Leseprobe The Devil You Crave | Eine Enemies to Lovers Mafia Romance

Kapitel Eins

Cesare

Die erste und goldene Regel der Familie Salvatore war einfach.

Famigghia über allem.

Aber die zweite Regel war ebenso heilig und wurde im Alltag am häufigsten angewendet.

Nicht. Erwischen. Lassen.

Ganz egal, ob du deinem Nonno einen Hunderter aus der Brieftasche gestohlen hast, während er nach einem Scotch zu viel in seinem Lieblingssessel döste, oder ob du unter dem Long Island Expressway Kniescheiben zertrümmert hast.

Als ältester Mann meiner Generation der Salvatores habe ich mich größtenteils an diese Regel gehalten und dafür gesorgt, dass meine jüngeren Geschwister sie ebenfalls befolgten.

Zum Teufel, wenn wir es anstelle des Salvatore-Namens auf das Familienwappen hätten prägen können, das hinter dem Schreibtisch meines Großvaters an der Wand hing, ohne dass es verdammt offensichtlich gewesen wäre, hätten wir es getan.

Ich hatte nicht vor, mich an diesem Tag erwischen zu lassen.

Also ging ich sorgfältig meine Optionen durch, während ich meine Finger auf dem Lenkrad meines Formel-1-Wagens auf die Start-Ziel-Gerade der Rennstrecke von Monza lenkte und zum ersten Mal in meinem Leben bewusst das Gebrüll der begeisterten Tifosi ausblendete.

»Ich habe dich etwas gefragt«, knurrte ich in das Funkgerät, das mich mit der Boxenmauer verband, und blinzelte den roten Schleier weg, der vor meinen Augen aufstieg.

Ja, ich hatte ein hitziges Temperament. Und natürlich wussten alle in meinem Team und in der Boxengasse davon. Aber ich hatte auch eine legendäre Selbstbeherrschung, und zwar in einem Maße, dass mein Großvater Orazio Salvatore, Kopf der Cosa Nostra und der hochverehrten Salvatore-Verbrecherfamilie, seinen eigenen Sohn, meinen Vater, übergangen hatte, um mir die begehrte Position des Unterbosses zu übertragen.

Nur war es keine Rolle, die ich wollte.

Allerdings konnte ich diese Rolle nicht ablehnen, ohne schwerwiegende Konsequenzen zu riskieren.

Mein Ingenieur schwieg. Wut stieg in mir auf, als ich den Scheitelpunkt der Curva Grande erreichte und meinen Blick auf mein Ziel richtete – den Wagen auf dem ersten Platz.

Statisches Rauschen ertönte, kurz bevor eine andere Stimme zu hören war. »Du hast eine Zehn-Sekunden-Strafe bekommen«, sagte mein Bruder Rafaelle.

Wenn er dachte, er könne meinen Zorn mildern, indem er mir schlechte Nachrichten überbrachte, lag er völlig falsch. Meine Nasenlöcher füllten sich mit Wut und den Abgasen der Verbrennungsmotoren der Autos vor mir. »Sag das noch einmal.«

Ein resigniertes Seufzen. »Du hast mich gehört, Cesare. Die offizielle Stellungnahme der Stewards lautet, dass dein Überholmanöver einen anderen Fahrer gefährdet hat.« In seiner Stimme schwang eine gewisse Schärfe mit, die darauf hindeutete, dass auch er die Strafe für Unsinn hielt.

Zu dem großen Haufen Bullshit, der uns in letzter Zeit immer häufiger in den Weg gelegt wurde, kam hinzu, dass wir den Punkt überschritten hatten, an dem es sich nur noch um reines Pech handelte.

Und das war eine Situation, gegen die ich etwas unternehmen wollte.

»Wo ist mein Ingenieur?«, fragte ich meinen Bruder, obwohl wir beide wussten, warum er die Nachricht anstelle von Brazzo, meinem Renningenieur, überbracht hatte.

Ich hatte kein Problem damit, den Boten zu erschießen oder zu verstümmeln. Und dieser Verstoß war mit den schlimmsten Verbrechen gleichzusetzen. Eine Zehn-Sekunden-Strafe elf Runden vor Schluss auf Rang zwei bedeutete, dass meine Chancen auf den Sieg von sehr hoch auf null gesunken waren.

»Ich bin hier, Cesare.« Zu seiner Ehre muss man sagen, dass die Stimme des Mannes nur ein wenig zitterte. »Wenn du in der Lesmo später bremst, können wir eine Zehntelsekunde –«

»Sag mir nicht, wie ich fahren soll, Arschloch«, zischte ich, als die G-Kräfte meinen Kopf samt Helm in der steilen Parabolica-Kurve gegen die Kopfstütze drückten. »Gib mir einfach die Deltas der Reifenlebensdauer.«

Sobald er mit dem Herunterrattern der Daten fertig war, trat ich aufs Gaspedal, atmete aus, übernahm wieder die Kontrolle und schob meinen Zorn in die ›Später öffnen‹-Box in meinem Hinterkopf.

Die Tifosi – italienische Formel-1-Fans, die so leidenschaftlich sind, dass sie ihren eigenen Spitznamen erhalten haben – witterten ihre Chance und jubelten lautstark, als ich in der nächsten Runde eine halbe Sekunde auf den Führenden gutmachte.

