Leseprobe Tied up in your love | Eine spicy Age Gap Gay Romance

Kapitel 1

Cam

»Hör mal. Wenn der Weihnachtsmann mir keinen Holzfäller geschickt hat – und ich habe ihn darum gebeten –, dann gibt es einfach keine alleinstehenden Männer mehr in Rainbow Cove, die Schwänze mögen. Sie sind alle schon verpartnert oder so.« Ich seufzte dramatisch ins Handy und hielt lange genug inne, dass Kess sanft lachen konnte. Der Laut hallte durch den grauen Februartag. Verdammt. Ich brauchte unbedingt eine Kess-Umarmung, aber xier war weit weg in Buffalo, unter zwei Metern Schnee oder etwas ähnlich Entsetzlichem.

»Hast du es je versucht? Ich meine, es gibt doch diese integrative Bar und die ganze LGBTQ-Tourismussache. Es kann bestimmt nicht so schwierig sein, eine Trostaffäre zu finden. Du bist an der Küste von Oregon, Cam, nicht auf dem Mond.«

»Oder in Buffalo«, konnte ich mir nicht verkneifen. Vor dem Fenster wirbelte ein lebhafter und zweifellos kühler Wind die Blätter im Garten vom Boden auf. Ich lehnte mich an den Tisch und klemmte mein Handy zwischen Schulter und Kinn.

»Hier gibt es für meinen Forschungsbereich einen der besten Promotionsstudiengänge im Land. Es ist kein Gefängnis. Wir können nicht alle berühmte Vlogger sein. Und niemand hat dich dazu gezwungen, dich nach dem Rodrick-Debakel an die Küste zurückzuziehen.«

»Tante Martha braucht mich. Ich bin alles, was sie hat!« Das stimmte nicht ganz, da ich Cousins und Geschwister hatte, aber die meisten verfolgten steile Karrieren und konnten im Gegensatz zu mir nicht so einfach umziehen.

»Schon wieder das Drama.« Kess kannte mich zu gut. »Und ich wette mit dir um einen Dutch Brothers-Kaffee diesen Sommer, wenn ich dich besuche, dass deine Durststrecke bis zum Valentinstag ein Ende hat.«

»Ich hoffe wirklich, du hast recht.« Ich sah auf den Tisch hinab, auf dem ich die Utensilien für das heutige Video übers Konturieren ausgebreitet hatte. Die neuen Proben, die ich bekommen hatte, sahen gut aus und das helle Licht im Esszimmer bot das perfekte improvisierte Studio für die regelmäßigen Updates, die mein Videokanal brauchte.

»Ups. Muss los! Hab in zehn Minuten ein Lerntreffen.« Kess beendete den Anruf in atemloser Eile. Während ich das Handy ablegte, erklang ein Klopfen an der Vordertür.

Ich ging durch das Durcheinander an Räumen, die Tante Martha über die Jahre hinweg an das Haus angebaut hatte, und fluchte über die wachsende Dringlichkeit des Klopfens. Aber als ich die Tür öffnete, verwandelten meine inneren Flüche sich in Dankgebete, denn auf der Veranda fand ich die absolute Perfektion im Karomuster vor.

Breite Schultern, gemeißelter Kiefer, Bizeps und ewig lange, jeansbekleidete Beine. Kurze Haare, die etwas heller waren als meine. Nur wenige Stoppeln. Die Holzfäller-Pornowerbung auf zwei Beinen sah außerdem ein wenig älter aus als ich. Gut, vielleicht mehr als ein wenig. Wahrscheinlich eher fünfzehn Jahre oder so, aber nicht genug, um meine persönlichen Grenzen für eine Schwärmerei zu überschreiten.

Verdammt, Kess, das hättest du nicht tun müssen. Ich versuchte, dem Kerl mein bestes Lächeln zu schenken, aber sein ungeduldig wirkender, finsterer Blick war nicht ermutigend.

»Na hallo.« Ich fuhr mit meiner unmissverständlichen Zurschaustellung meiner vielen Reize fort, während ich seine breite Brust, die schmale Taille und den dicken Ledergürtel betrachtete, die mich auf die bestmögliche Art schaudern ließen. Das war ein Kerl, der Dominanz in Wellen ausstrahlte wie eine gehende, sprechende Aftershave- oder Whiskey-Werbung.

»Ich bin hergeschickt worden.« Es war ein plumper Spruch, aber ungefähr, was man von einem Stripper mit Holzfäller-Thema erwarten würde. Oder Escort. Egal, was er war, er war zum Anbeißen.

»Darauf wette ich.« Ich gab der Versuchung nach, streckte die Hand aus und drückte seinen massiven Bizeps. »Wie viel bezahlt Kess dir dafür?«

»Kess?« Der Kerl blinzelte sehr langsam und bewusst. Fuck. Ein schreckliches Gefühl breitete sich in meinem Bauch aus. Seine Miene verfinsterte sich. »Es war Martha, die mich angerufen hat. Wegen der Bäume? Die dort draußen, die sie gefällt haben will?«

»Oh. Fuck.« Jetzt war ich mit Blinzeln an der Reihe und ließ die Hand fallen, als hätte ich den Holzofen im Wohnzimmer berührt. Meine Stimme klang schwach und dünn. »Kein Stripper?«

Das erntete ein tiefes, leises Lachen und sein finsterer Blick verwandelte sich in ein fast ausgelassenes Grinsen. »Kommt drauf an. Was zahlt Kess?«

»Kess studiert, also vermutlich nicht viel«, gestand ich.

»Ich glaube, ich bin wohl außerhalb des Instantnudeln-Budgets.« Immer noch lachend schüttelte er den Kopf.

