Prolog – Grace
Nervös zuckt mein rechtes Bein auf und ab, während ich mit großen Augen auf meinen Fernseher starre.
Der Artikel ist online, Ashers Geheimnis ist raus.
Meine Kehle ist wie ausgetrocknet und ich traue mich nicht, die Fernbedienung auch nur einen Moment aus der Hand zu legen oder auf mein Handy zu sehen.
Mein Artikel ist online. Die ganze Welt hat das größte Geheimnis von Asher Davis erfahren.
Die Sekunden, seit ich den Fernseher angeschaltet habe, sind sowohl die längsten als auch die kürzesten in meinem Leben. Ich bin wie gelähmt, schaffe es nicht, mich aus meiner Starre zu reißen. Die Wut, die Angst, die Trauer …
Als ich damals mit dem Studium begonnen habe, hätte ich mich über diesen Erfolg gefreut. Mein Name würde unter Journalisten bald berühmtberüchtigt sein. Doch heute …
»Wir unterbrechen die Sendung, um Ihnen als Erste die sensationellen Nachrichten über den NBA-Star Asher Davis zu präsentieren!«, ertönt es mit einem Mal aus dem Fernseher und mir rutscht die Fernbedienung aus der Hand.
Damals hätte ich mich gefreut. Doch heute weiß ich, dass ich einen Mann zerstören werde, der es nicht verdient hat.
Und nicht nur das – ich zerstöre alles, was wir beide gewesen sind und hätten sein können.
Wie konnte es nur so weit kommen?
Kapitel 1 – Grace
6 Monate früher
Schwer atmend versuche ich, mir eine Strähne meines Ponys aus dem Gesicht zu pusten, obwohl die Haare bereits an der Stirn kleben. Ich erklimme die letzte Stufe und lasse den Umzugskarton direkt im Eingangsbereich meiner neuen Wohnung zu Boden fallen. Da er nichts Zerbrechliches enthält, mache ich mir um den Inhalt keine Sorgen. Dann streiche ich mir mit dem Arm über die nasse Stirn und genieße für einen Augenblick die Klimaanlage.
Gott sei Dank hat Lindsey bei meiner Wohnungssuche auf dieses Detail geachtet.
Just in dem Moment kommt meine Cousine hinter mir ins Stocken und stupst mich mit dem Umzugskarton in ihren Armen an.
»Machst du etwa schon schlapp, Gracie?«, fragt sie neckend und schiebt mich aus dem Weg.
»Es ist Oktober, verdammt«, erwidere ich. »Da sollte es nicht so warm sein.«
»Gracie, du bist in Nevada. In der Wüste. Natürlich ist es warm.« Lindsey lässt den Umzugskarton neben den anderen Kartons zu Boden gleiten und verschränkt die Arme vor der Brust. »Wann sagtest du, kommen deine Möbel an?« Als würde sie die Kahlheit meiner Wohnung noch unterstreichen wollen, dreht sie sich im Kreis und beäugt jeden freien Zentimeter mit Adleraugen.
Ich seufze. Ohne den neuen Job, den ich in der kommenden Woche anfange, hätte ich mit dem Umzug gewartet, bis meine Möbel hier sind. Allerdings war das Angebot einfach zu verlockend.
»In zwei Wochen hat die Spedition gesagt«, sage ich und trete zu ihr in die Mitte meines Wohnzimmers. Bis auf einen kleinen Tisch, den der Vormieter zurückgelassen hat, ist der Raum völlig leer. Das Schlafzimmer sieht bis auf eine aufblasbare Luftmatratze ähnlich aus.
»Sportlich«, gibt meine Cousine zur Antwort. »Aber da du endlich meinem Betteln nachgekommen bist, verzeihe ich dir.«
Lindsey und ich sind miteinander großgeworden, haben in einer Kleinstadt in Maryland gelebt, bis sie zum Studieren nach Nevada gegangen ist. Und hierher bin ich Lindsey, nachdem sie ewig darum gebettelt hat, nun gefolgt.
Sie ist für mich wie eine Schwester und eine beste Freundin gleichzeitig. Nachdem unsere Mütter zeitgleich schwanger geworden sind, haben sie uns gemeinsam großgezogen. Sämtliche Geschichten haben wir miteinander erlebt – sei es der erste Herzschmerz oder das erste Mal Nachsitzen.
Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Was gibt es denn zu verzeihen?«
»Dass du wohnst, wie jemand, der all das ist, was Gran verabscheut.«
Unsere Großmutter ist reich und kann Leute mit wenig Geld nicht leiden.
»Du verpetzt mich doch nicht, oder?«
»Und verderbe uns Thanksgiving? Nie im Leben.«
Ich seufze und werfe einen Blick auf meine Armbanduhr.
»Wir sollten weiter ausräumen, ich würde gerne noch vor den Nachrichten fertig werden.«
Lindsey grinst und legt mir einen Arm auf die Schultern.
»Na dann los.«
***
Am frühen Abend sitzen wir auf dem Tresen, der meine Küche und das Wohnzimmer voneinander trennt, und lassen die Beine baumeln. Das Ausräumen wird Lindsey mir allein überlassen, aber jetzt befinden sich endlich alle Kartons in der Wohnung.
»Wollen wir uns Essen bestellen?«, frage ich, während Lindsey auf ihrem Handy durch diverse Social-Media-Seiten schaut.
»Eigentlich wollte ich dich fragen, ob wir heute ausgehen wollen«, erwidert sie und hält mir mit einem Mal das grelle Display direkt vors Gesicht. Ich kneife die Augen zusammen, reiße ihr das Handy aus der Hand und verringere die Helligkeit. Sie hat eine Veranstaltung offen, die ihr zugesandt worden ist. Das Bild zeigt einen Club, von dem ich noch nie gehört habe – das Labyrinth.
Ich ziehe eine Augenbraue hoch und schaue Lindsey zweifelnd an. Normalerweise habe ich nichts dagegen, mich schick zu machen und auszugehen, aber heute …
»Du willst nach meinem Umzug weggehen?«
»Wieso denn nicht? Du fängst doch bald deine Stelle an und da wir deine Arbeitszeiten nicht kennen, kann das das letzte Mal sein, dass du Las Vegas ganz entspannt bei Nacht erkunden kannst.«
»Linds, ich bin Journalistin, keine Bäckerin«, erinnere ich sie.
Lindsey neigt den Kopf zur Seite – etwas, was sie schon als Kind gemacht hat, wenn sie etwas nicht nachvollziehen und Recht behalten wollte. »Also?«
Ich seufze. »Na gut.« Auch wenn ich völlig gerädert bin, könnte mir ein Abend mit Lindsey guttun. So müsste ich heute Abend auch noch nichts auspacken – nichts, bis auf mein Outfit für die Nacht.
»Ich wusste doch, dass auf dich Verlass ist!« Lindsey springt triumphierend vom Tresen. »Also, du bestellst uns Pizza und ich gehe schnell zu meinem Auto, um meine Sachen zu holen.«
»Du hattest das geplant?«, frage ich und bin überrascht darüber, dass mich das überrascht.
»Gracie, ich kenne dich besser als du dich selbst. Natürlich war das geplant.«
Frech strecke ich ihr meine Zunge entgegen. »Du bist so ein Biest.«
»Ich nehme eine Pizza mit Brokkoli«, sagt sie und tänzelt dann zur Wohnungstür. Stumm in mich hineinlächelnd, schüttle ich den Kopf und schaue dann, wo ich unsere Pizzen bestellen kann.
***
Vierzig Minuten später stehen wir beide im Badezimmer und teilen uns den einzigen Spiegel der Wohnung. Wir hören laut Musik, essen unsere heißen Pizzen und schminken uns, obwohl wir beim Essen kleckern und das alles wieder zunichtemacht.
Allerdings kennen wir das nicht anders. Wir haben es schon als Jugendliche ähnlich gehandhabt – gleichzeitig essen und fertigmachen. An dieser Tradition hat sich auch durch Lindseys Abwesenheit während des Colleges nichts geändert – und wenn der Spiegel noch so klein ist.
Ich schnappe mir gerade ein weiteres Stück meiner Pizza, als mir das Handtuch, das meine nassen braunen Haare auf dem Kopf hält, herunterrutscht und mir die Sicht versperrt.