Die Aufregung der Jagd ließ meine Erregung von einem leisen Brodeln zu einem stetigen Kochen ansteigen.

Ein weiteres Knistern aus dem Funkgerät ließ meinen Kiefer zu Granit erstarren. »Sprich mich verdammt noch mal nicht an, es sei denn —«

»Cesare«, unterbrach mich eine sanftere Stimme. Bibiana, meine Schwester und Chefstrategin. »Bei deinen aktuellen Rundenzeiten wirst du 10,5 Sekunden vor Platz 4 ins Ziel kommen. Ein dritter Platz auf dem Podium ist besser als nichts. Wenn du einen kühlen Kopf bewahrst.«

Sie hatte ein unglaubliches Zahlenverständnis und einen berechnenden Verstand, der mich selbst in den besten Zeiten insgeheim erschreckte. Dass sie diesen Verstand auch als Investmentanalystin einsetzte, um für die Familie Salvatore Millionen in Milliarden zu verwandeln, war der einzige Grund, warum Orazio ihr erlaubt hatte, sich Furia Racing anzuschließen, dem Formel-1-Team, für das ich Leib und Leben riskiert hatte, um es zu verwirklichen.

Der Traum hing nun am seidenen Faden, denn alles andere als der erste Platz, insbesondere wenn dieser an das scharlachrote Auto in Führung ging, würde Orazio zu weiteren tagelangen Tiraden veranlassen, auf die ich gerne verzichten konnte.

»Ist Platz zwei möglich?«, fragte ich Bibi, obwohl ich ihre Antwort schon ahnte.

»Tut mir leid, aber nein. Es wird knapp, aber uns gehen die Runden aus, bevor es dazu kommen kann.«

»Fuck!«

Trotz ihrer fundierten Analyse konnte ich mich nicht zurückhalten und trat das Gaspedal durch. Das tausend PS starke Biest reagierte wie ein Traum, holte jedes letzte Kilojoule aus dem Antrieb heraus und brachte mich Runde für Runde näher an meinen Erzrivalen heran.

Aus dem Augenwinkel sah ich, wie die Tifosi aufstanden, als die Tribünen an mir vorbeirauschten. Hinter meinem Rennwagen sprühten Funken in einem Lichtregen. Wir hatten die Fahrzeughöhe zu aggressiv eingestellt, und mein Steißbein spürte deutlich die Auswirkungen des Bodenkontakts des Carbonfaserbodens, aber das war mir egal. Gut, dass ich fit und an anhaltende Schmerzen gewöhnt war. Ein Eisbad nach dem Rennen und ein paar Cognacs, und ich wäre wieder topfit.

Ob ich unbeschadet aus Orazios Enttäuschung herauskommen würde, ohne dass er das über mir schwebende Ultimatum umsetzte, war eine andere Frage.

Mit zusammengebissenen Zähnen korrigierte ich ein Untersteuern in der Ascari-Schikane und umrundete die Parabolica gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie das scharlachrote Ungetüm von Mancinelli Racing an der Zielflagge vorbeirauschte und das Rennen gewann.

Ich stach auf mein Funkgerät ein. »Sag mir, dass wir es geschafft haben«, schnauzte ich.

»Ja, wir liegen 11,2 Sekunden vor dem Vierten«, bestätigte Brazzo. »Zieh die zehn Sekunden ab, und wir sind aus dem Schneider«, fügte er hinzu, als ob ich nicht rechnen könnte.

Dritter Platz. Ein Platz, den ich zutiefst verabscheute. Er war zwei Plätze unter meiner rechtmäßigen Position. Und es war ein Platz, der mir langsam viel zu vertraut wurde. Verdächtig vertraut.

»Rafa?«

», Nachbesprechung in einer Stunde.«

Ich atmete aus und manövrierte das grün-schwarze Rennauto in seine Parkposition, überzeugt davon, dass mein unausgesprochener Befehl verstanden worden war. An Tagen wie heute war ich froh, dass mein Bruder - meine rechte Hand - genauso rücksichtslos wie ich war, wenn nicht sogar noch rücksichtsloser.

Mit meinem Traum, den Namen Salvatore aus einer blutigen und grausamen Geschichte herauszureißen und ihm einen Anschein von Seriosität zu verleihen, würde ich jeden Verbündeten brauchen, den ich durch Schmeichelei, Drohungen und Erpressung zur Unterwerfung bewegen könnte.

***

Das anhaltende Gebrüll der Tifosi übertönte das Geräusch meiner Fäuste, die auf den Scheißfleck einschlugen, der unverständlich um sein Leben winselte, während er auf dem Boden lag. Die wilden italienischen Fans waren an allen Tagen außer Rand und Band. Aber wenn einer der ihren in Monza, der spirituellen Heimat des Motorsports, gewann und ein anderer auf dem Podium stand? Die Stimmung war unbeschreiblich.

In Monza und im ganzen Land würde bis in die Nacht gefeiert werden.

Leider war es nicht wie in den letzten drei Jahren in Folge ein Salvatore, der auf dem obersten Treppchen stand und sich nach dem Schwenken der Zielflagge von den Tausenden, die die Rennstrecke überfluteten, bejubeln ließ.

