Leseprobe Eine Hochzeit zum Sterben | Ein britischer Cosy Crime

1

„Schon wieder so eine Gluthitze. Was ist nur mit dem Wetter los? Für Großbritannien ist das völlig untypisch.“ Alexi Ellis fächerte sich mit der Hand Luft zu und zog sich unter den ausladenden Sonnenschirm zurück, der auf der Terrasse von Hopgood Hall stand. Hopgood Hall war ein Boutique-Hotel, an dem sie eine Beteiligung hielt. Ein kurzer Windstoß fuhr wie ein Föhn durch die heiße Luft, der ihr regelrecht die Energie raubte. „Vielleicht sollten wir uns einen Pool zulegen, wenn unsere Zukunft so aussieht. Mit der weltweiten Klimaerwärmung und so.“

Alexis Freundin und Mitbesitzerin des Hotels, Cheryl Hopgood, hielt ihre kleine Tochter Verity auf den Knien, schaukelte sie hin und her und brachte sie damit zum Kichern. „Wir machen gerade erst Gewinn“, sagte sie mahnend. „Es tut gut, endlich mal nicht mehr mit den Rechnungen jonglieren zu müssen, denn bisher musste ich immer abwägen, welche ich zuerst bezahle. Wir sollten unser Glück wirklich nicht überstrapazieren. Diese heißen Sommer sind vielleicht nicht von Dauer. Das englische Wetter kann man unmöglich vorhersagen. Außerdem kommen unsere Gäste nicht zum Schwimmen nach Lambourn.“

Alexi gestand dies mit einem Nicken ein. „Auch wieder wahr.“

„Genieß einfach die Ruhe und den Frieden, denn beides wird nicht mehr lange anhalten.“

Alexi grinste, wohl wissend, dass es auf dem Junggesellenabschied, der in wenigen Tagen stattfinden sollte, wild zugehen würde. Kein Wunder, wenn der Bräutigam seine letzten Stunden in Freiheit genoss. „Bald fängt die Kleine an zu laufen.“ Alexi betrachtete grinsend ihr Patenkind, als das Mädchen versuchte, sich von Cheryls Schoß herunterzuhangeln. „Sie ist genauso lebenslustig wie ihr Vater.“

„Das werden wir sehen. Sie ist erst sieben Monate alt.“ Cheryl hielt inne. „Das mit dem Pool meinst du nicht ernst, oder?“

Alexi sah lächelnd zu Cosmo hinüber. Ihre Wildkatze hatte sich unter der Fontäne des Brunnens im Innenhof niedergelassen und ließ sich das Wasser auf den Bauch regnen. Dem schwarzen Kater mit den stechend haselnussbraunen Augen, in denen silberne Punkte tanzten, setzte die Hitze genauso stark zu wie allen anderen. Toby, Cheryls kleiner Terrier, der nur halb so groß wie Cosmo war, hing sehr an dem Kater. Er ließ sich neben ihm auf die Fliesen im Halbschatten fallen.

„Nein, das wäre wohl keine besonders gute Idee“, antwortete Alexi auf Cheryls Frage. „Aber du musst zugeben, dass wir das mit dem Hotel gut hinbekommen haben.“

Cheryl nickte mit offensichtlichem Widerwillen. „Ich will gar nicht daran denken, dass unsere Beliebtheit zumindest teilweise auf die Sensationsgier der ganzen Leichenfledderer zurückzuführen ist, die das Zentrum des Verbrechens besuchen wollen.“

Cheryl bezog sich damit auf den Mord an einer der Kandidatinnen der Kochshow, die im letzten Winter auf Hopgood Hall gedreht worden war. Die Sendung hatte die höchsten Einschaltquoten und sorgte dafür, dass der Zustrom von Gästen nicht abriss. Na ja, das und die Tatsache, dass Alexi und ihr Freund, Privatdetektiv Jack Maddox, großen Anteil an der Aufklärung dieses Verbrechens hatten. Wenige Monate zuvor war es ihnen bereits gelungen, den Mord an einer weiteren Frau aus Lambourn aufzuklären. Niemand aus der Gegend konnte sich daran erinnern, wann hier das letzte Mal gewaltsam jemand zu Tode gekommen war. Deshalb war es auch keine große Überraschung, dass das Hotel nun Unmengen von Schaulustigen anzog, die das Gelände geradezu überrannten und Verschwörungstheorien verbreiteten.