Lindsey kichert leise, weswegen ich sie sanft zur Seite stoße und das Handtuch zu Boden fallen lasse. Statt nach meiner Pizza, greife ich nun also zur Bürste und kämme mir den Pony, so, wie es mir ein Friseur einst empfohlen hat: immer schnell hin und her, damit der Wirbel den Pony nicht zerstört.
Als ich damit fertig bin, nehme ich das letzte Stück Pizza und beiße genussvoll hinein. Der Tag war anstrengend, und auch wenn wir tagsüber ordentlich gegessen haben, ist dieses Abendessen die beste Belohnung.
»Warst du schon mal in dem Club?«, frage ich Lindsey schmatzend und beäuge sie von der Seite, während sie sich Mascara auf die Wimpern macht.
Lindsey wechselt zum anderen Wimpernkranz, ihr Mund formt dabei ein tonloses »O«, und als sie fertig ist, nickt sie.
»Das erste Mal in meinem ersten Studienjahr. Seitdem … bin ich ständig da.« Sie lacht leise. »Man kommt da nur mit Einladung rein. Las Vegas’ High Society verkehrt dort, also findest du vielleicht sogar Material für deinen ersten Artikel.« Anzüglich wackelt sie mit den Augenbrauen.
»Ich übernehme vorerst nur kleine Artikel.«
»Ja, und?«, erwidert Lindsey. »Vielleicht sind ja Sportler da. Patrick ist doch Sportler, du kennst dich aus.«
Patrick ist mein älterer Bruder und spielt semi-professionell Baseball.
»Ich kenne mich mit den Sportarten und den Regeln aus, allerdings würde ich nie im Leben einen Sportler in freier Wildbahn erkennen.«
Lindsey seufzt. »Und du willst Promi-Journalistin sein.«
»Journalistin«, korrigiere ich sie. »Ohne spezifische Richtung.«
»Nichtsdestotrotz könnte dir schon heute dein erster Karrierehöhepunkt begegnen und du wirst dich eines Tages an dieses Gespräch zurückerinnern und lächelnd feststellen, wie recht ich doch hatte.«
»Das wird nur die Zukunft zeigen, Linds.«
Sie wirft mir einen Kussmund zu. »Die Zukunft, Gracie, beginnt jetzt.«
Kapitel 2 – Grace
Lauter Bass nimmt uns außerhalb des Clubs in Empfang. Vor dem Backsteingebäude, in dem sich das Labyrinth befindet, tummeln sich bereits Menschen, die entweder schon drin gewesen sind und draußen eine Raucherpause machen oder die noch hineinwollen.
So wie wir.
»Sagtest du nicht, dass das ein exklusiver Club ist?«, raune ich Lindsey zu und beäuge skeptisch die Schlange, an der wir vorbeilaufen.
»Sagte ich, ja.«
»Und wie gedenkst du, da reinzukommen?«
»Wir stehen auf der Gästeliste, Dummerchen.« Sie grinst mich mit ihren strahlendweißen Zähnen an, die sie sich hat aufhellen lassen, als sie ihren ersten Job nach dem College ergattert hat.
»Und wie hast du das geschafft?«
Sie zuckt die Schultern. »Als ich im ersten Studienjahr hier gewesen bin, war der Club noch unbekannt. Die ersten Gäste haben ein ewiges Privileg, immer in den Club zu kommen. Da wir damals nicht viele gewesen sind, rentiert sich das ganz gut für den alten Callahan.«
»Der Inhaber?«
»Und die beste Seele in ganz Vegas – abgesehen von dir und mir natürlich.«
»Das würde ich nie anzweifeln.«
Lindsey greift grinsend nach meiner Hand und zieht mich an der langen Schlange vorbei – aus der die Wartenden uns argwöhnische Blicke zuwerfen.
»Fühlt sich komisch an«, murmle ich.
Lindsey lacht leise. »So etwas kommt in der heimeligen Provinz nicht vor, was?«
»Ich verstehe, warum du geflüchtet bist«, sage ich.
»Und warum ich dich hergeholt habe.«
Spielerisch schubse ich sie von mir weg, ehe wir an der Tür ankommen und meine Cousine sich direkt vor die Türsteher stellt. Einer der beiden schaut von seinem Tablet mit der Gästeliste auf, und als er Lindsey erkennt, erhellt sich seine Miene augenblicklich.