Meine Wut, nachdem ich gezwungen worden war, neben Narciso Mancinelli zu stehen, zuzusehen, wie dieser arrogante, rotzfreche Bengel während der Nationalhymne grinsend herumzappelte und mir die Trophäe für den ersten Platz fast unter die Nase hielt, war am Siedepunkt angelangt. Zweifellos würden die Zeitungen bis zum Abend voller Bilder sein, die die pikante private und öffentliche Rivalität sowie die Familienfehde weiter anheizen würden. Ob ich wohl die Gefahr, von einem zehn Jahre jüngeren Fahrer verdrängt zu werden, ernst nehme?

Ja, der Scheiß würde an diesem Abend enden.

Der Geruch von Motoröl, heißen Reifendecken und nackter Angst erfüllte die Luft, als ich mich über den Mann beugte, der versuchte, sich in die Fötusstellung zu rollen. Sein dünner Overall schützte ihn nicht vor dem Tritt meines Stiefels gegen seine Rippen.

In meinem Verhalten an diesem Abend lag eine gewisse Leichtsinnigkeit. Zum einen verteilte ich die Schläge nicht an einem abgelegenen Ort fernab von neugierigen Blicken, sondern im hinteren Teil der Garage des Furia Racing Teams in der Boxengasse, wo sich ein Dutzend Team-Wohnmobile und Hospitality-Suiten voller Menschen befanden, sodass die Gefahr bestand, dass jemand zufällig Zeuge meines kleinen improvisierten Tête-à-Tête mit dem winselnden Wiesel werden könnte.

Die zusätzlichen Schlägertypen, die jeden Salvatore – angefangen bei meinem Großvater – permanent beschatteten, bewachten pflichtbewusst die verschiedenen Eingänge, aber dennoch blieben heutzutage, wo überall Handykameras zu finden waren, nur wenige Dinge wirklich lange geheim.

Es kümmerte mich nicht.

Nicht, wenn alles, wofür ich so hart gearbeitet hatte, auf dem Spiel stand. Wenn mein launischer Großvater unruhig wurde und davon sprach, dass es Zeit sei, ›diesen beschissenen kleinen Wunschtraum aufzugeben‹. Als ob nicht eben jener Traum der Salvatore-Organisation im letzten Jahr eine halbe Milliarde Dollar an legitimen Sponsorengeldern und eine weitere Milliarde durch ein paar geschickte Geldwäschegeschäfte eingebracht hätte.

Die Frustration trieb meine Faust in das Fleisch, das von den Schlägen bereits matschig war, und ich spürte kaum das Zusammenzucken, als meine Knöchel gegen den Knochen stießen.

Ein weiteres Flehen um Gnade machte mich nur noch wütender. »Du weißt, was du zu tun hast. Der Schmerz hört auf, wenn du mir die Namen nennst.«

»Ruhig, Bruder«, sagte eine amüsierte Stimme neben mir.

Ich drehte mich um und sah in dunkle, cognacbraune Augen. Rafaelle wich vor meinem grimmigen Blick zurück, hob seine Hände in gespielter Kapitulation und verzog die Lippen.

»Findest du das lustig?«, zischte ich.

»Ich sage nur, dass du dir die Hände ruinieren wirst, und wenn du nicht vorhast, beim nächsten Rennen das ganze Wochenende lang Handschuhe zu tragen, wird jemand deine Aktion bemerken. Wissen wir überhaupt mit Sicherheit, dass etwas vor sich geht?«

»Ich sage dir schon seit Wochen, dass wir einen Maulwurf haben«, fuhr ich ihn an. »Möglicherweise mehrere. Diese verdammten Ratten reisen schließlich immer in Rudeln, oder nicht?«

Rafaelles lockerer Humor verschwand. Der Tod schlich sich in seinen Blick und es milderte meine düstere Stimmung, dass ich nun seine volle Aufmerksamkeit hatte. »Weißt du das mit Sicherheit?«

»Fist hat sich damit beschäftigt. Er hat den hier mit einem Schneidbrenner erwischt. Hat ein paar Fakten miteinander verknüpft, etwas frisches Geld auf seinem Konto gefunden und ihn ein wenig aufgerüttelt, bevor er ihn hierher gebracht hat.« Ich trat gegen das Stück Scheiße und starrte meinen Bruder dann wütend an. »Wann haben wir bis vor einem Monat das letzte Mal drei Rennen in Folge verloren? Oder sind nicht unter den ersten fünf Plätzen gelandet?«

Rafa zog die Augenbrauen zusammen, dann schüttelte er den Kopf. »Nie.« Er blickte auf das wimmernde Arschloch hinunter und seufzte dann. »Schön. Aber lass jemand anderen sich um ihn kümmern.«

Die Kontrolle abzugeben fiel mir nicht leicht. War es noch nie. Weshalb ich fest entschlossen war, Furia Racing zum Laufen zu bringen. Es war die Fahrkarte, die mich vor dem kurzen Schicksal eines Gangsters bewahren sollte, der durch eine abgefeuerte Waffe oder eine aufgeschlitzte Kehle endete.

Und es hatte bis jetzt wie am Schnürchen funktioniert.

