Leseprobe My Devil's Desire – Er gehört der Unterwelt. Ich ihm. | Eine Fake-Dating Enemies to Lovers Dark Romance

Prolog

Fünf Jahre zuvor

J. T.

Schnellen Schrittes laufe ich die menschenleere Straße entlang. Eisige Schneeflocken fliegen mir ins Gesicht und der Wind pfeift mir um die Ohren. Aus offenen Fenstern dringt das Gelächter glücklicher Kinder zu mir herüber, und der verführerische Duft von Gewürzen und Gebäck strömt mir in die Nase. Seit ich mich zurückerinnern kann, hat mich die Weihnachtszeit nie wirklich gepackt. Vermutlich liegt es daran, dass mein Bruder und ich bei einem Workaholic aufgewachsen sind. Während unsere Freunde mit ihren Eltern an den Wochenenden Plätzchen backten, Schneemänner bauten und Weihnachtsfilme ansahen, war unser Vater entweder unterwegs, oder schloss sich in seinem Büro ein. Levin und ich mussten uns, außer an unseren Geburtstagen, alleine zurechtfinden. Niemand kümmerte sich um eine einladende Weihnachtsdeko, und unser Vorgarten war der Einzige, der sich nicht an irgendwelchen hirnrissigen Deko-Wettbewerben der Nachbarschaft zur angeblich schönsten Zeit des Jahres beteiligte. Dad meinte es nie böse, doch seit unsere Mutter eines Tages verschwand, musste er sich alleine um uns kümmern. Er ging mehr arbeiten als zuvor, um Levin und mir eine gute Schulbildung zu ermöglichen, und gleichzeitig seine Trauer ersticken zu können. Da unsere Mutter in einem Zug saß, der vom Gleis abkam und in Flammen aufging, und von ihr seither jede Spur fehlte, ging die Polizei davon aus, dass sie tot sei. Levin, Dad und ich richteten eine Art Denkmal als Grab-Ersatz für sie her. Doch mein Bruder und ich lernten schnell, uns dem kalten und rauen Klima unserer Stadt anzupassen.

Mittlerweile bin ich 25 Jahre alt und habe verstanden, dass die Weihnachtszeit nicht so schrecklich ist, wie ich bisher dachte. Im Gegenteil, diese Zeit ist ideal für die Steigerung des eigenen Kapitals. Die Leute sind in Kauflaune und verschleudern ihr Geld. Andere Unternehmer werden sentimental und entschließen sich dazu, ihr Business aufzugeben und sich mehr Zeit für ihre Familie zu nehmen. Diese Schwäche kommt mir zugute, denn vor wenigen Monaten habe ich im Lotto gewonnen. Seitdem war ich auf der Suche nach einem Club, und vor Kurzem bin ich fündig geworden. Zu meinem Glück will der Vorbesitzer aus Portland abhauen, und heute sind wir zur Übergabe verabredet. Der Club befindet sich im District Old Port, in der Silver Street. Von dort erreiche ich nicht nur fußläufig meine neue Penthouse-Wohnung in der Pearl Street mit Blick aufs Wasser, sondern bin schnell am Pier.

Als ich Mr. Miller, der jetzige Besitzer des Clubs, darum bat, die Übernahme auf heute vorzuschieben, schien er erleichtert zu sein. Was er nicht weiß, ist, dass ich vorhabe, ihn bluten zu lassen. Nachdem ich im Lotto gewonnen hatte, beauftragte ich einen Privatdetektiv damit, mehr über den Tod meiner Mutter herauszufinden. Entgegen meiner Erwartungen deckte er eine große Lüge auf. Mom war in jener verhängnisvollen Nacht gar nicht ums Leben gekommen. Stattdessen hatte diese Schlampe ihren Tod vorgetäuscht, um mit diesem Wichser durchbrennen zu können! Vor einem Monat war sie an Krebs verstorben und nun will der Feigling das Weite suchen. Doch nicht mit mir! Mr. Miller hat keine Ahnung, welchen Fehler er mit dem heutigen Tage begeht. Endlich kriege ich die Rache, von der ich seit Monaten träume. Obwohl es die Entscheidung meiner Mutter gewesen ist, uns für diesen selbstgerechten Vollpfosten zu verlassen, gebe ich ihm die Schuld daran: Wäre sie ihm nicht begegnet und hätte er ihr nicht irgendeinen Scheiß eingetrichtert, hätte sie uns niemals verlassen!

Pfeifend biege ich in die die Silver Street ein und sehe mich ein letztes Mal um. Nach dem Tod meiner Mutter hatte Mr. Miller den Club geschlossen, angeblich, um in Ruhe seinen Verlust zu betrauern. Entsprechend leer ist die Umgebung.

»Lev?«, murmle ich leise und biege um die Ecke. Mein Bruder Levin und ich sind hinter den Mülltonnen neben dem Hintereingang verabredet. Eine Taktik, die wir uns als Kinder angewöhnten, wenn wir Vater heimlich bei seinen Geschäftsterminen belauschen wollten. Oder, wenn einer von uns mit jemandem aus der Schule eine Rechnung offen hatte und die Hilfe des anderen brauchte. Obwohl wir unterschiedlich wie Tag und Nacht sind und uns ein paar Jahre trennen, haben wir immer zusammengehalten und unsere Scheiße als Team durchgezogen.

»Da bist du ja endlich. Ich dachte schon, du machst einen Rückzieher!«, erwidert Levin und tritt hervor. Mein Bruder ist 23 Jahre alt und wurde vor Kurzem Vater. Dennoch war er sofort Feuer und Flamme, als ich ihm von meinem Racheplan erzählt habe. Seine blonden Haare fallen ihm locker ins Gesicht und mit seinem weißen Hemd sieht er aus wie ein unschuldiger Sunnyboy. Eine Masche, mit der er sich unbemerkt durch die rauen Straßen Portlands schleichen, ahnungslose Frauen aufreißen, und seine Opfer in eine Falle locken kann, ohne zuvor Verdacht zu erregen.

Schnaubend ziehe ich eine Augenbraue hoch und schüttle den Kopf. »Du spinnst wohl! Als ob ich mir diesen Deal entgehen lasse. Einen der besten Clubs der Stadt zu besitzen, war schon immer mein Traum. Und dem Dreckskerl, der unsere Mom gestohlen hat, einen Denkzettel zu verpassen, ist ebenfalls nicht schlecht. Wo ist eigentlich Joselyn?« Besorgt sehe ich mich nach meiner kleinen Nichte um, kann sie jedoch nirgends entdecken. Stattdessen hält mein Bruder einen Käfig in seiner Hand, der ein breites Grinsen auf mein Gesicht zaubert.

Entsetzt presst Levin seine Lippen aufeinander und sieht mich mit einem durchdringenden Blick an. »Willst du mich verarschen? Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass ich meinen Engel mit an diesen Ort bringe?! Dazu ist sie zu klein. Ich habe sie bei Dad gelassen. Er freut sich darüber, Zeit mit seiner Enkelin zu verbringen.«

Erleichtert atme ich aus und nicke verständnisvoll. Nachdem Levin erfuhr, dass er Vater wird, schwor er sich, alles für die Sicherheit seines Kindes zu tun und ihm die Welt zu Füßen zu legen. Besser zu sein als unsere Eltern und aus ihren Fehlern zu lernen.