Alexi war Investigativjournalistin, oder zumindest war sie das bis zu ihrer Entlassung beim Sentinel, einer Londoner Zeitung, gewesen. Rückblickend war diese Kündigung das Beste, was ihr passieren konnte, obwohl es sich für sie zunächst wie Hochverrat angefühlt hatte. Der Chefredakteur Patrick Vaughan, der auch ihr Ex-Liebhaber war, hatte zwar von dem geplanten Stellenabbau beim Sentinel gewusst, sie jedoch nicht vorgewarnt. Stattdessen hatte er versucht, ihr eine niedrigere Position aufzudrängen. Das hatte Alexi allerdings abgelehnt und der Zeitung eine großzügige Abfindung abgerungen.

Patrick hatte ihr daraufhin geradezu nachgestellt und wiederholt versucht, sie nach London zurückzulocken. Er und Jack verachteten sich gegenseitig zutiefst, denn nun lebte Alexi mit Jack zusammen. Obwohl zusammenleben wahrscheinlich eine Übertreibung war. Jacks Privatdetektei konnte durch die öffentliche Aufmerksamkeit, die der Kochshow-Mord auf sich gezogen hatte, einen stark steigenden Auftragseingang verbuchen. Er arbeitete die meiste Zeit außerhalb von Lambourn und war häufig die ganze Woche lang unterwegs. Alexi war das nur recht. Sie hatte sich an Patrick die Finger verbrannt und war nicht bereit, sich mit ganzem Herzen auf einen anderen Mann einzulassen. Nicht jetzt.

Vielleicht nie wieder.

Außerdem hielten ihre journalistischen Verpflichtungen sie auf Trab. Sie arbeitete unter anderem an einem Buch über den Mord an der TV-Kandidatin und schrieb Artikel, die sie unterschiedlichen Medienunternehmen anbot. Einen dieser Artikel hatte sie noch in London fertiggestellt. Er handelte von den Obdachlosen, die unter der Waterloo-Brücke lebten. Bei ihrer Recherche war sie auf Cosmo gestoßen, der Menschen im Allgemeinen misstraute. Aus Gründen, die Alexi noch immer nicht ganz verstand, hatte der sonst so ungesellige Kater in ihrem Fall eine Ausnahme gemacht und sich von ihr adoptieren lassen. Cosmo verfügte über eine ausgezeichnete Menschenkenntnis. Obwohl er inzwischen etwas milder geworden war, konnte Alexi noch immer auf seine Instinkte vertrauen. Wenn Cosmo jemanden nicht ausstehen konnte, war das ein schlechtes Zeichen. Vom Set der Kochshow hatte man ihn damals verbannt, weil er oft und gerne, nur zum Spaß, den Leuten in die Knöchel biss. Dennoch war er schnell zum Star der Show avanciert. Auch Cosmo hatte seinen Anteil daran, dass die Gäste das Hotel in Scharen frequentierten.

„Sprich bloß nicht in Gegenwart meiner Tochter über den Mord.“ Drew Hopgood gesellte sich zu ihnen. Für einen Mann seiner Größe bewegte er sich bemerkenswert lautlos. Er gab erst seiner Frau, dann seiner kleinen Tochter einen Kuss.

„Die Leute reden hier über nichts anderes“, erwiderte Cheryl. „Aber wenn es das Unglück fernhält, warum sollte ich mich darüber beschweren?“

„Dieses Wetter kommt wie gerufen für die Promi-Hochzeit des Jahres“, fügte Drew hinzu und ließ sich auf den Stuhl neben seiner Frau fallen. Er hielt Verity in seinen Armen und blickte in den wolkenlosen Himmel. Sie gluckste fröhlich, als er sie über seinem Kopf schweben ließ. „Danke, ihr Wettergötter. Diesmal wird nichts schiefgehen.“

Drew nickte in Richtung des geschäftigen Treibens im Nebengebäude, wo Crystabel Hennessy, TV-Sternchen, Society-Dame, Online-Influencerin und Bridezilla der allerschlimmsten Sorte in wenigen Tagen Giles Preston-Smythe heiraten würde, den Sohn des bekanntesten Pferdeausbilders im Tal der Rennpferde.