Wir waren ein relativ junges Team auf der Formel-1-Rennstrecke. Aber wir waren mit einem sprichwörtlichen Paukenschlag eingestiegen und hatten uns schnell einen Namen gemacht, indem wir uns unseren Platz an der Spitze sicherten, unterstützt durch nicht ganz sauberes Geld, das aus unseren verschiedenen Salvatore-Unternehmen zufloss.

Alles lief reibungslos. Oder so reibungslos, wie eine sizilianische Mafia-Operation heutzutage verlaufen konnte. Bis die verdammte Mancinelli-Familie beschloss, sich dort einzumischen, wo sie nicht erwünscht war.

Aber so war es doch immer in unserem Leben, oder?

Die Salvatores und die Mancinellis. Die reale, unoriginelle Romeo-und-Julia-Tragödie, gefangen in Krieg und Hass um eine längst verstorbene Frau.

Seit fast einem Dreivierteljahrhundert waren wir uns gegenseitig ein Dorn im Auge. Unsere heftigen Auseinandersetzungen waren wohlbekannt und wurden sogar gefeiert, da die Salvatores den Rekord für den Sieg innehatten. Diese Bilanz erfreute Orazio ungemein, daher sein unbändiges Bedürfnis, weiterhin alles unter Kontrolle zu haben.

Wenn es darum ging, Fehden aufrechtzuerhalten, gehörte er eindeutig zu denen, die um jeden Preis gewinnen oder dabei sterben wollten. Er hatte verdammt sichergestellt, dass uns allen dieses unerschütterliche Prinzip eingeimpft wurde, bevor wir fünf Jahre alt wurden.

»Mach schon, ich bin dran.« Rafaelle scheuchte mich weg und kam ohne Erlaubnis näher.

Ich biss die Zähne zusammen und ließ den Kragen des Wiesels los. Ich zog ein makelloses Taschentuch aus meiner Tasche, wischte mir das Blut von den Knöcheln und ging auf und ab, während mein Bruder sich neben meinen bald verstorbenen ehemaligen Angestellten hockte.

Rafa benutzte seine Fäuste nicht, um den Mann zum Schweigen zu bringen. Zum Teufel, er sah seltsam amüsiert aus, als er das Arschloch dabei beobachtete, wie er weinte und sich vollschniefte. Ich konnte nicht hören, was er dem Idioten ins Ohr flüsterte, aber der ohnehin schon blasse Mann wurde kreidebleich. Dann fing er an, noch heftiger zu schluchzen.

Mit verschränkten Armen unterdrückte ich das Gefühl der Unruhe, das mich überkam, als ich meinen Bruder bei der Arbeit beobachtete.

Jeder männliche Salvatore hatte eine Zeit beim US-Militär gedient. Irgendein bescheuerter Plan zur Charakterbildung, den Orazio Salvatore irgendwo gelesen hatte und seiner Familie einflößen wollte. Ich war genau eine Tour lang bei der Marine, bevor mein Vater mich rausgeholt hatte. Rafaelle hatte zwei Einsätze mit einem Spezialeinsatzkommando absolviert, über die er bis heute nicht sprach. Wir alle vermuteten, dass die Fähigkeiten, die er erlernt hatte, zu seiner Tödlichkeit beitrugen. Selbst ich hatte manchmal Angst, ihm den Rücken zuzukehren, und er war der eine Mensch, dem ich mehr vertraute als jedem anderen auf der Welt.

Ich sah, wie er seine Fingerspitzen in den Ringknorpel an der Kehle des Wiesels krallte und zudrückte, alles mit einem ruhigen Gesichtsausdruck. Der Schmerz würde unerträglich sein. Der Mangel an Sauerstoff erschreckend.

»Du bist etwa dreißig Sekunden vom Tod entfernt«, informierte ihn Rafa beiläufig. »Gibt es außer den beiden Namen, die du uns genannt hast, noch jemanden, der an deiner kleinen Operation beteiligt ist?«

Der Mann formte mit den Lippen Nein, nein, nein und versuchte, den Kopf zu schütteln und sich gleichzeitig aus Rafas Würgegriff zu befreien. Als er erkannte, dass er es nicht konnte, stieg nackte Angst in seinen Augen auf, kurz bevor der Gestank von Ammoniak die Garage erfüllte.

Rafa zischte und wich der Pissepfütze aus, bevor sie die polierten Spitzen seiner Prada-Schuhe berührte. »Scheiße. Er sagt die Wahrheit. Er weiß einen Dreck.«

Mit unseren einunddreißig und zweiunddreißig Jahren war Rafaelle schon vor der Pubertät mein Schatten gewesen. Wir hatten genug Arschlöcher zusammengeschlagen, zerhackt und begraben, um zu wissen, wann eine Befragung aussichtslos war.

Ich kehrte an die Seite des Verräters zurück und beugte mich vor, um in sein gerötetes Gesicht zu blicken. »Hast du eine Lebensversicherung?«

»W-was?« Seine Augen waren von Rafas Behandlung und meinen Schlägen blutunterlaufen, aber er blinzelte schnell, um meinen Blick zu erwidern.