»Ich verstehe, dass du Angst um ihre Sicherheit hast und nicht willst, dass sie in solch einer Gegend aufwächst. Zu früh die Regeln unserer Straßen lernt und falsche Kontakte knüpft. Du bist ein guter Vater, Lev.«

»Zumindest besser als unserer. Aber hey, immerhin bemüht er sich darum, ein guter Großvater zu sein. Dennoch kann ich mich nicht zu sehr darauf verlassen, dass er immer da ist, wenn ich einen Babysitter brauche. Davon abgesehen will ich nicht, dass sich unsere Vergangenheit wiederholt, James. Ihre Mutter ist ebenso abgehauen wie unsere und …«

»Und du willst nicht, dass sie ebenfalls auf sich gestellt ist und sich alles selbst beibringen muss, während du Rachepläne ausführst und Überstunden schiebst.«

Nachdenklich zieht er seine Stirn in Falten und sieht mich durchdringlich an. In seinen intensiven grünen Augen tobt ein Sturm, der mich irritiert innehalten lässt. Irgendetwas stimmt nicht. Schon als wir Kinder waren, konnte ich an seinen Augen ablesen, wenn etwas nicht in Ordnung war. Körperlich bleibt er ruhig, seine Atmung scheint gleichmäßig zu gehen und seine Hände sind nicht zu Fäusten geballt. Und doch ist da irgendetwas, das ihn beschäftigt.

»Was ist los, Bruderherz?« Besorgt trete ich einen Schritt auf ihn zu und lege meine Hand auf seine Schulter. »Wenn du mir etwas sagen willst, dann jetzt. Ich verstehe es, wenn du einen Rückzieher machen willst, aber ich ziehe es durch. Mit dir oder ohne dich.«

»Als ob ich so kurz vor dem Ziel den Schwanz einziehe!« Schnaubend hebt Lev seine linke Braue und schüttelt den Kopf. »Ich bin kein Feigling, James. Aber ich bin jetzt Vater und einiges zwischen uns muss sich ändern. Versteh mich nicht falsch, ich werde immer da sein, um Wichsern wie deinem Geschäftspartner die letzten Minuten ihres Lebens zur Hölle zu machen. Aber Joselyn hat nun oberste Priorität. Wenn Dad nicht auf sie aufpassen kann oder ich den ganzen Tag gearbeitet habe, kann ich nicht mehr mit dir durch die Straßen ziehen, Frauen aufreißen und Menschen foltern. Ich kann nicht immer da sein, wenn du spontan einen Partner in Crime brauchst. Das geht einfach nicht mehr.«

»Wovon redest du, Lev? Mir ist klar, dass deine Tochter Vorrang hat, aber diese Folterspielchen waren immer unser Ding. Du folterst sie und ich töte. Das war immer so. Ich wüsste nicht, weshalb sich etwas ändern sollte, nur weil dir zu spät die Funktion eines Kondoms klar wurde.«

»Warum sich etwas ändern sollte?« Ungläubig schüttelt er erneut den Kopf und atmet tief ein uns aus. »Kinder lassen sich nicht wie Computer programmieren. Sie schreien, wann es ihnen passt. Ich muss jederzeit für sie da sein. Sie füttern, ihre Windeln wechseln, mit ihr raus gehen, sie waschen und den Großteil meines Lebens nun nach ihr ausrichten. Ich weiß, dass es schwer zu begreifen ist. Bisher warst du der Einzige, für den ich alles stehen und liegen gelassen habe. Das geht jetzt nicht mehr. Ich kann nicht mehr spontan einspringen, wenn du jemanden brauchst, der deine Drecksarbeit erledigt. Sag mir rechtzeitig Bescheid und ich schaue, ob es geht. Joselyn ist nicht einmal ein Jahr alt, sie braucht ihren Vater.«

»Wie du meinst«, knurre ich und schaffe es nur mit Mühe, mich zu beherrschen. Was zur Hölle soll das denn jetzt? Er war derjenige, der wollte, dass ich ihn an meinen Racheplänen teilhaben lasse. Ihm gestatte, die Leute zu foltern, ehe ich sie töte. Für Lev ist Folter eine Art Sport. Ein Ausgleich zum Alltag. Der Moment, in dem er ganz er selbst sein kann und seine dunkle Seite zum Vorschein kommt. Ich habe es für ihn getan. Und nun will er mich einfach fallen lassen? Unglaublich! »Wenn du keinen Bock mehr hast, dann sag es einfach! Ich schaffe das auch gut alleine!«

Mein Herz pocht wütend gegen meinen Brustkorb und ein unangenehmes Gefühl macht sich in meinem Inneren breit. Es fühlt sich an wie Lava, die sich ihren Weg durch meinen gesamten Körper bahnt und mich von innen heraus verbrennt. Frustriert presse ich meine Lippen aufeinander, nehme meine Hand von seiner Schulter und marschiere Richtung Club.

»James, warte!« Keuchend rennt Levin hinter mir her, packt mich am Oberarm und zwingt mich so, stehen zu bleiben. »Glaubst du wirklich, es fällt mir leicht, meine größte Leidenschaft einzuschränken? Fuck, die Vorstellung, meine Emotionen nun anders kontrollieren zu müssen, macht mir Angst. Aber ich kann nicht blutverschmiert vor meinem Kind auftauchen oder es sich selbst überlassen. Hättest du nicht auch gewollt, dass Vater sich mehr um uns kümmert, anstatt um alle anderen? Ich werde weiterhin für dich da sein. Das werde ich immer! Aber eben eingeschränkter als bisher. Verstehst du?«

Seufzend schließe ich für einen Moment die Augen und nicke. Natürlich kann ich seine Situation verstehen. Levin war schon immer der Einfühlsame von uns beiden. Im Gegensatz zu mir hat er besonders unter Vaters Abwesenheit gelitten. Natürlich will er nicht, dass Joselyn denselben Schmerz erleidet und ein Baby sollte vermutlich nicht ganz so viel Blut sehen.

»Na schön, von mir aus. Sei ein guter Vater, oder was auch immer. Aber wenn du mich unangekündigt im Stich lässt, wirst du es bereuen.«

»Das ist mein Bruder, wie ich ihn kenne.« Lachend schlägt Lev mir auf die Schulter und grinst. »Also genug Theater für heute. Wir sind nicht hier, um zu streiten, sondern um den Mann zu bestrafen, der unsere Mutter gegen uns aufgelehnt hat. Aber lass uns beeilen, ich will meinen freien Abend genießen und eine heiße Blondine oder Brünette aufreißen.«

Amüsiert rolle ich mit den Augen und deute auf die Vordertür. »Wie du meinst. Ich habe meinen Spaß, und du deinen. Nur vergiss dieses Mal nicht die Kondome, ein weiteres Kind überlebst du nicht.«

»Danke, aber im Gegensatz zu dir, habe ich gelernt, meinen Schwanz zu kontrollieren. Noch irgendwelche Lebensweisheiten, auf die ich getrost verzichten kann?«, erwidert mein Bruder trocken und ich grinse.