»Ich hatte ehrlich nicht vor, dich zu beleidigen, aber Kess und ich sind befreundet, wir haben gerade telefoniert und xier wollte mich aufheitern. Einen Stripper anzuheuern, sähe xiem ähnlich.«

»Ich bin nicht beleidigt.« Das Grinsen blieb an Ort und Stelle, was beinahe schockierend war. Die meisten Kerle aus der Gegend würden sich darüber aufregen, für einen männlichen Stripper gehalten zu werden, aber er schien zufrieden damit, es als einen großen Scherz zu betrachten. »Und warum musst du aufgeheitert werden?«

»Mein Freund hat an Thanksgiving mit mir Schluss gemacht.« Ich erzählte ihm in stark verkürzter Version die höchst erniedrigende Geschichte, wie Rodrick sich während des Thanksgiving-Dinners seiner Familie in Vancouver von mir getrennt hatte und ich mit dem Bus zum Campus in Eugene hatte zurückfahren müssen, nachdem Rodricks Onkel mich zur Bushaltestelle gebracht hatte.

»Verdammt. Das ist beschissen.« Er pfiff. Sein Lächeln verblasste und ich vermisste es sofort.

»Aber es hat mir die Gelegenheit gegeben, herzukommen und Tante Martha zu helfen, es ist also nicht alles schlecht.« Ich zwang mich zu einem fröhlichen Ton, da ich nicht bei Rodrick und seinen vielen Schwächen verweilen und stattdessen ein weiteres bezauberndes Lächeln von dem Kerl ergattern wollte.

»Das ist gut. Sie braucht die Hilfe, da bin ich sicher. Ist sie da?« Seine Stimme war tief und klang, als wäre er es gewohnt, das Kommando zu übernehmen.

»Nein. Tut mir leid. Sie ist beim Ladys Bridge Club im Seniorenzentrum. Eine Freundin hat sie abgeholt. Wahrscheinlich hat sie vergessen, dass du kommst.« Das war in letzter Zeit öfter passiert und ich beschwor sie immer wieder, alles aufzuschreiben, aber sie weigerte sich beharrlich. »Aber ich kann dir die Bäume zeigen.«

»Geh voran.« Er trat beiseite, damit ich auf die Veranda kommen konnte. Ich dachte kurz daran, einen Mantel mitzunehmen, aber wenn Mr. Holzfäller in einem gesteppten Karohemd und etwas, das wie ein weißes T-Shirt aussah, hinausgehen konnte, dann konnte ich auch mit meinem Pulli auskommen.

»In letzter Zeit ist es kalt im Haus und sie will das Holz für die Holzöfen. Aber vor allem macht sie sich Sorgen, weil sie meint, die Bäume sterben und müssen weg, bevor ein Sturm sie umwirft und auf das Haus fallen lässt.«

»Schlau.« Er folgte mir hinter das Haus und zu dem weitläufigen Grund, der eher überwucherter Wald als Garten war und in dem die beiden gefährdeten Bäume etwas zu dicht am Haus standen. »Ja, ich sehe, was sie meint.«

Er ging mit selbstsicheren Bewegungen um die Bäume herum. Verdammt. Gab es etwas Heißeres als einen kompetenten Mann bei der Arbeit?

»Können sie entfernt werden?«

»Klar. Wir können sie rausholen.«

»Wir?« Ich wollte nicht wie ein Schwächling klingen, aber ich war nicht gerade für harte Arbeit gebaut und Baumfällarbeiten gingen über meine begrenzten Outdoor-Fähigkeiten hinaus.

Der Kerl lachte wieder. »Nicht du. Meine Crew. Wir sind gerade nicht in der Hauptsaison, aber ich kann die hier nicht allein fällen. Da das Geschäft gerade langsam läuft, mache ich Martha einen guten Deal. Und ich weiß, dass sie es schwer hatte, seit George gestorben ist. Ich habe auch gehört, dass sie vor kurzer Zeit einen bösen Sturz hatte.«

Es war nicht überraschend, dass er wusste, was bei Tante Martha los gewesen war – Rainbow Cove war eine winzige Stadt, in der jeder alles über die Angelegenheiten der anderen wusste, etwas, woran ich mich noch gewöhnen musste.

»Ja, es war schwer für sie.« Ich schluckte hart. Gott, ich vermisste Onkel George, einen der solidarischsten Menschen, die ich je getroffen hatte. Er hatte meinen Video-Kanal abonniert, obwohl mehrere andere Verwandte es vorzogen, mein Hobby mit einem Lachen abzutun.

»George war ein guter Mann.« Dann musterte der Kerl mich sorgfältiger, als er es zuvor getan hatte, so als versuchte er, mich einzuordnen. Ich widerstand dem Drang, unter seinem prüfenden Blick zu zappeln, und wartete, dass er fortfuhr. »Du bist der... äh... Neffe? Cal, oder? Sie haben beide von dir erzählt.«

»Neffe«, bestätigte ich. »Und ich heiße Cameron. Cam.«

Ich schätzte, seine Pause vor dem Wort Neffe hatte etwas mit dem pinkfarbenen Pulli und dem dezenten Lipgloss zu tun, das ich zur Vorbereitung auf das Video aufgetragen hatte – ich hatte etwas Aufheiterung gebraucht, um in die richtige Stimmung zu kommen, mit meinen Abonnenten zu sprechen.

Trotz meiner Liebe für alles, das mit Make-up zu tun hatte, identifizierte ich mich nicht als nicht-binär, anders als Kess, dier unsere ganze Freundschaft hindurch selbstbewusst auf geschlechtsneutrale Pronomen bestanden hatte. Ich sah mich auch nicht als Dragqueen – von denen kannte ich ebenfalls mehr als genug und zählte viele zu meinen Freunden, aber ich hatte keine innere Königin, sondern vielmehr eine tiefe Liebe für Farben und Verwandlung und alles, was mit Femme oder Glam zu tun hatte. Allerdings musste dieser Kerl das alles nicht wissen.

»Ich bin Johnny.« Er streckte eine Hand aus. Wenn er von meinem Aussehen abgestoßen war wie viele andere Leute auf dem Land, zeigte er es nicht. Sein Blick war immer noch freundlich und hielt meinen fest, während er mir einen festen Handschlag gab, den ich noch eine Weile später spürte. Oh ja. Der Kerl gefiel mir. Sehr. Zu schade, dass er nicht wirklich ein Geschenk von Kess war.

