Leseprobe The Pool | Ein düsterer Destination Thriller voller Intrigen und tödlicher Wahrheiten

Kapitel eins

Der Fiat ruckelte und keuchte auf dem Weg aus der Stadt, kam an roten Ampeln stotternd zum Stehen und fuhr so schnell um die Kurven, dass ihre Körper wie bei einer Achterbahnfahrt hin und her gerüttelt wurden.

„Mir ist schlecht“, stöhnte Alice.

Hannah starrte durch das Seitenfenster und beobachtete, wie die fremde, von der Sonne geküsste Welt vorbeirauschte: ausgebleichtes Gras am Wegrand, Leitplanken, die die Straße von den kalkfarbenen Gebäuden trennten, alles etwas unscharf durch die Staubwolken. Nach einer Weile gab es keine Häuser mehr, nur noch Wiesen, übersät mit Sonnenblumen wie ein Meer aus Gelb, das weit in die Ferne reichte.

Hannahs Beine klebten am heißen Ledersitz und, einen schweren Koffer auf ihrem Schoß balancierend, sie konnte sich nicht bewegen, um sich etwas bequemer hinzusetzen. Auch ihr wurde langsam schlecht, als sie nach, was sich wie Stunden anfühlte, aber wahrscheinlich nur dreißig Minuten waren, von der Hauptstraße abbogen. Das Taxi hüpfte über die Straße, schlenkerte hin und her, während der Fahrer wahrscheinlich versuchte, wenn auch erfolglos, Schlaglöchern auszuweichen. Als das Auto scharf links abbog und durch ein Metalltor fuhr, wurden sie auch noch zur Seite geworfen. Ein Teil des Gebüsches kratzte am Fenster, der Kies unter den Autoreifen knirschte und Staubwolken wirbelten auf beiden Seiten hoch. Sie kamen zum Stehen. Für ein paar Sekunden sagte niemand etwas. Hannah konnte sich selbst laut in der Stille atmen hören.

„Wir sind da!“, verkündete der Taxifahrer und drehte sich mit einem Grinsen um, seine Zähne erschreckend weiß im Vergleich zu seiner gebräunten Haut.

Nick war der Erste, der wieder etwas sagte. Er lehnte sich im Vordersitz nach vorne und schaute am Haus nach oben. „Wow, schaut euch das an! Die Mühe wert.“

„Ich hätte mich fast übergeben“, stotterte Alice.

„Wunderschön, hübscher Ort!“ Der Taxifahrer strahlte. Er stieg aus dem Auto, öffnete den Kofferraum, holte zwei kleine Koffer heraus und ließ sie auf den Boden fallen. „Wünsche schönen Urlaub, Monsieur. Das wären heute achtzig Euro.“

„Achtzig?“, fragte Nick. „Am Flughafen haben Sie fünfzig gesagt!“

„Preis besonders günstig für freundliche englische Familie!“

„Wir hatten aber fünfzig vereinbart, als wir losgefahren sind?“

„Sehr guter Preis. Schnelle Fahrt für achtzig Euro!“

„Aber Sie haben definitiv …“

„Um Himmels willen, Nick, bezahl ihn einfach.“ Hannah kletterte vom Rücksitz, ihr Nacken verklebt mit Schweiß und ihre Schulter an der Stelle schmerzend, wo sie an die Autotür gestoßen war, als das Auto überraschend schnell losgefahren war. Sie konnte auch spüren, wie ihr Kopf anfing zu pochen, aber jetzt waren sie hier, was alles war, das zählte. „Alice“, rief sie. „Nimm den anderen Koffer, bitte. Jimmy, wo gehst du hin? Komm her und nimm deinen Rucksack!“

Aber der Junge war schon weg. Seine Schuhe rüttelten die Steine in der Einfahrt auf und seine kurze Hose erschien wie ein blauer Blitz, als er um die Ecke des Hauses verschwand.

„Warum zwingst du ihn nie dazu, zu helfen?“, fragte Alice. „Er ist alt genug, um auch ein paar der Taschen zu tragen.“

„Ich weiß, aber er ist aufgeregt. Lass uns einfach reingehen.“

Alice kickte den Rucksack zur Seite und schleifte einen der kleinen Koffer auf die Eingangstür zu, wodurch sie eine hässliche Narbe in die Erde unter dem Kies einritzte.

Der Taxifahrer zählte die Scheine, die Nick ihm gegeben hatte, stieg dann wieder in den Fiat und winkte enthusiastisch, als er rückwärts bei voller Geschwindigkeit aus der Einfahrt fuhr.

„Am helllichten Tag ausgeraubt“, murmelte Nick.

Hannah schaute das Haus von unten bis nach ganz oben an. „Ist das nicht wunderschön?“

Entlang der Simse der hellblauen Fensterrahmen waren schwarze Gitter angebracht und hinter dem Glas konnten sie verblasste Markierungen auf den geschlossenen Holzfensterläden sehen. Die Wände hatten eine weiche Honigfarbe, die Umrisse der Mauersteine waren deutlicher zu erkennen an Stellen, an denen die Fugenfüllung bröckelig war. Der Holzstrunk einer Glyzinie muss Jahre gebraucht haben, um sich seinen Weg nach oben an einer Ecke des Gebäudes zu bahnen, bevor er sich über die Vorderseite schlängeln und seine Ranken in den staubigen Lücken des Mauerwerks vergraben konnte.

Alice hatte einen schweren schwarzen Schlüssel unter einem Stein gefunden, steckte ihn in das Schloss und öffnete die Haustür. Im Inneren brauchten ihre Augen einen Moment, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen, während skelettartige Finger aus Sonnenlicht durch die Spalten zwischen den geschlossenen Fensterläden strahlten und sich über dem Boden ausstreckten. Hannah fand einen Schalter an der Wand und die Schatten zogen sich in die Ecken des Raumes zurück, kaum dass eine Deckenleuchte einen milchigen Schimmer über einen Holztisch warf.

„Lasst uns hier etwas Tageslicht reinholen“, sagte sie, während sie einen Metallriegel umlegte und die nächstgelegenen Fensterläden aufstieß. „Schönes großes Esszimmer; viel Platz für uns alle am Tisch.“

„Wann kommen die anderen hier an?“, fragte Alice und ging zur Treppe am Ende des Raumes. „Ich möchte ein Schlafzimmer für mich und Suzy auswählen.“

„Du kannst dir jetzt eines aussuchen“, sagte Hannah. „Aber wir schmeißen euch vielleicht raus, wenn wir uns dann doch dafür entscheiden, oder falls Tante Lizzie es will.“

„Das ist verdammt noch mal unfair.“ Alice stapfte die Stufen hoch und zog ihren Koffer hinter sich her.

„Nicht fluchen, Alice“, sagte Nick, während er einen Blick durch einen Türdurchgang an der gegenüberliegenden Wand warf. „Das hier ist das Wohnzimmer.“

Eine weitere Tür führte in eine große Küche am hinteren Ende des Hauses und bei jeder neuen Entdeckung gaben sie Laute der Begeisterung von sich.

„Schaut euch den Schrank an!“, sagte Hannah und fuhr mit ihrer Hand über das unebene Holz. „Ich liebe den Steinboden.“

„Netter alter Spülstein“, sagte Nick. „Trotzdem gut, dass es eine Spülmaschine gibt: Ich wollte meinen Urlaub nicht unbedingt mit Geschirrspülen verbringen.“

Sie konnten hören, wie Alice von einem Zimmer ins andere ging, die Fensterläden öffnete und sie an die Wände knallen ließ. Hannah drückte die Verandatür, die in den Garten führte, auf und atmete tief ein und aus. Grüne Triebe der Bougainvillea hingen über ihr herunter, streichelten ihr Haar und kitzelten ihre Wangen. Der Geruch von Lavendel und Pinie erinnerte sie direkt an ihre früheren Urlaubsreisen ins Ausland und war Beweis, dass sie an einem exotischen und farbenfrohen Ort waren, weit weg von der für die Jahreszeit unüblichen Kälte mit Nieselregen, die sie in England zurückgelassen hatten.

„Wir sollten die Fensterläden geschlossen halten“, sagte Nick. „Es ist so heiß, dass es hier wie in einem Ofen sein wird.“

Hannah wusste, dass er recht hatte, aber es war so wunderbar, die Sonnenstrahlen zu sehen. Zu Hause hatte es diesen Sommer schon wieder Hochwasser gegeben: unerbittliche Wochen voller Regen, der die Speicher und Flüsse gefüllt, den Asphalt von den Straßen gespült, Brücken abgerissen und sich in das Zuhause von Menschen gestürzt hatte. Gerade erst letzte Nacht hatten sie in den Nachrichten Aufnahmen von Bauern gesehen, die gestrandete Schafe retteten, und von Ladenbesitzern, die Eimer benutzten, um Wasser aus ihren Lagerräumen zu schöpfen. Sie war müde von den vielen Reisestunden, aber so glücklich, dem trüben englischen August entkommen zu sein.

Sie streckte ihr Gesicht zum Himmel und spürte, wie die Hitze in ihre Haut eindrang.

„Hey, schau dir das an!“ Nick hatte den Kühlschrank geöffnet. „Hier ist eine Flasche Wein – von einem örtlichen Weingut, so wie es aussieht – und ein bisschen Käse. Plus eine Schale mit Oliven. Ist das nicht nett? Ein toller Willkommensgruß. Ich nehme mir möglicherweise direkt etwas davon – ich bin am Verhungern. Das ist der Nachteil, wenn man mitten in der Nacht aufsteht, um einen frühen Flug zu nehmen.“
„Wir sollten damit warten, bis Lizzie und Marcus ankommen“, sagte Hannah, während sie wieder ins Haus kam. „Das ist vielleicht das Einzige an Essen, was wir haben, bis wir einen Supermarkt finden.“

„Ja, gutes Argument“, sagte Nick mit dem Mund voller Oliven. Er setzte sich an den Tisch und zog die Schale zu sich. „Ich esse nur noch ein oder zwei mehr, damit ich bis dahin durchhalte.“

Alice kam laut die Treppe heruntergerannt und in die Küche. „Ich mag das Schlafzimmer mit dem roten Teppich. Da gibt es eine süße Frisierkommode, die ihr doch gar nicht benutzen würdet, aber für Suzys und meine Sachen wäre sie super.“

„Ich gehe gleich hoch und schau mir das an“, sagte Hannah.

„Ja, aber ich will wirklich dieses Zimmer.“

„Na, das werden wir sehen. Tante Lizzie muss auch die Möglichkeit haben, eine Auswahl zu treffen.“

Obwohl, so dachte Hannah, da ihre Familie zuerst hier war, war es nur fair, dass sie sich die Schlafzimmer aussuchten, die ihnen gefielen. Sie sollte nach oben gehen und Anspruch auf ihre Wahl erheben, bevor die anderen ankamen; wenn sie bereits angefangen hätte auszupacken, würde Lizzie keinen Aufstand machen.

Jimmy kam durch die Verandatür herein.

„Wie ist es so da draußen?“, fragte Nick und aß die letzte Olive.

Der Junge neigte seinen Kopf zur Seite. „Es ist in Ordnung. Es gibt einen Rasen und viele Büsche drum herum. Es gibt auch einen Pool – aber da ist irgendwas drin.“

„Was meinst du mit ‚irgendwas drin‘?“, fragte Hannah.

„Wasser vielleicht?“, fragte Alice und pulte an dem Käse, den Nick aus dem Kühlschrank geholt hatte.

„Sei nicht sarkastisch“, sagte Hannah. „Und lass den anderen davon noch etwas übrig.“
Jimmy steckte seine Hände in die Taschen seiner Shorts. „Nein, etwas im Wasser. Irgendwas Totes.“

Sie starrten ihn an.