»Lindsey, du beehrst uns mal wieder!«, sagt er erfreut und zieht sie in eine rasche Umarmung.
Lindsey nickt und deutet auf mich. »Meine liebste Cousine muss Vegas von seiner besten Seite kennenlernen. Wo geht das besser als hier?«
Der Türsteher, Jake steht auf seine schwarze Jacke gestickt, wirft mir einen Blick zu und beäugt mich von oben bis unten.
»Name?«
»Grace«, erwidere ich und er nickt mir zur Antwort zu. Dann tippt er etwas auf dem Tablet ein und tritt zur Seite.
»Danke, Jake!«, sagt Lindsey überschwänglich, greift nach meiner Hand und zieht mich in den Club.
Dieser empfängt uns mit einem dunklen, mit Vorhängen ausgekleideten Gang, der die wummernden Bässe ein wenig dämpft. Gleich darauf treten wir durch einen dicken roten Vorhang hindurch und stehen auf dem Dancefloor.
Er ist riesig. Vor uns tanzen Hunderte Partygäste, die durch das Strobolicht auf der Tanzfläche immer wieder beleuchtet werden.
Bevor ich mich weiter umschauen kann, zieht Lindsey mich in Richtung einer Treppe, die zu einer Empore führt.
»VIP?«, rufe ich Lindsey über den Bass hinweg zu.
»Was denkst du denn?«, erwidert meine Cousine und begrüßt direkt danach den nächsten Mitarbeiter an der Treppe. Es folgt eine weitere Umarmung, ein weiterer Blick in meine Richtung und wir werden in den VIP-Bereich gelassen.
Ich muss zugeben, dass ich selten in einem Club gewesen bin und noch nie bei den VIPs gesessen habe, aber als wir den Bereich betreten, erkenne ich sofort, dass ich mich daran gewöhnen könnte. Überall stehen Sitzbänke mit roten Polstern, die weich und bequem wirken. Hie und da finden sich kleine Tische, die mit Getränken befüllt sind, und trotz der lauten Musik auf der Tanzfläche unter uns, kann man sich hier unterhalten, ohne am nächsten Tag Ohrenschmerzen und keine Stimme mehr zu haben.
Zielsicher zieht Lindsey mich zu der nächstbesten Sitzecke und wir lassen uns auf dem roten Samt nieder.
»Hier bleibe ich«, teile ich mit, kaum dass meine Beine den Stoff berühren.
»Wir wollen doch aber tanzen«, bemerkt Lindsey.
»Nein, ich will hierbleiben.« Wir tauschen einen raschen Blick, ehe wir beide zu lachen beginnen.
»Was wollen wir trinken?«, fragt Lindsey und streicht ihren Rock glatt.
»Können wir uns die Getränke überhaupt leisten?«
»Den ersten Drink sicherlich«, sagt Lindsey. »Die nächsten …« Sie schaut jede einzelne Person in den nahegelegenen Sitzgruppen an, ehe sie eine Sitzecke wenige Meter von uns entfernt fixiert. Ich folge ihrem Blick und erkenne, dass dort mehrere junge Männer sitzen, die sich rege zu unterhalten scheinen.
Lindsey gibt einen Laut von sich, der eindeutig einem Schnurren ähnelt, und schlägt demonstrativ die langen Beine übereinander.
»Welchen willst du?«, fragt sie, ohne die Gruppe aus dem Blick zu lassen. Fünf Männer an der Zahl, die auf den ersten Blick nicht sonderlich auffallen, beim genaueren Hinsehen dafür aber doch interessant wirken. Zwei Blondschöpfe, einer mit roten Haaren, die anderen beiden sind brünett und schwarzhaarig. Was sie jedoch interessant macht, ist, wie groß sie wirken. Die Beine hat der Großteil von ihnen von sich gestreckt, und während unsere Nacken an den Sitzpolstern hinter uns lehnen, ragen ihre darüber hinaus.
Ich begutachte die fünf unauffällig, wobei der brünette Mann meine Aufmerksamkeit erhascht. Er lacht und legt dabei den Kopf in den Nacken, selbst aus der Distanz erkenne ich Grübchen auf seinen Wangen.
Ich habe eine Schwäche für Grübchen.