»Schön, dich kennenzulernen.« Meine Stimme klang viel zu atemlos.

Johnny ließ meine Hand fallen, um ein Handy hervorzuholen. »Sieht aus, als könnte ich Marthas Auftrag am Vierzehnten einschieben.«

»Am Valentinstag? Du hast keine Pläne?« Bitte sei Single. Bitte sei Single.

»Ach nein.« Er zuckte mit den massigen Schultern. »Arbeit ist Arbeit. Romantik überlasse ich den Paaren und Kids, die so was brauchen. Was ist mit dir? Irgendwelche Pläne?«

Wollte er auf etwas hinaus? Guter Gott, ich hoffte es. »Zählt es, kitschige Filme zu schauen und zu überlegen, wie ich meinen Ex rasend eifersüchtig machen könnte?«

»Vielleicht.« Ein durchtriebenes Lächeln zupfte an seinen Mundwinkeln. »Rasend, hm? Damit könnte ich dir vielleicht helfen.«

»Ach ja?« Meine Augen wurden so groß, dass ich das Ziehen bis in den Haaransatz spürte.

»Hast du irgendetwas für Seile übrig?« Er studierte mich wieder, als könnte er direkt bis zu meinen tiefsten Geheimnissen und verdorbensten Wünschen sehen.

»Seile?«, quietschte ich. Ein richtiges Quietschen – es war ein Wunder, dass er nicht lachte. Oder davonlief.

»Ist das ein Vielleicht?« Sein Ton war selbstgefällig, als genösse er meinen Ausflipper. »Du könntest dich von mir fesseln lassen – und ein paar Fotos für den Ex bekommen, bei denen er die Trennung sofort bereut.«

»Du willst mich fesseln?« Ich konnte nicht entscheiden, ob dieser Johnny ein Serienmörder, ein krasser Scherzkeks oder so etwas wie ein zum Leben erwachter feuchter Traum war.

»Klar.« Er kramte in seiner Tasche herum und holte eine Geldbörse und einen Stift heraus. Er förderte eine Visitenkarte zutage und kritzelte etwas darauf, bevor er sie mir reichte. »Ich bin kein Amateur. Das mache ich regelmäßig.«

Ich nahm die Karte. Auf der schwarzen Vorderseite stand das Wort Roped. Die Rückseite war weiß und hatte eine URL aufgedruckt. Er hatte eine Telefonnummer und eine Reihe scheinbar zufälliger Buchstaben und Zahlen hinzugefügt. »Für die Bildergalerie wirst du das Passwort brauchen, das ich aufgeschrieben habe. Ich verspreche, dass du bei mir heißer aussehen wirst als je zuvor. Er wird dich so verzweifelt zurückwollen, dass er schwarz wird.«

»Ich will ihn nicht zurückhaben. Nur eifersüchtig machen.«

»Noch besser.« Sein Grinsen versprach versaute Dinge, bevor seine Miene wieder ernst wurde. »Hör mal. Das ist keine billige Anmache – ich richte mich ganz nach dir und schließe Sex von vornherein aus. Ich versuche nicht, dich zu irgendetwas zu zwingen. Einfach Seile und ein paar Fotos nur für dich oder damit du sie mit dem Verlierer-Ex teilen kannst – deine Entscheidung.«

Ich biss mir auf die Lippe und versuchte zu entscheiden, ob ich mich besser oder schlechter fühlte, weil Sex kein Teil des Angebots war. »Bist du so eine Art Dom?«

»Könnte man so sagen. Ich bin in der BDSM-Szene hier ziemlich bekannt. Du könntest wahrscheinlich Leute finden, die dir versichern, dass ich ein anständiger Spielpartner bin. Aber ich sage dir lieber jetzt, dass es für mich vor allem um die Seile geht. Ich habe nicht viel für Bestrafungen oder Stiefellecker-Spielchen übrig.«

»Ich mag keine Schmerzen«, gestand ich. Ich empfand durchaus eine gewisse Neugier auf Fesselspiele, hatte jedoch immer gezögert, sie in die Tat umzusetzen, da ich mich keinen Hieben oder Peitschen aussetzen wollte.

Allerdings liebte ich Männer in Leder und mochte es, niedergehalten zu werden, andere zu befriedigen – ich hatte schon öfter mit Kess gescherzt, dass ich ein toller Sub wäre, wenn ich nur nicht so partout gegen Schmerzen wäre. Als Kind hatte ich mehrere Operationen wegen Ohrenproblemen und einer Nierengeschichte gehabt und davon eine bleibende Abneigung gegen Schmerzen zurückbehalten.

»Das ist in Ordnung. Nicht alle Subs sind scharf auf Schmerzen.«

Ich runzelte die Stirn, mein begrenztes Wissen über BDSM verwirrte mich immer noch. »Aber sind nicht alle Doms scharf darauf, Hiebe auszuteilen und so?«

»Nein. Es gibt viele verschiedene Typen.« Sein Ton war geduldig, fast nachsichtig.

»Und ich bin kein Sadist – ich gebe zu, dass ich mit Subs, die Schmerzen wollen oder brauchen, damit experimentiert habe, aber es ist nicht mein Hauptding, nicht wie die Seile.« Er hatte eine gewisse Art, Seile zu sagen, zog das Wort ganz attraktiv und mit einer Ehrfurcht in die Länge, die ich noch nie gehört hatte.

»Und die Fotos?«

Er hob die Mundwinkel und zuckte mit den Schultern. »Was kann ich sagen? Ich mag Andenken an meine Arbeit. Es ist irgendwie ein Hobby von mir. Hab eine anständige Kamera und Ausrüstung bei mir zu Hause.«

»Sagte die Schlange zum Kaninchen«, murmelte ich und stellte mir eine Art zwielichtige Sexhöhle vor.