„Irgendwas Totes?“, wiederholte Nick.

„Ja. Im Wasser schwimmt was.“ Jimmy stand auf einem Bein und kratzte sich mit dem anderen an seiner Wade.

„Bist du dir sicher?“, fragte Nick und stand von der Bank auf. „Meinst du so was wie ein Tier?“

„Er macht doch nur dumme Witze“, sagte Alice. „Da ist natürlich nichts Totes im Pool.“

Jimmy schaute seine Schwester böse an. „Dann geh selbst und sieh nach“, sagte er. „Es hat Haare und alles.“

„Idiot“, murmelte sie, sprang vom Tisch und marschierte in den Garten.

„Da ist was Totes, das einfach auf dem Wasser schwimmt“, sagte Jimmy. Er ging zum Tisch und nahm sich ein Stück Käse.

Hannah fing Nicks Blick ein und zog ihre Augenbrauen nach oben; das ist sicher nur eine Maus, wahrscheinlich eine Ratte. Nicht wirklich toll, aber etwas, das Nick schon händeln konnte. Sie lächelte und wuschelte durch Jimmys Haare. Sie liebte es, wie sein Gehirn funktionierte: Eine Fülle von Geschichten wurde pausenlos in dem Kopf dieses Siebenjährigen erschaffen, eine fantastische Welt der Abenteuer und dramatischen Erlebnisse, die wenig mit dem echten Leben zu tun hatten. Alice war nie so gewesen; sie war ein nüchterner Charakter und fest mit beiden Beinen auf dem Boden, verweigerte – sogar als kleines Mädchen –, dass ihre Fantasie mit ihr durchging. „Aber es ist nicht wahr!“ Hannah erinnerte sich an ihr Geschrei, nachdem sie mit ihr Peter Pan im Kino gesehen hatten. „Es gibt gar keine Feen!“

Jimmy zupfte am Rand des Käses und machte sich noch ein weiteres Stück mit seinen dreckigen Fingernägeln ab. „Ich mag den“, sagte er. „Der ist besser als der, den wir zu Hause haben.“

„Lecker, oder?“, sagte Nick. „Ich nehme mir vielleicht …“

Der Schrei erschütterte den Raum und ließ alle zusammenzucken. Hannah ließ das Messer auf den Tisch fallen und drehte sich zur Verandatür. „Alice …?“

Der Pool lag auf der linken Seite, versteckt hinter einer Hecke, verwachsen mit wuchernden Kletterpflanzen. Durch eine torbogenartige Lücke konnten sie glitzerndes Wasser sehen. Als sie am Pool angelangt waren, hatte sich Alice’ Schrei in ein Wimmern verwandelt.

Alle vier standen nebeneinander am Rand des Pools. Hannah legte einen Arm um Alice und fasste mit ihrer anderen nach Nicks Schulter.

„Verdammte Scheiße.“

„Glaubst du, die Person ist tot?“

„Natürlich ist sie tot, sie schwimmt an der Wasseroberfläche.“

„Oh Gott, was machen wir denn jetzt?“

„Das ist eklig!“, schluchzte Alice. „Warum ist das da drin?“

Die Leiche trieb in der Mitte des Pools, breitbeinig und mit dem Gesicht nach unten, als hätte sie einen Bauchklatscher ins Wasser gemacht. Alle vier Gliedmaßen waren zu den Seiten ausgestreckt; die Person trug Jeans und ein langärmeliges Top, das sowohl grau als auch blau hätte sein können, die wirkliche Farbe war nur schwer zu erkennen durch den Kontakt mit Wasser, das die Klamotten dunkler machte. Der Hinterkopf war bedeckt mit in alle Richtungen treibendem kurzem braunem Haar.

Jimmy ging am Poolrand entlang, die Hände in den Hosentaschen. „Sollen wir sie umdrehen, nachschauen, ob es ein Mann oder eine Frau ist?“, fragte er.

„Nein!“, flehte Alice.

„Wir dürfen nichts anfassen“, sagte Nick. „Geh da weg. Wir müssen die Polizei rufen. Oh Gott, ist das schrecklich. Hannah, du machst besser den Anruf, dein Französisch ist besser als meins.“

Aber sie konnte sich nicht bewegen. Ihr Herz schlug so schnell, dass es schien, als würde es ihren ganzen Körper durchrütteln. Das Klopfen reichte bis in ihren Hals, sodass es schwer war zu schlucken. Sie wollte sich wegdrehen – es war ekelerregend, sich diesen leblosen Körper im Wasser anzusehen –, dennoch konnte sie einfach nicht wegschauen. Vielleicht war der nicht echt? Aber das musste er sein: Der Körper war groß und offensichtlich schwer und die Kleidung war von Wasser durchtränkt, trotzdem schwamm das Ganze eigenartigerweise an der Oberfläche.

„Hannah?“

Sie nickte, versuchte ihre Lippen zu lecken, die so trocken waren, dass sie sich anfühlten, als würden sie zusammenkleben. „Ja, du hast recht, wir müssen jemanden anrufen. Das machen wir jetzt.“ Sie nahm einen tiefen Atemzug und drehte sich zu Nick. Er schaute sie mit großen Augen und blassen Wangen an. Er nahm ihre Hand, sie drehten sich um und gingen zurück durch den Bogendurchgang in Richtung des Hauses, während Alice versuchte, sie einzuholen. „Lasst mich hier nicht alleine!“

Sogar mit offenen Fensterläden fühlte sich die Küche jetzt dunkel und düster an, als sie wieder hineingingen. Hannahs Tasche lag auf dem Tisch, das Telefon war nach ganz unten gerutscht, versteckt zwischen Magazinen, Süßigkeitentüten, Pässen und den Tütchen mit Salz, Pfeffer und Tomatenketchup, bei denen Jimmy darauf bestand, sie von den Essenstabletts im Flugzeug mitzunehmen. Sie hatte sich noch nicht die Mühe gemacht, das Telefon seit ihrer Landung einzuschalten, also dauerte es ein paar Sekunden, bevor der Startbildschirm aufleuchtete. Dann ging das Vibrieren los, ausgelöst durch eine Flut von Nachrichten der Netzwerkanbieter, die sie wissen ließen, dass sie im Ausland sei – falls sie es selbst noch nicht mitbekommen hatte – und dass sie ihr Telefon wie gewohnt nutzen könne, was sie aber ein kleines Vermögen kosten würde.

„Verdammt noch mal, ich will nur telefonieren“, murmelte sie. Ihre Finger zitterten, als sie die Nachrichten wegwischte. „Was soll ich wählen? 999 kann ja nicht stimmen.“

„112“, sagte Alice. „Ich habe da was auf Insta gesehen. Es ist eine Notrufnummer, die man überall in Europa anrufen kann.“

„Schlaues Mädchen“, sagte Nick. „Zum Glück gibt es Social Media. Ich hätte niemals gedacht, dass ich das mal sagen würde.“

Als der Anruf angenommen wurde, versagte Hannahs eingerostetes Schulfranzösisch. Sie versuchte sich an das Wort für Leiche zu erinnern: Es begann mit einem G oder vielleicht einem C? „Piscine!“, sagte sie stattdessen mit einem Kieksen in der Stimme als ein Zeichen ihrer Aufregung. „Il y a quelque chose dans la piscine!“

Schließlich wurde sie an eine Person, die akzentfrei Englisch sprach, durchgestellt und sie begann noch einmal mit einer wirren Erklärung.

„Die Adresse, Nick, wo sind wir?“ Sie streckte ihre Hand ungeduldig aus, während er in seiner Tasche nach einem gefalteten Stück Papier suchte, auf dem die Wegbeschreibung vom Flughafen zum Ferienhaus stand.

Nachdem sie den Anruf beendet hatte, saßen sie um den Küchentisch und starrten sich an. Nick schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich versteh es einfach nicht“, sagte er. Hannah schaute auf die Falten, die sich über seine Stirn verteilten. Er sah auf einmal alt aus; warum hatte sie die tiefen Furchen zuvor nicht bemerkt?

„Jetzt ist mir wirklich schlecht“, sagte Alice, die am Tisch zusammengesackt war. Auf ihrem ganzen Gesicht waren Spuren von Tränen zu erkennen und ihre Unterlippe bebte immer noch. „Das ist so schrecklich. Glaubt ihr, das ist jemand, der in der Nähe wohnte?“

„Weiß Gott“, sagte Nick und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Ich bin mir nicht mal sicher, ob es ein Mann oder eine Frau ist.“

„Es ist ein Mann“, sagte Jimmy vom Türrahmen aus. Er hielt einen Laubkescher mit einem langen Teleskopstiel, der neben dem Pool gelegen hatte und in dem ein paar kleine Zweige hängen geblieben waren, in der Hand. „Er hat wirklich große Füße.“

„Jimmy, was machst du damit?“, sagte Hannah.

„Ich habe das benutzt, um ihn ein bisschen hin- und herzubewegen. Er wird richtig schnell im Wasser, wenn man ihm einen kleinen Schubser gibt.“

„Um Himmels willen!“

„Jimmy, das darfst du nicht!“

Hannah und Nick standen im selben Moment auf.

„Das ist kein Problem“, sagte er und ging wieder nach draußen. „Er schwimmt immer wieder zur Mitte zurück, egal in welche Richtung ich ihn drücke. Ich zeig’s euch.“

Er ging zurück in den Garten und Nick folgte ihm mit Alice, die fest an seinem Arm hing. Hannah wollte nicht wieder nach draußen, aber sie wollte auch nicht alleine in der Küche bleiben. Jimmy ging voran durch die Lücke in der Hecke und die vier standen wieder am Pool und starrten darauf.

Die Leiche hatte sich nicht viel bewegt, ihre ausgestreckten Gliedmaßen sahen aus wie ein X. Das Wasser war ruhig, unbeeindruckt von der leichten Brise, und schien den Körper gleichmäßig zu umspülen und ihn so in die Mitte des Pools zu schieben. Hannah konnte nicht umhin, die Turnschuhe an den ausgestreckten Füßen zu bemerken: Sie sahen riesig aus und die Sohlen waren glänzend, so als ob sie von dem sprudelnden Wasser sauber gewaschen worden wären.

Jimmy tauchte den Kescher unter die Oberfläche und stupste gegen die Schuhe. „Das sind Adidas, wie meine“, sagte er feierlich. „Sie sollen wasserfest sein, aber ich glaube, der Mann ist etwas dumm gewesen, weil er mit ihnen schwimmen gegangen ist.“

Kapitel zwei

Sie spitzten die Ohren, als sie hörten, wie ein Auto über die Kieseinfahrt vor das Haus fuhr. Eine Tür wurde zugeschlagen, dann noch eine.

„Hallo! Jemand da?“

Für einen kurzen Moment verstand Hannah nicht, wie die Polizei so schnell da sein konnte. Als ihr klar wurde, dass sie das nicht konnte – und die Gendarmen sowieso kein so gutes Englisch sprechen würden –, waren die Alexanders bereits auf ihrem Weg um die Seite des Hauses herum und gingen einer nach dem anderen durch die Lücke in der Hecke.

„Da seid ihr ja!“, rief Lizzie. „Die Haustür war offen, also wussten wir, dass ihr schon hier seid.“

Sie ging auf Hannah zu und trug ein weißes Sommerkleid und silberne Sandalen. Marcus war direkt hinter ihr und rieb mit einem Grinsen die Hände aneinander. Sein Bauch wölbte sich unter seinem zu kleinen orangefarbenen T-Shirt und rollte sich über den Hosenbund seiner hellgrünen Shorts, die bis an seine Knie reichten. „Schön, euch zu sehen!“, dröhnte er. „Ist dieser Ort hier nicht atemberaubend?“

Hannah wusste, dass sie etwas sagen musste: die Situation erklären und sie darauf vorbereiten, was sie gleich sehen würden. Ein Durcheinander an Worten strömte durch ihren Kopf: ihre Ankunft, Jimmys Entdeckung, ihr Anruf bei der Polizei, die Zusicherung, dass Hilfe bereits unterwegs war.