„Das sollte es auch nicht!“ Cheryl grinste. „Obwohl sogar ich schon ein- oder zweimal nahe daran war, Crystabel zu erwürgen. Wie schwer kann es sein, bei einer einmal getroffenen Entscheidung zu bleiben?“

„Zum Glück lässt Marcel sich nicht von ihr herumkommandieren“, erwiderte Alexi und bezog sich damit auf den medienaffinen Promi-Koch des Hotels, der zunächst verdächtigt worden war, die Kandidatin aus seiner Show ermordet zu haben. Als seine Unschuld bewiesen war, hatte dies seine Beliebtheit nur noch vergrößert. Auch Marcels Anwesenheit war ein Grund dafür, dass das Hotelgeschäft so gut lief. Mit seinen cholerischen Ausbrüchen in aller Öffentlichkeit verteidigte er seinen Ruf als der ultimativ temperamentvolle Koch. Die Gäste waren ganz angetan von ihm. „In ihm hat Crystabel ihren Meister gefunden.“

„Oh, da kommt Isobel.“ Alexi hob halbherzig eine Hand, als die Hochzeitsplanerin sich ihrer Gruppe näherte. „Was ist es wohl diesmal?“

„Ist das heiß.“ Isobel setzte sich auf einen Hocker und zog ihre Jacke aus. Warum sie bei Temperaturen von über dreißig Grad überhaupt eine trug, war Alexi ein Rätsel. „Ich habe die Wettervorhersage mit Argusaugen beobachtet. Noch eine Woche bis zum großen Tag, und es gibt Anzeichen, dass das Wetter sich ändert. Uns steht wohl ein Sturm bevor.“

„Das würde das Wetter nicht wagen“, entgegnete Alexi.

„Sollte man meinen, aber ich fürchte, die Elemente haben keine Angst vor Crystabel.“

„Dann sind sie tapferer als ich“, sagte Drew mit einem theatralischen Schaudern.

„Dafür haben wir dieses riesige Festzelt aufstellen lassen“, hob Cheryl hervor und gestikulierte mit einer ausladenden Handbewegung zu dem Zelt hinüber. Es fungierte als Verlängerung des Nebengebäudes und war mit Blumen geradezu überladen. Hier würde das Paar sich ewige Treue schwören. „So bleiben die Hochzeitsgäste im Trockenen, und keiner muss sich um seinen Hut Sorgen machen.“

„Eigentlich bin ich gekommen, um mit Ihnen darüber zu sprechen.“ Isobel hielt inne. Sie wirkte angespannt. „Crystabel hätte gern, dass das Zelt andersherum aufgestellt wird. Sie denkt, dass die Fotos besser aussehen, wenn sie aus dieser Richtung gemacht werden.“

Drew lachte. „Unmöglich. Wir haben es ihr schon mehrmals erklärt. Wenn das Wetter schön bleibt und die Seitenwände hochgezogen sind, wollen die Leute im Innenhof flanieren, nicht im Brunnen.“

Isobel verdrehte die Augen. „Das ist mir klar, aber Crystabel ist wirklich ein Albtraum. Sie macht sich gerne wichtig und ist so ziemlich die anspruchsvollste, egozentrischste Braut, für die ich je gearbeitet habe. Und das will etwas heißen.“

„Warum machen Sie dann diesen Job, wenn er so stressig ist?“, fragte Alexi neugierig.