»Hör mal, sieh dir meine Website an. Schau die Bilder durch. Wenn du etwas siehst, das dir gefällt, schreib mir eine Nachricht. Wenn nicht, auch in Ordnung. Ich bin nächste Woche hier und kümmere mich um die Bäume und wir können so tun, als hätte ich nie gefragt.«

»So einfach?«

»So einfach. Jetzt muss ich aber los – Feuerholz abliefern. Aber schreib mir ruhig, wenn du Interesse hast. An den Abenden habe ich meistens frei.«

»Okay«, sagte ich schwach. Ich versprach nicht, die Bilder anzusehen, da ich ehrlich nicht sicher war, was ich tun sollte, aber als er mit einem kleinen Gruß davonging und sein schöner, schöner Hintern sich im Gehen bewegte, wusste ich, dass die Neugier mich überwältigen würde.

Ich lenkte mich für eine kurze Zeit ab, indem ich mich vergewisserte, dass wir Zutaten für das Abendessen hatten, das ich Tante Martha kochen würde, aber schließlich ging ich ins Esszimmer zurück. Und tatsächlich: Als ich meinen Laptop einschaltete, tippte ich die Roped-Internetadresse ein, bevor ich mich wieder meiner Video-Vorbereitung widmen würde. Während mein Herz dreimal schneller pochte, gab ich das Passwort ein.

»Heilige Scheiße.« Meine Stimme hallte in dem stillen Raum wider. Das hier war weit von den geschmacklosen BDSM-Archivbildern entfernt, die ich erwartet hatte – kein ungeschickter Amateurkram, wie ich ihn an anderen Orten gesehen hatte und bei dem ich mich sofort für alle Beteiligten fremdgeschämt hatte. Nein, das hier war Kunst.

Ich hatte schon gemodelt und diese Aufnahmen waren mehrere Stufen über der Qualität der meisten Portrait- und Werbefotos. Wunderschöne Bilder, die meisten schwarz-weiß, von allen möglichen Leuten verschiedener Ethnien – kurvige Frauen, schlanke Männer und ein paar Transersonen, alle in verschiedenen Posen gefesselt.

Manche Schnappschüsse zeigten aufwendige Takelungen mit dicken Seilen, während andere Nahaufnahmen eines einzelnen Seils an einem bestimmten Körperteil waren. Oberkörper-Bindungen, korsettähnliche Reihen aus bunten Knoten. Bein- und Armfesseln, die Haltungen wie im Yoga bewirkten und sie ätherisch und unwiderstehlich aussehen ließen.

Einige Models lächelten selig, während viele andere die Augen geschlossen und eine fast meditative Ausstrahlung hatten. Es gab sogar einige lachende Models, die offensichtlich mit dem Fotografen Späße machten, ohne ihre Situation besonders ernst zu nehmen.

Das waren die Fotos, die mir unter die Haut gingen – eine seltsame Anziehung. Johnny musste gut sein, wenn seine Partner sich mit ihm so entspannten. Meine überschaubaren Modelerfahrungen hatten mir zwar gefallen, aber dabei war nicht viel gelacht worden.

Die Vorstellung, eine derart tiefe Verbindung mit dem Fotografen zu haben, reizte mich unwillkürlich. Und selbst die Models mit ruhigeren Ausdrücken wirkten trotz der Fesseln sehr entspannt. Niemand sah aus, als hätte er oder sie Schmerzen. Keine roten Stellen oder blauen Flecken. Ich erkannte einige Requisiten aus den BDSM-Pornos, die ich mir nur selten angesehen hatte – große Kreuze oder ledergepolsterte Bänke –, aber manche Requisiten waren auch alltägliche Gegenstände wie Stühle und Betten. Außerdem hatte Johnny einige Aufnahmen im Freien gepostet. Hitze kroch meinen Rücken hinauf. Die gefielen mir. Genau wie die verdorbene Vorstellung, draußen nackt und gefesselt zu sein und schmutzige Fotos zu schießen.

In keinem der Bilder war Sex zu sehen oder Johnny selbst, aber an den koketten Gesichtsausdrücken einiger Teilnehmer war deutlich zu sehen, dass sie an Sex dachten und hofften, dass der Fotograf ihr Flirten bemerkte. Und vielleicht hatte er das. Er hatte nie gesagt, dass Sex immer vom Tisch war, sozusagen. Zweifellos waren einige seiner Models auch sexuelle Partner von ihm und bei diesem Gedanken zog sich meine Kehle zusammen. Ich hatte keinen Anspruch auf den Mann, keinen Grund, Eifersucht zu empfinden, und doch war ich hier und wünschte mir, ich wäre eins der Models, wünschte mir, ich wüsste, was passierte, wenn die Kamera beiseitegelegt wurde.

Ganz unten auf der Seite war ein Link zu einem Profil einer BDSM-Gemeinschaftsseite, die ich wiedererkannte. Ich klickte darauf. Johnnys Profil beinhaltete ein Foto von ihm in Lederhose. Ohne Hemd. Guter Gott. Für diese Brust könnte ich meine Bedenken, BDSM auszuprobieren, über Bord werfen. Allerdings gab es nur dieses eine Foto. Keine Schwanzfotos, wie ich sie von etwas wie einer App für schnellen Sex erwartet hätte. Wenn ich die Vielfalt seiner Models bedachte, leuchtete es auch ein, dass er unter die Auf der Suche nach-Überschrift nur Ich lasse mich überraschen geschrieben hatte. Und seine Kommentarleiste waren voller Lob – es war keine Lüge gewesen, dass andere Leute für ihn sprechen würden.

Danke für die wunderschönen Fotos. Wir lieben sie beide so sehr.

So ein tolles Shooting. Es war eine Freude, wieder mit dir zu arbeiten.

Kann es kaum erwarten, die Fotos herumzuzeigen!

