Leseprobe Play with Fire | Ein romantischer lesbischer Liebesroman

Kapitel 1

Amy

»Keine Personen im Gebäude, over«, sage ich in mein Funkgerät und gebe meinem Kollegen Levin Bennett ein Zeichen, dass wir uns zurückziehen können.

Sobald ich weiß, dass keine Menschen in Sicherheit gebracht werden müssen, fällt eine kleine Last von meinen Schultern, denn so können das Team und ich uns auf das Löschen des Feuers konzentrieren. Der Rauch ist dicht, allerdings ich habe schon Schlimmeres gesehen.

Routiniert arbeiten wir gemeinsam bis das Feuer gelöscht ist, als wir wieder ins Freie treten, nehme ich die Atemschutzmaske ab und sauge die frische Luft tief in meine Lunge.

Levin streckt mir die Hand hin und ich schlage ein.

»Lass uns fahren, Hansley.«

Wir steigen ins Löschfahrzeug und machen uns auf den Weg zurück zur Wache.

Dort angekommen entledige ich mich zuerst der Uniform.

In blauer Hose und blauem T-Shirt, auf welches das Wappen des Auburn Fire Departments gedruckt ist, gehe ich in die vollausgestattete Küche der Wache.

Aus dem Kühlschrank nehme ich mir eine Flasche Wasser, die ich in wenigen Zügen halb leere.

Meine beste Freundin und Kollegin Zoe Walker betritt den Raum.

»Hey, hast du Lust, mir beim Kochen zu helfen?«

Ich werfe einen Blick auf die Uhr über dem Herd und stelle fest, dass wir noch etwas mehr als die Hälfte unserer Schicht vor uns haben.

Unser Team besteht aus sechs Leuten und wir sind eine Familie. Da wir in vierundzwanzig Stunden Schichten arbeiten, verbringen wir den Großteil unseres Lebens zusammen, das macht uns zu mehr als Kollegen.

»Klar«, beantworte ich Zoes Frage. »Was steht heute auf dem Plan? Spaghetti Bolognese?«

Zoe nickt. »Genau.«

Seite an Seite schneiden wir das Gemüse für die Soße.

»Was machst du morgen?«

Ich zucke die Schultern. »Erst mal schlafen, je nachdem wie die Nacht wird, sonst habe ich noch keine Pläne. Wahrscheinlich gehe ich joggen, kommst du mit?«

Zoe rümpft die Nase. »Amy, kennst du mich wirklich so schlecht?«

Lachend stoße ich ihr den Ellenbogen in die Seite.

Nach jeder vierundzwanzig Stunden Schicht haben wir achtundvierzig Stunden frei.

Scott Hopkins, ein weiteres Mitglied unseres Teams, kommt in die Küche. »Braucht ihr Hilfe?«, fragt er mit Blick auf den Herd, wo ich gerade Zwiebeln, Sellerie und Möhren anbrate.

»Du kannst dich um das Knoblauchbrot kümmern, wenn du magst.«

»Wird erledigt.« Er salutiert gespielt, was Zoe und mich zum Schmunzeln bringt.

Um punkt acht Uhr steht das Essen auf dem großen Eichentisch. Spaghetti, ein riesiger Topf Bolognese, Knoblauchbrot, Salat und das Wichtigste – Parmesankäse.

Niemand ist auf einem Einsatz, was selten ist. Oft beginnt man zu kochen und jemand anderes muss es fertig machen, oder man setzt sich hin und muss dann sofort wieder los. Heute haben wir Glück. Erst als ich meine zweite Portion zur Hälfte aufgegessen habe, plärrt die Lautsprecherdurchsage durch die Räume: »Rettungsfahrzeug 1, Verkehrsunfall, Roosevelt Drive Ecke Miller Avenue.«

Audrey und ich werfen uns einen Blick zu und legen das Besteck hin.

»Das sind wir, los.«

Wir sprinten zu den Fahrzeugen, ziehen die Schutzjacken über und steigen mit der Notfalltasche ausgestattet ins Rettungsfahrzeug. Da wir nicht genau wissen, was vor Ort los ist und ob die Unfallbeteiligten ihre Fahrzeuge selbstständig verlassen können, folgen Scott und Ryan uns in einem weiteren Einsatzfahrzeug.

***

An der Unfallstelle angekommen verschaffen wir uns zunächst einen groben Überblick darüber, was passiert ist.

