Kapitel 1
Penny hatte einen schrecklichen Fehler begangen.
An diesem Abend nahm sie zum ersten Mal an einem richtigen Ball der Saison teil – einem, der von einer Lady der High Society veranstaltet wurde und nicht in den langweiligen Räumlichkeiten von Almack’s stattfand. Ihr Bruder Thomas, Viscount Caldwell, hatte oft bestätigt, dass diese Soiréen viel unterhaltsamer waren. Penny glaubte, dass er die Wahrheit sagte … und dennoch hatte er auch gelogen.
In der Tat waren die Kleider opulenter und die Farben kräftiger als die faden Pastelltöne, die den Debütantinnen bei Almack’s auferlegt wurden. Und ja, es wurden auch Walzer gespielt. Aber Penny hatte keinen Tanzpartner gefunden. Hoffnungsvoll hatte sie herumgestanden und mit den behandschuhten Händen nervös an den Seiten ihres Kleides genestelt, während alle jungen Männer nach Partnerinnen mit koketterem Lächeln und gewagterem Dekolleté Ausschau hielten. Sie hatte ihren Bruder auf der anderen Seite des Raumes entdeckt und sich gefreut. Sie war sich sicher gewesen, dass er sie aus Pflichtgefühl oder vielleicht aus Zuneigung zum Tanz auffordern würde.
Doch statt zu ihr zu kommen, war Thomas auf die Terrasse geschlüpft. Neugierig – und vielleicht auch ein bisschen verärgert – war Penny ihm gefolgt. Jetzt stand sie wie erstarrt hinter den Hecken, ihre Tanzschuhe versanken im feuchten Gras, und Hitze stieg ihr ins Gesicht. Es war offensichtlich, dass ihr Bruder nicht den Garten bewunderte. Er stand unter einer Laube und hielt eine Dame in einer Umarmung an seine Brust gedrückt, die man nur als skandalös bezeichnen konnte.
Die Dame stöhnte seinen Namen.
Pennys Wangen glühten. Oh Himmel. Das hätte sie nicht sehen dürfen. Sie begann langsam zurückzuweichen und betete, dass die Schatten ihren Rückzug verbargen. Aber dann – Schritte.
Nein.
Da näherte sich jemand. Möglicherweise ein anderes Paar, das sich nach Privatsphäre sehnte, oder schlimmer noch, jemand, der sie kannte. Beschämt sah sie sich um und suchte nach einem Versteck. Ein paar Meter entfernt ragte ein großer Baum empor, dessen Äste dicht und schwer mit Laub bedeckt waren.
Penny raffte ihren Rock und rannte auf den Baum zu, in der Absicht, hinaufzuklettern. Der Stamm jedoch war dicker als er aussah, und ihre Pantoffeln machten die Aufgabe unmöglich. Sie streifte sie ab, spürte die kalte Erde unter ihren Füßen und versuchte es erneut.
Diesmal schaffte sie es bis zur Hälfte.
Gerade als sie wieder herunterrutschte, erschien eine Hand von oben und erschreckte sie.
„Hier“, sagte jemand mit tiefer Stimme, die den Eindruck erweckte, dass sich dieser Jemand auf ihre Kosten amüsiert hatte. „Erlauben Sie mir.“
Mühsam unterdrückte Penny einen Schrei, als sie in die Blätter gezogen wurde. Ihr Herz pochte wild, als sie sich in der Gabelung eines stabilen Astes wiederfand und ihre Nase den Duft von Rinde und männlichem Parfüm wahrnahm.
Sie wandte sich um. Es war zu dunkel, um die Dinge klar zu erkennen, aber sie konnte die vagen Umrisse eines Mannes sehen, der müßig neben ihr im Baum saß, ein Bein gegen den Stamm gestützt, das andere lässig baumelnd.
„Meine Güte“, flüsterte sie atemlos. „Warum verstecken Sie sich in einem Baum?“
„Verstecken?“, wiederholte er und klang fast beleidigt. „Es war der perfekte Aussichtspunkt, um etwas ziemlich … Dekadentes zu beobachten.“
Sie runzelte die Stirn und sah sich suchend um. Durch eine Lücke in den Blättern konnte man in ein Wohnzimmerfenster sehen, welches von goldenem Kerzenlicht erhellt wurde. Dahinter umarmten sich zwei Personen leidenschaftlich – noch freizügiger als ihr Bruder und weitaus entschlossener.
Penny schnappte nach Luft und presste eine Hand auf die Brust. „Sie alle sind Wüstlinge!“
„Möglicherweise.“ Der Mann klang so nonchalant, dass sie Frustration empfand. „Aber sagen Sie mir, was ist mit Ihnen?“
Ruckartig wandte sie ihm das Gesicht zu. „Wie bitte?“
„Sie sind ziemlich flink hier hochgeklettert“, murmelte er mit einer trägen Stimme, die sich wie Rauch über ihre Haut legte. „Noch dazu nur in Strümpfen. Haben Sie gehofft, dass ein Gentleman hier auf Sie wartet?“
Bilder von Ruin, Wüstlingen und Schuften – von denen ihre Mutter sie mit dramatischen Worten gewarnt hatte – schossen ihr durch den Kopf. Penny runzelte die Stirn. „Ich bin geflohen“, zischte sie. „Vor etwas sehr Unangenehmem und potenziell Traumatischem. Und Sie haben mich auf diesen Ast gezogen, bevor ich meine verstreuten Gedanken sammeln konnte.“
„Ihr Bruder und Lady Finchley?“
Er klang amüsiert.