Doch entgegen der Erwartung meiner Cousine, schüttle ich den Kopf. »Ich bin heute erst angekommen, da brauche ich noch keinen Ballast.«
Lindsey sieht mich überrascht von der Seite an. »Inwiefern ist ein One-Night-Stand Ballast?«
»Wieso muss ich denn direkt mit einem von denen schlafen?«
Sie wackelt amüsiert mit den Augenbrauen. »Weil sie heiß sind und wir uns das heute redlich verdient haben.«
Ich schnaufe und schüttle den Kopf.
Lindsey seufzt. »Okay, dann schlaf mit niemandem. Du kannst ja trotzdem Spaß haben.«
Ohne meine Reaktion abzuwarten, steht Lindsey auf und geht mit ihren langen Beinen auf die Gruppe zu. Stumm verfluche ich sie dafür, springe dann aber ebenfalls auf, um mich ihr anzuschließen.
Auch wenn ich schon angenommen hatte, dass Lindsey heute auf Beutefang sein würde, hatte ich dennoch einen Rest Hoffnung, auf einen Mädelsabend.
Allerdings wären wir dann im Pyjama daheim geblieben.
Lindsey ist mit ihren langen gebräunten Beinen und den bis zum Po reichenden blondem Haar schon immer ein Blickfang gewesen. Ich bin selbst kein Mauerblümchen und würde mich auch nicht als nicht hübsch bezeichnen, dennoch bin ich mir neben Lindsey immer kleiner vorgekommen – was okay ist, weil sie lieber im Rampenlicht steht als ich. Was ich also erwarte, ist, dass die Männer sofort von ihrem Gespräch aufblicken und Lindsey neugierig mustern.
Womit ich nicht gerechnet habe, ist, dass der mit den Grübchen stattdessen zu mir schaut. Aus der Nähe erkenne ich, dass seine Augen blau sind und meine braunen genau taxieren, ehe er seinen Blick kurz wandern lässt.
Ich versuche, ihn anzulächeln, doch da spricht Lindsey bereits los.
»Meine Cousine Gracie ist neu in Las Vegas und da wollte ich euch fragen, ob ihr uns helfen könntet, den Abend ein wenig spannender zu gestalten?«
Einer der Blondschöpfe mit braunen Augen beugt sich interessiert vor, richtet seine Aufmerksamkeit dabei jedoch nur auf Lindsey.
»Was stellst du dir denn vor?«, erwidert er und seine Stimme klingt ähnlich aufgesetzt und kokett wie die von Lindsey.
Lindsey zuckt mit den Schultern.
»Überrascht uns.«
Zielsicher setzt meine Cousine sich zwischen die beiden Blondschöpfe und bedeutet mir, es ihr gleichzutun. Ich unterdrücke ein Seufzen und setze stattdessen ein strahlendes Lächeln auf.
Der Hübsche mit den Grübchen macht mir bereitwillig Platz, sodass ich zwischen ihm und dem Rothaarigen sitze.
Auch wenn ich nicht schüchtern bin – das wäre als Journalistin nicht förderlich – so empfinde ich die Situation als unbehaglich. Deshalb bin ich umso dankbarer, dass Lindsey erneut die Initiative ergreift und sich vorbeugt.
»Ich bin Lindsey«, sagt sie und zeigt auf sich. Danach deutet sie in meine Richtung. »Gracie kennt ihr bereits.«
Einer der Blondschöpfe grinst und nickt dem Mann mit den erdbeerblonden Haaren zu. »Das ist Brian.« Er übergeht mich und zeigt auf den Hübschen. »Asher«, der Finger wandert zu dem Schwarzhaarigen, »Elias.«. Nun zeigt er auf sich selbst. »Ich bin Levi.« Dann deutet er auf den letzten Blondschopf. »Und das ist Collin.«
»Höchst erfreut«, gibt Lindsey enthusiastisch zur Antwort und ich räuspere mich.
»Kommt ihr aus Vegas?«, frage ich und ein dunkles Lachen dringt in mein Ohr – Asher. Er und Brian scheinen mich als Einzige verstanden zu haben, da sich die anderen drei schon wieder mit Lindsey unterhalten.