»Nein, Babysitten ist nicht mein Job. Bring dir deine Lektionen gefälligst selbst bei!«

»Soll mir recht sein, ehe ich noch zu deinem Klon mutiere. Also, was steht an?«

»Der Plan ist simpel und unauffällig. Ich habe Mike am Morgen vorbei geschickt, und er hat die Kameras manipuliert. Ich gehe da rein und unterzeichne den Vertrag. Sobald der Laden mir gehört, können du und dein namenloses Spielzeug euch austoben. Vergiss nicht, Mike anzurufen, wenn ihr beide durch seid. Er kümmert sich um den Rest.«

Erwartungsvoll blicke ich zu dem Käfig, den Levin mitgebracht hat. Normalerweise mag ich es, meine Feinde selbst zu töten, nachdem mein Bruder sich ein wenig austoben durfte. Ich will der Letzte sein, dem diese Idioten schmerzerfüllt in die Augen sehen. Wissend, dass ich derjenige bin, der ihnen das Leben nimmt. Es ist eine Art Machtspiel für mich. Eine gute Rache besteht nicht immer daraus, jemanden zu jagen, zu verängstigen und zu foltern. Manchmal ist der Tod die beste Revanche, so auch in dieser Situation. Allerdings ist es zu riskant, wenn ich der Täter bin. Zwar lasse ich seine Leiche beseitigen, sodass es wie eine Flucht aussieht. Sollte die Polizei dennoch von einem Verbrechen ausgehen, werde ich der Erste sein, den sie durchleuchten. Der Geschäftspartner, der Miller als letztes lebend gesehen hat. Deshalb habe ich mir ein Alibi verschafft. Zu Millers Todeszeitpunkt werde ich gar nicht in der Nähe sein, sondern von Zeugen an einem anderen Ort gesehen werden. Und niemandem, außer Levin, würde ich diese wichtige Aufgabe anvertrauen. Wenn ich Miller schon nicht selbst töten kann, will ich wenigstens sicher sein, dass sein Abgang besonders qualvoll ist.

Ein unruhiges Zischen ertönt und lachend hebt Lev seine Augenbraue. »Ich weiß, du hast Hunger«, flüstert er seiner Giftschlange zu, die zustimmend ihren Kopf hebt. Ihre gelben Augen leuchten angriffslustig und ihre Zunge schnellt hervor. Seine Inlandtaipan hat er sich vor einigen Wochen durch einen guten Kontakt einschleusen lassen. Jedes Mal, wenn er jemanden beseitigen will, darf dieses königliche Wesen daran teilhaben. Mittlerweile sind sie ein eingespieltes Team. Nur leider fand mein Bruder bisher keine Zeit, seinen Komplizen zu taufen.

»Wie heißt der wertlose Dreck, den du abzocken wirst?«

Irritiert schaue ich auf. Ich hatte gar nicht mitbekommen, dass er den einseitigen Dialog zu seinem Reptil beendet, und sich stattdessen wieder mir zugewandt hat.

»John Miller. Wieso?«, hake ich skeptisch nach.

Für meinen Bruder sind Namen Schall und Rauch. Wer nicht zu dem Who is Who der Unterwelt zählt, interessiert ihn nicht.

»Dann sollten wir ihn John nennen. Nach seinem ersten richtigen Todesopfer, meinst du nicht? Bisher durfte er mir nur bei der Folter helfen, aber ich glaube, das reicht ihm nicht. Er will nicht nur Blut riechen, sondern auch vergießen. Da ist er wohl wie sein Herrchen und Onkel.«

»Onkel?«, rufe ich schnaubend aus und zeige Levin einen Vogel. »Geh zum Psychiater, bevor ich dir Vernunft einprügle! Ich bin der Onkel von Joselyn, nicht von einem Tier! John hat dir wohl die letzten Hirnzellen vergiftet! Oder warst du schon immer so krank im Kopf?«

Jeder andere hätte den Fehler gemacht, mir nahezutreten und sich damit eine gebrochene Nase eingefangen. Levin hingegen funkelt mich amüsiert an und seine Lippen verziehen sich zu einem spöttischen Grinsen. »Nun, ich hatte schließlich den besten Lehrer. Soweit ich weiß, neigen jüngere Geschwister dazu, ihre Brüder nachzuahmen. Lass dir das mal durch den Kopf gehen, James.«

Lachend klopfe ich ihm auf die Schulter und öffne die Tür. »Wie du meinst, Schwachkopf. Aber vergiss nicht, wem du deinen Lebensstil zu verdanken hast. Ich brauche nicht lange mit Miller. In zwanzig Minuten gehört er dir.«

Mit diesen Worten wende ich mich ab und betrete den Nachtclub. Dicke Staubwolken umhüllen mich und reflexartig halte ich mir den Arm vor die Nase. Fuck, hier muss erst einmal ein richtiger Reinigungstrupp durch, wenn ich mir keinen Ärger mit dem Gesundheitsamt einfangen will. Fluchend hole ich mein Smartphone heraus und beleuchte die Umgebung. Alte, verrostete Lampen baumeln im erbärmlichen Zustand von der Decke und der Fußboden quietscht unter meinen Füßen. Die Farbe des billigen Tresens ist abgeblättert, und ramponierte Stühle und Tische stehen im Raum verteilt. Die Luft riecht modrig und abgestanden, und angewidert reibe ich meine Hände mit Desinfektionsmittel ein.

Mit einem Mal knarzt es hinter mir und schwere Schritte nähern sich. Entnervt drehe ich mich um und stehe dem derzeitigen Besitzer gegenüber.

»Ich hatte Sie davor gewarnt, dass der Club nicht im besten Zustand ist. Nachdem meine Ehefrau plötzlich an Krebs erkrankte, musste ich meine Prioritäten neu ordnen. Ich hoffe, dass Sie den Laden dennoch weiterhin wollen.«

»Nun, der Zustand ist kein Problem«, erwidere ich mit einem kühlen Nicken und setze ein falsches Lächeln auf. Dank des jahrelangen Trainings habe ich gelernt, meine Emotionen zu kontrollieren und geduldiger zu werden. Jetzt ist nicht der richtige Moment, um ihm die Seele aus dem Leib zu prügeln. Stattdessen reiche ich ihm die Hand und mustere ihn abschätzig. Er trägt einen billigen Anzug aus Polyester und sein grau meliertes Haar weist einige lichte Stellen auf.

»Ich habe genug Geld, um aus dieser Hepatitis-Bar einen angesagten und exklusiven Nachtclub für Portlands Elite zu machen. Ihr ehemaliges Schmuckstück ist bei mir gut aufgehoben. Ich habe nicht viel Zeit. Sie wissen ja, wie das als Geschäftsmann ist. Lassen Sie uns am besten sofort in Ihr Büro gehen, und den Vertrag unterzeichnen. Auf einen Drink kann ich getrost verzichten.«

Mein Tonfall ist kühl und herablassend, und lässt keinen Widerspruch zu. Ich hatte nicht vor, mich in meinem neuen Club selbst umzubringen, nur weil ich aus einem dieser Pest-Gläser trinke. Ungeduldig greife ich in die Innentasche meines maßgeschneiderten Anzugs und wedele mit einem Bündel Bargeld vor Mr. Millers Augen. Glücklicherweise scheint er den Wink mit dem Zaunpfahl zu verstehen, und ein Grinsen erscheint auf seinem eingefallenen Gesicht.

»Wissen Sie, ich mag Geschäftspartner, die wissen, was sie wollen, und nicht um den heißen Brei herumreden«, beginnt er zu sinnieren, als er die Tür zu seinem Büro öffnet. »Das wird Ihnen dabei helfen, ein guter Geschäftsmann zu sein, Mr. Rivers.«

Schnaubend folge ich ihm in den Raum und lehne mich mit verschränkten Armen an den Schreibtisch. »Ich wurde als ausgezeichneter Unternehmer geboren, Mr. Miller. Also behalten Sie Ihre widerwärtigen Glückskeks-Weisheiten für sich, ich will zum Abschluss kommen!«

Ungeduldig ziehe ich meine Augenbraue hoch, ohne zu lächeln. Mag sein, dass mein Verhalten forsch und dreist ist, aber für Freundlichkeiten habe ich keine Zeit. Und wer nett ist, wird nicht lange in der Unterwelt überleben.