Es ist ein Auffahrunfall. Zwei Autos sind an einer Ampel ineinander gefahren. Dahinter hat sich mittlerweile ein kleiner Rückstau gebildet. Audrey gibt mir zu verstehen, dass wir uns aufteilen sollen.

Ich gehe zu dem Auto, das es auf den ersten Blick weniger schlimm getroffen hat. Ich sehe durch das Fenster auf der Fahrerseite und erkenne eine junge Frau auf dem Fahrersitz. Ich versuche die Tür zu öffnen, was zum Glück ohne Probleme funktioniert.

»Hallo, können Sie mich hören?«, frage ich die Fahrerin.

Die Frau will sich zu mir drehen, doch ich halte sie mit einem schnellen »Nicht bewegen!« davon ab.

»Ihre Wirbelsäule könnte etwas abbekommen haben, bitte halten Sie still.«

»Okay«, sagt sie mit leiser Stimme.

»Haben Sie Schmerzen?«

»Nein«, antwortet sie.

»Taubheitsgefühl in Armen oder Beinen?«

»Auch nicht.«

»Gut, sehr gut. Können Sie mir ihren Namen nennen? Und wissen Sie, welcher Tag heute ist?«

»Ich … ich heiße Jade Walsh, bin dreißig Jahre alt und heute ist Sonntag, der dreizehnte Juli.«

Ich nicke. »Das klingt, als wären Sie mit einem Schrecken davon gekommen. Ich muss noch Ihre Vitalparameter überprüfen und werde Ihnen vorsichtshalber eine Halskrause anlegen.«

Mit routinierten Handgriffen lege ich ihr die Halskrause an und checke dann Atmung, Puls, Blutdruck und die Sauerstoffsättigung. Alles im grünen Bereich. »Ich bin gleich wieder da. Bitte nicht bewegen, denken Sie dran.«

Ich lasse sie in der Obhut von Ryan und gehe schnell rüber zu Audrey und Scott. »Wie sieht es hier aus?«

»Kopfplatzwunde, nichts Wildes. Aber er muss ins Krankenhaus.«

»Ja, sie auch.«

Über das Funkgerät bestellen wir einen zweiten Rettungswagen.

Ich kehre zum anderen Fahrzeug zurück, und warte bei der Fahrerin, bis die Verstärkung eintrifft.

»Alles in Ordnung?«, frage ich.

»Ja.«

Wenige Minuten später treffen Levin und Zoe mit dem zweiten Rettungswagen ein. Levin geht direkt rüber zu Audrey, während Zoe und ich Ms Walsh aus dem Fahrzeug heben, auf die Trage legen und in den Rettungswagen schieben. Ich steige hinten ein und Zoe setzt sich auf den Fahrersitz.

»Wie fühlen Sie sich?«, frage ich.

»Durchgeschüttelt«, antwortet sie.

»Das wird sicher wieder.« Ich schenke ihr ein ermutigendes Lächeln und bekomme eins zurück.

Wenig später kommen wir am Krankenhaus an. Ich steige aus und gebe der Ärztin der Notaufnahme die wichtigsten Infos weiter. »30-jährige Frau nach Verkehrsunfall. Keine Schmerzen, vermutlich Schock, besser ihr schaut sie euch an.«

»Wird gemacht«, sagt die Ärztin und Zoe und ich holen die Trage aus dem Wagen.

Wir schieben sie durch die Automatiktüren der Notaufnahme, wo sie vorsichtig umgelagert wird, damit wir die Trage wieder mitnehmen können.

Kurz lege ich meine Hand auf die von Jade. »Ich wünsche Ihnen alles Gute!«

»Vielen Dank!«

Zoe und ich laden die Trage wieder ein und fahren zurück zur Wache.

Kapitel 2

Jade

Gott sei Dank ist es nur ein Schock. Es dauert nicht lange, da darf ich das Krankenhaus schon wieder verlassen. Ich hatte befürchtet, zur Überwachung über Nacht bleiben zu müssen, aber weil alle Tests und Untersuchungen unauffällig waren, durfte ich nach Hause. Da ich keine Ahnung habe, wo mein zerbeultes Auto hingebracht wurde, rufe ich vor dem Haupteingang des Krankenhauses meine beste Freundin Hannah an. »Hey Jade, was gibt's?«, begrüßt sie mich.