Brian wirft seinem Kumpel einen düsteren Blick zu und schüttelt dann den Kopf. »Nicht alle von uns. Ich bin der einzige Einheimische.« Er lächelt und nimmt sich seinen Drink, um dann allerdings festzustellen, dass das Glas leer ist.
»Willst du was trinken?«, fragt er mich.
»Kaum ist eine hübsche Frau am Tisch, vergisst du uns?«, fragt Asher, dessen Stimme genauso tief ist, wie sein Lachen es hat annehmen lassen. Bei dem spaßigen Ton und den schmeichelnden Worten wird meine Haut von einer Gänsehaut überzogen.
»Korrekt, Alter«, erwidert Brian grinsend und zwinkert mir zu. Obwohl das bei anderen Männern wahrscheinlich wirken würde, als würde er flirten, macht es bei ihm nicht den Anschein. Er wirkt nicht, als wäre er auf der Suche nach einer Bekanntschaft für die Nacht, sondern wie jemand, der Spaß mit seinen Freunden haben will. »Also?«
Mit kurzer Verzögerung verstehe ich, dass er mich gefragt hat, und in meinem Kopf gehe ich die Optionen durch. »Eine Cola wäre wunderbar.«
Brian salutiert und zieht von dannen.
»Bringt der uns jetzt wirklich nichts mit?«, ruft Collin entsetzt und springt auf, um Brian zu folgen. Ich unterdrücke ein Lachen, weil ich eine solche Szene nicht erwartet habe.
»Er weiß doch gar nicht, was ihr wollt«, bemerkt Lindsey verwundert.
»Das wird der an der Bar auch bemerken«, antwortet Elias schulterzuckend und nimmt sich sein Bier, um es zu leeren.
»Wo kommst du her?«, fragt Asher mich gleich darauf.
»Aus einer Kleinstadt in Maryland«, sage ich und begegne seinem Blick. Ein Hauch von Grau liegt in den blauen Augen und bei dem Anblick läuft mir ein weiterer Schauer über den Rücken. Der Kerl ist einfach genau mein Typ, das kann ich nicht abstreiten.
»Maryland? Woher genau?«
»Bel Air.« Ich zucke mit den Schultern und erwarte nicht, dass er von Bel Air schon einmal gehört hat.
Überrascht zieht er seine Augenbrauen hoch. »Ich wurde in Fallston geboren.«
Das verwundert mich genauso sehr, wie ihn meine Aussage. Bel Air und Fallston sind mit dem Auto keine zehn Minuten voneinander entfernt.
»Wann hat es dich nach Nevada getrieben?«
Asher überlegt für ein paar Sekunden. »Da war ich sieben. Ich bin mit meinen Großeltern hierhergezogen, weil mein Großvater eine Stelle angeboten bekommen hat.«
»Warst du seither noch mal in Maryland?«
Er lacht leise. »Regelmäßig. Meine gesamte Familie wohnt noch in Fallston. Die Feiertage sind ein wahres Highlight.«
Ich will gerade nachfragen, was genau er damit meint, als Brian und Collin zurückkommen. Sie haben eine Cola, ein Glas mit einer unbekannten Flüssigkeit und mehrere Bierflaschen dabei.
Brian reicht mir die Cola und zeigt Asher den Mittelfinger. »Entweder trinkst du das Bier oder du kriegst ein Problem mit mir.«
»Das gilt für euch alle«, ergänzt Collin und sieht seine Freunde vielsagend an, ehe sein Blick auf Lindsey verharrt. »Wir wussten nicht, was du haben möchtest, deswegen haben wir dir einen Mojito mitgebracht.«
Lindsey lächelt mit großen Augen. »Sehr aufmerksam, danke schön.« Dann nippt sie an ihrem Getränk.
»Ihr hättet uns fragen können, was wir wollen«, sagt Elias und nimmt sein neues Bier in die Hand.
Ein erneutes Lachen von Asher. »Wir trinken alle gerne Bier.«
»Vielleicht möchte ich aber Rum trinken?«
»Du trinkst keinen Rum«, kontert Asher und stößt mit Elias an. Fasziniert lausche ich dem Schlagabtausch der beiden. Ich habe nie viele Freunde gehabt und finde es immer spannend, zu beobachten, was für eine Dynamik in solchen Freundeskreisen herrscht. Bisher habe ich den Eindruck, dass die fünf untereinander viele Späße reißen und sich sehr gut kennen. Sie vertrauen einander, das merkt man sofort.