Seufzend kramt Mr. Miller zwei Ausfertigungen des Vertrages hervor, die beide seine Unterschrift zieren. Murrend schiebt er die Blätter zu mir, und mit einem zufriedenen Nicken überfliege ich den Inhalt. Wie erwartet, handelt es sich um einen Standard-Vertrag ohne irgendwelche Tücken. Erleichtert unterzeichne ich und schiebe eine Ausfertigung zusammen mit dem Bargeld meinem Geschäftspartner zu. Mit leuchtenden Augen zählt er die Scheine ab und nickt mir anschließend geschäftig zu.

»Stimmt auf den Dollar genau«, teilt er mir unnötigerweise mit, und verärgert schnalze ich mit der Zunge. Wie zur Hölle hat meine Mutter es 15 Jahre mit diesem Versager ausgehalten? Wieso hat sie uns für dieses Stück Dreck verlassen, das es ihr garantiert nicht einmal richtig besorgen konnte? Welche Frau mit gesundem Menschenverstand tauscht ihren erfolgreichen, gut aussehenden und wohlhabenden Ehemann gegen einen lächerlichen Idioten aus?

Ehe ich den Frust weiter in mich hineinfressen kann, dreht Mr. Miller mir den Rücken zu, um seine Beute zu verstauen. Grinsend bücke ich mich und ziehe mein Messer aus meinem rechten Schuh heraus. Leise schleiche ich mich an ihn heran und tippe ihm auf die Schulter. Als mein Geschäftspartner sich überrascht zu mir umdreht, hole ich aus und ramme ihn mein Messer mit voller Wucht in die Milz. Stöhnend krümmt er sich vor mir zusammen und sieht mich mit weit aufgerissenen Augen an.

»Ich sagte doch, ich habe etwas zu erledigen«, erkläre ich ihm ungerührt und schubse ihn auf seinen Stuhl. Das Adrenalin rauscht durch meine Adern, und genüsslich mustere ich sein schweißnasses, blasses Gesicht. Sein Atem geht hektisch, als ich direkt vor ihm stehen bleibe und meine Handschellen ziehe.

»Wissen Sie, ich habe nicht so viel Erfahrung mit dem Foltern. Das ist das Spezialgebiet meines Bruders. Aber Ihnen zuliebe mache ich einmal eine Ausnahme. Wussten Sie, dass es sich beeinflussen lässt, wie schnell jemand verblutet? Wenn ich Sie hier aufschlitze«, flüstere ich und halte ihm dabei bedrohlich das Messer an seine Halsschlagader, »sind Sie schneller tot, als Sie Gott um Vergebung anflehen können. Aber das wollen wir nicht, oder? Wir haben doch gerade erst begonnen, uns zu amüsieren und kennenzulernen. Außerdem mag mein Bruder es lieber, wenn seine Opfer qualvoll verenden. Das hat er von mir, schätze ich.«

»W-was w-wollen Sie?«, stottert Miller vor sich hin und seine Unterlippe beginnt zu zittern. Seine Augen treten panisch hervor, und ich kann seinen Herzschlag beinahe hören.

Lächelnd beuge ich mich über ihn und nicke zufrieden. »Richtig, Sie sind ja die Art Mann, die nicht gerne um den heißen Brei herum redet. Warum haben Sie mich und meine Familie bestohlen, Miller?« Mein Tonfall ist leise und ruhig, während sich die Wut in mir wie ein heißer Ball sammelt.

»I-ich habe Sie nicht b-bestohlen. D-das muss ein M-Missverständnis sein!«, quietscht der Wichser, und Tränen bahnen sich ihren Weg seine Wangen hinab.

»Verlogener Dreckskerl!«, knurre ich und ziehe eine Zange aus meiner Tasche. Seine Augen werden groß und als ich seine Hand anhebe, beginnt er zu heulen. Gemächlich schaue ich mir die Hand an, als ich einen Ehering an seinem Finger ausmachen kann. Amüsiert ziehe ich ihm das Schmuckstück ab und drehe es in meiner Hand.

»Ein faszinierender Finger, der Ringfinger, meinen Sie nicht?«, frage ich und grinse spöttisch. »Er eignet sich, um eine überbewertete Ehe angeberisch zur Show zu stellen. Man braucht ihn, um die meisten Musikinstrumente spielen zu können, und für das Zehn-Finger-Schreiben am Computer. Vor allem aber tut es höllisch weh, ihn bei vollem Bewusstsein zu verlieren.«

Mit einem Mal wird er kalkweiß und starrt mich mit offenem Mund an.

»Ganz genau«, flüstere ich und nehme seine klitschnasse Hand in meine. Langsam öffne ich die Zange und lege sie an seinen Finger. »Hast du wirklich geglaubt, du könntest meine Mutter von uns weglocken und heiraten, ohne dafür bestraft zu werden? Sie gehörte meinem Vater, und du hast sie ihm weggenommen. Vanessa Rivers zu heiraten war dein größter Fehler.«

Und dann lasse ich die Zange zuschnappen. Sein schmerzerfüllter Schrei hallt an den Wänden des Raumes wider, und der bittere Duft des Blutes erfüllt die Luft. Miller wimmert und schreit wie ein hungriges Baby. Fasziniert beobachte ich ihn dabei, wie er sich immer wieder vor- und zurück wiegt. Die rote Körperflüssigkeit tropft auf den Boden und sein Gejammer wird sekündlich panischer.

»Na schön«, wimmert er und presst schmerzerfüllt die Augen zusammen. »Ich habe Ihre Mutter dazu überredet, ihren Tod vorzutäuschen! Wir waren verliebt, und sie war unglücklich mit Ihrem Vater. Er hatte nie Zeit für sie, und Vanessa war einsam.«

»LÜGNER!«, brülle ich und verliere zum ersten Mal seit Jahren die Kontrolle. Wie ein wildes Tier sehe ich mich im Raum nach weiteren Waffen um. Gerade als ich mir einen Hammer schnappe, geht die Tür auf.

»Hey, hör auf, mir die Show zu stehlen«, ruft Levin empört und durchquert schnellen Schrittes das Büro. »Leute zu betrügen ist dein Job, ich bin für die Folter zuständig«, knurrt er und reißt mir den Hammer aus der Hand. »Du hasst es, dich schmutzig zu machen, und dein Talent lässt dabei recht zu wünschen übrig.«

Vielsagend deutet Levin auf seinen Käfig und ich seufze verärgert. Nicht darüber, dass mein Bruder mich aus meinem Büro schmeißt, oder mir sagt, was ich tun soll. Sondern darüber, dass ich die Kontrolle verloren habe. Davon abgesehen ist Levin viel versierter darin, Menschen für ihre Fehler büßen zu lassen. Dennoch habe ich eben den unbändigen Drang verspürt, Miller persönlich leiden zu lassen. Ihn nicht nur dafür zu bestrafen, dass er meine Familie zerstört hat. Sondern auch dafür, dass er mir eiskalt ins Gesicht gelogen hat. Mich zum Narren halten wollte und fast dafür gesorgt hätte, dass ich meine eigene goldene Regel breche. Ich foltere nicht. Niemals. Töten ist effizienter und sauberer und hinterlässt weniger Beweise. Knurrend werfe ich Miller einen letzten Blick zu, ehe ich mich an Levin wende und den Hammer mit voller Wucht auf den Schreibtisch donnere. Beherzt drängle ich mich an ihm vorbei, schnappe mir das Bargeld und die Schlüssel zum Club und verschwinde. Ich liebe es, etwas gratis zu bekommen!