»Ich brauche deine Hilfe, kannst du mich am Krankenhaus abholen?«

Hannahs Stimme wird automatisch mindestens vier Oktaven höher. »Am Krankenhaus? Was ist passiert? Bist du ok?« Ich seufze leise, erschöpft vom Tag. »Mir geht es gut. Ich hatte einen kleinen Autounfall. Zum Glück ist es nur ein Blechschaden. Die Rettungssanitäter hatten mich zur Sicherheit ins Krankenhaus gebracht und ich habe keine Ahnung, wo mein Auto ist, deshalb musst du mich abholen.«

»Ich bin schon unterwegs.«

Bevor ich noch was sagen kann, hat Hannah schon aufgelegt. So ist sie, meine beste Freundin. Immer zur Stelle, wenn ich sie brauche, genauso wie ich, wenn sie mich braucht. 

Zwanzig Minuten später hält der mir so vertraute mintfarbene Mini Cooper S vor meinen Füßen und Hannah steigt aus.

»Da bin ich. Ich bin so schnell gekommen wie ich konnte, ohne einen Strafzettel zu bekommen.« Sie kommt um das Auto herum zu mir und öffnet die Beifahrertür. »Geht's?« 

Ich nicke. »Ja, danke.« Ich steige ein und schnalle mich an. Als auch Hannah wieder sitzt, schaltet sie ihre geliebte 2000er Disney Channel Playlist an und bringt mich damit zum Schmunzeln.

Zu gut erinnere ich mich an die Zeit, als wir so etwa zwölf waren und sie es für Schicksal gehalten hat, den gleichen Namen zu tragen wie Hannah Montana. Mittlerweile sind wir erwachsen, aber die Liebe zur Musik von damals ist definitiv geblieben. Bei Hannah mehr als bei mir, trotzdem höre ich sie gerne und mag vor allem die Erinnerungen, die sie in mir auslöst. An unsere Kindheit und Jugend. Sie verleiht mir ein Gefühl von Geborgenheit und Zuhause. Ein Schmerz durchzuckt mich, der nichts mit meiner Verletzung zu tun hat.

»Erzähl mal, was ist denn passiert?«, fragt Hannah jetzt.

»Ich stand an der Kreuzung und war auf dem Weg nach Hause, als ein anderes Auto in mich reingefahren ist. Es ging alles so schnell. Es hat nicht lange gedauert, da waren auch schon Rettungskräfte da und kurz darauf war ich im Krankenhaus.«

»Aber es ist alles in Ordnung?« Besorgnis steht in ihrem Blick als sie mich von der Seite mustert.

»Ja, Hannah mir geht es gut. Wirklich«, antworte ich nachdrücklich.

»Na, ich glaube dir mal.«

»Danke.« Leise seufze ich.

Den Rest der kurzen Fahrt verbringen wir schweigend. Vor meinem Wohnhaus kommen wir zum Stehen und bevor ich mich auch nur abgeschnallt habe, öffnet Hannah mir schon die Tür.

»Brauchst du Hilfe?«, fragt sie und umfasst meinen Arm.

»Nein, danke.«

Doch sie hört mir gar nicht richtig zu, zieht mich vorsichtig aus dem Auto und führt mich zur Haustür. Ich weiß, dass es nichts bringt mit ihr zu diskutieren, also lasse ich sie machen.

In meiner Wohnung sinke ich auf mein Sofa im Wohnzimmer. Sofort springt Ginger, meine rot-weiß getigerte Katze neben mich und schmiegt schnurrend ihren Kopf an meine Seite.

Gedankenverloren kraule ich sie hinter den Ohren, woraufhin ihr Schnurren nur noch lauter wird.

»Soll ich heute Nacht hier bleiben?«, fragt Hannah, die am anderen Ende des Sofas Platz genommen hat. 

Ich schüttle den Kopf. »Das ist lieb, aber das musst du wirklich nicht.«

Ihr Blick ist voller Argwohn. »Ganz sicher? Du weißt, mir macht das nichts.«

»Hannah wirklich. Ich habe nicht mal eine Gehirnerschütterung. Ich soll mich zwar ein bisschen ausruhen, ich komme allein klar, ganz sicher. Ich schiebe mir gleich eine Tiefkühlpizza in den Ofen und wenn ich nach dem Essen die Katzen versorgt habe, lege ich mich hin. Versprochen.«

»Also schön. Aber wenn du noch was brauchst, rufst du mich an, egal, wie spät, ja?«

»Mach ich.«

»Gehst du morgen arbeiten?«

»Nein. Ich bin den Rest der Woche krankgeschrieben, da die Ärztin der Meinung war, fünfundzwanzig Kinder im Alter von drei bis fünf um mich herum zu haben, wäre nicht besonders erholsam.«