»Woher kennt ihr euch?«, frage ich an Brian gerichtet, da Asher sich weiterhin mit Elias zankt.
Ein schiefes Grinsen bildet sich auf Brians Gesicht. »Vom Sport.«
»Spielt ihr in einer Mannschaft?«, frage ich neugierig.
»Könnte man meinen …«, beginnt Brian, als Lindsey aufspringt und Levi ihre Hand hinhält.
»Wollen wir tanzen?«
Collin lacht und nippt an seinem Bier. »Der tanzt nicht.«
Levi macht ihm mit einer Geste deutlich, dass er leise sein soll, und nimmt daraufhin Lindseys Hand in seine.
»Ich begleite dich gern. Will noch jemand mitkommen?«
Ein Knie stößt sanft gegen meines und ich schaue zu Brian.
»Wollen wir?«
Auch wenn ich lieber mit Asher tanzen gegangen wäre, nicke ich. Mein Plan ist es, mit niemanden heimzugehen, und bei Asher würde die Gefahr bestehen, dass ich bei Interesse seinerseits einknicken würde.
»Wieso nicht?«, antworte ich und stehe auf, wobei ich meinen Rock wieder ein wenig tiefer ziehe. So schön hautenge Röcke auch sind, sie rutschen gefährlich hoch, wenn man sich zu viel bewegt.
Brian scheint es nicht aufzufallen. Er hält mir seinen Arm hin, damit ich mich unterhaken kann. Dankend nehme ich die Einladung an und so folgen wir Lindsey und Levi die Treppen zur Tanzfläche hinunter. Sofort ist der Bass wieder lauter und klarer zu vernehmen und aus dem Augenwinkel kann ich sehen, wie Lindsey sofort anfängt, mit den Hüften zu kreisen. Levi legt seine Hände an ihre Taille und zieht sie an sich heran.
Brian tut das nicht bei mir. Stattdessen bildet sich ein spitzbübisches Lächeln auf seinen Lippen und er hebt die Arme in die Luft.
»Ich kann nicht tanzen«, ruft er mir über die Musik hinweg zu und lässt, anders als Lindsey, nicht die Hüften, sondern die Arme kreisen.
Ich lache und beobachte Brian fasziniert dabei, wie er sich wesentlich weniger elegant als der Rest im Club bewegt. Er lässt sich einfach gehen. Da ich nicht so leicht lockerlassen kann, mache ich die üblichen Club-Schritte. Brian scheint das nicht zu stören, er lässt sich weder von den anderen Gästen noch von mir irritieren. Dafür, dass er nicht tanzen kann, bewegt er sich doch rhythmisch und enthusiastisch.
Mit einem Mal greift Brian nach meiner Hand und zieht mich enger an sich. Allerdings hat auch diese Geste nichts an sich, was wie ein Flirt wirkt, dafür ist sein Grinsen immer noch zu spitzbübisch. Stattdessen wirbelt er mich umher, was mein Lachen nur noch verstärkt. Er lässt mich im Kreis drehen und schiebt mich von sich weg, um mich dann wieder an sich zu ziehen. Diesen Tanz führen wir für zwei Lieder auf und ich komme nicht mehr aus dem Lachen heraus, als Brian mich erneut von sich schiebt und mich dann loslässt. Etwas perplex schaue ich ihn an, als er »Entschuldigung« sagt und sich dann von mir entfernt.
Mit hochgezogenen Augenbrauen blicke ich ihm nach, als mir jemand auf die Schulter tippt. Immer noch verwundert über Brians abrupten Aufbruch, drehe ich mich um.
»Willst du tanzen?«, erklingt Ashers tiefe Stimme.
Wie eingefroren schaue ich ihn an. War das alles geplant? Einerseits hoffe ich es, andererseits will ich nicht Gefahr laufen, ihn noch attraktiver zu finden.
Ich könnte ablehnen. Brian suchen und weiter wie Kleinkinder tanzen. Das wäre der sichere Weg.
Oder ich könnte das Risiko eingehen, mich doch auf jemanden einzulassen.
Ohne dass ich es verhindern kann, nicke ich.
»Ja, sehr gerne.«