Kapitel Eins

1. Dezember. Heute.

Lia

Seufzend starre ich aus dem Fenster der Bibliothek und zähle die Minuten runter, bis ich wieder zur Arbeit muss. Anfangs habe ich den Job gehasst. Mich geschämt für das, was ich mache. Noch immer wage ich es nicht, meinen Ach-so-perfekten-Eltern die Wahrheit zu sagen. Nur meine beste Freundin Melody weiß, womit ich mein Geld verdiene, und dass ich schon lange nicht mehr in der Bruchbude auf dem Campus lebe. Mein Vater weiß nicht, dass ich das Geld, das er mir zuschiebt, für meine geplante Selbstständigkeit zur Seite lege, statt sie dem Wohnheim in den Arsch zu schieben. Ginge es nach ihm, würde ich ab dem Sommer für irgendeine stinklangweilige Behörde arbeiten und mein erlerntes Wissen aus dem Psychologiestudium dort einsetzen. Dem Staat dienen und dabei helfen, die bösen Männer und Frauen ins Gefängnis zu bringen. Wüsste er, dass ich mein Versprechen ihm gegenüber brechen werde, würde er mir das Leben zur Hölle machen, mich an den Haaren nach Hause ziehen und mir irgendeinen Babysitter an die Seite stellen. Doch an dem Tag, an dem ich meinen Master in der Tasche habe, werde ich ihm die Wahrheit sagen. Fragt sich nur, wie genau ich das anstellen will. Wie soll man einem der besten Staatsanwälte im gesamten Bundesstaat Maine erklären, dass seine scheinbar perfekte Tochter ein Jahr zuvor aus dem Studentenheim geflogen ist, weil sie ihrer Mitbewohnerin eine reingehauen und sie als wertlose Hure bezeichnet hat, der sie einen qualvollen Tod wünscht? Zu meiner Verteidigung: Diese Schlampe hat mir meinen Freund ausgespannt und mit ihm in unserem Zimmer gevögelt! Ich habe damals nichts ahnend die Tür geöffnet und die beiden nackt in ihrem Bett gesehen. Was sollte ich denn anderes machen, als die Tür sperrangelweit geöffnet zu lassen, sodass der ganze Flur sie sehen konnte, während ich sie lautstark beschimpft habe? In meinen Augen war das absolut gerechtfertigt! Natürlich hat die Hausdame mich mit entsetztem Blick am nächsten Morgen vor die Tür geschmissen und meinen Eltern einen Brief geschickt. Gott sein Dank half Melody mir dabei, das Schreiben abzupassen und die Unterschrift zu fälschen. Abgesehen von Beleidigung, Körperverletzung und Urkundenfälschung, was glücklicherweise nirgends vermerkt ist, habe ich mir bisher nichts zuschulden kommen lassen. Ich bin ein braves, gut erzogenes Mädchen. Ich knutsche nie beim ersten Date, bin Jahrgangsbeste in meinem Studium und nehme keine Drogen. Außerdem habe ich einen Job und wohne mittlerweile in einem kleinen Ein-Zimmer-Apartment. Meine Eltern wissen, dass ich arbeiten gehe, allerdings denken sie, dass ich irgendwo kellnere. Dass ich in Wahrheit für Geld mit Männern essen gehe, dabei eine blonde Perücke trage, und mich als Annabelle die Literatur- und Schauspielstudentin ausgebe, die alles für ihre nicht existierende kleine Schwester tun würde, müssen sie nicht erfahren. Nachdem ich aus dem Wohnheim geflogen bin, brauchte ich dringend einen gut bezahlten Job, mit dem ich mir meine Miete von 1000 Dollar im Monat sowie Lebensmittel leisten kann. Ich stand kurz davor, auf der Straße zu landen, als ich zufällig auf eine Stellenanzeige der Agentur stieß und mich kurzerhand als Escort-Dame beworben habe. Nun gehe ich vier bis fünf Abende die Woche mit fremden, reichen Männern aus, lasse mir von ihnen in den Ausschnitt starren und stelle mich dumm. Dafür darf ich in teuren Restaurants kostenlos essen und muss mit keinem von ihnen schlafen. Und obwohl ich gut verdiene und meine Psychologie-Fähigkeiten an all diesen Männern trainieren kann, hasse ich meinen Job. Ich fühle mich bei ihren aufgegeilten Blicken schäbig. Aber bald ist diese Hölle überstanden und ich kann meinen Job an den Nagel hängen. Vorausgesetzt, ich kann mir den Aufhebungsvertrag leisten!

Frustriert knalle ich mein Buch zu und starre aus dem Fenster. Es ist halb vier Uhr nachmittags und die Sonne geht langsam unter. Der Himmel ist in ein traumhaftes Orange getaucht und mehrere Schneeflocken tanzen vor dem Fenster der Bibliothek. Ich sitze im Chill-Bereich, und aus kleinen Lautsprechern dringt Weihnachtsmusik. Jedes Mal, wenn sich die Tür öffnet, sehe ich auf. In der Hoffnung, dass unter den Neuankömmlingen meine beste Freundin ist. Ich sehe viele von der Kälte gerötete Gesichter, doch von Melody fehlt jede Spur. Dabei wollten wir die letzten Stunden, bevor ich zu meiner Schicht muss, zusammen verbringen! Ungeduldig greife ich nach meinem Becher und schnuppere daran. Beim Duft der heißen Schokolade mit Sahne, Zimt und Marshmallows wird mir ganz warm ums Herz, und ein leichtes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Was gibt es Schöneres als heiße Schokolade und Spekulatius zur Vorweihnachtszeit? Gedankenverloren tauche ich mein Gebäck in die Schokolade und schließe genüsslich meine Augen.

»Hey, Träumerchen«, reißt mich plötzlich eine amüsierte Stimme aus meinen Gedanken und erleichtert drehe ich mich um.

»Melody!«, rufe ich glücklich und falle meiner besten Freundin um den Hals. »Ich dachte schon, du versetzt mich!«

Grinsend erwidert sie die Umarmung und setzt sich mir anschließend gegenüber. »Und lasse zu, dass du dich bei einem deiner Dates ausheulst und ihnen eine Entschuldigung bietest, dich anzugrabschen? Außer bei den heißen Typen um die 30, da könntest du ruhig mal Gebrauch von den ganzen Vorteilen machen. Ich meine, ernsthaft! Du hast so viele Verehrer, die nicht ganz so schmierig sind, viel Kohle haben und dazu verboten gut aussehen. Wie kann dich das kalt lassen? Ehrlich, das ist das Beste an deinem Job.«

Entrüstet schnaube ich und schüttle den Kopf. Das ist mal wieder so typisch. Während ich bisher keinen einzigen One-Night-Stand hatte, genießt meine beste Freundin ihr Single-Dasein in vollen Zügen. Seit einigen Wochen geht sie mit ihrem Boss, dem Inhaber einer Metal- und Rock Bar, regelmäßig ins Bett, und zuvor hatte sie diverse Dates.