Er hatte eine große Anzahl an Freunden, vor allem in Oregon, aber auch manche über das ganze Land verstreut. Immer noch kein Beweis, dass er kein Serienmörder war, aber doch ein Beleg dafür, dass er beliebt war und wunderschöne Fotos machte, die seriös wirkten. Und ich verstand, warum die Models die Bilder so gerne mit anderen teilten – sie waren auf eine Art sexy, die ich noch nie gesehen hatte.

Mit Make-up konnte ich einen Schlafzimmerblick und Schmollmund erschaffen, aber Johnny schaffte es irgendwie, die natürliche Sinnlichkeit seiner Models einzufangen. Selbst wenn ich mit den Fotos nicht in Rodricks Posteingang herumwedelte, könnten sie etwas sein, das ich für mich behielt. Eine Erinnerung, dass ich immer noch sexy und begehrenswert war, egal, was idiotische Ex-Freunde sagten und glaubten.

Und ich war vielleicht dreiundzwanzig, aber alles andere als naiv – ich glaubte zu wissen, wie ich auf der sicheren Seite blieb, auch wenn ich impulsive Entscheidungen traf oder auf fragwürdige Dates ging. Nicht, dass ich unbedingt etwas mit Johnny anfangen würde. Das hatte er deutlich gemacht. Es wären einfach ein paar Fotos – das machte ich ja nicht zum ersten Mal. Der Teil mit den Seilspielen würde neu sein, aber ich konnte nicht leugnen, dass sich bei dieser Vorstellung Wärme in meinem Bauch ausbreitete. So einfach.

Damit ich nicht zu lange über die Entscheidung nachdenken konnte, griff ich nach meinem Handy und schickte mit zitternden Fingern eine Nachricht ab. Ich mache es.

Kapitel 2

Johnny

Ich machte es mir eigentlich nicht zur Gewohnheit, Kunden anzugraben. Es geschah hin und wieder, da ich ein freundlicher Kerl und auch nur ein Mensch war. Ich versuchte, professionell zu bleiben und meine Kink-Hobbys auf den Kreis Gleichgesinnter zu beschränken, den ich über die Jahre hinweg aufgebaut hatte. Aber Marthas Neffe hatte etwas an sich gehabt, bei dem meine ganze Professionalität verschwunden war.

Mir war wie einem geilen Teenager das Wasser im Mund zusammengelaufen und ich hatte Probleme gehabt, zusammenhängende Sätze zu formulieren, geschweige denn, mein Angebot auf eine nicht bedrohliche Art und Weise herauszubekommen – etwas, das seit über einem Jahrzehnt kein Problem gewesen war. Nachdem ich meine Ladung Feuerholz bei einem Stammkunden abgeliefert hatte, verweilten meine Gedanken immer noch bei der dunkelhaarigen Sahneschnitte.

Ich konnte ehrlich sein und zugeben, dass es die Femme-Sache war, die mir unter die Haut ging. Ich hatte immer eine Schwäche für ein hübsches Gesicht jeglichen Geschlechts gehabt und seine üppigen, schimmernd geschminkten Lippen sowie der flauschige, pinkfarbene Pullover verrieten eine Vertrautheit damit, Geschlechternormen zu beugen, die mich wie verrückt anmachte. Außerdem war er jünger und zart gebaut – zwar nicht klein, aber schmal mit elfengleichen Zügen. Ich hatte schon die verschiedensten Körpertypen und Altersklassen gefesselt, würde jedoch lügen, wenn ich eine Neigung zu kleineren Spielpartnern wie Cam abstritt. Etwas an diesem Körperbau bewirkte, dass mein Ego anschwoll und ich mich noch viel größer fühlte.

Nicht, dass wir wirklich spielen würden. Ich hatte ihm gesagt, dass Sex vom Tisch war, und hatte vor, mich daran zu halten – die anfängliche Angst hatte ihm deutlich ins Gesicht geschrieben gestanden und ich war zwar scharf auf ihn, wollte ihn aber nicht verängstigen. Einfach nur Fotos von jemand so Hübschem schießen zu können, wäre eine nette Ablenkung von der lächerlichen Sentimentalität dieser Jahreszeit – all die roten Herzen und rosa Schleifen erinnerten mich daran, wie single ich doch war.

Was ich eigentlich mögen sollte, da ich der Junggesellen-Onkel im Wald und all das war, aber in Wahrheit war ich ein soziales Wesen und fühlte mich gelegentlich einsam – in letzter Zeit öfter, da viele Freunde ihre Partner gefunden hatten. Alle meine Geschwister hatten jetzt Kinder, was meinen alten Herrn und meine Mutter begeisterte, aber mir auch das Gefühl gab...

Nun ja, nicht alt, aber unruhig zu sein. Als wollte ich nach über einem Jahrzehnt des recht glücklichen Junggesellendaseins etwas, bei dem ich nicht einmal sicher war, wie ich es benennen sollte.

Als ich bei meinem Haus ankam, vibrierte mein Handy wegen einer Nachricht von einer unbekannten Nummer. Die Vorwahl war aus Eugene.

Ich mache es.

Fuck, ja.

Willst du heute Abend vorbeikommen?,

tippte ich, wohl wissend, dass es etwas zu eifrig klingen könnte, aber ich wollte ihn doch erwischen, solange er noch Interesse hatte.

Heute Abend?

Ich konnte fast das niedliche Quietschen hören, das er zuvor in der Stimme gehabt hatte. Die nächste Nachricht kam, bevor ich antworten konnte. Ich muss für Tante Martha Abendessen machen.

Komm danach vorbei?,

schlug ich vor und fügte hinzu:

Du musst ihr nicht sagen, wohin du fährst, aber sag es irgendjemandem, dem du vertraust. Gib ihm oder ihr meine Adresse und Handynummer und sag, dass du dich bis Mitternacht melden wirst.

Seine Antwort dauerte eine Weile und ich war bereits in meiner Blockhütte, als das Handy wieder vibrierte und die Hunde um meine Beine herumrannten, als wäre ich ein Jahr lang weg gewesen. Ich ließ sie hinaus, bevor ich seine Nachricht las.