„Warum macht irgendjemand irgendeinen Job?“ Isobel zuckte mit den Schultern. „Ich bin mehr oder weniger zufällig auf diese Schiene geraten. Trotz allem ist es ein angenehmes Leben. Und lassen Sie sich gesagt sein: Nicht alle Bräute sind so anstrengend.“ Ein Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. „Nur die allermeisten von ihnen, aber ich kann mit Hysterie umgehen.“

„Ich frage mich, ob Giles weiß, worauf er sich einlässt“, sagte Cheryl. „Wenn er sich nicht endlich einmal auf die Hinterbeine stellt, und das hat er während der Hochzeitsvorbereitungen praktisch gar nicht getan, wird er nach der Hochzeit Crystabels Sklave sein.“

„Ich habe gestern Abend zufällig gehört, wie er sich mit seinem Trauzeugen, Simon Morton, in der Bar unterhalten hat“, sagte Drew. „Sie haben mich nicht bemerkt, als ich hinter dem Raumteiler die Weinlieferung sortiert habe. Sonst war niemand in der Nähe, also hat Simon Giles den Kopf gewaschen. Er sagte, es sei nicht zu spät, um einen Rückzieher zu machen.“

„Nicht gerade das, was ein Trauzeuge tun sollte“, erwiderte Alexi.

„Die beiden kennen sich schon sehr lange, glaube ich“, sagte Isobel. „Hat Simon gesagt, warum er Giles’ Hochzeit mit Crystabel für einen Fehler hält?“

„Na ja.“ Drew verdrehte theatralisch die Augen. „Wie Sie wissen, verbreite ich keine Gerüchte, aber …“

„Komm schon, mach’s nicht so spannend“, drängte ihn Alexi und lachte über sein gestelltes Verhalten.

„Warum erfahre ich das erst jetzt?“, fragte Cheryl im selben Moment.

„Es sieht so aus, als ob Simon für eine Weile mit Crystabel zusammen war.“

„Nein!“, riefen Alexi und Cheryl gleichzeitig.

„Ich finde Simon sympathisch. Man sollte glauben, er hätte einen besseren Geschmack“, merkte Alexi an.

„Den hat er bestimmt, wenn er sich von ihr getrennt hat“, erwiderte Cheryl.

„Soweit ich es verstanden habe, haben sie an irgendeinem exotischen Ort Urlaub gemacht. Etwas ist passiert, aber Simon hat nicht gesagt, was. Das war dann wohl der Anfang vom Ende.“

„Wahrscheinlich haben sich Crystabel und Giles über Simon kennengelernt“, vermutete Cheryl.

„Und wenn Simon sie verlassen hat, war Crystabel wohl verletzt und hat sich an Giles herangemacht, um Simon eifersüchtig zu machen“, fügte Isobel hinzu, die für einen kurzen Augenblick ihre Professionalität vergaß und sich an den wilden Spekulationen beteiligte.

„Na ja, jedenfalls wird es wohl bald Ärger im Paradies geben“, sagte Alexi. „Jede Wette, dass sie es keine zwei Jahre miteinander aushalten.“

„Womit Sie wieder im Geschäft wären“, merkte Cheryl gegenüber Isobel an.

„Jetzt machen Sie Witze darüber, aber Sie wären überrascht, wie häufig mich Leute ein zweites Mal engagieren“, erwiderte Isobel.

„Sagen Sie Ihrer Klientin einfach, dass die Ausrichtung des Zeltes nicht mehr verändert werden kann“, sagte Drew. „Die Arbeiter, die es aufgebaut haben, sind längst weg. Niemand sonst darf das Zelt anrühren, aus Sicherheitsgründen, wegen versicherungstechnischer Vorgaben und so.“

„Ah, das ist ein guter Ausweg für mich.“ Isobel nickte dankbar. „Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass Crystabel das ernst gemeint hat. Sie macht nur gerne Drama.“

„Sie kommt später mit ihrer Entourage her“, erinnerte Drew die anderen. Die Braut und ihre vier Brautjungfern würden bereits einige Tage vor der Hochzeit in das Hotel einziehen und es praktisch komplett in Beschlag nehmen. Friseure, Visagisten und Stylistinnen waren engagiert worden, um vor dem großen Tag einen Probelauf durchzuführen.

„Aber die Jungs haben die älteren Rechte. Sie feiern hier morgen Abend Giles’ Junggesellenabschied“, fügte Cheryl hinzu. „Unser Barkeeper hat zusätzliche Vorräte angefordert.“

„Sie gehen zuerst zum Pferderennen in Salisbury und kommen danach ins Hotel zurück“, sagte Alexi. „Soweit ich weiß, hat Giles’ Vater eines seiner besten Rennpferde am Start. Falls es gewinnt, wird es eine Riesenparty geben.“

„Das wird es so oder so.“ Drew wackelte mit den Augenbrauen. „Jungs sind eben Jungs. Und das bleiben sie auch. Das ist für Giles die letzte Gelegenheit, über die Stränge zu schlagen, bevor er sich in ein Leben voller häuslicher Disharmonie niederlässt.“

„Sei nicht so zynisch“, tadelte ihn Cheryl.