»Du hast eine Frau und zwei Kinder unter fünf Jahren. Ein Mann sollte vor seinem Tod sorgfältige Vorkehrungen für seine Familie treffen, insbesondere wenn seine Tätigkeit neben der ›Bewirtung‹ noch andere gefährliche Nebenbeschäftigungen umfasst, findest du nicht auch?«

»Ich … ich … bitte, Boss. Ich wollte das nicht. Ich habe nur … Das Geld war …« Er unterbrach sich und starrte mich stattdessen flehentlich an. Wenn ich nur ein bisschen von der Gnade hätte, die er suchte. Aber niemand spielte mit meinem Traum und überlebte. Vor allem ein Traum, in den sich die Mancinellis wie die verdammten Parasiten, die sie waren, drängten.

»Du hast meine Frage nicht beantwortet. Ich schlage vor, du machst es schnell. Ich habe keine Lust, hier zu stehen und den Gestank deiner Pisse einzuatmen. Bist du ein winselnder, lügender kleiner Scheißkerl, der sich nicht um seine Familie kümmert und seinen Arbeitgeber für ein paar Tausend Dollar verrät, oder nicht?«

Das Elend, das sein Gesicht überzog, gab mir die Antwort.

Ich richtete mich auf und trat einen Schritt zurück.

Umberto ›Fist‹ Lazlo, mein oberster Soldat und Cousin zweiten Grades, der wegen seiner dicken Fäuste und seiner absoluten Besessenheit und makabren Freude daran, alles zu Tode zu prügeln, so genannt wurde, erwiderte meinen Blick. Ich nickte einmal, als ich an ihm vorbeiging.

»Bitte, Don Cesare! Bitte, hab Erbarmen! Ich werde dich nie wieder verra-« Das Geräusch von brechenden Knochen unterbrach sein Flehen.

Rafaelle und die Hälfte meiner Soldaten folgten mir, die andere Hälfte blieb zurück, um den Mann endgültig zum Schweigen zu bringen. In der Regel töteten wir nicht wahllos, aber wir zögerten auch nicht, wenn es die Situation erforderte. Er war eine Ratte, die sich einen Job in der Hospitality-Abteilung meines Teams gesichert hatte, nur um unseren Erzfeinden bei Mancinelli Racing Informationen zuzuspielen.

Wir hatten es bereits vor zwei Rennen herausgefunden, aber wir hatten abgewartet, in der Hoffnung, dass er uns zu größeren Fischen führen würde, denn das größere Problem war die Sabotage der Leistung unseres Autos, was mich zu der Annahme veranlasste, dass die wahren Schuldigen in meinem Aerodynamik- und Datenanalyse-Team zu suchen waren. Zwei entscheidende Bereiche innerhalb jedes Rennteams, denn ohne genaue Daten waren wir aufgeschmissen.

Da ich sie nicht alle mitten in der Saison feuern konnte – was völlig undenkbar war –, saß ich fest und musste warten, bis die Verräter gefunden waren.

Mein Handy vibrierte zum hundertsten Mal, als wir den Parkplatz erreichten. Ich ignorierte es.

»Du weißt, dass du eher früher als später mit ihm reden musst, oder?«

»Was du nicht sagst, Captain Obvious«, knurrte ich.

Rafas Belustigung nahm nur noch zu. Jahrelang hatten wir unsere wechselnden Stimmungen aneinander ausgelassen, was ihn gegenüber meinem unbeständigen Temperament abgehärtet hatte. Ich setzte mich hinter das Steuer meines Furia Falco und startete den Motor.

Das Dröhnen des Supersportwagens milderte sofort meine schlechte Laune. Technisch gesehen war das Auto noch nicht für den Straßenverkehr zugelassen, aber es schadete nicht, der Unterboss einer sizilianisch-amerikanischen Verbrecherfamilie zu sein, der die Telefonnummern mehrerer Polizeichefs auf der Kurzwahltaste gespeichert hatte. Vor allem, wenn man Millionen Euro zu ihren Wahlkampagnen beigetragen hatte.

Als ich aus der Parklücke fuhr, klingelte Rafas Telefon. Ich begann über seine Grimasse zu schmunzeln, stockte jedoch, als er wieder lächelte. Es war nicht unser Großvater, der versuchte, mich durch ihn zu erreichen. Jedenfalls noch nicht.

»Es sind die Zwillinge. Sie sagen, die Arschlöcher sind im Club und prahlen mit ihrem Sieg.«

»Das ganze Team?«, fragte ich beiläufig, aber in meiner Brust regte sich etwas Urtümliches. Ein anderes Gefühl als die Blutgier, die ich gerade hinter mir gelassen hatte. Die Art von Nervenkitzel, die man empfand, wenn man mit der Gefahr flirtete, obwohl man es besser wissen sollte.

Es war genauso stark, genauso tödlich. Und es war für eine Person reserviert.

»Ja«, bestätigte Rafa. »Zumindest die wichtigsten Akteure. Angeführt von Narc-Fuck.«

Ich spürte seinen Blick, der sich in meine Wange bohrte, aber ich hielt die Augen auf die Straße gerichtet.

Narciso Mancinelli, oder Narc-Fuck, wie Rafa und meine beiden jüngeren Zwillingsbrüder ihn gerne nannten, war ein arroganter kleiner Scheißer, aber im Großen und Ganzen war er für mich kaum von Bedeutung, es sei denn, er stand unverdient auf dem obersten Podiumsplatz, der mir zustand.