»Mel«, murmle ich und streiche mir verlegen eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Du weißt, dass ich so was nicht mache. Ich belüge die Typen von vorne bis hinten. Mit ihnen zu schlafen, wäre falsch. Und wer weiß, wo die ihren Schwanz überall hatten. Nein, danke, auf Geschlechtskrankheiten kann ich getrost verzichten! Ich warte lieber auf meinen Traumprinzen. Auch wenn du es nicht verstehst, bin ich mir sicher, dass es den idealen Traumtypen da draußen gibt. Ich bin ihm nur noch nicht begegnet.«

Melody stöhnt theatralisch auf und fährt sich durch die Haare. Ungläubig schüttelt sie den Kopf und starrt mich wie eine Außerirdische an. »Es sagt ja niemand, dass du deine rosarote Wolke verlassen musst. Bis dein Prinz auf dem weißen Pferd angeritten kommt, spricht doch nichts gegen einige unverbindliche Abenteuer. Ich erwarte ja nicht, dass du dich schwängern lässt, oder die Typen heiratest. Aber du bist jung und hübsch, und wir haben die perfekte Jahreszeit für etwas Spaß.«

Ich atme tief ein- und aus und schlucke schwer. Melody und ich kennen uns seit unserer Kindheit und diese Diskussion führen wir jeden Dezember. In ihren Augen ist die Vorweihnachtszeit in erster Linie dafür da, es mit einem muskulösen Kerl vor dem Kamin zu treiben, gemeinsam Glühwein zu trinken oder in einem Schaumbad zu versinken. Für mich hingegen ist Weihnachten dafür da, romantische Liebesfilme zu sehen, den glitzernden Schnee zu beobachten und Weihnachtslieder zu hören.

»Aber ich will keine Affäre, sondern endlich meinen Traummann«, murre ich frustriert und seufze. »Jeder, außer uns beiden, ist schwer verliebt. Schau dir diese Paare an«, flüstere ich und deute auf mehrere Pärchen, die sich unter einer Straßenlaterne im Schnee küssen und gemeinsam in die Kamera ihres Smartphones grinsen. »Sieh nur, wie glücklich sie sind. Sicherlich backen sie zusammen bei einem Glas Rotwein Kekse, flanieren über den Weihnachtsmarkt und schmücken ihre Tannenbäume. Das will ich auch haben, verstehst du?«

Mitleidig legt Melody mir ihre Hand auf die Schulter und sieht mich an. »Ach, Lia …« Sie seufzt und lächelt schief. »Die meisten Kerle machen diesen Paar-Scheiß doch nur mit, weil ihre Freundinnen sie sonst nicht ranlassen würden. So läuft das in einer Beziehung. Macht der Typ, was die Frau will, bekommt er eine heiße Nacht. Wenn du diesen Kitsch-Kram erleben willst, musst du lockerer werden! Und vom Träumen kommt dein Prinz garantiert nicht an. Wenn du einen Mann finden willst, musst du dich aktiv in das Dating-Leben stürzen. Melde dich auf Tinder an oder noch besser: Gehe zu einem Weihnachts-Speeddating-Event! Lerne zu flirten. Finde heraus, worauf Männer stehen. Sammle Erfahrungen und wenn dein Mr. Right vor dir steht, gehört er dir. Dann weißt du, welche Reize du ausspielen musst, um ihn in die Knie zu zwingen. Wie Oscar Wilde so schön sagte: Alles im Leben dreht sich um Sex, nur nicht der Sex. Der dreht sich um Macht. Da ist etwas Wahres dran, Lia. Sieh dich doch um. Welche Werbung verkauft sich am besten? Was ist das häufigste Thema in der Musik? Wie kriegt eine Frau ihren Partner dazu, sie mehr zu beachten? Denk mal darüber nach.«

Ich brauche keinen Spiegel, um zu wissen, dass ich knallrot werde. Keine Ahnung, wie ich es schaffe, gegenüber fremden Männern cool zu bleiben. Vielleicht, weil ich dann eine Rolle spiele? Als die blonde Annabelle stehen die Kerle auf mich. Denn sie ist sexy, locker, flirty und lustig. Aurelia Sparks hingegen ist eine durchschnittliche Brünette mit grünen Augen, die ihren schlanken Körper in einem Oversize-Pullover versteckt und bei jeder heißen Filmszene weg schaltet. Mein Dating-Charakter und mein wahres Ich haben also nichts miteinander gemeinsam.

Verlegen senke ich den Kopf und will gerade zur nächsten Verteidigung à la brave Lia ausholen, als mein Smartphone vibriert. Irritiert greife ich in meine Tasche und starre auf das Display. Der Name meiner Chefin erscheint und mein Herz beginnt nervös zu klopfen. Wenn Caroline mir so kurz vor Schichtbeginn schreibt, hat entweder ein Kunde abgesagt oder ich stecke in der Scheiße. Mit einem Mal wird mir heiß und ein schwerer Kloß bildet sich in meinem Hals. Meine Finger zittern, als ich die Nachricht öffne:

Caroline [16:39 Uhr]: Lia, es gibt eine Planänderung. Ein Kunde kam rein und hat das Dreifache gezahlt, damit du heute mit ihm ausgehst. Komm sofort her und bereite dich vor. Er ist sehr wichtig für uns, und er hat besondere Anforderungen. Er hat explizit nach dir gefragt und ein Nein akzeptiert er nicht. Keine Perücke, er steht auf Brünette! Alles andere erfährst du vor Ort. Beeile dich, dein Outfit suche ich aus.

Nein! Nein, nein, nein! Verdammter Mist! Warum muss mein verfluchtes Schicksal ausgerechnet jetzt zuschlagen? Ich kann nicht ohne Perücke mit einem fremden Kerl ausgehen. Meine gesamte Fake-Identität ist der einzige Grund, weshalb ich mir meinen Job überhaupt zutraue. Wie soll ich denn selbstbewusst und sexy sein, wenn mein Date genau weiß, wer ich bin? Und woher zur Hölle kennt er meine wahre Identität? Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn und mit einem Mal kommt es mir unglaublich warm vor.

»Fuck«, flüstere ich und schließe verzweifelt die Augen. Was soll ich bloß tun? Sage ich das Treffen ab, verliere ich meinen Job und somit auch meine Wohnung. Sage ich zu, riskiere ich, vor meinen Kommilitonen und Eltern aufzufliegen.

»Was ist los, Süße?« Besorgt hockt Melody sich vor mich und drückt meine Hand. Zitternd reiche ich ihr mein Handy und schlucke schwer. Einen Moment ist es still, bis Mel anfängt zu lachen.

»Das ist nicht witzig!«, jammere ich und vergrabe mein Gesicht in meinen Händen. »Ich bin ruiniert.«

Amüsiert schnaubt meine beste Freundin und schüttelt ihren Kopf. »Meine Güte, Lia. Mach nicht so ein Drama draus! Du hast ein Date mit einem mysteriösen Kerl, der sich für dich persönlich interessiert. Das ist so was von aufregend! Sieh es als positive Challenge. Wenn du dich heute Abend halbwegs souverän schlägst, hast du eine Basis, auf der du bei deinem nächsten richtigen Date mit deinem potenziellen Traummann aufbauen kannst. Und das dreifache Gehalt bedeutet einen großartigen Weihnachtsbonus, den du für deine Pläne gut gebrauchen kannst. Also reiß dich zusammen, amüsiere dich heute Abend und freue dich über die Vorteile.«

Seufzend nicke ich und streiche mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Du hast recht«, murmle ich und räuspere mich. »Doch was, wenn er voll der Creep ist und ich mich in Gefahr begebe?«

Verständnisvoll nickt Melody und tippt eifrig etwas auf mein Smartphone. Als sie es mir zurückgibt, grinst sie zufrieden. »Ich habe dir eine App installiert. Wenn bei dem Date alles gut ist, schreibst du mir. Meldest du dich nicht nach spätestens einer Stunde, werde ich dich mit der App aufspüren und dich da raus holen. Du bist nicht alleine, verstehst du? Und jetzt geh schon, bevor dich deine Chefin umbringt. Eine tote beste Freundin kann ich nicht gebrauchen.«

Lachend stehe ich auf und ziehe Melody dankbar in eine feste Umarmung. »Danke, Mel«, murmle ich in ihr Ohr und strecke meinen Rücken durch. Sie hat recht, das ist eine große Chance für mich. Und ganz tief in mir vergraben steckt diese Bad-Lia. Die Seite, die ohne zu zögern die Unterschrift ihres Vaters fälscht, ihre Mitbewohnerin blamiert und ihre Eltern belügt. Ich muss sie nur hervorholen und für einen Abend sollte ich das schaffen.