„Na ja, Liebling, ich spreche nur aus, was jeder denkt.“

„Ich würde diese Jungs jederzeit einem Haufen Frauen auf einem Junggesellinnenabschied vorziehen“, sagte Cheryl.

„Crystabel lässt wohl kaum die Zügel schleifen. Sie will bestimmt nicht die Kontrolle über sie verlieren“, sagte Alexi. „Ihre Außenwirkung ist ihr sehr wichtig. Die Kameras folgen ihr auf Schritt und Tritt, wie wir alle wissen, um die Vorbereitungen für den großen Tag festzuhalten. Das Publikum und ihre loyalen Fans sind davon offenbar begeistert, wenn man die Zuschauerzahlen betrachtet.“

„Diese Berichterstattung ist so falsch wie Crystabels Bräune“, sagte Cheryl wegwerfend. „Sie bestimmt, was gezeigt wird – und was nicht. Und, Überraschung, keiner ihrer Wutanfälle ist im Fernsehen zu sehen.“

„Wodurch nicht viel anderes übrig bleibt“, fügte Isobel hinzu.

„Wo findet der Junggesellinnenabschied eigentlich statt?“, fragte Alexi, die unbedingt wissen wollte, was Crystabel geplant hatte. Wahrscheinlich etwas Anspruchsvolles. Mit Sicherheit handelte es sich dabei nicht um einen gewöhnlichen Besuch im Pub.

Isobel zuckte mit den Schultern. „Sie besuchen irgendein schickes Restaurant in Newbury, glaube ich. Dankenswerterweise gehört es nicht zu meinen Aufgaben, Junggesellinnenabschiede zu organisieren. Die Damen verbringen wohl einen Tag im Spa und gönnen sich danach ein opulentes Dinner.“

„Klingt vollkommen berechenbar und nicht gerade aufregend“, erwiderte Alexi.

Cosmo setzte sich in Bewegung und trottete miauend über den Innenhof. Sein hoch aufragender Schwanz schwang wild hin und her.

„Was um alles in der Welt …?“ Alexi drehte ihren Kopf, um zu sehen, was ihren ungeselligen Kater in solche Aufregung versetzte. „Ah, ich hätte es wissen müssen.“ Ein spontanes Lächeln erschien auf ihren Lippen, als Cosmo sich an Jacks Beine schmiegte und seinen großen Kopf an seiner Wade rieb. „Er mag Jack lieber als mich.“ Doch ihre Klage klang sogar in ihren Ohren halbherzig.

„Du hast es doch selbst oft genug gesagt“, erwiderte Drew grinsend. „Cosmo verfügt über eine hervorragende Menschenkenntnis.“

„Was machst du denn hier?“, fragte Alexi und wandte sich Jack zu, der sich nun herunterbeugte und ihr einen Kuss gab. „Ich dachte, du ermittelst in einem Betrugsfall in Swindon und kannst da nicht weg.“

„Ich habe den Fall aufgeklärt“, sagte er und ließ sich auf den Stuhl neben Alexi fallen. „Mein Gott, ist das heiß! Nein!“, rief er aus, als Cosmo mit einer geschmeidigen Bewegung vom Boden hochsprang und überraschend sanft auf seinem Schoß landete. „Hab Erbarmen, mein Großer. Ich bin eh schon überhitzt, und du fühlst dich gerade an wie eine pelzige Heizdecke.“

Alexi lachte. „Ihr zwei solltet euch ein Zimmer nehmen.“

„Wir haben gerade darüber diskutiert, ob es wirklich so klug ist, eine Promi-Hochzeit auszurichten. Ob die Vorteile das ganze Drama wert sind“, sagte Drew. „Die arme Isobel denkt schon über einen Berufswechsel nach.“