Aber die richtigen Worte zu finden, war ihr nicht möglich. „Leiche!“, sagte sie und zeigte auf den Pool.

Alles war still.

Lizzie und Marcus starrten ins Wasser mit ähnlich geöffneten Mündern: klaffende schwarze Löcher mit an den Rändern schimmernden weißen Zähnen. Lizzie legte ihre Hände an ihr Gesicht. „Verdammte Scheiße!“, flüsterte sie. „Was ist passiert?“

„Ich weiß es nicht“, antwortete Hannah, die immer noch nach den richtigen Worten suchte, um endlich verständliche Sätze zu formulieren.

„Wer ist das?“

„Wie ist die Leiche dahingekommen?“

Suzy drängelte an ihren Eltern vorbei und starrte ins Wasser, bevor sie zu Alice schaute, die jetzt wieder schluchzte.

„Scheiße“, sagte sie. „Wie aufregend ist das!“

Hannah fiel die Kinnlade herunter, als sie ihre Nichte anstarrte; vielleicht hatte Suzy nicht gehört, was sie gesagt hatten? Entweder das, oder sie missverstand vollkommen, was hier los war.

Nick begann, sie vom Rand des Pools wegzutreiben. „Kommt schon, lasst uns zurück ins Haus gehen“, sagte er. „Wir haben keine Ahnung, was passiert ist. Wir sind gerade selbst erst hier angekommen. Aber die Polizei ist auf dem Weg hierher, also ist es wahrscheinlich am besten, wenn wir drinnen warten.“

„Aber, wisst ihr, wer das ist?“, fragte Marcus und spähte über Nicks Schulter. „Seid ihr sicher, dass die Person tot ist? Vielleicht sollten wir versuchen, sie herauszuholen?“

Jimmy hielt den Kescher hoch. „Es ist ein Mann, Onkel Marcus. Ich glaube nicht, dass er atmet, denn da sind keine Luftblasen.“

Alice schniefte laut und versuchte, sich bei Suzy einzuhängen.

„Warum weinst du?“, zischte Suzy, schüttelte Alice ab und holte ein Telefon aus ihrer Tasche. „Das ist richtig verrückt! Kannst du das glauben, eine Leiche in unserem Pool?“

Sie hielt das Telefon hoch und machte ein Foto von dem Toten und ging danach noch näher für eine Nahaufnahme heran.

„Meine Güte, Suzy, hör auf!“, sagte Hannah angeekelt. „Hier ist jemand gestorben. Was zum Teufel machst du da?“

„Recherche“, murmelte Suzy. „Für die Schulabschlussprüfung in Schauspiel. Wir spielen gerade Macbeth. Weißt du, wie schwer es ist, eine Tote zu spielen? Es gibt Leute, die haben ganze Bücher darüber geschrieben; du musst deinen Atem wirklich richtig verlangsamen und wenn du dann wirklich tot spielen sollst, musst du sicherstellen, dass du bequem liegst, denn es kann gut sein, dass du in dieser Position ein Weilchen verharren musst. Es gibt da diese eine Szene in …“

„Suzy, es reicht!“, sagte Lizzie. „Geh da jetzt weg.“ Sie marschierte voran, griff nach dem Arm ihrer Tochter und zog sie vom Pool weg.

„Sie hat da aber nicht ganz unrecht, das ist wirklich eine gute Gelegenheit für die Recherche“, sagte Marcus. „Gut, dass du vorausdenkst, Suzy. Gut mitgedacht.“

Hannah sah ihn angeekelt an.

Zurück im Haus hatte niemand von ihnen eine Ahnung, was zu tun war.

„Das ist nett hier“, sagte Lizzie. „Rustikal.“

Sie zogen die Bänke zu sich, setzten sich um den Küchentisch und beobachteten Jimmy. Er stand in der Verandatür und nutzte den Laubkescher, um an die Triebe der Bougainvillea zu kommen. Er fing geduldig einzelne Blüten mit dem Netz ein, bevor er sie von der Pflanze abriss.

„Was hat denn die Polizei eigentlich gesagt?“, fragte Marcus. „Wurde irgendjemand als vermisst gemeldet?“

„Keine Ahnung“, sagte Nick.

„Sie haben nicht viel gesagt“, sagte Hannah. „Ich dachte eigentlich, dass mein Französisch ganz gut ist, aber ich konnte mich nicht mal an das Wort für Leiche erinnern, also redete ich über den Pool …“

Quelqu’un est mort ici“, sagte Marcus.

Hannah blitzte ihren Schwager an. „Na, das ist ja gut zu wissen im Nachhinein“, sagte sie. „Aber wenn du im Ausland am Telefon bist und du gerade erst eine Leiche gefunden hast und eine Stimme auf Französisch auf dich einredet am anderen Ende …“

Il y a un cadavre dans notre piscine“, fuhr er fort. „Es gibt so viele Möglichkeiten, das zu erklären.“

„Danke, ist ja eine Schande, dass du nicht hier warst, Marcus“, schnappte Hannah. „Na ja, sie haben auf jeden Fall jemanden gefunden, der Englisch sprechen konnte, und die Polizei ist unterwegs.“

„Ich frage mich, wie lange die Leiche da schon drin ist“, sagte Lizzie. „Es können nicht mehr als ein paar Stunden sein, denn jemand muss ja hier gewesen sein, um das gesamte Haus sauber zu machen, bevor wir angekommen sind.“

„Es ist wahrscheinlich eine andere Firma, die sich um den Pool kümmert“, sagte Nick. Er stand auf und ging zum Schrank. „Aber das ist ein guter Punkt. Ich habe das hier vorhin schon gesehen, aber nicht weiter darüber nachgedacht. Es ist ein Stück Papier mit nützlichen Telefonnummern für Gäste; das muss die Reinigungskraft sein – Madame Gerard. Sollen wir sie anrufen? Die Polizei wird sicher mit der Person sprechen wollen, der dieses Grundstück gehört.“

„Das sollten wir ihnen überlassen“, sagte Hannah.

Aber Marcus streckte seine Hand nach dem Stück Papier aus. „Alles klar, Leute, ich kümmere mich darum.“ Er verlagerte sein Gewicht auf eine Seite, als er ein übergroßes Telefon aus seiner Hosentasche holte. „Nummer?“, bellte er in Richtung Nick, der sie vorlas.

„Das ist alles so schrecklich“, sagte Alice vom Ende des Tisches. Obwohl sie aufgehört hatte zu weinen, waren ihre Augen immer noch geschwollen. Und weil das übertriebene Make-up, das sie im Flugzeug aufgetragen hatte, weggeweint war, sah sie sehr jung aus.

„Geht es dir gut, Schätzchen?“, fragte Hannah.

Alice zuckte mit den Schultern. „Warum beeilt die Polizei sich nicht?“

Marcus hatte kein Glück, Madame Gerard telefonisch zu erreichen. „Es wird keine Verbindung hergestellt. Du musst die Nummer falsch vorgelesen haben“, sagte er zu Nick.

Suzy war nach oben gegangen, als sie in das Haus kamen, und hatte ihren riesigen Koffer geräuschvoll die Treppe hochgeschleppt. Jetzt tauchte sie in einem gelben Bikini wieder auf, die Träger kaum breiter als ein Bindfaden, und klackerte die Stufen in hochhackigen Sandalen hinunter, mit einem Handtuch und einer Sonnenbrille in der einen und ihrem Telefon in der anderen Hand. „Ich nehme an, wir sind in dem Zimmer mit dem roten Teppich“, sagte sie zu Alice. „Ich hab dein ganzes Zeug da drinnen gesehen. Ich werde jetzt anfangen, mich zu bräunen. Kennt jemand den WiFi-Code?“

Sie tänzelte in den Garten und die Erwachsenen sahen sich an.

„Nun, sie zeigt sich ja nicht besonders beeindruckt von der Tatsache, dass da eine Leiche in unserem Pool ist“, sagte Nick. „Glaubt ihr, sie sollte sich da draußen sonnen, in so einem Moment?“

„Nichts bringt unsere Suzy aus der Ruhe“, sagte Marcus, ohne einen Moment von seinem Telefon aufzuschauen. „Sie ist schon ein Charakter. Stoisch und selbstbewusst; so haben wir sie erzogen.“

„Das meinte ich nicht“, sagte Nick.

Aha, bonjour, Madame!“, grölte Marcus in sein Telefon. „Comment allez-vous? Wie geht es Ihnen? Moi, je m’appelle Marcus Alexander …

Hannah konnte sich das nicht mitanhören und stand auf, um zur Verandatür zu gehen, wo Jimmys Fangversuche mit dem Kescher einen Teppich aus lilafarbenen Blütenblättern auf dem Boden geschaffen hatten. „Ich fische nach Blumen“, verkündete er.

Sie machte sich keine Mühe, ihn zurechtzuweisen.

Suzy war draußen auf dem Rasen und lag bereits auf dem Bauch auf ihrem Handtuch, die Ellbogen aufgestützt und das Buch und das Telefon nebeneinander vor sich liegend.

„Wie geht es dir, Suzy?“, fragte Hannah und ließ sich neben ihr auf den Rasen plumpsen.

„Sehr gut, danke, Tante Hannah, alles gut.“ Sie sah nicht zu Hannah nach oben.

„Die Aufregung tut mir leid. Ich bin mir sicher, dass die Polizei bald hier sein wird, damit wir diesen schrecklichen Start in den Urlaub vergessen und normal weitermachen können. Es ist ein schöner Ort, oder?“

„Mhm, cool.“

Alice gesellte sich zu ihnen und setzte sich neben Suzy auf die andere Seite. Hannah bemerkte, wie sie einen verstohlenen Blick auf die schlanken Beine – gleichmäßig gebräunt – ihrer Cousine und den hellgelben Stoff warf, der kaum ausreichte, um ihren Po zu bedecken.

„Bist du in diesem Sommer bereits verreist, Suzy?“, fragte Hannah. „Du bist ja schon richtig braun.“

„Sprühbräune“, sagte Suzy. „Mama hat es mir als Belohnung für meine guten Abschlussprüfungen gekauft.“

„Wie nett“, sagte Hannah, obwohl sie der Meinung war, dass Sprühbräune eine Geldverschwendung war. Sie sah zu Alice, zog eine Augenbraue nach oben und grinste. Ihre Tochter starrte verärgert zurück.

„Die Polizei ist da“, rief Nick. Hannah drückte sich vom Rasen hoch und ging zurück ins Haus.

Ein Auto fuhr die Einfahrt hoch, gefolgt von einem weiteren. Zwei der Männer, die ausstiegen, trugen Anzüge und Trenchcoats, die anderen trugen Uniformen.

Marcus hatte ihnen die Tür geöffnet und begrüßte sie wie lang verschollene Freunde.

„Warum muss er sich wie der Herr des verdammten Hauses aufführen?“, murmelte Hannah in Nicks Ohr.

Par ici! Hier entlang!“, grölte Marcus und marschierte durch das Haus auf die Verandatür hinten zu. „Excusez-moi, mes enfants!“, sagte er laut, als er an den Mädchen auf dem Rasen vorbeiging.