Etwas selbstbewusster und entschlossener drücke ich die Tür auf und tausche die stickige Bibliotheksluft gegen die winterliche Kälte. Mit schnellen Schritten laufe ich zu meiner Arbeit, ohne mich ein letztes Mal umzudrehen. Der Schnee knirscht bedrohlich unter meinen Füßen und vereinzelte Schneeflocken fallen vom hell beleuchteten Himmel. Der Frost kriecht unter meine Kleidung und erschrocken zucke ich zusammen. Mehrere Studenten und kuschelnde Paare kommen mir entgegen, und intuitiv ziehe ich mir die Kapuze tiefer ins Gesicht. Aus einigen geöffneten Fenstern dringt der Duft nach Zimt, Nüssen und Lebkuchen zu mir. Im Gegensatz zu den letzten Tagen schaue ich jedoch nicht sehnsüchtig zu den bunt beleuchteten und dekorierten Fenstern und Fassaden der Häuser, sondern konzentriere mich auf meinen aufgeregten Herzschlag. Ich spüre, dass heute etwas passieren wird, das mein Leben schlagartig verändern wird.

Kapitel Zwei

Lia

Mein Herz pocht nervös gegen meine Brust, als ich vorsichtig die Tür zur Agentur öffne. Gehobene Weihnachtsklassiker dudeln aus versteckten Lautsprechern, und der Duft nach kostspieligem Glühwein umhüllt die Besucher. Aufgeregt husche ich den langen Flur entlang, der mit teuren, hoch glänzenden Fliesen verlegt ist, und wische meine schweißnassen Hände an der Hose ab. Wer zur Hölle ist dieser mysteriöse Kunde?, frage ich mich und sehe mich unauffällig um. Dabei mustere ich die wenigen Gäste, die es sich in unserem Wartebereich gemütlich gemacht haben. Jeder Mann, der ein Date bucht, bekommt für die Wartezeit ein alkoholisches Getränk sowie einen kleinen Snack gratis. Das soll die Stimmung heben und uns Frauen genügend Zeit geben, uns für den Kunden in Schale zu werfen. Der Geruch der frischen Plätzchen vermischt sich mit dem von Glühwein und heißer Schokolade, und sehnsüchtig seufze ich. Wie gerne würde ich den Abend auf der Couch mit Kakao, Keksen und einem schnulzigen Liebesfilm verbringen, anstatt zu arbeiten! Doch die leise Stimme in mir freut sich über das anstehende Abenteuer.

Ehe ich mir weiter darüber Gedanken machen kann, höre ich hinter mir zielstrebige Schritte und ein drohendes Klackern der Absätze. Auch ohne mich umzudrehen weiß ich, dass es meine Chefin ist, die sich ihren Weg zu mir bahnt. Ich seufze leise, schließe kurz die Augen und zähle in Gedanken von zehn runter. Das anstehende Treffen macht mich schon nervös genug. Da brauche ich nicht noch den abschätzigen Blick eines neurotischen Kontrollfreaks! Und die Tatsache, dass sie dem Kunden versprochen hat, dass ich unter meiner wahren Identität mit ihm ausgehe, macht mich wütend. Der Sinn unserer Verkleidung besteht darin, eine Fantasie zu schaffen, die wir im wahren Leben niemals erfüllen könnten. Ein kalter Schauer läuft mir über den Körper, als ich daran denke, mich dem Fremden ungeschützt zu präsentieren. Dann kann ich mich ihm ja gleich nackt um den Hals werfen!

»Lia«, flötet Caroline in ihrer viel zu hohen Tonlage und ergeben presse ich die Lippen aufeinander. »Da bist du ja endlich! Ich habe ewig gewartet. Ich sagte dir doch, dass der Kunde wichtig ist und alles perfekt sein muss! Was trichtere ich euch Mädchen immer ein?«

»Dass ein perfektes Date einen glücklichen Kunden bedeutet, der wiederkommt und uns weiterempfiehlt, wodurch wir alle unseren Lebensstil finanzieren«, murre ich den Leitsatz, den jede Escort-Dame zu Beginn auswendig lernen muss.

»Ganz genau. Und wie schaffen wir es, dass ein Abend reibungslos verläuft?«, hakt sie weiter nach und verschränkt ihre Arme vor der Brust. Wie immer ist sie wie aus dem Ei gepellt. Ihr gold-schwarzer Jumpsuit einer elitären und unbezahlbaren Marke schmiegt sich wie eine zweite Haut an ihren schlanken, großen Körper. Dazu trägt sie schwarze High Heels mit Monsterabsätzen, Creolen und eine auffällige Kette aus Gelbgold. Ihre Lippen strahlen in einem satten Kirschrot, ihre Augen werden durch einen schwarzen Kajalstift und Fake-Wimpern betont. Fuck, hoffentlich wird sie mich nicht genauso grässlich anziehen. Niemals würde ich so mit einem Kerl ausgehen. Dann bin ich lieber arbeitslos.

Ungeduldig tippt sie mit ihrem rechten Absatz auf den Fußboden und mustert mich von oben herab. Wie sie es immer tut, wenn sie auf eine eigentlich rhetorische Frage eine Antwort erwartet. Entnervt räuspere ich mich und strecke meinen Rücken durch. »Damit eine Verabredung exzellent verlaufen kann, müssen wir alles bis ins Detail planen. Wir lassen uns Zeit in der Maske, wählen das ideale Outfit aus und verhalten uns den gesamten Abend so, wie der Kunde es wünscht. Es tut mir leid, dass ich etwas länger gebraucht habe, Caroline. Aber wir waren erst später verabredet und ich habe deine WhatsApp nicht sofort gelesen. Außerdem ist es draußen eisig und glatt, sodass ich länger als gewöhnlich für den Weg gebraucht habe«, flunkere ich und schlucke schwer. Sie muss ja nicht wissen, dass ich für einen kurzen Moment mit dem Gedanken gespielt habe, sie im Stich zu lassen und zu kündigen. Mal davon abgesehen, dass ich mir derzeit den Auflösungsvertrag nicht einmal leisten kann! Ich verdiene zwar nicht schlecht in meinem Job, allerdings muss ich davon meine Miete und jegliche Lebenshaltungskosten bezahlen. Auf Bücher meiner Lieblingsautoren kann und will ich ebenfalls nicht verzichten und ab und zu möchte ich das Leben genießen und mir einen Kinoabend oder einen abendlichen Cocktail mit Mel leisten. Jeder übrige Dollar wird für meinen Traum von einer eigenen Praxis oder einer Beratungsfirma für Geschäfts- und Privatkunden zur Seite gelegt. Je nachdem, was ich besser finanzieren kann. Die Auflösung meines Vertrages würde eine große Lücke in meine Ersparnisse reißen und das sehe ich nicht ein. Dafür habe ich schon zu viel investiert.