Penny stöhnte und vergrub ihr Gesicht in den Händen. „Sie haben sie gesehen?“
„Er macht sich ganz gut“, sagte ihr Gesprächspartner gleichgültig, als belustigte ihn der bevorstehende Skandal ihres Bruders. „Ah … ein Freund kommt dazu.“
Sie nahm die Hände vom Gesicht und starrte ihn an. „Das ist beschämend. Wie können Sie so beiläufig jemandes … jemandes intimen Moment beobachten?“
„Ah“, sagte er mit derselben verärgernden Nonchalance. „Es ist ein verruchter Nervenkitzel, zuzusehen. Sehen Sie selbst.“
Entsetzt schnappte sie nach Luft. „Sie sind abscheulich.“
„Und Sie sind herrlich dramatisch.“
„Ich sollte etwas von Shakespeare über Wüstlinge zitieren, aber ich fürchte, selbst dieser Barde könnte Ihr Ausmaß an Verderbtheit nicht beschreiben.“
„Ich wage zu behaupten, dass er mich bewundern würde.“
Ungläubig starrte sie ihn offenen Mundes an. „Sind Sie immer so provokativ?“
„Nur wenn ich mich mit Damen, die nach sonnengereiften Pfirsichen und schlechten Entscheidungen duften, in Bäumen verstecke.“
Ihre Wangen erglühten. „Sie sind unerträglich.“
Er beugte sich gerade so weit vor, dass sie seinen Atem spüren konnte, als er flüsterte: „Und doch sind Sie immer noch hier.“
Ihr Puls stolperte, nicht wegen der Anstrengung des Kletterns, sondern aufgrund seiner Nähe – der Intimität des Augenblicks, der sie nicht so atemlos machen sollte. „Ich bin Penelope, Thomas’ Schwester.“
„Ich weiß“, antwortete er gelassen. „Thomas hat von Ihnen gesprochen, mit all dem Leid eines Bruders, der von seiner jüngeren Schwester verfolgt wird. Ich bin mir ziemlich sicher, dass er nie gedacht hätte, dass Sie ihm direkt zu seinen Ausschweifungen folgen würden.“
„Wohl kaum“, widersprach sie. „Ich bin auf einen Baum geklettert, um dem zu entgehen.“
„Und sind stattdessen mittendrin gelandet.“
Seine Stimme verriet, dass er das Gesicht zu einem verschmitzten Grinsen verzogen hatte. „Alexander Sutton, Earl of Bainbridge. Zu Ihren Diensten.“
Ihr stockte der Atem. Das war also der geheimnisvolle Freund ihres Bruders von der Universität – derjenige, der nie eine Einladung aufs Land angenommen hatte. Sie starrte ihn an und versuchte, die in den Schatten verborgenen Züge seines Gesichts zu erkennen.
„Hmm“, sinnierte er. „Er könnte die Wette gewinnen.“
Sie blinzelte. „Welche Wette?“
„Ich glaube, er hat eine Wette darüber abgeschlossen, wer der einfallsreichere Liebhaber ist“, sagte er mit unerträglicher Gelassenheit. „Ich bin der Juror und gebe meine weltmännische Kritik ab.“
Schockiert drehte sie sich noch ein Stückchen weiter zu ihm um, wobei sich ihr Rock um ihre Beine schlang. „Mein Bruder wäre niemals so verrucht!“
„Ah, aber die Ladys sind Teil der Wette“, murmelte er und wandte sich wieder dem Fenster zu.
Penny folgte seinem Blick – gerade rechtzeitig, um zu sehen, wie der Kopf des Herrn unter dem Rock der Dame verschwand.
„Oh mein –!“
Vor Schreck verlor sie das Gleichgewicht. Ein Keuchen entrang sich ihrer Kehle, doch bevor sie fallen konnte, packte er sie um die Taille und zog sie fest an eine muskulöse Brust.
Sie erstarrte. Sein Duft umhüllte sie – sauber, angereichert mit etwas Dunklem und Teurem – und sein Atem streifte warm ihre Schläfe. Keine Handschuhe. Keine Distanz. Er drückte die Hand an ihre Seite, um sie zu stützen, und seinen Oberschenkel gegen ihren, um sie beide zu stabilisieren. Plötzlich nahm sie alles deutlich wahr: die Kraft in seinen Armen, den festen Druck seines Körpers und das beunruhigende Gefühl, dass sie sich mit erschreckender Leichtigkeit an ihn schmiegte.
Ein seltsamer Schauer durchlief sie.