Hannah lacht. »Wo sie Recht hat. Du weißt, ich habe bis heute nicht verstanden, wie du den Job machen kannst.«

»Ja, ich weiß. Aber du weißt auch, dass Erzieherin schon immer mein Traumberuf war.«

»Ich umgebe mich lieber mit den Büchern in meiner Bibliothek, die geben immerhin keine Widerworte.« 

Ich lache. »Apropos Widerworte. Geh jetzt. Bitte.«

Theatralisch seufzend steht Hannah auf. »Ich geh ja schon.«

Sie gibt mir einen Kuss auf den Scheitel und streichelt Ginger kurz über den Kopf.

»Ruf mich morgen früh an, damit ich weiß, dass du nicht im Schlaf gestorben bist.« 

»Mach ich, danke noch mal. Und mach dir bitte keine Sorgen.«

»Geht leider nicht. Schlaf gut, Jade. Ich hab dich lieb.«

»Ich dich auch, Hannah.«

Dann fällt die Tür hinter ihr ins Schloss und ich bin allein.

Für einen Moment schließe ich die Augen. Was für ein Tag.

Kapitel 3

Amy

Endlich Feierabend. Als ich morgens um sieben die Wache verlasse, kann ich kaum noch die Augen offen halten. Zum Glück liegt das Haus, in dem ich wohne, nur ein paar Straßen von meiner Arbeit entfernt, sodass ich immer zu Fuß gehe, solange es nicht wie in Strömen regnet oder gar schneit.

Über Nacht hatten wir ungewöhnlich viele Einsätze, sodass ich es nicht einmal geschafft habe, alle Berichte zu schreiben und mir diese Arbeit jetzt für die zwei freien Tage mit nach Hause nehme. Aber zuallererst brauche ich eine Mütze voll Schlaf.

Erschöpft schließe ich die Haustür auf. Das Haus habe ich mir von dem Geld gekauft, welches ich von meinen Großeltern geerbt habe und ich liebe es. Nachdem meine Mutter und ich nach der Scheidung meiner Eltern hergezogen sind, fühle ich mich hier in Alabama mittlerweile mehr zu Hause als in Nevada, wo ich die ersten fünfzehn Jahre meines Lebens verbracht habe und dass meine Mutter nicht weit weg wohnt, ist ein Bonus.

Hinter mir raschelt es und ich stutze. War das der Wind? Nein, es geht kaum ein Lüftchen. Suchend drehe ich mich um, kann jedoch nichts entdecken. »Hallo?«, frage ich laut. Stille. Da ist nichts. Oder besser gesagt niemand. Schnell gehe ich ins Haus und schließe die Tür hinter mir ab. Angespannt atme ich aus und erst da bemerke ich meinen rasenden Herzschlag.

»Es ist alles gut«, sage ich zu mir selbst und lege mir die flache Hand auf mein wild klopfendes Herz. Schweißtropfen rinnen mir die Schläfe herunter. »Du bist zu Hause und das hier ist nur die Hitze.« Energisch wische ich den Schweiß weg und gehe vom Eingangsbereich in die angrenzende Küche. Aus dem Schrank nehme ich ein Glas und fülle es über der Spüle mit kaltem Wasser aus dem Hahn. Dabei schaue ich aus dem Küchenfenster in den Vorgarten. Alles sieht aus wie immer.

In wenigen Schlucken leere ich das Glas, bevor ich in den hinteren Teil des Bungalows in Richtung Badezimmer gehe und mir schon auf dem Weg dahin mein Shirt und den BH ausziehe. Vor der Dusche ziehe ich mich vollständig aus und stelle mich unter den kühlen Wasserstrahl.

Eine Viertelstunde bleibe ich unter dem heißen Wasserstrahl und wasche die letzten vierundzwanzig Stunden von mir ab.

Im kurzen und luftigen Pyjama gehe ich durchs Haus, dunkle alle Fenster ab und überprüfe, ob ich die Haustür und die Hintertür abgeschlossen habe. Auf dem Weg ins Schlafzimmer hole ich mir noch ein Glas Wasser und stelle meinen Wecker. Bei meinen ungewöhnlichen Arbeitszeiten ist ein möglichst fester Rhythmus wichtig. Also schlafe ich nie länger als bis elf Uhr nach einer Schicht, und gehe am nächsten Abend und auch am Abend danach frühzeitig schlafen.