„Dad, wir sprechen Englisch“, sagte Suzy. Sie hatte sich auf dem Handtuch auf den Rücken gedreht und eine Hand unter ihren Kopf gelegt. Die Gendarmen musterten sie abschätzig, als sie an ihr vorbeiliefen; Alice schaute finster und drehte sich weg, während sie eine Handvoll trockenes, pieksiges Gras aus dem Boden neben sich zupfte.

Hannah folgte Nick zurück zum Pool. Einer der Gendarmen holte eine Rolle mit rot-weißem Absperrband hervor und fing an, es um die Bäume am hinteren Ende zu wickeln. Ein anderer kniete neben dem Wasser und schaute sich die oben schwimmende Leiche genau an, während ein dritter ein Notizbuch hervorholte und durch die Seiten blätterte. Trotz der Hitze trugen sie alle zylinderförmige blaue Polizeihüte, die wie Tortenschachteln aussahen, mit kleinen Schirmen an der Vorderseite und einer goldenen Kordelborte oben und unten. Sie sahen unbequem aus, und Hannah bezweifelte, dass sie lange an Ort und Stelle bleiben würden, besonders wenn die Gendarmen einen Verdächtigen verfolgen mussten.

Die Männer in den Trenchcoats waren offensichtlich Ermittler und einer sprach in ein Handy, während der andere sich auf sie zubewegte.

„Liebe Freunde, wir müssen jetzt den Bereich untersuchen“, sagte er. „Ich muss Sie also bitten, wieder ins Haus zurückzugehen, wo wir dann mit Ihnen sprechen werden.“

Sie drehten um, außer Marcus, der eine lebhafte Unterhaltung mit dem Ermittler begann. „Est-il possible qu’il ait été assassiné?“

Hannah wandte sich an Nick. „Oh Gott, erinnere mich noch mal, warum wir zugestimmt haben, mit diesem Mann in den Urlaub zu fahren?“, sagte sie, aber nicht leise genug.

Lizzie blitzte sie an. „Er kann immerhin Französisch, was sich unter den Umständen als ziemlich praktisch herausstellt.“ Sie drehte sich um und stapfte ins Haus.

„Das war nicht gerade subtil.“

„Na, er ist doch auch ein überhebliches Arschloch.“

„Ich weiß, Han. Aber lass uns damit jetzt nicht anfangen. Wir sind gerade erst angekommen.“
Sie folgten Lizzie in die Küche. Diese hatte sich die Flasche Wein vom Tisch geschnappt und durchsuchte die Schubladen. „Ich weiß, es ist noch früh, aber ich könnte einen Drink gebrauchen“, sagte sie und holte einen Korkenzieher heraus.

Nick ging zu ihr, legte seinen Arm um ihre Schulter und zog sie zu sich für eine Umarmung. „Schön, dich zu sehen, Lizzie. Meine Güte, wir hatten noch nicht mal die Möglichkeit, uns richtig zu begrüßen!“

Sie umarmte ihn ebenfalls und gab ihm einen Schmatzer auf die Wange. „Schön, auch dich zu sehen. Das ist alles so seltsam, oder?“

„Entschuldige, Lizzie, das war unhöflich von mir“, sagte Hannah und ging zu ihrer Schwester, um sie zu umarmen. „Ich bin einfach von alldem hier etwas gestresst.“

„Ich weiß, ich auch. Nicht unbedingt, wie wir uns vorgestellt hatten, dass unser Urlaub beginnt, oder? Entschuldigt, wenn Marcus das Ganze so an sich reißt, aber ihr wisst, wie er ist. Und es ist wirklich hilfreich, dass er die Sprache sprechen kann.“

„Das ist es wirklich“, sagte Hannah. „Mir ist nur peinlich, dass ich es nicht kann.“

Sie grinsten sich an, Nick holte drei Gläser aus dem Schrank und stellte sie auf den Tisch.

„Also, wie lange seid ihr schon hier?“, fragte Lizzie, während sie den Wein öffnete.

„Wir waren gerade mal zehn Minuten vor euch da“, antwortete Hannah. „Nach draußen haben wir es noch nicht mal geschafft. Wir haben die Koffer reingebracht und nachgesehen, wo alles ist. Alice war die Einzige, die nach oben gegangen ist. Jimmy ist aber in den Garten gegangen und hat uns gesagt, dass da was Totes ist. Es ist surreal.“

Nick nahm ein Glas in die Hand und leerte es mit einem Schluck. Er las das Etikett auf der Flasche, bevor er mehr Wein einschenkte. „Der ist nicht schlecht – und bitter nötig im Moment. Man sagt, Alkohol sei gut gegen Schock.“

Lizzie streckte ihm ihr Glas für Nachschub hin. „Ich frage mich, wie lange die Leiche schon im Wasser ist? Ich war eigentlich immer davon ausgegangen, dass Leichen auf den Grund eines Pools sinken würden. Warum schwimmt diese also oben? Es ist wie ein wirklich schlechter Scherz.“

Da sie vom Tatort weggescheucht wurden, waren Alice und Suzy nach oben gegangen. Hannah überließ Nick und Lizzie dem Wein und ging die Treppe hoch, um sich zu den beiden Mädchen zu gesellen. Das Fenster im hinteren Schlafzimmer bot einen idealen Aussichtspunkt: Der Pool war nun wie ein lebendiger Bienenstock und der Bereich war mit rot-weißem Absperrband abgetrennt. Noch mehr Gendarmen waren gekommen, zusammen mit einem Mann und einer Frau, die weiße Schutzanzüge und Plastikhandschuhe trugen. Koffer voller Ausrüstung lagen offen neben dem Pool und es wurden Fotos von der Leiche aus jedem erdenklichen Winkel gemacht.

Suzy lehnte sich aus dem Fenster und machte von der Kamera ihres Telefons Gebrauch. Ihre Brüste – kaum bedeckt von den Fetzen des gelben Bikinis – zogen die Aufmerksamkeit von einem der jüngeren Gendarmen unten auf sich.

Alice bemerkte, wie er nach oben schaute und Suzy anstarrte. „Du hast schon viele Bilder gemacht. Du brauchst nicht noch mehr. Sie sind doch sowieso alle die gleichen.“

„Ja, vielleicht solltest du jetzt aufhören“, sagte Hannah und war im Namen ihrer Tochter verärgert. „Das erscheint irgendwie so schaulustig.“

„Dieser Typ ist heiß“, sagte Suzy, legte das Telefon zur Seite und starrte schamlos nach unten, sodass sie ihre Brüste noch ein wenig weiter über den Fenstersims drückte.

„Lasst uns wieder nach unten gehen“, sagte Hannah. „Ich möchte genauso sehr wie ihr wissen, was da vor sich geht, aber es scheint mir nicht richtig, von hier oben zuzuschauen.“

„Na, es gibt nicht gerade viel mehr zu tun“, sagte Suzy. „Wir können ja nicht einfach schwimmen gehen.“ Sie ging vom Fenster weg und begann, mit ihren Fingern über ihren Telefonbildschirm zu wischen und durch dutzende Bilder zu scrollen, die sie gemacht hatte. Alice nahm ihren Platz ein und lehnte sich über den Fenstersims. Obwohl sie versuchte, so zu tun, als ob sie das Geschehen um den Poolbereich beobachtete, bemerkte Hannah, wie sie verstohlen nach unten zu dem jungen Gendarmen blickte, um zu überprüfen, ob er noch nach oben schaute. Aber da Suzys kecke Teenager-Brüste nun nicht mehr zu sehen waren, war er zu seinen Kollegen gegangen. Alice’ Schultern fielen in sich zusammen.

„Wir sind in bester Gesellschaft mit der Leiche in unserem Pool“, sagte Suzy. „Es gab da einen Fernsehmoderator, bei dem vor ein paar Jahren eine Leiche im Pool seines Hauses in Essex entdeckt wurde. Er hatte eine feuchtfröhliche Party geschmissen, also war das überall im Internet. Wir haben das nachgelesen, als wir The Great Gatsby gelesen haben, denn Jay Gatsby stirbt ja auch in einem Swimmingpool. Glaubt ihr, das hier schafft es in die Nachrichten?“ Sie trat zurück und rückte den dünnen gelben Träger ihres Bikinis zurecht. „Der Typ in unserem Pool ist vielleicht berühmt! Sie werden uns in allen Zeitungen erwähnen – ‚Englische Familien im Urlaub entdecken Leiche von französischem Schauspieler …‘“

„Oder vielleicht ist er auch nur ein Obdachloser aus der Gegend“, sagte Hannah.

„Er könnte übers Wochenende hier in der Gegend gewesen sein, zu Besuch aus Paris, und in seiner geheimen Luxusvilla in der Nähe übernachtet haben“, beharrte Suzy.

„Warum würde ein französischer Filmstar in unserem Pool sterben?“, fragte Hannah. Und warum, dachte sie, führe ich überhaupt diese lächerliche Unterhaltung?

Von den Gendarmen unbemerkt, hatte es sich Jimmy zusammen mit seinem Laubkescher hinter der Hecke auf der anderen Seite des Pools bequem gemacht. Er saß im Schneidersitz, hielt den langen Stiel nach vorne gestreckt wie eine Angel in der Hand und beobachtete, wie die schwarz glänzenden Schuhe neben dem Wasser hin- und herliefen. Hannah wusste, dass er dort nicht sein sollte: Sie würden die Leiche bald aus dem Pool holen und das sollte er nicht sehen – mit sieben Jahren war er noch zu jung, um einen so genauen Einblick in einen Tatort und seine Abläufe zu bekommen. Sie sollte nach unten gehen und ihn wieder ins Haus holen, aber die Hitze war zermürbend; ihr Körper fühlte sich schwer und lethargisch an und sie konnte sich nicht dazu bringen, von dem Fenster wegzugehen.

Lizzie kam ins Schlafzimmer mit zwei gefüllten Gläsern Wein, eines davon überreichte sie Hannah. „Was ist denn jetzt eigentlich los hier?“, fragte sie.

„Nicht viel“, antwortete Alice. Sie war an die Wand mit verschränkten Armen gelehnt und starrte auf Suzys gebräunten Nacken, den sie wieder durch das offene Fenster streckte.

„Wie war der Flug?“ Lizzie wandte sich an Hannah. „Dein Tag hat ja richtig früh angefangen, oder? Ich habe an dich gedacht, als ich aufgewacht bin, und dass du so eine schreckliche Reise machen musst. Wirklich eine Schande, dass ihr nicht wie wir fahren konntet. Wir haben an ein paar netten Orten Halt gemacht, darunter letzte Nacht in einem Dorf südlich von Lyon mit einem süßen kleinen Hotel mit Blick auf einen Marktplatz. Die Fahrt hierher war Teil des Urlaubs.“

Hannah verkrampfte sich und war sofort auf Defensive eingestellt. Warum musste Lizzie die Sache mit dem Fahren ansprechen? „Der Flug war gut“, sagte sie. „Ganz bequem.“

„Abgesehen von der Frau mit dem schreienden Baby, direkt vor uns den gesamten Flug über“, mischte sich Alice ein.

„Alles ziemlich schnell und einfach …“

„Abgesehen davon, dass das Taxi, das wir bestellt hatten, nicht aufgetaucht ist und wir deswegen eine Ewigkeit am Flughafen warten mussten, bis wir ein anderes finden konnten“, fügte Alice hinzu.

„Na ja, wir sind ja jetzt hier und alles ist gut.“

„Nein, das ist es nicht!“, sagte Alice. „Da liegt eine Leiche im Pool. Was ist daran gut?“

„Ich meinte, dass die Reise gut war …“ Hannah beobachtete, wie der Ermittler, der zuvor mit ihnen gesprochen hatte, auf das Haus zuging. Die Frau von der Spurensicherung im weißen Schutzanzug hatte Proben des Wassers aus verschiedenen Bereichen des Pools gesammelt; sie markierte sie jetzt, bevor sie sie in einen Plastikbehälter neben sich einpackte. Danach holte sie ein Metermaß hervor und spannte es über das Wasser bis zur Leiche.