„Wie interessant“, sagte er leise. „Sie werden nicht ohnmächtig.“
Sie schnappte nach Luft und versuchte, sich zu lösen. „Sie sind unmöglich.“
„Seien Sie vorsichtig“, murmelte er mit leiser, gefährlicher Stimme. „Ich werde Thomas nicht erklären können, warum Sie sich alle Knochen gebrochen haben, wenn Sie von diesem Ast fallen.“
„Lassen Sie mich los!“, zischte sie.
„Sie könnten vor Schreck hinunterfallen, wenn Sie sehen, was Ihr Bruder gerade tut.“
Trotzig hob sie das Kinn. „Das macht Ihnen viel zu viel Spaß, Mylord.“
„Unheimlich viel“, sagte er gedehnt. „Es gibt nichts Aufregenderes, als süße Unschuld zu verderben.“
„Was für ein Glück für mich“, sagte sie süßlich, „dass mein Bruder mir beigebracht hat, wie man mit Verderbten umgeht.“
Mit einer geschickten Drehung rutschte sie näher heran und hob ihr Knie, sodass es nur ein paar Zentimeter von seiner Männlichkeit entfernt schwebte.
Sein leises Lachen strich über ihre Haut. „Ich fürchte mich zu Tode. Wirklich.“
Was Penny am meisten beunruhigte, war, dass sie sich … belebt fühlte anstatt verängstigt. Die Hitze seines Körpers, der Duft nach sauberer Wäsche und rauchigem Parfüm, seine gefährliche Nähe – all das weckte etwas in ihr, das sie nicht kannte, dem sie aber nicht widerstehen konnte.
Ein Licht flackerte im Obergeschoss des Hauses auf, und zum ersten Mal sah sie sein Gesicht vollständig. Der Schein fing den Sturm ein, der in seinen Augen tobte – Grau, umrandet von diesem verblüffenden Blau in der Mitte, wie Gletscher-Eis kurz bevor es brach. Hohe, scharfe Wangenknochen. Arrogante Nase. Unverzeihlich lange Wimpern.
„Sie sind attraktiv“, sagte sie vorwurfsvoll. „Wie unfair für die armen Unschuldigen, die in Ihren elenden Armen in Ohnmacht fallen.“
Sein Mund verzog sich zu einem Lächeln. „Leider verführe ich keine Unschuldigen. Es sei denn, sie verstehen, dass ich nichts verspreche, außer …“
Er hielt inne, etwas flackerte in seinem Blick auf – etwas weniger Anrüchiges, eher Zurückhaltendes.
„Nichts außer …?“, hakte sie nach, plötzlich mehr als alles andere darauf erpicht, das Ende dieses Satzes zu erfahren.
Das Licht über ihnen erlosch und tauchte sie wieder in den Schatten unter den Ästen.
„Ah, aber Sie sind Thomas’ Schwester, das bedeutet, Sie sind auch meine Schwester. Demzufolge kann ich es Ihnen nicht verraten.“
Sie stotterte. „Ich bin nicht Ihre Schwester. Und ein Gentleman würde seine Schwester nicht so … so unanständig halten!“
„Nicht einmal, um ihr Leben zu retten?“, fragte er sanft und lockerte dann den Arm, der noch immer um ihre Taille gelegt war.
Seine Fingerknöchel streiften ihre Nasenspitze. „Sie sind die Schwester meines guten Freundes, was Sie in gewisser Weise auch zu meiner Schwester macht. Daher werde ich mich benehmen. Ein Vorbild an ehrenhafter Zurückhaltung. Richten Sie Thomas unbedingt aus, dass ich das Sinnbild brüderlicher Tugend war, hm?“
Penny blinzelte ihn an. „Seltsam. Es gibt keinen Blitz, der durch den Baum schießt.“
Er lachte. Ein warmes, leises Lachen, welches dazu führte, dass sich ihre Lippen zu einem Lächeln verzogen, bevor sie es verhindern konnte.
„Nun, da das Pärchen sein Vergnügen woanders sucht“, murmelte er, „erlauben Sie mir, Ihnen hinunterzuhelfen.“
Sie errötete und protestierte nicht, als er ihr half, vom Baum zu klettern – anmutig, ohne sich selbst nach unten zu begeben. Sie fragte sich, warum er im Baum versteckt blieb, fragte aber nicht nach. Stattdessen richtete sie ihren Rock, schlüpfte in ihre Pantoffeln und wandte sich zum Gehen.
Sie verabschiedete sich nicht von ihm. Aber sie stolperte leicht, als sein Flüstern durch die Blätter herabdrang, leise wie der Wind: „Sie sind es, die schön ist.“
Mit heftig pochendem Herzen floh Penny in die Nacht.