Das kann ich tun. Kess wird es urkomisch finden. Ich sage Tante Martha, dass ich etwas trinken gehe und mir das Spiel der Blazers anschaue.

Darüber blinzelte ich. Ich hatte nicht erwartet, dass er ein Sportfan war, freute mich jedoch, eines Besseren belehrt zu werden.

Du magst Basketball? Und Bier?

Ein Augenroll-Emoji kam zurück, gefolgt von einem lachenden.

Du nicht?

Mein Dad hat eine Dauerkarte oben in Portland. Als Kind bin ich immer mit ihm mitgekommen.

Und ich sagte Trinken, nicht Bier. Pale Ales trinke ich schon, aber Cider habe ich lieber.

Ich sah in meinen Kühlschrank und notierte mir diese Information gedanklich für später – ich würde keinem von uns vor einer Szene Alkohol geben, hätte aber nichts dagegen, wenn er danach noch blieb und sich das Ende des Spiels mit mir ansah.

Ich schalte das Spiel ein, wenn wir mit deinen Fotos fertig sind,

schrieb ich zurück.

Apropos... Muss ich mich ganz ausziehen? Ich hab gesehen, dass einige deiner Models etwas wie Unterwäsche anhatten. Und ich will nicht in der Luft hängen! Jedenfalls nicht beim ersten Mal.

Mir gefiel der Klang dieses beim ersten Mal sehr, sowohl weil ich wiederkehrende Spielpartner genoss, als auch weil ich mich danach sehnte, Hängebondage mit ihm auszuprobieren. Ich mochte alle Arten der Fesselung, aber das für eine Suspension benötigte Vertrauen sorgte dafür, dass ich hart wurde wie eine hundert Jahre alte Eiche.

Nachdem ich schnell ein Glas Wasser geholt hatte, schickte ich eine Antwort.

Du kannst tragen, worin auch immer du dich am besten fühlst, aber behalt im Kopf, dass dicke Kleidung im Weg sein kann. Und ich führe dich herum, damit du ein Gefühl dafür bekommst, wo du es machen willst.

Ich wollte hinzufügen, dass er gerne all die hübsche, kleine Unterwäsche mitbringen konnte, die er vielleicht bevorzugte, fürchtete jedoch wieder, ihn mit zu viel Flirten zu schnell zu verschrecken. Stattdessen schickte ich ihm meine Adresse und wir vereinbarten eine Zeit, zu der er kommen würde. Ich erwartete halb, dass er absagte, daher versuchte ich, mich mit meiner Buchhaltung zu beschäftigen – die endlose Plackerei, die das Leben eines kleinen Betriebsinhabers mit sich brachte.

Danach vergewisserte ich mich, dass in meiner Kamera eine frische Speicherkarte steckte. Außerdem bereitete ich meinen Spielbereich vor – drehte die Heizung auf, achtete darauf, dass alles sauber und desinfiziert war, und sah nach, ob mehrere verschiedene Seilarten bereit zum Einsatz waren.

Die Hunde ließen mich wissen, als es Zeit zum Abendessen war. Ich kochte mir eine schnelle Dosensuppe, während ich die Tiere fütterte. Der Dreierpack, wie ich sie gerne nannte, bestand aus großen, wilden Mischlingen: einem Schäferhundmischling, einem übergroßen, missglückten Labrador-Schäferhund-Experiment und einem Jagdhund unbekannter Abstammung. Während ich das Geschirr vom Abendessen abwusch, überlegte ich, ob ich sie im Schlafzimmer einsperren sollte, wenn Cam kam.

Normalerweise ging ich nicht so weit, aber er schien mir ein schreckhafter Typ zu sein und ich wollte aus Gründen, die ich lieber nicht genau analysierte, einen guten ersten Eindruck hinterlassen.

Aber bevor ich das Rudel zusammentreiben konnte, hörte ich das Brummen eines Autos, das die lange Auffahrt heraufkam. Die Hunde waren schneller bei der Tür als ich und Lex schlüpfte hinaus, während ich noch versuchte, ihnen zuvorzukommen.

»Benehmt euch«, sagte ich den anderen beiden. Sie folgten gemächlicher an meiner Seite, während die Außenbeleuchtung mit Bewegungssensor anging, stürmten jedoch voran, als Cam aus seinem kleinen SUV stieg. Ich hatte einen winzigen Importwagen erwartet, aber meine Annahmen über Cam wurden wieder über den Haufen geworfen. Und wieder, als er die Jungs enthusiastisch mit einem Lächeln begrüßte.

»Wer ist ein guter Hund? Na, wer?« Mir schenkte er ein vorsichtigeres Grinsen. »Du hättest mich warnen sollen, dass ich Leckerlis mitbringen soll.«

»Oh, sie bekommen mehr als genug. Glaub mir.« Meine Schultern entspannten sich. Dass er ein Hundemensch war, machte alles viel einfacher.

»Wie heißen sie?« Er kraulte Lex am Kopf und der Schäferhund genoss die Aufmerksamkeit und streckte sich nach mehr.

»Der hier ist Lex. Er ist hier der Boss. Dann haben wir Joker, den großen flauschigen, und Penguin ist der schwarz-weiße hinter dir.«

»Du benennst deine Hunde nach Superhelden-Schurken?«

»Lex hatte den Namen schon, Joker hat ihn sich durch seinen Charakter verdient und Penguin durch sein Aussehen.« Ich zuckte mit den Schultern. »Und glaub mir, das ist besser als die Namen, die meine Nichten und Neffen für ihn hatten. Sie waren fest entschlossen, ihn nach irgendeinem YouTuber zu taufen, von dem sie alle besessen sind.«

Cams Gesichtszüge entglitten und er runzelte die Stirn, als hätte ich einem der Hunde eine verpasst. »Du magst Vlogger nicht?«