„Was ist der Sinn dahinter, abzumessen, wo der Körper liegt?“, fragte Lizzie. „Er schwimmt im Wasser, also bewegt er sich ja auch. Es erscheint mir lächerlich, seine genaue Position durch Abmessen bestimmen zu wollen.“

„Ich bin mir sicher, dass da schon ein Grund dahintersteckt“, sagte Hannah. Sie hatte sich das Gleiche gefragt, aber wenn Lizzie die Frage stellte, erschien sie nervtötend irrelevant. „Sie sind die Experten, also müssen sie wissen, was sie tun.“

Sie drehten ihre Köpfe in Richtung der lauten Stimmen, die von unten kamen, und Hannah ging hin, um herauszufinden, was da vor sich ging. Als sie sich am oberen Ende der Steintreppe umsah, konnte sie Zehen sehen, die aus einem Paar brauner Sandalen herausragten. Während sie nach unten ging, konnte sie als Nächstes zwei Knöchel erkennen und dann einen dicken schwarzen Rock. Und als sie von der letzten Stufe auf den Boden des Wohnzimmers trat, konnte sie die ganze Frau mittleren Alters sehen, die vor ihr stand, mit ihren gebräunten, ledrigen Wangen und dem schwarzen Haar, das zu einem wilden Dutt gewickelt war. Sie erinnerte Hannah an jemanden, aber ihr fiel nicht ein, an wen.

„Madame Gerard!“, verkündete Marcus mit einer winkenden Geste, so als ob er eine Sprecherin bei einem Firmenevent ankündigen würde.

Die Frau schaute sie wütend an und fing an, schnell französisch zu sprechen, so stark vermischt mit ihrem lokalen Akzent und überlagert von Schmähungen, dass Hannah nur hier und da ein Wort verstehen konnte. Sie starrte auf die Lippen der Frau, sah, wie Tropfen von Spucke durch die Luft zwischen ihnen flogen. Sie hatte absolut keine Ahnung, worüber diese Frau sprach. Was zum Teufel hatte sie glauben lassen, dass ihr sprachliches Können ihnen während ihres Urlaubs in Südfrankreich irgendwie hilfreich sein konnte? Zum ersten Mal machte es ihr nichts aus, dass Marcus sich einmischte.

Calmez-vous, Madame, calmez-vous! Die Polizei kann alles erklären – la police peut expliquer …“ Er winkte mit seinem Arm nach einem Ermittler im Trenchcoat, als ob er den nächsten Akt einläuten wollte, und der Gendarm fing an, in ähnlich schnellem Tempo wie Madame Gerard zu sprechen, seine Stimme tiefer als ihre in der Tonlage, aber nicht leiser in der Lautstärke. Als er sich umdrehte und durch die Küche ging, stapfte die Frau ihm hinterher.

„Sie scheint mir sehr aufgebracht zu sein“, erklärte Nick. „Sie hat Marcus gesagt, dass sie erst vor ein paar Stunden hier war und dass da noch keine Leiche da draußen war.“

„Ich wette, die hat nicht mal in den Pool geschaut“, sagte Marcus. „Sie war wahrscheinlich im Haus, während alle Fensterläden geschlossen waren.“

„Na ja, es könnte auch in der Zwischenzeit passiert sein, denke ich“, sagte Nick. „Ich meine, wenn er gefallen und ertrunken ist, hätte das nur ein paar Sekunden gedauert.“

„Das ist nicht, was die Polizei vermutet“, sagte Marcus und streckte seine Brust raus. „Sie glauben, er war da schon mehrere Stunden drinnen. Was bedeutet, dass, obwohl Madame Gerard darauf besteht, hier gewesen zu sein, um sauber zu machen, sie nicht mal raus in den Poolbereich gegangen ist und schon gar nicht die Veranda gefegt oder den Tisch und die Stühle abgewischt hat. Ziemlich grobes Saubermachen, wenn ihr mich fragt. Kommt, lasst uns nachsehen, was sie machen.“

Hannahs Kopf tat weh; der dumpfe Schmerz hatte sich schon seit einer Weile in ihrer linken Schläfe bemerkbar gemacht und war nun zu einem intensiven Pochen geworden. „Ich brauche Paracetamol“, sagte sie. Als sie in die Küche gingen, griff sie um Nick herum nach ihrer Tasche.

Madame Gerard gestikulierte nun wild, während sie sprach, und stupste gegen den Brustkorb des Ermittlers im Trenchcoat, um ihren Punkt zu unterstreichen.

„Wahnsinn, das wird ja alles richtig aufregend hier.“ Marcus strahlte und lehnte sich mit verschränkten Armen an den Tisch. „Sie hat ihm gerade gesagt, er sei ein dummer Idiot!“

Ein junger Gendarm, der im Türrahmen stand, rief nach seinem Vorgesetzten, der sich auf dem Absatz umdrehte und losmarschierte, gefolgt von Madame Gerard, die ihm ganz klar noch mehr zu sagen hatte.

„Ich geh mal kurz nach draußen und behalte das Ganze im Auge“, sagte Marcus und zwinkerte Hannah zu, als er an ihr vorbeiging.

Sie sackte auf der nächstgelegenen Bank zusammen und rieb sich an der Stirn mit dem Handrücken, auf dem ein funkelnder Streifen von Schweiß zurückblieb. „Verdammte Scheiße, ich will einfach nur, dass unser Urlaub losgeht!“, sagte sie. „Warum ist uns das passiert? Es ist so unfair, wir haben so lange auf diese Reise gewartet. Ich will in den Pool springen und mich abkühlen, aber das kann ich nicht, weil dort eine Scheißleiche liegt!“

Nick beugte sich zu ihr rüber und umarmte sie. „Ich weiß, das will ich auch, aber es gibt nichts, was wir tun können. Wir müssen einfach abwarten, bis die Polizei ihre Ermittlungen abgeschlossen hat.“

„Ich will nicht warten!“ Sie bemerkte die Launenhaftigkeit in ihrer eigenen Stimme und wusste, dass sie sich wie ein Kind anhörte. Aber das war ihr egal; sie war müde, ihr war heiß und alles fühlte sich falsch an.

Kapitel drei

Hannah hatte das Haus online gebucht. Seine abgeschiedene Lage hatte es besonders attraktiv gemacht; eine Karte von der Gegend auf der Website zeigte, dass keine weiteren Grundstücke in der Nähe waren und die nächste Stadt zehn Minuten mit dem Auto entfernt lag.

Die Aussicht war atemberaubend und jetzt, da sie hier waren, konnten sie erkennen, dass die Bilder auf der Website ihr nicht gerecht wurden. Hinter dem Haus führte der Rasen zu einem Holzzaun, der den Garten begrenzte, hinter dem Wiesen zu violett gefärbten Gebirgsläufern, die in den Himmel ragten, führten. Viele Kilometer weiter waren die Spitzen der Alpen immer noch mit Schnee bedeckt und glitzerten im sommerlichen Sonnenschein.

Als die Termine für den Urlaub erst einmal vereinbart waren, hatte Hannah Stunden online verbracht und durchkämmte so viele Websites, die auf Buchungen von Ferienhäusern spezialisiert waren, dass sie den Überblick verlor, welche Häuser sie aussortiert hatte und welche nicht. Dutzende Lesezeichen nahmen den Platz oben auf ihrem Computerbildschirm ein. Sie beschwerte sich bei Nick darüber, dass Lizzie keine Hilfe angeboten hatte. „Wir wissen alle, dass sie beschäftigt und wichtig ist“, sagte sie. „Die hochtrabende Schulleiterin, die die Welt am Laufen hält.“

Im Geheimen war sie aber erleichtert, dass ihre Schwester nicht involviert war; sie hatte Freude daran, die Buchung zu übernehmen, und sie wusste, dass das etwas war, was sie gut konnte. Der Kontrollfreak in ihr mochte die Idee, dass sie diejenige sein würde, die das perfekte Haus für ihre beiden Familien finden würde: ein schönes kleines Haus in einem unentdeckten Teil Frankreichs.

Nach Tagen der Recherche hatte sie eine engere Auswahl getroffen und die Links an Lizzie geschickt. Es gab zwar viele Möglichkeiten, aber sie hatte sich in diesen ganz bestimmten Ort verliebt und hatte in ihrer E-Mail angedeutet, dass es dieses Haus war, das sie selbst als Auswahl bevorzugen würde: Keine andere Seele weit und breit, hatte sie geschrieben. Richtig schön abgeschieden! Sie hatte sich ihre Ankunft vorgestellt, wie sie von der Kulisse überwältigt und beeindruckt von dem idealen Layout des Hauses sein würden, und wie Marcus sie mit Bewunderung ansehen würde. „Das ist einfach unglaublich, Hannah“, würde er sagen. „Da hast du aber einen richtig guten Job gemacht; niemand außer dir hätte so einen besonderen Ort finden können.“

Jetzt schien es aber so, als hätte sie tatsächlich das einzige Ferienhaus in Südfrankreich gefunden, das vier große Schlafzimmer, einen Privatgarten, eine tolle Aussicht und eine Leiche im Pool zu bieten hatte.

Richtig schöne Abgeschiedenheit erschien ihr im Moment auch nicht mehr der Pluspunkt zu sein, der er einmal war.

Sie setzten sich auf den Rasen und sahen zu, wie die Durchsuchung sich ins Innere des Hauses verlagerte. Nachdem seine Männer zuerst den Poolbereich genau untersucht hatten, bat der Kripobeamte die beiden englischen Familien, sich zu versammeln. „Mes amis, ich werde die Ermittlungen leiten“, erklärte er. „Ich bin Inspecteur Moreau von der Gendarmerie in Avignon und meine Männer werden hier mit Ihnen zusammenarbeiten. Jetzt müssen wir ins Haus und nach jeder Art von Informationen suchen, die uns helfen könnten.“

Madame Gerard war rasend vor Wut. Sogar Marcus behauptete, dass er ein paar der Wörter, die sie den Gendarmen ins Gesicht geschrien hatte, noch nie gehört hatte. „Muss wirklich obszönes Französisch sein“, sinnierte er. „Ich dachte, ich kenne die meisten Schimpfwörter, aber das eine, das mit ‚bal‘ anfängt, muss wirklich schlimm sein, denn sie zuckten alle zusammen, als sie es so laut schrie. Ich wünschte, ich wüsste, was es bedeutet. Kann sich irgendwer erinnern, wie es weiterging? Ich google das vielleicht später mal.“

An einem Punkt sah es so aus, als ob Madame Gerard die Gendarmerie mit Körpereinsatz davon abhalten wollte, ins Haus zu gehen. Sie konnte aber schließlich davon überzeugt werden, von der Verandatür wegzugehen und sie durchzulassen. Jetzt ging sie ruhelos auf der Veranda auf und ab und murmelte vor sich hin, blieb ab und an stehen, um Drohungen in Richtung des Fensters oben zu schreien, durch das die Umrisse der Gendarmen zu sehen waren, die Schränke öffneten und Matratzen hochhoben.