Kapitel 2
Stirnrunzelnd senkte Penny das Buch, in dem sie gerade las, und wandte ihren Blick zum Fenster, da sie eine leichte Veränderung in der Bewegung der Kutsche spürte. Das langsame Ruckeln der Räder, gefolgt von einem plötzlichen, erschütternden Knacken und einer verdächtigen Stille, versetzte sie in Unruhe. Warum hatten sie angehalten? Nach einigen Augenblicken beugte sie sich vor und öffnete das kleine Fenster in der Kutschentür. „Thomas? Ist alles in Ordnung?“
Draußen stand ihr Bruder, der von seinem Pferd abgestiegen und in ein intensives Gespräch mit dem Kutscher vertieft war. Dabei zog er die Stirn kraus und verschränkte frustriert die Arme. „Die Achse ist gebrochen“, erklärte er grimmig. „Sie muss ordentlich repariert werden, bevor wir weiterfahren können.“
„Oh, Mist!“
Sie waren ein paar Stunden von London entfernt, auf dem Weg zu ihrer Tante Margaret in Kent. Nachdem sie im vergangenen Jahr auf der Great North Road nach Schottland ausgeraubt worden war, hatte ihre Tante Mama geschrieben und darauf bestanden, dass sie sich zu unsicher fühlte, um alleine zu reisen. Obwohl Mama ihr versichert hatte, dass es unwahrscheinlich war, dass Wegelagerer so nah an der Stadt zuschlagen würden, hatte Tante Margaret sich durchgesetzt und verlangt, dass Thomas sie nach London zurückbegleitete, da Tantes eigener Sohn, Cousin Elliot, auf dem Kontinent weilte. Penny hatte sich begeistert bereit erklärt, ihn zu begleiten, und behauptet, ihrer Tante während der Reise Trost zu spenden.
Natürlich hatte Thomas dies unterstützt. Tante Margaret war dafür bekannt, ihn endlos zu schelten, da er mit fünfundzwanzig noch immer Junggeselle war. Aus Gründen, die Penny nicht ganz verstand, blieb ihr Bruder standhaft uninteressiert an einer Heirat.
„Was sollen wir tun, Thomas? Tante erwartet uns bald, und du weißt, wie schnell sie nervös wird.“
Er fuhr sich mit den Fingern durch sein sandfarbenes Haar. „Ich denke nach.“
Penny öffnete die Kutschentür. Schnell klappte der Kutscher die Stufen herunter, und sie stieg aus, wobei sie ihren Rock hob, um ihn auf dem feuchten Boden nicht zu beschmutzen.
„Wie lange wird es dauern?“
„Mindestens ein paar Stunden“, antwortete der Kutscher. „Ich muss zum letzten Dorf zurücklaufen und Hilfe holen, Mylady.“
Penny blickte auf die dichte Baumreihe am Straßenrand und seufzte. „Gibt es keinen Ort in der Nähe, an den wir in der Zwischenzeit gehen könnten?“
„Wir sind nicht weit von einem von Bainbridges Anwesen entfernt“, sagte Thomas plötzlich, und seine Miene hellte sich auf. „Es gibt einen Weg durch den Wald, in etwa zwanzig Minuten könnten wir zu Fuß dorthin gelangen.“
Penny stockte der Atem. „Lord Bainbridges Anwesen?“
Thomas grinste. „Ja. Erst letzte Woche erwähnte er, dass er sein Anwesen in Kent aufsuchen müsse. Hoffentlich ist er da.“
Ihre Wangen wurden sofort warm, denn die Erinnerung an diesen Lord Bainbridge war nur allzu lebendig. Erst in der vergangenen Woche hatte sie mit ausgerechnet diesem Earl in einem Baum gesessen. Ihr Bruder musste natürlich nicht wissen, dass die Erinnerung an diese Begegnung ihr Herz wie eine Kriegstrommel schlagen ließ.
„Ist sonst niemand in der Nähe?“, fragte sie und bemühte sich, ruhig zu bleiben.
„Nein. Und wir müssen den Knecht hier bei der Kutsche zurücklassen. Tante Margaret wird nicht erfreut sein, wenn wir nach Sonnenuntergang ankommen.“
Penny nickte. „Dann reiten wir zu unserer Tante.“
Thomas sah sie empört an. „Auf meinem Pferd? Auf keinen Fall!“
Sie runzelte die Stirn. „Warum denn nicht?“
„Weil ich keinen Damensattel habe. Du müsstest rittlings sitzen wie ein Mann. Dein Kleid würde bis zu deinen Schienbeinen hochrutschen und man würde deine Strümpfe sehen. Deine Knöchel.“
Penny blinzelte ihn an. „Und?“
„Und?“, stammelte er. „Du wärst ruiniert!“
Sie stöhnte auf und drückte sich die Nasenwurzel. „Gibt es etwas Absurderes als die Vorstellung, dass ein Blick auf die Knöchel einer Frau ihre Zukunft zerstören könnte?“
Thomas schien sie nicht zu hören. „Wir könnten anderen Reisenden begegnen. Was, wenn dich jemand erkennt?“
„Dann werden sie sagen, dass die Tochter unseres Vaters einfallsreich und praktisch veranlagt ist“, erwiderte sie unbekümmert. „Und ich wage zu behaupten, dass ich die Schande überleben werde.“
„Ich werde mich nicht an deinem Skandal beteiligen, Penelope“, sagte Thomas, immer noch entsetzt.
