseckigen Schatulle. Das Äußere war mit geprägtem Leder überzogen, das durch sein Alter eine satte, dunkle Farbe angenommen hatte. Die Messingbeschläge und der Riegel bildeten einen schönen Kontrast zu dem rustikalen, aber aufwendig geprägten Leder. Der Innenraum war mit grünem Samt und großen Stücken angelaufenen Schmucks ausgekleidet. Ich nahm eine Brosche in die Hand, einen Kreis aus Perlen, gefasst in dunkelgelbem Gold. In der Mitte befand sich ein leuchtend blauer Stein. »Ich dachte, die Schachtel wäre der Schatz, aber sie ist mit allerlei Kleinigkeiten gefüllt.« Ich hob die Brosche hoch und hielt sie in die Sonne, um sie funkeln zu sehen. Das Funkeln kam jedoch nie.

»Das nennen wir in der antiken Schmuckwelt künstlichen Edelstein. Ziemlich wertlos, trotz der Patina und dem Vintage-Design. Dein erster Instinkt war richtig. Die Schachtel ist der Schatz. Es ist eine Schmuckschatulle aus dem frühen 19. Jahrhundert, die meine Mutter in Spanien gefunden hat. Sie steht seit zwei Jahren im Laden. Die Leute schauen sie sich an, und obwohl ich sie zusammen mit dem maßgefertigten Schmuck verkaufe, scheint es einfach keine große Nachfrage nach Lederschmuckkästchen zu geben.«

Ich strich mit den Fingern über die geometrischen Muster, die in das Leder geprägt waren. »Das ist eine Schande. Es ist interessant, dass der Vorbesitzer ein Schmuckkästchen gekauft hat, dessen Herstellung viel Geschick und Zeit erforderte, und es dann, wie du sagst, mit künstlichen Edelsteinen gefüllt hat.«

»Nein, so ungewöhnlich ist das nicht. Schon damals haben die Leute ihre guten Sachen nicht in der Schmuckschatulle gelassen. Zu offensichtlich für einen Dieb. Sie versteckten wertvolle Juwelen an unerwarteten Orten, wie Humidoren in einem Bücherregal oder sogar im Kinderzimmer, in Spielzeug oder Puppen.« Lola hob die Schachtel hoch, um mir den Boden zu zeigen, und wies auf einen winzigen schwarzen Riegel hin. »Hier ist noch ein Trick.« Sie zog den Riegel auf und eine kleine Falltür öffnete sich, die mich an das Batteriefach einer Fernbedienung erinnerte. Nur, dass dieses Fach einen Messing-Schlüssel enthielt. »Viele alte Truhen und Kisten verbergen geheime Schlüssel.«

»Siehst du, füge solche kleinen Geschichten zu deinen Antiquitäten hinzu, und die Leute werden direkt an Fionas Auslage vorbeigehen.«

»Ich denke, ich könnte kleine Zettelchen zu einigen der interessanteren Gegenstände hinzufügen.«

Neben Lolas Tisch stand ein leerer Klapptisch. »Warum legst du deine Sachen nicht weiter aus?«, schlug ich vor. »Du hast immer noch so viel Platz.«

»Nein, das ist Elsies Tisch. Sie hat mich gebeten, ihr einen Platz zu reservieren. Sie verkauft ihre Cupcakes auf dem Flohmarkt.«

»Stimmt, das hat sie mir gegenüber erwähnt. Ich hoffe nur, dass sie mit ihren Rückenschmerzen zurechtkommt.«

»Ich schätze, es ist gut, dass sie so zäh ist.«

Chuck schaffte es irgendwie, laut mit den Füßen auf dem Gras zu stampfen. Seine Ankunft weckte den Welpen aus seinem Nickerchen, aber anstatt aufzuspringen, um den neuen Menschen zu begrüßen, blieb der Hund unter dem Tisch. Tiere waren schon immer ausgezeichnete Menschenkenner. Briggs’ Welpe schien da keine Ausnahme zu sein.

»Hey, Lo-lo«, säuselte Chuck. »Ich werde mich auf den Weg machen. Troy und Ben sind unterwegs nach Chesterton, um Burger zu essen. Und ich bin es leid, all diesen alten, verstaubten Schrott herumzuschieben.«

»Das ist in Ordnung«, sagte Lola mit erzwungener Höflichkeit. »Ich hätte nichts dagegen, wenn du mir einen Burger mitbringen würdest. Ich werde den ganzen Tag hier festsitzen, um alles vorzubereiten.«

»Ja, das würde ich.« Er rieb sich sein kantiges Kinn. »Aber ich fahre nicht extra hierher, nur um dir einen Burger zu bringen. Ich rufe dich später an.« Er ging weg und hinterließ eine angespannte Stille zwischen Lola und mir.

Es vergingen noch ein paar Sekunden des Schweigens, bevor Lola es brach. »Ich weiß, was du denkst, aber er hat mir geholfen, eine Menge Sachen hierher zu bringen.«

»Ich habe an nichts gedacht.« Ich fügte ein unschuldiges Kopfschütteln hinzu. »Nein, das ist nicht wahr. Ich habe über alles Mögliche nachgedacht, aber ich weiß, dass du nichts davon hören willst, also behalte ich es für mich.« Ich benutzte den Schlüssel an meinen Lippen und gab ihn ihr dann zurück.

»Du hast Recht. Ich will es nicht hören, also lass es einfach.«

»Jepp. Meine Lippen sind versiegelt. Ich muss zurück zum Laden. Sag Bescheid, wenn du Hilfe brauchst. Oder ich könnte meinen äußerst ritterlichen, höflichen und gut aussehenden Mitarbeiter schicken. Ich weiß, dass er gerne helfen würde.«

»Du interessierst dich ja sehr für mein Liebesleben, wenn man bedenkt, dass du und Detective Herzschmerz da drüben wie zwei liebeskranke Pinguine umeinander herumflattert und nur darauf wartet, dass der andere den ersten Schritt macht. Jetzt geh schon. Ich muss noch Zettel schreiben.« Lola winkte mich fort, ohne mir die Gelegenheit zu geben, zu antworten. Nicht, dass ich eine Antwort gehabt hätte.

Briggs beendete sein Gespräch mit Bürgermeister Price. Der Bürgermeister meiner Stadt weigerte sich, auch nur einen Blick in meine Richtung zu werfen, was für mich mehr als in Ordnung war. Es war ein schöner Morgen, und ich brauchte seinen finsteren Blick nicht, um ihn zu trüben.

Als der Welpe Briggs erblickte, sprang er auf ihn zu und hätte ihn fast umgerannt, als er ihn mit einem feuchten Hallo begrüßte, als hätten sie nicht nur wenige Meter und Minuten, sondern Ozeane und Jahre voneinander getrennt.

Briggs versuchte, die überschwängliche Begrüßung nicht zu erwidern, gab aber schließlich nach und streichelte und umarmte den Hund herzlich. Er ertappte mich dabei, wie ich den Moment der Zuneigung bewunderte, und richtete sich abrupt auf. Er warf mir einen dieser ›Sag es nicht‹-Blicke zu. Es schien, dass keiner meiner Freunde heute Morgen meine Meinung oder Gedanken hören wollte, also behielt ich sie für mich. Ich war mir sicher, dass am Ende alles so kommen würde, wie es kommen sollte … und wie ich es vorausgesagt hatte.