„Ich frage mich, welche Art von ‚Informationen‘ sie hoffen zu finden“, sagte Nick. „Glauben die, dass der Typ hier gelebt hat, bevor wir ankamen?“

Lizzie legte die Stirn in Falten. „Ich hoffe nicht. Es ist schrecklich genug, dass er im Pool gestorben ist; ich will gar nicht darüber nachdenken, dass er in einem der Betten geschlafen oder am Küchentisch was gegessen hat.“

„Was ich gerne wissen würde“, sagte Marcus. „Wann holen die die Leiche da raus? Es muss doch sicherlich so sein, dass es umso schwerer wird, den Mann rauszubekommen, je länger sie ihn da drinnen lassen?“

„Rigor Mortis ist wahrscheinlich eingetreten“, sagte Suzy. „Sie werden den Körper nicht in einen Krankenwagen bekommen, wenn die Arme und Beine so zur Seite ragen. Sie müssen sie zuerst brechen.“

„Suzy, das ist ja furchtbar!“, sagte Lizzie. „Sag doch nicht so schreckliche Sachen.“

„Da hat sie aber nicht ganz unrecht“, sagte Marcus, der mit dem Rücken im Gras lag, die Augen geschlossen und die Hände über der Brust gefaltet. „Es ist nicht einfach, einen Körper mit eingetretener Leichenstarre herauszuziehen.“

Hannah bemerkte, wie die Spitze seiner Nase und seine Wangen scharlachrot in der heißen Sonne wurden. Sie entschied sich, es ihm nicht zu sagen.

Es waren nun zwei Stunden vergangen, seit das Taxi sie zum Haus gebracht hatte, und sie waren hungrig und durstig. Lizzie hatte eine Kekspackung aus ihrer Handtasche geholt – „Ich habe sie beim Frühstück im Hotel vom Buffet mitgenommen. Ich hätte noch mehr heimlich eingesteckt, hätte ich gewusst, dass wir sie brauchen.“ –, aber die kleinen quadratischen, mit Schokolade überzogenen Kekse waren nicht unbedingt das, was alle bei dieser Hitze essen wollten.

Sie hatten darüber nachgedacht, ins Auto zu steigen und loszufahren, um einen Supermarkt zu finden. Aber als Marcus fragte, ob die Polizeiautos weggefahren werden könnten, um sie rauszulassen, sagte Inspecteur Moreau, dass es ihm lieber wäre, wenn sie das Haus nicht verlassen würden.

„Das fühlt sich an, als wären wir Verdächtige!“, grummelte Nick.

„Dann müssen wir das eben als Ausrede nutzen, um in der Sonne zu liegen und zu relaxen“, sagte Lizzie.

Also taten sie genau das. Oder versuchten es zumindest. Hannah zog an dem dicken Jeansstoff an ihrem Schenkel und wünschte sich, sie hätte daran gedacht, sich umzuziehen, bevor die Polizei das Haus abgesperrt hatte. Sie könnte ihre Jeans ausziehen und sich in ihrer Unterhose sonnen; sie bezweifelte, dass es die anderen stören würde – außer Alice, die zu Tode schockiert sein würde. Aber obwohl sie ihre peinlich berührte Tochter hätte ignorieren können, lag Suzy neben ihr und Hannah konnte sich selbst nicht dazu bringen, ihre bleichen, weichen, mittelalten Schenkel neben die straffen, gebräunten Beine ihrer fünfzehnjährigen Nichte zu legen.

Aber Lizzie lag einmal richtig: Es war ein wunderschöner Tag und – abgesehen von der Leiche – wünschte sie sich, nirgendwo anders zu sein.

Als die Polizei die Durchsuchung ins Haus verlagerte, hatte Jimmy – der nun nicht mehr das Prozedere von hinter der Hecke aus beobachten konnte – den Laubkescher genommen und war auf die Wiese gegangen. Hannah konnte blaue, blitzende Punkte erkennen, während er durch die Olivenbaumgruppe wanderte, in deren Schatten staksige Ziegen Zuflucht suchten und Gras ausrissen, das einmal grün und prächtig gewesen sein musste, aber jetzt farblos, trocken und wenig nährstoffreich war.

Hannah beobachtete, wie ihr Sohn sich über etwas auf dem Boden beugte. Sie konnte nicht ganz erkennen, was er da machte, aber als er aufstand, platzte der Kescher aus allen Nähten, sodass er ihn mit beiden Händen tragen musste und seine Knie unter dem Gewicht nachgaben. Er hatte ihn wahrscheinlich mit Steinen gefüllt, obwohl, so wie sie Jimmy kannte, es auch genauso gut Ziegenkacke sein könnte.

„Ich frage mich, wie es Ben geht?“, sagte Lizzie zu niemandem Bestimmten. „Es muss merkwürdig für ihn sein, nicht mit uns hier zu sein. Ich vermisse ihn. Ich überlege, ob wir nicht versuchen sollten, ihn zu überreden, herzufliegen, damit er ein paar Tage mit uns verbringen kann. Aber die Flugpreise sind sicher ein Wucher.“

„So wird es sicher sein. Sie wollen ein Vermögen für Last-Minute-Buchungen“, sagte Hannah. Sie war erleichtert gewesen, als Ben abgelehnt hatte, herzukommen. Sie wusste, sie sollte ihren Neffen lieben, aber sie fand es oft schwer genug, ihn überhaupt zu mögen. Er wurde als kleiner Junge so verwöhnt, war dickköpfig und schlecht gelaunt, und die Dinge wurden nicht besser, als er älter wurde.

„Ist das normal?“, hatte sie zu Nick vor vielen Jahren gesagt, als Ben, der gerade einmal angefangen hatte zu laufen, sein Bestes gegeben hatte, die Familienweihnachtsfeier zu ruinieren. „Vielleicht sind alle Kinder verzogene Gören?“

Als Suzy zur Welt kam, wurde sein Verhalten schlimmer. Er war die Art von Bruder, der das Haar seiner Schwester streichelte und sie anlächelte, solange Erwachsene hinsahen. Wenn sie sich dann aber umdrehten, zwickte, stupste und haute er. Lizzie hatte ihn einmal dabei erwischt, wie er das Baby mit einem Küchentuch ersticken wollte. „Hassliebe unter Geschwistern“, sagte sie immer, während die beiden sich gegenseitig anschrien.

„Hasshass wohl eher“, hatte Hannah zu Nick gesagt. „Ich wäre überrascht, wenn sie es heil in ihre Teenagerjahre schaffen.“

Jetzt, kurz vor dem Erwachsensein, schienen Ben und Suzy einander mehr denn je zu hassen.

„Er wollte nicht kommen“, sagte Marcus.

„Gott sei Dank“, sagte Suzy. „Er ist ein Idiot.“

„Wir haben es ihm vor Monaten angeboten, als wir gebucht haben“, fuhr Marcus fort. „Aber man kommt halt in das Alter, wenn mit den Eltern in den Urlaub zu fahren das Letzte ist, was man tun möchte. Er wird eine viel bessere Zeit mit seinen Freunden haben – und verwüstet wahrscheinlich unser Haus, während wir weg sind.“

„Sei nicht gemein“, sagte Lizzie. „Er ist derzeit sehr verantwortungsbewusst. Aber es fühlt sich merkwürdig an, ihn nicht hier zu haben; das ist das erste Mal, dass wir ohne ihn in den Familienurlaub gefahren sind. Jetzt, da er an der Uni ist, sehen wir ihn kaum noch – es wäre schön, wenn er mit uns hier wäre.“

Marcus schnaubte. „Schön für ihn, aber nicht unbedingt für uns. Erinnerst du dich nicht an den Urlaub in Kos letzten Sommer?“

„Das war etwas anderes, er war nur etwas verschlossen.“

„Er hat in vierzehn Tagen vielleicht sechs Worte mit uns gewechselt“, sagte Marcus. „Und hat sich in der letzten Nacht so volllaufen lassen, dass wir …“

„Gut, gut, kein Grund, es mit allen zu teilen!“, warf Lizzie dazwischen.

„Erzähl doch“, sagte Nick. „Es wäre gut zu wissen, auf was wir uns gefasst machen können, wenn Jimmy achtzehn wird.“

Lizzie ignorierte ihn.

Die Polizei war nicht mehr durch die Fenster im ersten Stock zu sehen, aber niemand von ihnen war bisher aus dem Haus gekommen, und sie konnten gedämpfte Stimmen durch die offene Verandatür hören.

„Sie werden da drinnen wahrscheinlich nichts finden, oder?“, fragte Hannah. Niemand antwortete und sie sah genervt auf ihre Familie, die neben ihr auf dem Rasen ausgebreitet lag, alle die Augen geschlossen und die Gesichter in Richtung der stärksten Sonnenstrahlen gestreckt. „Ich meine, das Haus war verschlossen, als wir ankamen. Also, wer auch immer er war – der Mann im Pool –, kann davor nicht im Haus gewesen sein. Oder wenn er im Haus herumgelaufen wäre, dann hätten wir doch irgendwas von ihm sehen müssen, oder?“

Es kam immer noch keine Antwort.

Sie seufzte laut, sodass sie es hören konnten; der Wein hatte augenscheinlich einen schlaffördernden Effekt auf die Erwachsenen, die den Rest der Flasche ausgetrunken hatten, und sie wünschte sich jetzt, sie hätte das Glas, das Lizzie für sie nach oben gebracht hatte, leer getrunken. Sie drehte sich auf dem Gras um und pflückte eine Wildblume, die sich ihren Weg durch die trockenen Stängel gebahnt hatte. Die Blütenblätter waren hellblau und perfekt symmetrisch; sie kam ihr bekannt vor, aber sie kannte ihren Namen nicht.

Es war merkwürdig, endlich hier zu sein nach so einer langen Zeit der Planung. Monatelang schienen diese Ferien so weit in der Zukunft zu liegen, dass es sich so anfühlte, als würden sie nie stattfinden. Sie war aufgeregt gewesen, bevor die Reise losging, und erleichtert, als sie endlich ankamen. Aber das Vergnügen war nur von kurzer Dauer.

Sie erinnerte sich daran, wie Suzy Bilder von der Leiche aus jedem Winkel gemacht hatte. Zunächst war sie angeekelt gewesen, aber jetzt war sie froh, dass eine Person unter ihnen eine Form von Beweis von all dem hier hatte. Ohne Fotos würden sie vielleicht vergessen, wie schrecklich und außergewöhnlich dieser Fund gewesen war. Wenn sie erst mal wieder zu Hause waren, würde sich ihre Zeit in der Sonne schnell wieder nur wie eine weitere Urlaubserinnerung anfühlen. Das Einzige, was übrig bleiben würde, wären ein paar Familienselfies und das eine oder andere Souvenir, das auf einem französischen Markt gekauft wurde. Sie musste Suzy bitten, ihr ein paar Bilder per E-Mail zu schicken, wenn sie wieder zu Hause waren, damit sie sie den anderen Frauen aus dem Catering-Unternehmen, bei dem sie als Office Managerin arbeitete, zeigen konnte.

Marcus schnarchte im Schlaf und weckte sich selbst beinahe auf, sodass seine Gliedmaßen durch den Schrecken zuckten. Hannah wartete darauf, dass er seine Augen öffnete und sah, wie sie ihn beobachtete, aber sein Atem wurde direkt wieder langsamer und ebenmäßig, sodass seine Nasenflügel bebten, während er schnarchte.

Es war das erste Mal, dass sie ihren Schwager seit der Beerdigung sah. Sie hatte sich mehrmals mit Lizzie getroffen, aber sie waren immer nur im Haus ihrer Mutter, um noch mehr auszuräumen, Schränke zu durchsuchen und Boxen zu packen, um sie zu spenden oder auf der Müllhalde abzuladen. Marcus hatte nicht angeboten, mit irgendwas davon zu helfen, und sie war erleichtert: Sie war noch nicht bereit gewesen, ihm so früh gegenüberzutreten.