Sie widerstand nur knapp dem Drang, mit den Augen zu rollen. „Na gut. Ich werde Rücksicht auf deine empfindlichen Gefühle nehmen.“
Er schnaubte würdevoll. „Da ist ein Waldweg. Wenn wir ihm folgen, sollten wir Bainbridges Anwesen bald erreichen.“ Er tätschelte seinem Pferd den Nacken. „Wir gehen zusammen. Mein Großer hier wird den Spaziergang genießen.“
Leicht amüsiert sah Penny ihren Bruder an, raffte dann ihre Röcke und folgte ihm zum Waldrand. Die Bäume ragten hoch und grün empor, ihre Blätter raschelten in der leichten Brise, die durch die dichten Äste über ihnen wehte. Die durch die Bäume dringende Sonne tauchte den Weg in Licht und Schatten, und gelegentlich begleitete Vogelgezwitscher das rhythmische Klappern der Hufe auf dem festgestampften Boden, während der Hengst hinter ihnen herlief.
Sie gingen mehrere Minuten lang in geselliger Stille, einer Stille, wie sie nur Geschwister miteinander teilten. Das Blätterdach über ihnen spendete willkommene Kühle, und die Stille des Waldes umgab sie wie ein lebendiges Wesen.
So hatte Penny viel Zeit zum Nachdenken. Ihre Gedanken wanderten zum Earl und dem Baum, seinem Blick in der Dunkelheit, der Art, wie er sie geneckt hatte, und dem wilden Flattern, das seit Tagen in ihrer Brust herrschte. Die Erinnerung an seinen Arm, der sich um ihre Taille geschlungen hatte, als er sie davor bewahrte, vom Ast zu fallen, hatte immer noch die Kraft, ihr den Atem zu rauben.
„Du weißt also nicht, ob Lord Bainbridge zu Hause ist?“, fragte sie beiläufig, während sie ihren Blick auf den Weg vor sich richtete.
Thomas gab ein unverbindliches Grunzen von sich. „Nein, keine Ahnung. Ich weiß, dass er die Abgeschiedenheit hier draußen bevorzugt, wenn er nicht in der Stadt ist, aber das ist keine Garantie. Vielleicht hat er seinen Besuch schon beendet und ist bereits in die Stadt zurückgekehrt.“
Eine Welle nervöser Vorfreude durchflutete Penny. Sie spähte durch die Äste vor sich und erblickte ein weitläufiges Herrenhaus, das zwischen den Bäumen in Sicht kam. Es lag an einem glitzernden See. Obwohl es stattlich und großartig war, wies das Herrenhaus subtile Anzeichen von Nichtbenutzung auf – Efeu rankte an den Steinmauern empor, die Fenster waren blind und die Eingangstreppe musste repariert werden. Dennoch hatte es etwas Idyllisches, mit dem Blick auf das Wasser, das so ruhig lag, dass sie darüber fast ihre Nervosität vergaß.
„Da ist es“, sagte Thomas zufrieden.
Sie nickte, ihr Herz schlug lauter, als es sollte. „Es ist … wunderschön, wenn auch etwas vernachlässigt.“
„Ich nehme an, es gibt nicht viel Personal. Selbst wenn Bainbridge nicht hier ist, werden sie uns ausruhen lassen, bis die Kutsche repariert ist. Komm.“
Als sie sich dem Herrenhaus näherten, strich Penny ihr Kleid glatt. Sie war sich nicht sicher, warum ihre Handflächen plötzlich feucht wurden. Es war albern. Sie hatte keinen Grund, nervös zu sein. Dennoch fühlte sich der Moment seltsam bedeutsam an, als sie die lange Kiesauffahrt hinaufgingen, die von einer Reihe stolzer Ulmen gesäumt wurde. Sie blieben an der Eingangstreppe stehen, und Thomas klopfte an. Eine streng dreinblickende Haushälterin, gekleidet in ordentlichem Schwarz mit weißem Spitzenkragen, öffnete innerhalb weniger Augenblicke die Tür. „Ja?“
Thomas sagte: „Ich bin Viscount Caldwell, und dies ist meine Schwester, Lady Penelope. Unsere Kutsche hatte in der Nähe ein Missgeschick, und wir fragten uns, ob wir Sie um vorübergehende Unterkunft bitten könnten. Ist der Hausherr zugegen?“
Die Haltung der Frau wurde augenblicklich weicher. „Ja, Seine Lordschaft ist zu Hause. Er ist vor kurzem zum Angeln an den See gegangen und sollte innerhalb einer Stunde zurück sein. Bitte treten Sie ein.“
Als sie ins Foyer traten, schlug ihnen der intensive Duft von Zitronenöl und Bienenwachs entgegen. Der Raum war von einer Stille erfüllt, einer eleganten Gelassenheit, die den Charakter des Hauses widerspiegelte.
In diesem Moment knurrte Thomas’ Magen laut und ungebührlich. Er grinste verlegen, doch die Haushälterin nahm es glücklicherweise gelassen.