Nein.

Was den Mancinelli-Clan betraf, so konzentrierte ich meine Energie und Aufmerksamkeit auf die Top-Spieler. Und ganz oben auf diesem Haufen, mit einem ganz besonderen Platz auf meiner Liste der unbeliebtesten Menschen, stand eine Person.

Das älteste von Bonafacios Enkelkindern.

Maddelena Mancinelli.

Kapitel Zwei

Cesare

Eine halbe Stunde später war meine Stimmung noch weiter gesunken.

Die Frustration saß tief und pochte im Takt der Musik, die aus den Lautsprechern des Nachtclubs La Miraggio dröhnte. Während ich auf Rafas Rückkehr wartete, ließ ich meinen Blick aufmerksam hin und her schweifen, um alles und jeden zu entdecken, was oder wer auch immer ungewöhnlich war.

Bislang hatte er drei wichtige Mitglieder der Mancinelli Racing-Crew in die Enge getrieben und sie diskret nach hinten gebeten, um mit ihnen ›unter vier Augen zu reden‹.

Nichts.

Ich war schon genervt von den dummen Faxen der Mancinellis, die ihren Rennsieg feierten, als wäre es die verdammte Wiedergeburt Christi.

Aber das war nicht das, was mich innerlich wie Batteriesäure zerfraß.

Sie war nicht hier. Man sollte meinen, sie würde die Gelegenheit nutzen, um mir das unter die Nase zu reiben, so wie ihr Onkel Stefano, der gerade dabei war, sich zu betrinken und zu berauschen, und sich von Sekunde zu Sekunde mutiger fühlte, als er sich meinem VIP-Bereich näherte, lachte und wie eine dumme Marionette auf mich zeigte, während sein Publikum grölte.

Ich ignorierte seine betrunkenen Spottkommentare und sah, dass Rafa auf mich zukam. Das leichte Schütteln seines Kopfes ließ mich leise fluchen.

War es ein Fehler gewesen, hierher –

Der Gedanke geriet ins Stocken, als sich die kleine Menschenmenge teilte. Und dann sah ich sie.

Sie war ohne großes Aufsehen angekommen und wäre mir fast entgangen.

Die Bitterkeit und dieses langsame Kribbeln, das mich immer überkam, wenn sie in meine Gedanken eindrang, ließen meine Stimmung noch tiefer in den Keller sinken.

Rafaelle ließ sich auf den Platz neben mir fallen und folgte dann meinem Blick. »Ja, wollte dir noch sagen, dass Hot Tits angekommen ist.«

Ich knirschte mit den Zähnen und warf ihm einen bösen Blick zu. »Pass auf, was du sagst.« Das war mein Spitzname für sie. Niemand sonst durfte ihn verwenden. Und wenn jemand das verdammt seltsam fand, war das deren Problem, nicht meins.

Rafaelle erwiderte meinen finsteren Blick mit einem Lächeln, bevor er sich zur Seite drehte. »Willst du, dass ich mich um ihn kümmere oder soll Fist das machen?«

Ich las eher seine Lippen, als dass ich die Frage hörte, aber ich wusste, dass er sich auf Stefano bezog. Ihn zu ignorieren hatte ihn dreister gemacht, und ich konnte lautes Gelächter zu meiner Rechten hören.

Die Zwillinge Dante und Lorenzo, fünf Jahre jünger und fast genauso rennsportbegeistert wie ich, waren genauso stinksauer über die Szene, die sich vor unseren Augen abspielte. Und über meinen stillschweigenden Befehl, nicht die Schädel einiger Mancinellis zu knacken, wie sie es so gerne getan hätten. Der dritte Platz hatte uns alle verärgert, aber wenn wir uns in Chaos stürzen würden, würden wir nichts erreichen.

Aber vielleicht war mein früherer Gedanke doch richtig. Vielleicht hätten wir uns fernhalten und das anders angehen sollen.

Nein, wen wollte ich hier eigentlich verarschen? Ich blühte im Chaos auf.

Und dieser Zustand wurde noch erheblich verschlimmert, weil ich sie beobachten musste, wie sie sich in diesem verdammten roten Cocktailkleid auf der Tanzfläche wand, direkt in meinem Blickfeld.

»Sag einfach Bescheid«, ermutigte mich Rafa und zog meinen Blick für den Bruchteil einer Sekunde auf sich.

In solchen Momenten beneidete ich ihn um seine Fähigkeit, unter allen Umständen ruhig zu bleiben. Es gab einen Grund, warum er den Spitznamen ›The Silent Assassin‹ trug. Man sah oder hörte ihn nicht kommen, bis das Messer zwischen den Rippen steckte und er mit einem Lächeln im Gesicht davonlief. Ich hatte ihn schon oft genug dabei gesehen.

Ich war fast versucht, ihn zu bitten, es noch einmal zu tun, bei dem Idioten, der seinen kleinen Schwanz an ihr rieb.

Maddelena. Das Mädchen, das etwas hinterlassen hatte … etwas … eine unauslöschliche Spur, die ich auch nach all den Jahren nicht loswerden konnte.