»Du meinst die Kerle, die den ganzen Tag lang Videospiele für Kinder spielen können und jeden einzelnen...« Ich brach ab, als meine Zunge mein Gehirn überholte, was nicht gerade schockierend war, wenn ich bedachte, wie verdammt gut Cam in seinem kleinen limonenfarbenen Caban, der engen Jeans und den Stiefeln aussah. Seine dunklen Haare waren sorgfältig gestylt, vorne länger und an den Seiten kürzer, und sein Mund war dunkler und üppiger geschminkt als vorhin. Und er runzelte immer noch die Stirn. Missbilligung stand ihm deutlich in die haselnussbraunen Augen geschrieben. Mist. »Das machst du? Das Vlog-Ding?«

»Keine Videospiele. Ich bin Mode- und Lifestyle-Vlogger. Mache vor allem Schmink-Tutorials.«

»Und damit verdient man Geld?« Ich versuchte, die Skepsis aus meiner Stimme herauszuhalten, da ich ihn nicht in sein Auto zurücktreiben wollte, bevor wir es überhaupt ins Haus geschafft hatten.

»Mit Werbeanzeigen, ja. Firmen schicken mir Proben zum Testen und ich war das Gesicht von ein paar Marketingkampagnen, aber der Großteil meines Einkommens kommt von Werbeanzeigen. Es ist nicht übermäßig viel, aber es deckt meinen Studienkredit und das Auto ab, was mehr ist, als ich von den Jobs einiger meiner Freunde sagen kann.«

»Cool. Du hast ganz offensichtlich ein Talent für Make-up.«

»Ja?« Das Stirnrunzeln wich etwas, das einem Lächeln nahekam. »Es ist nicht zu viel für dich?«

»Überhaupt nicht.« Ich hoffte, dass meine Miene anerkennend statt lüstern wirkte. »Wenn du beschließt, dass es dir gefällt, kannst du gerne mit deiner Ausrüstung wiederkommen und deinen Look an das anpassen, was du von den Fotos willst.«

»Das kann ich tun? Also, ich könnte dir sagen, wie ich es haben will?« Er folgte mir zur Blockhütte hinauf.

Mann, er war wirklich neu. An der Veranda wandte ich mich zu ihm um. »Absolut. Hier geht es nicht darum, dass ich dir Befehle gebe, die du blind befolgst. Manche Subs, mit denen ich gearbeitet habe, wollen, dass ich mich um alle Details kümmere, und lassen sich gerne überraschen. Andere haben es eher auf eine bestimmte Ästhetik abgesehen und wir arbeiten zusammen, um eine Szene oder ein Shooting zusammenzustellen und ihnen zu geben, was sie wollen und brauchen. Ehrlich gesagt gefällt mir das sehr, die Zusammenarbeit. Es ist schwierig, Gedanken zu lesen. Und du kannst aufhören, so besorgt dreinzuschauen. Ich habe nicht vor, dich zu fesseln, sobald wir das Haus betreten. Ich rede gerne vor einer Szene und bekomme ein Gefühl dafür, was mein Gegenüber sich davon erhofft.«

»Oh.« Unter den Lichtern der Veranda bildete sein voller Mund einen perfekten Kreis und ich musste wegsehen, bevor mein Schwanz auf Ideen kam. »Also, ich kann dir sagen, dass ich gerne schick aussehe. Ich mochte die Fotos auf deiner Website, die eher... elegant aussehen, würde ich sagen. Ätherisch. Wie gefallene Engel oder so.«

»Mit schick kann ich arbeiten.« Ich bat ihn in die Blockhütte und die Hunde folgten.

»Los, hinlegen.«

»Hä?« Seine Augen wurden wieder groß.

»Die Hunde. Nicht du. Vorerst bist du mein Gast. Sieh dich ruhig um. Du wirst merken, wenn wir eine Szene beginnen, versprochen.«

»Okay.« Er atmete hörbar aus und knöpfte seine Jacke auf, während er sich umsah.

Die Veranda führte in den Hauptraum des Hauses – einen geräumigen Bereich, in dem das Wohnzimmer gleich hinter der Tür begann. An der hinteren Wand befanden sich der Essbereich und die Küche. »Das ist ein schönes Haus. Habe ich draußen Solarmodule gesehen?«

»Jepp. Ich habe Solarzellen auf dem Dach und einen passiven Solar-Warmwasserbereiter. Nicht ganz selbstversorgend, aber ich arbeite daran.«

»Wow. Tante Martha hat etwas Land und sie mag ihre Holzöfen, aber sie hat nie daran gedacht, irgendetwas wie das zu tun, was du hier hast. Das fühlt sich wie eine... Öko-Touristenhütte an oder so.«

»Ach. So heftig ist es nicht. Eigentlich ist das ein ganz normales Haus. Mein Großvater hat mir dieses Land vererbt, also habe ich das Haus entworfen und über ein paar Jahre hinweg mit Hilfe von meinem alten Herrn und ein paar anderen gebaut. Ich wollte, dass es sich von innen größer anfühlt, als es eigentlich ist, daher die offene Raumaufteilung.«

»Du hast es entworfen?« Die Bewunderung in seinen Augen ließ nicht nur meine Haut heiß werden. Da ich mich beschäftigen musste, nahm ich seine Jacke und legte sie ans Ende des langen Ledersofas.

»Ja. Mit etwas Hilfe, wie gesagt. Mein Dad war Holzfäller und dann Handwerker – er hat mir über die Jahre eine Menge beigebracht. Und ich habe einen Architekten für die Dinge beauftragt, bei denen Pläne für Genehmigungen notwendig waren und so.«

»Das ist so cool.« Im besseren Licht des Hauses leuchtete seine Haut und sein Gesicht schimmerte fast, was mir richtig gut gefiel.