„Solange sie uns bezahlen und keinen Schaden anrichten, ist alles in Ordnung“, sagte Cheryl. „Die Aufmerksamkeit ihrer Fans und ihre Reichweite wird uns für den ganzen Ärger entschädigen.“ Sie verzog das Gesicht. „Hoffentlich.“

„Ah, hier bist du. Ich habe dich überall gesucht.“

Isobel stöhnte beim Klang von Crystabels Stimme auf. „Hat sie noch nichts von diesem neumodischen Ding namens Telefon gehört?“, murrte sie vor sich hin. Sie stand auf und setzte ein professionelles Lächeln auf, als Crystabel zu ihnen kam. Ihre zehn Zentimeter hohen Absätze hallten auf den Steinfliesen wider. „Crystabel, was für eine schöne Überraschung.“

Alexi und Jack lächelten sich an, als sie bemerkten, dass Isobel die Finger hinter ihrem Rücken gekreuzt hielt. Cosmo sprang von Jacks Schoß herunter und stolzierte zu Crystabel hinüber. Dabei zeigte er fauchend seine Zähne.

„Woah! Halten Sie dieses Vieh von mir fern!“ Sie versuchte, Cosmo mit einer Handbewegung zu verscheuchen. Alexi ließ sich Zeit, ihren Kater zurückzurufen.

„Damit zeigt er seine Zuneigung“, sagte Drew, der Schwierigkeiten hatte, sich das Lachen zu verkneifen.

„Sie habe ich gesucht.“ Crystabel schob sich an Isobel vorbei und ging in Drews Richtung, während sie Cosmo kämpferische Blicke zuwarf. „An meinem Hochzeitstag müssen Sie diese Kreatur einsperren“, sagte sie, eindeutig darum bemüht, sowohl ihre Haltung als auch die Oberhand zu wahren. „Ich lasse nicht zu, dass er meine Gäste terrorisiert.“

„Aus irgendeinem Grund scheint er nur Sie nicht zu mögen, Crystabel“, erwiderte Alexi zuckersüß und kreuzte nun ihrerseits die Finger hinter ihrem Rücken. „Aber keine Sorge, an Ihrem großen Tag wird er nicht draußen herumlaufen.“

Drew, der immer noch das Baby im Arm hielt, setzte sich wieder hin und sah seine Tochter an.

„Kann ich etwas für Sie tun?“, fragte er mit einem Minimum an Höflichkeit, als Crystabel eine Schnute zog und ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihn richtete. So dankbar Drew auch dafür war, dass diese Hochzeit das Geschäft beflügelte, wusste Alexi doch, dass er Crystabels selbstherrliche Art nicht guthieß – das tat keiner von ihnen – und sich nicht von ihr herumkommandieren lassen wollte.

„In der Tat. Es gibt eine Planänderung. Wir haben uns entschieden, nach unserem Spa-Besuch morgen ins Hotel zu kommen.“

„Ihr Verlobter feiert hier seinen Junggesellenabschied“, erwiderte Drew verblüfft. „Es ist schon alles vorbereitet. Sie wollen doch sicher nicht uneingeladen dort auftauchen?“

„Die Jungs können die Bar haben.“ Crystabel machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wir machen es uns oben im Gäste-Wohnzimmer gemütlich, und Ihr netter Koch kann ein Champagner-Büfett für uns vorbereiten.“

Alexi und Cheryl starrten sich sprachlos an. Drew übergab Verity an Cheryl, stand langsam auf und sah nun auf die zukünftige Braut hinab.

„Morgen Abend ist das Restaurant komplett ausgebucht“, sagte er mit ruhiger Stimme, „also wird es wohl nicht möglich sein, ein Büfett vorzubereiten. Wir haben nicht genügend Räume, um auch Ihre Feier auszurichten. Ihr zukünftiger Ehemann hat sie alle gebucht.“

„Zufällig weiß ich, dass das nicht stimmt.“ Die kleingewachsene Blondine warf Drew einen finsteren Blick zu. „Giles hat nur ein halbes Dutzend Leute dabei. Wenn sie sich ein bisschen zusammenkuscheln, sind noch genügend Zimmer für uns übrig.“