Aber nein. Um sie wollte ich mich selbst kümmern.

Mein Telefon vibrierte mit einer weiteren Nachricht von Orazio. Ihn weiterhin zu ignorieren, war nicht die beste Vorgehensweise. Aber ich wollte einige Antworten, bevor es zu der unvermeidlichen Konfrontation kam.

Das faktische Oberhaupt der Salvatore-Familie hatte seit mindestens einer Woche nicht mehr seine Fäuste benutzt, um seinen Standpunkt klarzumachen. Aber diese herrliche Gnadenfrist würde bald enden, höchstwahrscheinlich auf meinem Gesicht, wenn ich keine Antworten für ihn finden würde.

Im Laufe der Jahre hatte ich viele blaue Augen und geprellte Rippen hingenommen. Rafaelle ebenso. Aber der alte Mann, dieser verdammt gerissene Fuchs, hatte erkannt, dass seine beiden ältesten Enkel den Verstand verloren, wenn seine Fäuste auf ihre jüngsten Brüder gerichtet waren. Oder noch schlimmer, auf Bibiana. Wenn ich nicht bald antwortete, würde er seinen Zorn wieder auf sie richten.

Ich schaute nach links, wo die Zwillinge sich gegenseitig anstarrten und sich in dieser stillen Zwillingssprache unterhielten, die mich oft zur Weißglut brachte.

Sie sahen ebenso mürrisch und verwirrt aus wie ich wütend war.

Dante, der zweite Fahrer in meinem Rennteam, war von einer konstanten Doppelsiegesserie auf dem Podium an meiner Seite dazu übergegangen, in den letzten Rennen außerhalb der Top Five zu landen. Seine Angstzustände hatten in letzter Zeit extrem zugenommen, nur sein Zwilling, der sich an seine Seite geklebt hatte, hielt ihn auf Kurs.

Alle Ingenieure, Strategen und Aerodynamiker des Furia Racing Teams hatten sich den Kopf zerbrochen, um herauszufinden, was schiefgelaufen war, bevor wir zu dem Schluss kamen, dass mit unserem Rennwagen alles in Ordnung war. Dass es äußere Einflüsse waren, die sich negativ auf unser Team ausgewirkt hatten.

Wenn ich von den Handlangern der Mancinellis keine Antworten bekommen konnte, dann würde ich mich direkt an die Spitze wenden.

Ich beobachtete meine Brüder und las jede Nuance ihrer kaum gezügelten Ungeduld. Dante war eine etwas weniger eisige Version von Rafa, während Renzo mir in Sachen Hitzköpfigkeit Konkurrenz machte. Ich konnte an der Art, wie seine Knie auf und ab wippten, und dem lauten Knacken seiner Fingerknöchel erkennen, dass er kurz davor war, zu explodieren.

Dante warf ihm einen ›Bleib cool‹-Blick zu, der ihm ein höhnisches Lächeln einbrachte. »Wir sehen aus wie Trottel, wenn wir hier rumsitzen und Däumchen drehen. Wir sollten …«

Ich hörte auf zuzuhören, da meine Besessenheit von ihr meine Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.

Wie jedes Mal, wenn ich sie gesehen hatte – außer in jener Nacht, als meine Warnung sie, wie beabsichtigt, richtig wütend gemacht hatte – sah Maddelena Mancinelli verdammt makellos aus.

Der Inbegriff sizilianischer Schönheit.

Ihre Haut strahlte eine Gesundheit und Vitalität aus, die nicht von Cremes oder endloser Schönheitspflege herrührte, sondern von der Gnade und Gunst von Mutter Natur.

Der alte Mancinelli mochte wegen seiner rattenähnlichen Gesichtszüge den Spitznamen ›El Topo‹ tragen, aber dank eines genetischen Geniestreichs waren alle seine Nachkommen davon verschont geblieben, mit seinem hässlichen Erbgut belastet zu sein.

Jede einzelne seiner Töchter und sogar der idiotische Narciso hatten das auffallend gute Aussehen ihrer Großmutter und Mutter geerbt.

Es brachte mich um, dass ich meinen Blick nie von ihr abwenden konnte, wenn sie im selben Raum war. Dass etwas an dieser einen und einzigen Begegnung vor einer Ewigkeit sie mir so eingeprägt hatte, dass ich sie nicht mehr loswerden konnte, egal wie sehr ich es auch versuchte.

Und ich hatte es versucht.

Frauen aller Formen und Größen hatten mein Bett besucht, seit ich in die Pubertät gekommen war, begierig auf einen Salvatore-Schwanz, wenn auch nur, um damit vor ihren Freunden und ihrer Familie prahlen zu können. Es schadete auch nicht, dass meiner auch noch beeindruckend weit über dem Durchschnitt lag.

Dutzende von Frauen. Doch das Jucken hinter meinem Brustbein blieb.

Maddelena Mancinelli hatte sich in diesen gestohlenen Momenten auf dem Feld draußen im Nirgendwo von Connecticut etwas Lebenswichtiges von mir angeeignet.

Wie der verdammte Romeo, der es besser hätte wissen müssen, als sich mit Julia einzulassen?

Nein, verdammt. Hier gab es keine verbotene Liebe oder gar Hass – das war den Arschlöchern vorbehalten, die meinen Traum zerstörten. Aber da war … etwas.