„Im Salon wird in wenigen Augenblicken ein leichtes Abendessen für Sie bereitstehen. Sie müssen von der Reise hungrig sein. Bitte machen Sie es sich bequem.“
Thomas seufzte: „Sie sind eine Heilige, Madam.“
Penny lächelte schwach, während sie ihre Handschuhe auszog. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht“, sagte sie vorsichtig, „würde ich mir gerne das Anwesen ansehen.“
Die Haushälterin neigte den Kopf. „Gehen Sie nur, Mylady. Mylord, bitte folgen Sie mir.“
Penny ignorierte Thomas’ leicht gerunzelte Stirn und schlüpfte hinaus, lief durch die hinteren Gärten und einen gewundenen, von überhängenden Ästen beschatteten Kopfsteinpflasterweg hinunter. Vögel zwitscherten hoch in den Ästen, und der Duft von sonnengewärmten Rosen lag in der Luft. Aber es war der See, der sie anzog, dessen breite Oberfläche im Licht golden glitzerte. Sie war sich nicht sicher, was sie zu finden hoffte, vielleicht nicht einmal ihn. Aber ihr Herzschlag beschleunigte sich mit jedem Schritt. Als sie um eine Kurve bog, stieß sie frontal mit einer soliden, unverkennbar männlichen Gestalt zusammen.
„Oh!“, keuchte sie, trat zurück und blinzelte in das fesselnde Gesicht des Earl of Bainbridge.
„Lady Penelope!“, sagte er überrascht, doch nur einen Moment später strahlte seine Miene etwas Wärmeres, Unlesbares aus. „Was für eine reizende Überraschung.“
Hitze schoss ihr bis zu Schläfen. Meine Güte. Er war viel legerer gekleidet, als sie angenommen hatte – dunkle Hosen, keine Weste und ein weißes Hemd, das am Hals offen stand und nicht einmal den Anflug einer Krawatte aufwies. Sein kräftiger Hals war entblößt, und seine Ärmel waren bis zu den Ellbogen hochgekrempelt, sodass man die sehnigen Muskeln seiner Arme und seine sonnengebräunte Haut sehen konnte, die darauf hindeutete, dass er viel Zeit im Freien verbrachte.
„Die Achse unserer Kutsche ist gebrochen. Thomas sagte, wir seien in der Nähe Ihres Anwesens und Sie hätten nichts dagegen, wenn wir vorbeikämen. Ihre Haushälterin war so freundlich, uns einzulassen. Ich … zunächst waren wir uns nicht sicher, ob Sie anwesend wären, Mylord. Sind Sie mit Ihrer Familie hier?“
Oh Gott, ich rede Unsinn, stöhnte Penny innerlich und bemühte sich, ihre Fassung wiederzugewinnen.
„Ich bin allein hier“, antwortete er, und in seinem Blick blitzte etwas Unlesbares auf. „Calliope und Emma sind mit unserer Mutter in Hertfordshire.“
„Calliope und Emma?“, fragte sie, überrascht davon, wie seine Augen bei der Erwähnung ihrer Namen wärmer zu werden schienen.
„Meine jüngeren Schwestern.“
„Oh.“ Ihre Stimme wurde sanfter. „Warum sind sie nicht bei Ihnen?“
„Calliope ist sechzehn, Emma vierzehn“, sagte er mit einem trockenen Lächeln. „Sie haben noch ein paar Jahre Zeit, bevor sie in die Gesellschaft eingeführt werden. Im Moment sind sie zufrieden auf dem Land, quälen unsere arme Gouvernante und malen Wildblumen. Und nach den neuesten Informationen meiner Mutter reitet Calliope bereits im Herrensattel, und Emma ist fest entschlossen, es ihr gleichzutun.“
Penny blinzelte überrascht. „Sie dürfen im Herrensattel reiten?“
„Warum nicht?“, entgegnete er gelassen. „Es ist die vernünftigste und sicherste Reitposition, besonders für die Streiche, die sie im Wald aushecken.“
Etwas in ihrer Brust erwärmte sich bei diesen Worten. „Wie unkonventionell“, murmelte sie. „Und doch sehr reizvoll.“
Der Blick des Earls verweilte auf ihr, ein träges Lächeln umspielte seine Lippen. Penny hielt seinem Blick stand, ihr Puls schlug schneller vor stiller Befriedigung, als sie merkte, wie er kurz den Atem anhielt. Sie wusste, dass sie in ihrem dunkelgrünen Reisekleid gut aussah, dessen Saum und Ärmel dezent mit goldenem Faden bestickt waren, der das schwindende Licht einfing. Eine passende Haube umrahmte ihr Gesicht, deren Bänder ordentlich unter ihrem Kinn gebunden waren. Sie erhaschte einen flüchtigen Blick der Bewunderung in seinen Augen, bevor er seine Wimpern senkte und alle Gedanken, die dort noch schweben mochten, verbarg. „Ich entschuldige mich, wenn wir Sie gestört haben, Mylord.“
Sein Mundwinkel zuckte. „Das macht mir überhaupt nichts aus, liebste Schwester.“
Penny funkelte ihn an. Sie ignorierte seine Provokation, wandte den Blick zur Seite, zum Wasser, und hasste es, dass ihre Wangen brannten.