»Jetzt wünschte ich, ich hätte dir gesagt, dass du mehr Make-up mitbringen kannst. Oder vielleicht Glitzerpuder für den Körper. Wir könnten uns für diese Gefallener-Engel-Atmosphäre, die du willst, mit etwas Glitzerzeug vergnügen.«

Er lächelte breiter. »Das würde mir gefallen.«

»Dann bring nächstes Mal dein Kit und alles andere mit, was du deiner Meinung nach brauchen könntest.« Ich war entschlossen, eine Zusage für ein weiteres Treffen aus ihm herauszubekommen, bevor der Abend vorbei war. »Aber vorerst zeige ich dir mein Spielzimmer. Und wenn du merkst, dass du dich hier draußen wohler fühlst, sag das ruhig. Ich habe nichts dagegen, dich auf dem Sofa zu fotografieren oder so.«

Normalerweise hielt ich Wohn- und Spielbereiche getrennt, aber etwas an Cam machte mich nur allzu bereit, meine Grenzen und Regeln zu missachten, wenn ich ihn damit glücklich machte. Ich lenkte ihn zu dem kleinen Gang hinter der Küche, der zu Räumen führte, die in einem normalen Haus zwei Schlafzimmer und ein Bad sein könnten, die ich aber als Spielbereich und Büro nutzte. Ich ignorierte das Büro, das natürlich ein Chaos war, und sperrte die Tür zum Spielzimmer auf, bevor ich ihm meine Schlüssel gab.

»Ich halte es nur verschlossen, weil ich unerwartet Besuch von den Nichten und Neffen bekommen könnte. Die kannst du behalten, wenn du willst. Ich sperre dich nicht ein, versprochen. Ich mache die Tür zu, damit die Hunde uns nicht stören, aber sie ist nicht verschlossen.«

»Aber deine Autoschlüssel sind da dran und alles.« Mit verengten Augen inspizierte er die Schlüssel.

»Versuch, mich nicht gestrandet zurückzulassen.« Wenn er sich damit sicherer fühlte, war es das geringe Risiko wert, dass er die Schlüssel nehmen könnte. Ich deutete auf den Raum. »Hier mache ich normalerweise meine Shootings.«

Der große Raum mit den weißen Wänden wurde von meinen Lampen, den Hintergrundkulissen und einem Bett an der hinteren Wand dominiert. Auf beiden Seiten des Raums standen Requisiten, die je nach Bedarf in den Studiobereich gerückt werden konnten – zwei lederbezogene Bänke in verschiedenen Größen, ein Andreaskreuz, ein stabiler Holzstuhl und ein Schrank mit kleineren Requisiten.

»Es ist gar kein Verlies.« Er klang so verwirrt, dass ich lachen musste.

»Tut mir leid, dich zu enttäuschen.«

»Du hast mich nicht enttäuscht«, sagte er schnell. »Es ist mehr wie die Studios, in denen ich für Modeljobs war. Nicht wie ein Sexraum.«

Ich hatte hier mehr als genug Sex gehabt, verstand aber, was er sagen wollte. Seine Modelerfahrung würde sehr dabei helfen, ihn für die Fotos locker zu machen, und erklärte vermutlich ein wenig, warum er mein Angebot so bereitwillig angenommen hatte.

»Ich hab's dir gesagt. Wir werden keinen Sex haben. Ich hatte einige Spielpartner, denen es nur um die Seile und die Fotos ging. Manche bringen sogar ihre Hauptpartner mit.«

Etwas blitzte in seinen Augen auf und ich konnte nur hoffen, dass es Enttäuschung über das Sex-Tabu war. »Ja. Das hab ich auf deinem Profil gesehen. Du scheinst ziemlich beliebt zu sein.«

»Ach. Ich mag Menschen.« Ich zuckte mit den Schultern. »In diesen Kreisen lohnt es sich, nett zu sein, und wie mein Opa immer gesagt hat, Freundlichkeit kostet nichts.«

»Klingt nach einem klugen Mann.«

»Das war er.« Da ich nicht daran denken wollte, was für ein Loch sein Tod in mein Leben gerissen hatte, trat ich näher an Cam heran und legte vorsichtig eine Hand auf seine Schulter. »Erzähl mir mehr über die Fotos, die dir am besten gefallen haben.«

Er sah zu den Haken in der Decke hoch. »Die Suspensions waren cool, aber irgendwie beängstigend.«

»Mit dem richtigen Partner müssen sie das nicht sein. Eigentlich geht es um Vertrauen. Und ich werde dich nicht bitten, das heute zu probieren.«

»Ist es das Vertrauen, das dich anmacht, oder eher die Seile selbst? Also, das Gefühl dabei oder so?«

»Das mag ich auch, aber ja, es ist das Vertrauen, das nötig ist, um sich von jemand anderem fesseln zu lassen. Ich mag es, diese Art Verantwortung übertragen zu bekommen.«

Er dachte eine Minute lang darüber nach, bevor er nickte. »Wie hast du überhaupt damit angefangen? Tut mir leid, wenn die Frage zu persönlich ist.«

»Schon gut«, beruhigte ich ihn. »Ich habe kein Problem damit, wenn du neugierig bist. Und es ist eine langweilige Geschichte – als Teenager hab ich Pornos gefunden. Die haben mich angemacht, aber ich hab nichts davon in die Tat umgesetzt, bis ich ein paar Jahre später jemanden gedatet habe, der etwas älter als ich und in der Kink-Szene aktiv war. Ich hab langsam angefangen. Shibari und andere Fesselmethoden gelernt, einige gute Leute getroffen und hobbymäßig mit der Fotografie angefangen, als Leute mich um Fotos von den kunstvolleren Fesselungen gebeten haben.«

»Ich verstehe, warum sie Fotos wollen. Du bewirkst, dass Leute... wunderschön aussehen, würde ich sagen. Mehr als sonst.«

Ich gab der Versuchung nach und streichelte seinen Arm hinab. Er hatte den pinkfarbenen Pullover durch ein engeres graues Shirt ersetzt, bei dem seine Augen grüner und weniger golden aussahen, als sie es vorhin getan hatten.

»Also, wie sieht es aus? Hast du etwas, das du probieren willst?«

Er nahm sich einen Moment, um an seiner vollen Unterlippe zu nagen. Schließlich stieß er einen leisen Atemzug aus. »Ja.«