Nachdem die Testamentseröffnung abgeschlossen war, mussten sie nicht ein einziges Mal mehr miteinander sprechen, auch nicht, als sie begannen, die Ferien zu planen: Alle Absprachen fanden per E-Mail statt.

Und jetzt war er hier und schlummerte neben ihr auf diesem Stück französischen Gras, als wäre nichts davon passiert. Gott, war dieser Mann ein arrogantes Schwein. Sie erinnerte sich, wie er noch vor etwa einer Stunde die Polizei volllaberte und mit vor Stolz geschwollener Brust in Aktion trat.

Es war genauso wie bei der Beerdigung.

„Jemand muss das Kommando übernehmen“, grölte er, als er die Stufen zum Krematorium hinaufschritt. „Das geht ja völlig drunter und drüber hier!“

Ein Muskel zuckte in ihrer Wange, als sie sich daran erinnerte, wie sie ihm die Treppen hoch nachrannte und sah, wie er den Gang zwischen den Sitzreihen entlangschlenderte, während die Schwalbenschwänze seines Fracks über seinen riesigen Hintern flatterten. Derselbe Muskel hatte damals auch in ihrer Wange gezuckt; ihr Gesicht, eigentlich bereits durch das Weinen ausgelaugt, war auf einmal straff angespannt.

Sie konnte jetzt nicht daran denken. Sie zwang sich dazu, die Aussicht zu genießen, die Düfte in der Luft zu riechen und zu hören, wie … na ja, zu hören, wie harmonisch das Schnarchen neben ihr war.

Ein paar Minuten später kam Madame Gerard aus dem Haus und ging den Rasen entlang, ihre Sandalen klackerten auf dem Boden so hart, dass Hannah die Vibration unter sich spüren konnte. Sie stellte ihre Füße neben Marcus’ Kopf und sprach, so laut sie konnte. Er setzte sich auf und versuchte, seine Verwirrung zu verbergen, indem er seine Augen mit der Hand vor der Sonne schützte, während er zu der lauten Französin hochschaute.

„Ähm, sie haben anscheinend mit ihr gesprochen und sie sind eine Bande voller Idioten“, sagte er. „Und jetzt sind wir dran, sie wollen mit uns allen sprechen.“

Madame Gerard raffte ihren schweren Rock mit einer Hand und trampelte wieder zurück über den Rasen. Sie ging dieses Mal um die Seite des Hauses zur Einfahrt.

„Bitte, Monsieur, wenn Sie jetzt kommen, um uns zu sprechen?“ Der Inspecteur war von hinten auf sie zugekommen, ohne dass ihn jemand bemerkt hatte – wahrscheinlich, weil sein Näherkommen von Madame Gerards stürmischem Abgang übertönt wurde.

„Alle auf einmal oder nacheinander?“, fragte Nick.

„Vielleicht nacheinander.“ Der Inspecteur ging wieder zum Haus.

Marcus war dabei, aufzustehen, aber Nick kam ihm zuvor.

„Ich gehe als Erster, ja? Dann Hannah. Wir waren schließlich zuerst hier und haben die Leiche entdeckt.“

Die Befragung dauerte nicht lange. Es gab nicht viel, was sie noch zu dem ergänzen konnten, was die Polizei nicht schon selbst herausgefunden hatte, außer ihre Personalien und Ankunftszeit am Haus zu bestätigen. Hannah war nicht der Meinung, dass die Kinder auch befragt werden sollten, aber Inspecteur Moreau sagte, dass er trotzdem ebenfalls mit ihnen sprechen wollte. Lizzie meldete sich freiwillig, bei den Befragungen anwesend zu sein, und Alice war zuerst dran, sah besorgt aus, kam dann raus und setzte sich auf das Gras. Ihre Augen blitzten, als Suzy ihr Haar zurückwarf und zur Verandatür tänzelte, dabei ihre Bikinihose mit der einen Hand zurechtrückte und mit der anderen ihre Sonnenbrille auf ihren Kopf setzte.

„Was hat er gesagt?“, fragte Hannah.

„Nicht viel. Er wollte nur wissen, wo wir waren, als Jimmy die Leiche gefunden hat, und ob wir um die Seite des Hauses zum Pool gegangen sind, als wir zuerst hier angekommen sind.“

„Das ist auch so ungefähr genau das, was er mich gefragt hat“, sagte Nick. „Ich denke nicht, dass sie wissen, wo sie bei dem Ganzen überhaupt anfangen sollen. Wir sind nicht gerade hilfreich – aber was können wir ihnen sonst sagen? Wir wissen ja nichts.“

Jimmy musste von der Wiese zurück ins Haus gerufen werden, als er dran war. Er erschien überraschend uninteressiert an dem ganzen Prozedere. Hannah folgte ihm in das dunkle Wohnzimmer. Offensichtlich besser vertraut mit dem Nutzen der Fensterläden als die englische Besuchsgruppe hatten die Gendarmen sie wieder geschlossen und saßen in den halbdunklen Ecken des Zimmers. Die goldenen Kordeln auf ihren Polizeimützen funkelten hier und da unter dem harschen Licht der Deckenleuchte.

Jimmy setzte sich auf die Kante des Sofas, seine Beine nicht ganz lang genug, um auf den Boden zu reichen. Er hatte den Kopf zur Seite geneigt, so als ob er jede Frage, die ihm gestellt wurde, ganz genau überdachte. „Ich wusste, dass es ein Mann war, denn eine Frau hätte nicht so große Füße“, erklärte er. „Außer Mamas Freundin Katherine, die hat Schuhe fast so groß wie die der französischen Dame draußen.“

„Jimmy! Das ist unhöflich“, sagte Hannah.

Er sah verwirrt aus. „Nein, das ist die Wahrheit, sie hat wirklich große Füße.“

„Ja, aber das musst du doch nicht anderen Leuten gegenüber erwähnen. Oder sagen, dass Madame Gerard große Füße hat.“

„Hat sie doch aber?“

„Beantworte einfach die Fragen des Gendarmen!“

„Und du hast nichts außerhalb des Pools gesehen?“, fragte der Inspektor. „Nichts Merkwürdiges?“

Jimmy schüttelte den Kopf.

„Nur sein Notizbuch.“

Alle starrten ihn an.

„Welches Notizbuch?“

„Das im Pool neben ihm geschwommen ist, als wir hier angekommen sind.“

Hannah runzelte die Stirn und sah die Verwirrung, die sie verspürte, auch im Gesicht des Kripobeamten. „Aber es war kein Notizbuch im Pool, Jimmy.“

„Doch, da war eins. Ich habe es rausgeholt und versucht, es zu lesen, aber die Schrift war vom Wasser ganz zerlaufen. Also habe ich es über die Hecke geworfen.“

Kapitel vier

Es dauerte nicht lange, das, was vom Notizbuch übrig geblieben war, zu finden – es war halbgeöffnet in einem Gestrüpp aus Unkraut auf dem Feld hinter der Hecke auf der gegenüberliegenden Seite gelandet. Die Seiten waren schnell in der Sonne getrocknet und hatten sich selbst in merkwürdig gekräuselte Wirbel zusammengezogen, wodurch das Buch wie ein Teil einer exotischen Skulptur aussah. Ein junger Gendarm übergab es Inspecteur Moreau, der es umdrehte und sich die deformierten Seiten genau ansah. An der Art, wie er missbilligend schaute und seinen Kopf ärgerlich schüttelte, konnte sie erahnen, dass das Geschriebene nicht mehr leserlich war – oder keinen Sinn ergab. Er schnalzte mit den Fingern nach der Frau von der Spurensicherung, die ihn anblitzte, bevor sie sich das Ganze näher ansah.

„Er ist ein bisschen wie Clouseau, oder?“, merkte Marcus an. „Besonders in diesem Mantel.“

„Wer ist das?“, fragte Jimmy.

„Der ist aus einem alten Film mit dem Titel Der rosarote Panther“, sagte Nick. „Er ist ein französischer Inspektor.“

„Das ist ein blöder Name für einen Film“, sagte Alice.

„Ja, kann sein.“

Sie saßen wieder auf dem Rasen, wo der Inspecteur sie im Anschluss an die Suche nach dem Notizbuch noch einmal versammelt hatte. Er war offensichtlich genervt von den englischen Familien, die nicht an einem Ort bleiben wollten, und hatte dieses Mal einen seiner Männer geschickt, um ein Auge auf sie zu haben. Der junge Gendarm stand ein paar Meter entfernt, seine Hände hinter dem Rücken, seine Beine leicht auseinandergestellt und sein Blick über ihre Köpfe hinweg auf die Wiese gerichtet.

„Was glaubst du, was er macht, wenn wir versuchen wegzulaufen?“, flüsterte Lizzie.

„Ich mag es nicht, hier gegen meinen Willen festgehalten zu werden“, sagte Hannah. „Das ist unser Ferienhaus und wir haben ein Recht, hier zu sein. Es ist ja nicht so, dass das, was passiert ist, unsere Schuld ist.“

„Nein, aber das hier ist immer noch ein Tatort“, sagte Nick.

„Wo genau war das Notizbuch?“, fragte Marcus Jimmy.

„Nur im Wasser. An seinem Kopf.“

„Glaubst du, er hat es in der Hand gehalten, als er reingefallen ist?“

„Es muss aus seiner Hand geglitten sein, nachdem er im Wasser gelandet war“, sagte Nick. „Er hätte es sicher nicht selbst da reingeworfen.“

„Es sei denn, er wurde gestoßen …“, sagte Suzy. „Wenn es Mord war.“ Sie lag auf dem Rücken mit ihren Armen als Stütze unter ihrem Kopf, die sonnengebräunten Seiten ihrer Brüste ragten aus ihrem Bikini-Oberteil, ihre Brustwarzen stolz Richtung Himmel gerichtet. Der junge Gendarm hatte eine hervorragende Aussicht auf ihr Dekolleté: Hannah konnte nicht entscheiden, ob er rot wurde oder ob er nur etwas zu viel Zeit in der Sonne verbracht hatte.

„Ja, aber wenn das Notizbuch wichtig gewesen wäre, hätte, wer auch immer ihn reingestoßen hat, es nicht wieder mitgenommen?“, sagte Nick. „Es sei denn, die Person hat ihn aus einem anderen Grund reingestoßen.“

„Oder vielleicht hat es ihm gar nicht gehört“, schlug Suzy vor. „Es hat vielleicht der Person gehört, die ihn gestoßen hat, aber dann konnte sie es sich nicht wiederholen – es ist zu weit in den Pool getrieben und war nicht mehr zu erreichen. Tatsache ist ja, dass der Mörder immer noch hier gewesen sein könnte, als Tante Hannah und Onkel Nick am Haus ankamen. Er war am Pool und hat versucht, sein Notizbuch zurückzubekommen, aber als er hörte, wie jemand kam, machte er sich davon.“

„Ich glaube, das ist etwas zu weit hergeholt“, sagte Hannah. „Das hier ist keine Netflix-Serie. Warum sagst du andauernd, dass es Mord war? Er könnte auch einfach reingefallen sein.“

„Das ist nicht so weit hergeholt“, sagte Marcus. „Warum sollte jemand zu einem Swimmingpool eines leeren Ferienhauses gehen, reinfallen und ertrinken? Ich glaube, Suzy hat da nicht unrecht.“

„Na ja, das werden wir nie erfahren“, sagte Lizzie mit heller Stimme. „Und es ist doch sowieso egal, wir werden uns davon nicht unsere Ferien verderben lassen, oder?“

Lizzies ständige Heiterkeit ging Hannah auf die Nerven. Tat sie schon immer. Als sie aufgewachsen waren, hatte ihre Mutter Lizzie immer „mein kleiner Sonnenschein“ genannt, was Hannah zum Kochen brachte.