„Ich wollte gerade mit dem Boot zum Angeln hinausfahren“, sagte er und neigte den Kopf in Richtung des kleinen Stegs am See. Dann, nach kurzem Zögern, fragte er: „Möchten Sie mich begleiten?“
Penny sah ihn verlegen an. „Ich habe noch nie geangelt.“
„Das ist auch nicht nötig. Sie können mir Gesellschaft leisten, während ich mein unvergleichliches Talent unter Beweis stelle, Forellen dazu zu bringen, an meinem Köder zu knabbern.“
Das entlockte ihr ein überraschtes Lachen, und er lächelte. Penny wurde sich plötzlich und unerklärlicherweise seines Duftes bewusst, wie nah sie beieinander standen und wie sehr ihr Herz raste. Sag nein, schrie eine innere Stimme.
„Na gut“, sagte sie leichthin. „Gehen Sie voran, Mylord.“
Und ohne weiter darüber nachzudenken, folgte Penny ihm zum Steg, ihr Herz klopfte vor Vorfreude in einem gleichmäßigen Stakkato. Der See glitzerte im bernsteinfarbenen Schein der untergehenden Sonne und seine Oberfläche kräuselte sich sanft, während Lord Bainbridge das kleine Holzboot mit sicherer, geübter Leichtigkeit steuerte. Bäume säumten das gegenüberliegende Ufer, ihre Äste hingen tief herab, so als würden sie dem Wasser Geheimnisse zuflüstern. Die Luft war lediglich erfüllt vom Gesang der Vögel und dem schwachen Duft der Sommerblüten. Penny konnte nicht umhin zu bemerken, dass die Welt ungewöhnlich still war, wie eine Pause zwischen zwei Atemzügen.
Sie saß ihm gegenüber, ihre behandschuhten Finger ruhten leicht auf dem Rand des Bootes. Ihr Blick schweifte über die glitzernde Weite des Sees und dann langsam zurück zu ihm.
Er zog die Ruder mit kraftvollen, gleichmäßigen Zügen, seine Unterarmmuskeln spielten bei jeder Bewegung. Pennys Bauch zog sich unter einem seltsamen Flattern zusammen, und fast verwirrt von ihrer eigenen Reaktion kämpfte sie gegen den Drang an, ihn anzustarren. Seit Wochen weilte sie in London, hatte mit ihrer Mutter unzählige gesellschaftliche Verpflichtungen wahrgenommen, war von gepflegten Gentlemen umgeben gewesen – doch keiner von ihnen hatte dieses brennende Bewusstsein in ihr geweckt. Keiner hatte sie mit einem einzigen Blick so aus der Fassung gebracht.
Penny blickte auf das Wasser und war entschlossen, ihn nicht mit solch ungebührlicher Faszination anzusehen. Erst dann bemerkte sie, dass das Boot zum Stillstand gekommen war. Nach einigen Augenblicken warf sie ihm unter ihren Wimpern einen Blick zu. Anstatt die Angelrute vorzubereiten, beobachtete der Earl sie, sein Gesichtsausdruck unlesbar, bis auf die Intensität, die in seinen Augen brannte.
Sie hob eine Augenbraue und tat gleichgültig. „Glauben Sie, Mylord, dass Sie Fische fangen, indem Sie mich anstarren?“
Ein kleines Lächeln umspielte seine Mundwinkel. „Sie sind außergewöhnlich bezaubernd“, sagte er mit leiser, rauer Stimme. „Das lenkt mich ziemlich ab. Damit hatte ich nicht gerechnet.“
Trotz der Brise stieg Hitze in ihre Wangen. „Ein Wüstling wie Sie es sind, sollte doch daran gewöhnt sein, von hinreißenden Schönheiten umgeben zu sein.“
Daraufhin hob er die Brauen, und in seinen Augen blitzte Belustigung auf. „Und arrogant.“
Sie lachte, und ihr Lachen klang über der Stille des Sees leise und hell. „Es ist bloße Selbstsicherheit, nichts weiter, Mylord.“ Dann zog sie mit gespielter Ernsthaftigkeit die Nase kraus. „Verflixt. Ein bisschen Eitelkeit ist auch dabei, das gebe ich zu.“
Er lehnte sich leicht zurück, streckte seine langen Beine aus und beobachtete sie weiterhin. „Ah, Ehrlichkeit ist der Dame wichtig.“
„Gilt das nicht auch für Sie?“, fragte sie mit leichtem, aber neugierigem Tonfall.
Sein Blick hielt den ihren fest, das verspielte Funkeln wich etwas Tieferem. „Sehr sogar … Schwester.“
Das Wort traf sie wie eine kalte Brise. Penny erstarrte und kniff die Augen zusammen. „Ich verstehe.“
Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Was versteht meine kleine Schwester?“ Lord Bainbridge sprach gedehnt, seine Stimme klang spöttisch.
Scham überkam sie. Er sah sie nicht nur als Thomas’ Schwester. Nicht als irgendein Mädchen der Gesellschaft. Sondern als Frau. Als eine Frau, die er vielleicht begehrte. Und sie … nun, Penny wollte ihn ebenfalls verwirren, denn seit sie ihn auf diesem Baum getroffen hatte, fühlte sie sich völlig durcheinander.