Neben dem Glas Wasser auf dem Nachttisch liegt mein Journal. Ich nehme es in die Hand und schlage es auf. Die Idee, dieses Journal zu führen, kommt von meiner Mutter, einer Psychotherapeutin. Am Abend nach jeder Schicht versuche ich die schlimmen Sachen niederzuschreiben, damit sie nicht mehr in meinem Kopf sind und ich schlafen kann. Außerdem schreibe ich zwei bis drei Dinge auf, für die ich dankbar bin. Egal, wie unscheinbar und klein sie vielleicht sein mögen.

Heute habe ich das Bedürfnis, von dem Brand in der Lagerhalle zu schreiben, bei dem wir einen Mitarbeiter fast nicht mehr rechtzeitig gefunden haben. Mein Job ist mein Leben und doch ist es besser, nicht jeden Einsatz mit sich herumzutragen, bis man daran zerbricht.

Die drei Punkte der Dankbarkeit sind heute leicht.

Mein Team

Spaghetti Bolognese

Zoe

Zoe taucht regelmäßig auf in diesen Listen. Seit meinem ersten Tag im Auburn Fire Department arbeiten wir zusammen. Anfangs konnten wir uns nicht ausstehen. Aber nach dem ersten heftigen Einsatz, den wir gemeinsam gemeistert haben, sind wir unzertrennlich. Auch in der Freizeit kleben wir oft aneinander, wie Pech und Schwefel.

Ich lese meinen Eintrag noch einmal durch, bevor ich das Journal weglege und das Licht lösche. Erschöpft kuschle ich mich in die Kissen und bin innerhalb von wenigen Minuten eingeschlafen.

***

»Wir sollten das nicht tun.«

Hämisches Gelächter dringt an meine Ohren und ich schlucke.

»Ich meine das ernst. Ich finde wir sollten gehen.«

Niemand beachtet mich. Auf mich hört keiner. Das tun sie nie. Als wäre ich ein kleines nerviges Anhängsel.

Schweißgebadet schrecke ich hoch. Nicht schon wieder dieser Traum. Gierig leere ich das Wasserglas, das auf meinem Nachttisch steht, und sinke gegen das Kopfteil meines Bettes. Die Alpträume sind seltener geworden, aber sie werden wahrscheinlich für den Rest meines Lebens ein Teil von mir bleiben. Ob ich will oder nicht. Sie sind jedes Mal ein bisschen anders, so als würde die Erinnerung an das Ereignis, welches sie auslöst, mit der Zeit verschwimmen.

Ich will gerade nachschauen, wie spät es ist, als der Wecker mir mit seinem schrillen Klingeln die Frage beantwortet.

Also stehe ich auf und ziehe die durchgeschwitzte Bettwäsche ab. Ich rolle den Stoff zu einem Ball zusammen, werfe ihn in den Wäschekorb und recke grinsend die Siegesfaust in die Luft als ich treffe. Mein Lieblingsbasketballer, Asher Davis, wäre stolz auf diesen Korb. Der Center der Sin City Bandits ist der beste Freund meines jüngeren Bruders, Brian dem Maskottchen der Mannschaft.

Jetzt, wo ich an ihn denke, mache ich mir im Geiste eine Notiz, Brian in den nächsten Tagen mal wieder anzurufen.

Seit wir dank der Scheidung unserer Eltern in zwei unterschiedlichen Bundesstaaten leben, ist das Telefon unser Hauptkommunikationsmittel.

Gerade als ich im Badezimmer Zahnpasta auf meine Zahnbürste gebe, klingelt mein Handy.

Zoes Name steht auf dem Display.

Ich lege die Zahnbürste auf den Waschbeckenrand und nehme das Gespräch an.

»Guten Morgen. Hast du dich etwa doch dazu entschieden, mit mir Joggen zu gehen?«, begrüße ich sie fröhlich, wohlwissend, dass das ganz sicher nicht der Fall ist.

»Du hast es vergessen, oder?«, frag Zoe.

Im Spiegel sehe ich meine gerunzelte Stirn. »Was vergessen?«

»Dass wir heute Flyer verteilen wollten.«

Reflexartig schlage ich mir mit der flachen Hand gegen die Stirn, sodass ein klatschendes Geräusch durch mein Badezimmer hallt.