Abschätzig schnalzt sie mit der Zunge und nickt. »Nun gut«, erwidert sie und legt mir unmissverständlich die Hand in den Rücken. Alles in mir sträubt sich dagegen, dennoch lasse ich mich von ihr Richtung Garderobe schieben. »Sei es drum. Ich war so frei, dein heutiges Outfit nach den expliziten Wünschen des Kunden auszuwählen und die Mädels in der Maske warten schon auf dich. Wenn es keine Zwischenfälle mehr gibt, solltest du pünktlich fertig sein.«

Stöhnend balle ich meine Hände zu Fäusten und bete um ein Wunder. Wenn Caroline die Outfits aussucht, heißt es meistens weniger ist mehr und ohne Ausschnitt und figurbetont geht da gar nichts. Wieso habe ich nicht absichtlich einen Unfall provoziert, der mich für die nächsten Tage ans Bett gefesselt hätte?

»Ich trage keinen Jumpsuit oder Mini-Rock!«, rufe ich entschieden aus und recke das Kinn. »Das habe ich schon als Annabelle nicht gerne gemacht. Als Lia kommt es erst recht nicht infrage!«

Tadelnd rollt Caroline mit den Augen und holt einen Kleidersack mit meinem Namen hervor. Reizend! »Du solltest dankbar sein, Mädchen. Ohne mich und die Kunden wärst du auf der Straße gelandet! Du kannst froh sein, dass er explizit nach dir gefragt hat. Meine erste Wahl wärst du für jemanden wie ihn bestimmt nicht gewesen. Dein heutiges Date hat Geld und Macht, und du wirst genau das machen, was er verlangt. Haben wir uns verstanden?«

Mit diesen Worten, die keine Widerrede zulassen, drückt sie mir mein Outfit in die Hand. Zitternd öffne ich den Sack und ziehe die Garderobe hervor. Als ich sehe, was sie rausgesucht hat, starre ich meine Chefin mit offenem Mund an. Das ist doch nicht ihr Ernst! Ein eng anliegendes, knielanges Kleid in Schwarz strahlt mir entgegen. Würde ich nur ein Kilo mehr wiegen, sähe ich darin garantiert aus wie eine Presswurst! An den Ärmeln, im Bereich des Halses sowie über den Schultern, ist das Kleid mit durchsichtiger, verführerischer Spitze bedeckt. Der Ausschnitt ist so angelegt, dass er die Form meiner Brüste besonders betont und hervorhebt. Dazu hat Caroline mir schwarze Pumps mit fünf Zentimeter Absatz heraus gesucht.

Sprachlos sehe ich Caroline an und schlucke schwer. Dieses Outfit ist viel zu sexy für mich. Zwar ist es nicht annähernd so dramatisch, wie ich mir die Arbeitskleidung einer Prostituierten vorstelle, dennoch wird mir flau im Magen. Als Annabelle hätte ich meinen Stolz mit einer großen Portion Glühwein hinunter geschluckt und es ertragen. Aber als Lia?

»Wunderschön, nicht wahr?«, erwidert Caroline und schmachtet das Kleid verträumt an. »Einer meiner größten Schätze in dieser Sammlung. Nur wenige Mädchen vor dir durften es tragen. Ich rücke es nur für besondere Kunden heraus, wenn es zur Umgebung des Abendessens passt. Gott sei Dank hast du die Figur dazu, und es ist angemessen für den heutigen Anlass. Immerhin holt er dich mit einer Limousine persönlich ab und ihr geht gemeinsam im Restaurant Mon Coeur direkt am Pier essen. Die anderen Mädchen wurden ganz blass vor Neid, als ich ihnen von deinem Glück erzählt habe! Sie wollten mich bestechen, um mit dir zu tauschen, aber das ging nicht.«

Mein Herz sollte vor Freude höherschlagen. Mitten in der Vorweihnachtszeit ein Abendessen von mindestens tausend Dollar geschenkt zu bekommen und dabei von einem reichen Gentleman begleitet zu werden, ist vermutlich der Traum einer jeden Frau. Dann noch in einer mit getönten Fenstern ausgestatteten Limousine in einem überteuerten Kleid vorzufahren, dürfte es für die meisten toppen. Besonders wenn, wie heute Abend, der Schnee im Schein der verschiedenen Weihnachtslichter glitzert und man das Rauschen der Wellen hört. Es könnte so romantisch sein und wäre es ein Date mit meinem Traummann, wäre ich die glücklichste Frau der Welt. Statt jedoch Freudensprünge zu machen und meine Chefin abzuknutschen, erstarre ich zur Salzsäule. Meine Alarmglocken schrillen und mein Atem geht langsam. Gleichzeitig pocht mein Herz panisch in meiner Brust, als wolle es der Situation entfliehen. Ein Fremder, der mich in einem verdunkelten Luxuswagen abholt, kann nichts Gutes bedeuten!

»Was genau ist das eigentlich für ein Date?«, wage ich, vorsichtig zu fragen, und fahre mir durch die Haare. »Also, woher weiß der Typ, wer ich bin und dass ich hier arbeite? Hat er dir gesagt, was er vorhat?« Panik macht sich in mir breit und mit einem Mal wird mir eiskalt.

»Entspann dich, Lia!«, ruft Caroline lachend aus und verdreht die Augen. »Er hat von einer seiner Connections gehört, dass du hier arbeitest. Als ich ihm sagte, dass das stimmt und du heute Abend verfügbar bist, schien Mr. Rivers sehr erfreut …«

Nein, nein, nein! Verfluchter Mist! Hat sie gerade Rivers gesagt? Es gibt in Portland nur zwei steinreiche Männer mit dem Namen Rivers und keiner der beiden Brüder wäre meine erste Datewahl gewesen. Levin gilt als der Gefallene Engel mit schwindelerregenden Opferzahlen im Bereich Folter, die ihm natürlich nie nachgewiesen werden können. Es heißt, dass keiner, der ihn jemals angepisst hat, diesen Fehler überleben konnte. Dennoch wäre er mir lieber als sein großer Bruder …

»Tatsächlich findet J. T. Rivers, dass du in schicker, eleganter und vor allem schwarzer Kleidung fantastisch neben ihm aussiehst und ich muss sagen, er hat recht.«

Entsetzt starre ich Caroline an und schüttle langsam den Kopf. »Du lässt mich mit dem Teufel von Portland ausgehen?«, zische ich und schlucke hart. »Hast du den Verstand verloren? Er lässt jeden Gegner wie lästigen Müll beseitigen, stachelt seinen Bruder zu gottlosen Foltermethoden an und kauft Frauen und Drogen wie andere ihre Kleidung. Was, wenn er sich mit mir langweilt und mich töten lässt?«

»Lia!«, ruft meine Chefin ungeduldig und schubst mich in die Garderobe. »Mr. Rivers weiß, dass wir wissen, dass du heute bei ihm bist. Er ist zu schlau, als dich dann beseitigen zu lassen. Außerdem hat er mir garantiert, dass dir nichts Körperliches zustoßen wird. Unterhalte ihn und dann wird alles gut. Und, wie du weißt, hast du keine andere Wahl. Also entspann dich, du wirst das Date schon überleben.«

Und dann lässt sie mich zurück, ohne Back-up-Plan. Wirft mich dem Löwen zum Fraß vor. Niemand mit gesundem Menschenverstand würde sich J. T. Rivers freiwillig nähern. Dass es sich dabei um den Mann handelt, den mein Vater seit Monaten eisern versucht, in den Knast zu bringen, macht die Lage nicht wirklich besser. Sollte Rivers mich heute Nacht nicht umbringen, wird es spätestens mein Vater machen, sobald er erfährt, dass ich auf ein Date mit seinem Erzfeind gehe. Ich bin ruiniert! Meine Knie zittern, als ich mich für Frisur und Make-up auf den Stuhl setze und mich meinem Schicksal hingebe.