Sie beugte sich leicht vor, ihr Lächeln breitete sich langsam und selbstbewusst aus. „Ah, ich reize Sie, Mylord. Leider wird es Ihnen nicht helfen, meinem Charme zu widerstehen, wenn Sie mich Schwester nennen.“
Er verschluckte sich und brach dann in lautes, ungehindertes Gelächter aus.
Pennys Herz schlug schneller.
Seine Belustigung wich etwas Ruhigerem, Konzentrierterem. „Gott steh mir bei“, murmelte er und schüttelte den Kopf. „Ich muss in Ihrer Nähe vorsichtig sein, kleine … Lady Penny, damit ich nichts Dummes tue.“
„Ich nehme an, das wäre schlimm?“, fragte sie mit kaum hörbarer Stimme.
Sie starrten sich in dem schmalen Boot an, der Raum zwischen ihnen knisterte voller gefährlicher Möglichkeiten. Die Sonne sank tiefer hinter den Bäumen und tauchte das Wasser in goldenes Licht, als wolle sie sie noch ein wenig länger in diesem Moment gefangen halten.
Abrupt wandte Alexander den Blick ab, und bevor sie fragen konnte, was los sei, stand er auf. Die plötzliche Gewichtsverlagerung brachte das kleine Boot ins Schwanken. Penny klammerte sich fest an die Seitenwände und riss erschrocken die Augen auf. Dann sprang er ohne Vorwarnung über Bord.
Sie schnappte nach Luft und wäre beinahe von der Sitzbank gefallen. „Mylord?“, rief sie und suchte die Wasseroberfläche ab. Nur konzentrische Wellen verrieten, dass er überhaupt dort gewesen war.
„Was für ein Unsinn ist das?“, murmelte sie und nestelte am Saum ihres Kleides, während ihr Herz nach wie vor raste.
Endlose Sekunden vergingen, und gerade als sie erneut nach ihm rufen wollte, spritzte das Wasser neben ihr auf. Er tauchte gefährlich nah bei ihr auf, griff nach den Rändern des Bootes und brachte es erneut ins Schwanken. Penny hielt den Atem an. Sein Gesicht war nur wenige Zentimeter von ihrem entfernt, und Wasser tropfte aus seinem dunklen Haar und von seinem markanten Kiefer. Seine Augen trafen ihre, unlesbar und doch intensiv. Alles Spielerische war verschwunden, jetzt wurde es durch etwas Tieferes, Gefährlicheres ersetzt. Sein Blick wanderte kurz zu ihrem Mund, und ihr Herz begann schneller zu pochen.
Wollte er sie küssen? Penny war schockiert. In seinen Augen konnte sie sehen, wie er mit sich kämpfte – Begierde und Zurückhaltung rangen um die Vorherrschaft. Ihr eigenes Verlangen erschreckte sie. Sie wollte, dass er diese Distanz überbrückte, ohne Gnade.
Oh Gott, was denke ich da?
„Ist … ist das eine neue Art des Angelns?“, fragte sie atemlos, ihre Stimme zitterte. „In den See zu tauchen, um die Fische zu Ihrem Köder zu locken, anstatt eine Angelrute zu benutzen?“
Ein kleines Lächeln huschte über seine Lippen. „Sie sind interessant.“
Ihr Puls schlug schneller. „Sicherlich bin ich mehr als das, Mylord“, neckte sie ihn, während ihre Wangen unter seinem Blick heiß wurden.
Der Earl lachte leise und warm. Er legte eine nasse Handfläche auf den Rand des Bootes, Wasser rann seinen Unterarm hinunter. „Sie provozieren Ärger.“
„Tue ich das?“, fragte sie, die Lippen zu einem Lächeln verzogen, seltsam begeistert von seiner Reaktion. „Ich hätte nie gedacht, dass das einen Gentleman mit Ihrer weltlichen Erfahrung aus der Fassung bringen könnte.“
Er machte ein raues Geräusch in seiner Kehle, etwas, das einem Knurren ähnelte. „Seien Sie vorsichtig, Lady Penelope.“
Sie beugte sich ein wenig näher zu ihm hin. „Vorsicht gehört nicht zu meinen Tugenden. Meine Mutter beklagt oft meine impulsive Art.“
Ihre Gesichter waren sich so nah. Zu nah. Sie konnte die blauen Flecken in seinen silbernen Augen sehen und den feuchten, dunklen Rand seiner Wimpern. Lord Bainbridges Blick fiel wieder auf ihren Mund. Er schloss kurz die Augen und presste die Zähne aufeinander. „Wir müssen zurückkehren, bevor ich etwas ziemlich Dummes tue.“
Sie schluckte und war sich jedes Herzschlags in ihrem Körper bewusst. „Dann rudern Sie uns zurück, Mylord. Ich fürchte, es macht mir ziemlich viel Spaß, Sie zu reizen. Und ich wage zu behaupten, dass Thomas sich fragen wird, wohin ich verschwunden bin.“
Der Earl antwortete nicht, aber die Hitze in seinen Augen sagte alles.
Als er sich in das Boot zog, troff das Wasser von seinem Körper, und Penny wandte den Blick ab und lächelte vor sich hin, wohl wissend, dass sich gerade etwas verändert hatte und es sich wundervoll anfühlte.