»Verflucht. Ja, ich hab's vergessen.«

Am ersten Samstag im August veranstalten wir wie jedes Jahr unseren Tag der offenen Tür und das Sommerfest. Wir laden die Bürger von Auburn dazu ein, sich die Feuerwehrwache anzusehen. Die Kinder dürfen im Löschfahrzeug mitfahren und Blaulicht und Sirene betätigen. Zum Abschluss gibt es ein Grillfest für alle. Und um die Anwohner daran zu erinnern, wollten wir heute gemeinsam Flyer verteilen. Daran hatte ich nicht mehr gedacht.

»Wann treffen wir uns?«, frage ich.

»In einer halben Stunde, soll ich dich zu Hause abholen?«

»Brauchst du nicht, ich laufe zur Wache und fahre dann mit dir von da aus los.«

»Ist gut, bis gleich, Amy.«

Wir legen auf und ich beeile mich, mir die Zähne zu putzen, mich anzuziehen und schnell eine Scheibe Brot lieblos mit einer Scheibe Käse zu belegen, damit ich sie auf dem Weg zur Wache frühstücken kann. Mein Zeitmanagement ist - abseits der Arbeit - nicht gerade das Beste. Die Aktion mit den Flyern fällt nicht unter die Arbeitszeit, das machen wir freiwillig, weil wir während der Schicht dafür natürlich keine Zeit haben.

Vierzig Minuten nachdem Zoe und ich aufgelegt haben, sitzen wir in ihrem Renault, auf meinem Schoß liegt ein ganzer Stapel Flyer.

»Was ist unsere erste Station?«, fragt Zoe und ich werfe einen Blick auf die Liste.

»Die Kita in der Jordan Avenue.«

»Alles klar.«

Kurz darauf steigen wir aus dem Wagen. Auch wenn wir nicht offiziell im Dienst sind, tragen wir unsere Uniformen.

Gemeinsam betreten wir die Kita und werden an der Anmeldung von einem Mann mittleren Alters begrüßt.

»Die Feuerwehr? Wie kann ich helfen?«

Zoe nimmt mir den Flyer ab, den ich ihr hinhalte und legt ihn auf den Tresen.

»Wir veranstalten in drei Wochen unser alljährliches Sommerfest mit Tag der offenen Tür. Gerade die Kinder haben ja jedes Jahr einen Heidenspaß. Daher würden wir gerne ein paar Flyer für die Eltern hier lassen, wenn das in Ordnung ist.«

Sie reicht den Flyer über den Tresen und wir warten seine Reaktion ab.

»Jacob, ich bin dann wieder weg. Oh. Entschuldigung.«

Ich drehe mich zu der Stimme um. Gesichter und Namen konnte ich schon immer gut kombinieren, deshalb erkenne ich Jade sofort. Und sie mich anscheinend auch, denn ihr Gesicht hellt sich auf. »Hallo.«

»Hallo. Wie geht es Ihnen?«, frage ich mit ehrlichem Interesse. Manchmal finde ich es schade, dass wir nur in wenigen Fällen mitbekommen, wie es den Leuten ergeht, die wir aus Häusern retten oder, wie in Jades Fall, im Krankenhaus abliefern.

»Es geht mir gut, danke. Ich habe zum Glück nur einen leichten Schock. Die nächsten Tage werde ich mich noch ausruhen, ich habe gerade nur meine Krankmeldung abgegeben.«

»Sie arbeiten hier?«

Jade nickt. »Ja, und ich liebe meinen Job. Aber im Moment sollte ich meinem Kopf lieber ein wenig Entspannung gönnen.«

»Vermutlich.«

»Was machen Sie beide eigentlich hier? Ist etwas passiert?« Besorgnis legt sich auf Jades Gesichtszüge.

»Nein, nein«, beeile ich mich zu sagen, »Wir wollten nur Flyer für unseren Tag der offenen Tür abgeben.« Ich reiche ihr einen der Zettel.

Ihre braunen Augen fliegen über das Papier. »Das hört sich gut an. Vielleicht komme ich vorbei.«

»Machen Sie das«, antworte ich und schenke ihr ein Lächeln.

»Sie können gerne ein paar von den Flyern hierlassen«, schaltet sich Jacob ein.

»Danke«, antwortet Zoe und ich lege eine Handvoll Zettel auf den Tresen.

»Wir müssen dann weiter, die Flyer verteilen sich schließlich nicht von allein. Kommst du, Amy?«

Ich nicke. »Ja, lass uns gehen.«

Kurz winke ich Jade zu. »Man sieht sich. Und weiterhin gute Besserung.«

»Dankeschön«, antwortet sie und winkt ebenfalls lächelnd zum Abschied.