Etwas, das ich zurückholen wollte, oder bei dem Versuch sterben würde.

Ich ließ all das in meinem Gesicht erkennen und sah den Moment, in dem sie mich von der anderen Seite der Tanzfläche aus entdeckte. Sah auch den Moment, in dem sie es entdeckte.

Ihre atemberaubenden blauen Augen weiteten sich ein wenig und die Hand, die ihr Glas umklammerte, zitterte, bevor sie sich wieder unter Kontrolle hatte. Der Trottel, mit dem sie getanzt hatte, warf einen Blick auf mich und ließ sie auf der Tanzfläche stehen, was sie mit zusammengepressten Lippen und einem bösen Blick in meine Richtung quittierte.

Ich ignorierte den finsteren Blick und konzentrierte mich vorerst auf den sprudelnden Inhalt des Glases.

Wann zum Teufel hatte sie angefangen zu trinken?

Ich wusste ganz genau, dass El Topo eine kilometerlange Liste mit allen Dingen hatte, die seinen Enkelinnen verboten waren. Genau wie ich wusste, dass ganz oben auf dieser Liste, mit Blut geschrieben, die Warnung stand, sich von uns Salvatores fernzuhalten, sonst würde man mit schweren Strafen rechnen müssen.

Und ja, das Trinken war unter den Top Ten.

Als hätte sie diesen Gedanken ebenfalls gelesen, hob sich ein Mundwinkel, eine Herausforderung.

»Wie lange wollt ihr beiden euch noch mit den Augen verschlingen? Ich werde hier drüben verdammt noch mal schwanger.«

Die Zwillinge brachen in Gelächter aus, die heftige Spannung ließ einen Moment lang nach, bevor sie sich sofort wieder aufbaute.

»Rafa …«

Er beachtete die Warnung in meiner Stimme nicht. »Ich sage nur, dass ich nur eine bestimmte Menge an Sex-Dämpfen ertragen kann, bevor es seltsam wird, weil du ja mein Blutsverwandter bist und so. Entweder du unternimmst etwas dagegen oder du beendest diesen Mist.«

Ich schaffte es mit Mühe, meinen Blick von ihr abzuwenden und meinen Bruder finster anzustarren. »Was zum Teufel du auch immer zu sehen glaubst, du liegst falsch.«

Er öffnete den Mund. Ich hob die Hand. Auf seinem Gesicht blitzte Rebellion auf, bevor er seine Lippen fest zusammenpresste. Ich machte mir jedoch keine Illusionen, dass dies das Ende sein würde. Mein Bruder war, wenn schon nichts anderes, zumindest hartnäckig.

Eine weitere Fähigkeit, die er in diesem streng geheimen Teil der Regierung verfeinert hatte und den er nicht preisgeben wollte, egal wie viel Alkohol ich ihm auch einflößte.

»Du hast einen Job zu erledigen. Was auch immer nötig ist, um den Maulwurf zu finden, tu es. Ich will, dass sie vor dem nächsten Rennen erledigt werden. Verstanden?«

Er antwortete nicht sofort. Aber er verstand die Dringlichkeit meines Auftrags. Und würdigte ihn eine Sekunde später mit einem Zwei-Finger-Salut.

Mein Telefon vibrierte wieder. Und wieder. Und wieder.

Ein weiterer Ausbruch von lautem Gelächter aus dem anderen Ende des Raumes, laut genug, um trotz der dröhnenden Musik zu hören zu sein, trieb die Zwillinge auf die Beine. Wenig überraschend hatten sie das Ende ihrer Geduld erreicht.

»Wir haben genug von diesem Scheiß. Entweder brechen wir ein paar Rippen, vorzugsweise die von pezz’i miedda Narc-Fuck, oder wir verschwinden. Was soll es sein, Bruder?«

Ich beugte mich vor, die Ellbogen auf die Knie gestützt, die geballten Fäuste zwischen meinen Beinen baumelnd. »Geht nach Hause. Ich komme gleich nach.«

Rafas Augen verengten sich. »Frate … Was auch immer du vorhast, ist wahrscheinlich keine gute Idee«, murmelte er, sodass nur ich es hören konnte.

Mein Blick schoss zurück zu ihr, mein Inneres zuckte zusammen, als hätte mir jemand mit einem Taser in den Bauch geschossen. Unerbittliche Echos von Körpern, die sich berührten, sich wanden, im Dunkeln erkundeten, hallten durch mein Gehirn. Meine Finger zuckten. Ich ballte sie zu festeren Fäusten. »Vielleicht nicht, aber wann hat mich das jemals aufgehalten?«

Rafa seufzte. »Stell einfach sicher, dass du gut für die tödlichen Fluten ausgerüstet bist, falls du durch das dünne Eis brichst, auf dem du dich bewegst,

Ich antwortete nicht, aber meine zusammengebissenen Kiefer sprachen Bände für mich.

Er nickte den Zwillingen knapp zu, die ohne ein weiteres Wort gingen und die strategisch im Raum postierten Leibwächter zurückließen.

Elektrische Impulse durchströmten mich und wurden stärker, als ich aufstand.

Und quer durch den Raum auf mein Ziel zuging.