„Sie ist so ein fröhliches Kind, immer positiv eingestellt!“, erzählte Jean ihren Freundinnen. „Sieht immer die Sonnenseite des Lebens. Es ist eine Freude, mein kleines Mädchen um mich zu haben.“

„Es ist kein Sonnenschein; es ist blinder Optimismus“, erwiderte die halbwüchsige Hannah, stolz auf ihre Wortwahl und mit sich selbst zufrieden, dass sie Lizzie in ihre Schranken gewiesen hatte. Aber ihre Mutter hatte nur geseufzt und sich weggedreht, wodurch sich Hannah wenig verständnisvoll fühlte. Bis heute erinnerte sie sich noch, wie sie ihre Hand nach dem Rücken ihrer Mutter ausstreckte, als sie den Raum verließ, sich verzweifelt wünschte, dass Jean sich umdrehen und sie anlächeln würde und ihr so ein Zeichen gab, dass sie wusste, wie schwer es war, die ältere Schwester der naiven, schlichten Lizzie zu sein. Dass sie verstand, dass Hannah die Vernünftige war – die Realistin, die die Welt verstand; die Schwester, mit der niemand genauso schnell warm wurde.

Hannah wusste nicht, ob Lizzie irgendwie diese Spannung zwischen ihnen bewusst war, aber sie hörte nie auf, das Gute im Menschen zu sehen. All diese Jahre später, obwohl ihr Beruf als Direktorin einer innerstädtischen staatlichen Schule sie in Kontakt mit Menschen aus dem gesamten sozialen Spektrum brachte – manche davon wenig ehrenwert, anständig oder irgendwie erträglich –, hatte sie nie ihr Talent verloren, das Gute in allem zu sehen, von ausweglosen Karrierewegen bis hin zu Leichen.

Aber ab und an war die fröhliche, positive Einstellung zu viel für Hannah. Manchmal schaffte sie es, ihren Mund zu halten und nicht zu reagieren, wenn Lizzie sich wieder als Little Miss Sunshine aufspielte. Heute war dem aber nicht so.

„Kannst du aufhören, so verdammt fröhlich wegen allem zu sein, Lizzie! Diese Ferien kosten ein Vermögen und wir haben sie monatelang geplant, aber jetzt sind sie ruiniert und wir können nicht einfach weitermachen und so tun, als wäre nichts passiert. Weil etwas wirklich Großes passiert ist.“

Lizzie setzte einen Gesichtsausdruck auf, als wäre sie ins Gesicht geschlagen worden. „Ich möchte nur, dass alle glücklich sind.“

„Mach das nicht; es hat keinen Sinn. Dass wir glücklich sind, ist im Moment nicht angebracht.“

„Komm schon, Han, du bist etwas wirsch“, sagte Nick. „Die Ferien sind nicht ruiniert; der Start war nur nicht besonders gut.“

„Ist schon gut, schlag dich ruhig auf ihre Seite.“

„Hier geht es nicht um Seiten!“

Hannah wusste, dass sie sich unvernünftig verhielt, und erwartete von Nick auch nichts anderes, als dass er unvoreingenommen war. Kurz nachdem sie sich kennengelernt hatten, saßen sie sich in einem Pub gegenüber und tauschten Informationsschnipsel aus; nahmen teil am üblichen Paarungsritual von zwei Individuen, die hofften, dass sie bald ein Paar wurden. Sie spielte mit dem Stiel ihres Weinglases zwischen ihren Fingern und erzählte ihm von ihrer Familie: die Scheidung ihrer Eltern, dem Beruf ihrer Mutter, dem Haus, in dem sie seit Jahren lebten, und Lizzie – all die Dinge an Lizzie, die sie wütend machten.

„Ich meine, ist das ihr Ernst, ‚kleiner Sonnenschein‘!“, hatte sie gesagt und zog die Augenbrauen spöttisch nach oben. „Wie lächerlich. Als ob fröhlich und positiv sein immerzu eine gute Sache ist!“

„Na ja, es ist jetzt auch nicht unbedingt was Schlechtes“, merkte Nick an und führte seine Finger beschwichtigend über ihren Handrücken.

Sie zog die Augenbrauen nach oben und wechselte das Thema. Aber sie wusste, dass es wahr war. Es gab keine böse Ader in Lizzies Körper: Sie war nett, fürsorglich und aufopferungsvoll. Was Hannah nur noch mehr störte. Aber wie sie so dem potenziellen neuen Freund gegenübersaß, steckte sie das Revier ab und bereitete sich mental auf alle Widrigkeiten vor, die vielleicht vor ihr lagen: Mag mich mehr, bettelte ihr Unterbewusstsein, fall nicht auf die freundliche Person, die mit mir verwandt ist – die aber so ganz anders ist als ich – herein.

Was sie all diese Jahre zuvor nicht realisiert hatte, als sie und Nick während ihres ersten Dates miteinander flirteten, war, dass er und Lizzie sich doch sehr ähnlich waren. Nick war ein Optimist und, wie Lizzie, bevorzugte er die Sonnenseite des Lebens, immer darauf bedacht, die Stimmung fröhlich zu halten und Streitereien einzudämmen. Er und Lizzie nahmen schnell eine geteilte diplomatische Rolle in ihrer erweiterten Familie ein, während sie und Marcus die waren, die aneinandergerieten und schnell aus der Ruhe gebracht werden konnten.

Jetzt starrte sie Nick wütend an, wohl wissend, dass es nicht seine Schuld war. Alles, was im Moment noch fehlte, war eine von Marcus’ hochtrabenden Meinungen.

„Du musst dich nicht schuldig fühlen, Hannah“, sagte er wie aufs Stichwort. „Nur weil du das Haus gebucht hast, heißt das nicht, dass irgendwas hiervon deine Schuld ist.“

„Das habe ich nie gedacht!“, erwiderte sie. „Und ich habe es nur gebucht, weil sonst niemand irgendwas in diese Richtung unternommen hat. Wir wären gar nicht erst bis zur verdammten Buchung dieses Urlaubs gekommen, wenn ich die Planung der Ferien einem von euch überlassen hätte.“

„Schon gut, lass uns darüber nicht streiten“, sagte Nick.

Es kam ein Schrei von der gegenüberliegenden Seite des Hauses. Es waren jetzt Gendarmen überall im Garten, sahen zum Zaun, scharrten mit ihren Füßen über das Gras, und, als sie den Schrei hörten, drehten sie sich um und gingen schnell zu dem Weg, der um das Haus führte.

„Sollen wir nachsehen, was da vor sich geht?“, fragte Nick.

„Lieber nicht“, sagte Lizzie. „Die haben sowieso schon die Schnauze voll, dass wir denen dauernd im Weg sind.“

„Jimmy, geh du mal“, schlug Nick vor. „Es ist nicht so offensichtlich, wenn du kurz um die Ecke schlenderst, um einen Blick zu erhaschen.“

Der Junge sprang auf und hüpfte pflichtbewusst davon.

„Es ist falsch, Kinder Botengänge für einen erledigen zu lassen“, sagte Suzy.

Hannah starrte sie genervt an.

„Also, wie war denn Jimmys Geburtstag?“, fragte Lizzie und wechselte das Thema etwas zu gut aufgelegt.

„Gut, danke für die Geschenke“, sagte Hannah. „Entschuldigt, dass er euch noch kein Dankesschreiben geschickt hat. Wir sind darin nicht so gut.“

Lizzie lachte. „Kinder nach ihrem Geburtstag dazu bringen zu wollen, an Leute zu schreiben, ist das Schlimmste daran für sie. Macht euch nicht die Mühe bei so was wegen mir.“

Jimmy tauchte wieder auf und rannte, so schnell er konnte, während seine kleinen Ellbogen wild an der Seite wedelten. „Die Gendarmen haben etwas gefunden, aber sie wollen mich nicht näher rangehen lassen, um zu sehen, was es ist!“

„Exzellent, endlich etwas Aufregung“, sagte Marcus und stand schwerfällig auf. „Kommt schon, auf geht’s.“

Die anderen blieben im Gras sitzen und schauten ihn unsicher an.

„Wir können einfach kurz um die Ecke lunsen“, sagte Nick. „Sie müssen ja gar nicht mitkriegen, dass wir da sind.“

„Na ja … wir sollen ja eigentlich hierbleiben“, sagte Lizzie.

„Ich gehe“, sagte Suzy und sprang auf.

„Ich auch“, sagte Alice und rannte ihr nach.

„Was soll’s, ich verpasse das nicht als Einziger“, sagte Nick und drückte sich nach oben.

Die zwei Frauen folgten ihnen und sie versammelten sich alle entlang des bewachsenen Weges, der an der Seite des Hauses entlangführte und in die Einfahrt mit den Kieselsteinen überging. Sie versuchten, aneinander vorbeizublicken, um zu sehen, was da vor sich ging.

Die Gendarmen hatten sich ein paar Meter von ihnen entfernt versammelt und sprachen lebhaft über etwas auf dem Boden, das sich halb unter der Hecke auf der gegenüberliegenden Seite verbarg. Zwei der Männer hatten dünne Plastikhandschuhe über ihre Hände gezogen und knieten sich hin. Es sah so aus, als würden sie Sachen aus einer Tasche ziehen.

„Hört sich so an, als wären Kinder irgendwie involviert“, sagte Marcus. „Sie glauben, der tote Mann ist vielleicht ein Vater … Oh nein, vielleicht nicht. Hey … das ist interessant …“

„Was?“, fragte Hannah, ihre Ungeduld größer als ihre Verärgerung – obwohl sie selbst keine Ahnung hatte, was die Männer sagten – darüber, dass Marcus schon wieder jedes Wort zu verstehen schien.

„Irgendwas über Jungen“, sagte er. „Das hört sich nicht gut an. Vielleicht ist er ein Pädophiler? Sie glauben, er hat Sachen von irgendwelchen Jungen gestohlen, vielleicht hat er sie beklaut, nachdem er sie angegriffen hat? Da sind Sachen in der Tasche, die sie gefunden haben, die einem Kind gehören. Gott, dieses Arschloch, vielleicht hat er etwas Schreckliches einem wehrlosen Kind angetan.“ Er lehnte sich nach vorne und streckte sich, um die Gesprächsfetzen mitzubekommen. „Das könnte ein Rachemord gewesen sein! Er ist vielleicht vor jemandem davongerannt, der ihn dann eingeholt und in den Pool gestoßen hat – vielleicht der Vater des Jungen, den er versucht hat anzugreifen. Das wird richtig unschön hier so langsam, würde mich nicht wundern, wenn sie die großen Geschütze auffahren und Unterstützung der großen Tiere anfordern – in England nennen wir das die Special Branch, keine Ahnung, wie das hier heißt.“

Hannah starrte ihn mit gerunzelter Stirn an, und ihr Gehirn versuchte zu verarbeiten, was er sagte, als Nick sie in den Arm stupste.

„Ist das nicht Jimmys Rucksack?“, fragte er.

Sie schaute sich das Objekt auf dem Boden vor der Gruppe von Gendarmen an. Aus der Entfernung konnte sie nur erkennen, dass es eine schwarze Tasche mit Schulterriemen war. Oben war sie geöffnet und die Inhalte auf dem Kies verteilt. Darunter ein Paar graue Sandalen mit demselben Klettverschluss wie Jimmys, ein altes Handy, das genauso aussah wie das, das Nick an Jimmy weitergegeben hatte, nachdem er sich ein Upgrade-Modell geholt hatte, und ein Bündel aus hellem rotem Stoff, in derselben Farbe wie die neue Badehose ihres Sohns.

„Scheiße“, sagte sie.