„Haben Sie ihn gefragt, ob ihm das recht ist?“

„Das ist nicht nötig. Giles macht das nichts aus“, sagte sie verstimmt. Sie war eindeutig nicht begeistert darüber, dass das Personal ihre Anweisungen infrage stellte. Gerade waren keine Kameras in der Nähe, und ihre zuckersüße Darstellung, die sie sich normalerweise für das Fernsehen aufhob, wurde durch die glühende Entschlossenheit einer verwöhnten Frau ersetzt, die es gewohnt war, ihren Willen zu bekommen. „Ich hatte gehofft, Sie würden entgegenkommender sein.“

„Nur aus Interesse“, merkte Alexi an, „warum wollen Sie denn Ihre beiden Junggesellenabschiede zusammenlegen? Die Jungs können nicht so richtig über die Stränge schlagen, wenn Damen anwesend sind.“

„Ich will, dass die Kameras beide Feiern festhalten“, antwortete sie knapp. „Es gefällt den Zuschauern bestimmt, wenn sie einen Vergleich ziehen können.“

Ernsthaft!

Drew stimmte Crystabels Forderungen zögernd zu, berechnete aber einen unerhört hohen Preis für das Büfett. Crystabel akzeptierte ihn, ohne mit der Wimper zu zucken. Alexi war völlig klar, dass Drew den Preis per E-Mail bestätigen würde, wovon auch Isobel eine Kopie erhielt.

„Worum ging es denn gerade?“, fragte Cheryl, als Crystabel wieder davontrottete. Ihr Mobiltelefon hielt sie an ihr Ohr gepresst, während sie lautstark jemandem wegen eines Problems ausschimpfte, das vermutlich ihrer Fantasie entsprang.

„Sie will die Kontrolle über die Jungs behalten“, sagte Jack. „Jede Wette, dass sie und ihre Begleiterinnen nicht lange oben bleiben. Sie werden nach unten kommen und sich unter die Jungs mischen, ihr wildes Treiben eindämmen und sicherstellen, dass Crystabel im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht.“

Cheryl seufzte. „Armer Giles.“

„Von wegen ‚armer Giles‘“, entgegnete Alexi forsch. „Wenn er nicht endlich seinen Mann steht, hat er es sich selbst zuzuschreiben, dass ihm alles vorgegeben wird.“

„Er kommt mir nicht vor wie jemand, der sich herumkommandieren lässt“, merkte Jack an. „Nicht dass ich ihn besonders gut kennen würde, aber auf mich wirkt er ziemlich energisch.“

„Vielleicht liebt er Crystabel ja wirklich?“, warf Isobel hoffnungsvoll ein. „Gegensätze ziehen sich an. In meinem Beruf erlebe ich das ständig.“

„Irgendjemand muss sie ja lieben“, murmelte Alexi.

„Ich vermute, dass er es genießt, ein Fernsehstar zu sein. Andernfalls …“ Cheryl schaukelte das Baby in ihren Armen, als ihre Worte verklangen.

„Ich spreche mal mit Marcel über diese Änderung in allerletzter Minute“, sagte Drew und verzog das Gesicht. „Wünscht mir Glück.“

2

„Die haben aber schon gut vorgeglüht“, raunte Jack Alexi zu, als Giles und seine Freunde nach dem Pferderennen im Hotel ankamen. Sie waren übermütig und voller Vorfreude auf die Feier. Das Pferd von Giles’ Vater hatte das Rennen gewonnen, weshalb die Männer in Hochstimmung waren.

„Das wird böse enden“, erwiderte Alexi, wohl wissend, dass die Damen bereits das Gäste-Wohnzimmer im Obergeschoss in Beschlag genommen hatten. „Ich glaube, dass Crystabel Hintergedanken hat. Sie will nicht, dass die Jungs die Kontrolle verlieren.“

„Ha!“ Jack verdrehte die Augen. „Viel Glück damit, sie aufzuhalten. Das ist ein Junggesellenabschied, und darum geht es doch.“

„Ich weiß, aber …“

„Hier unten bei uns kann Cosmo keinen Schaden anrichten.“ In der privaten Küche der Hopgoods nickte Jack dem Kater und dem Hund zu, um seine Aussage zu unterstreichen. „Er kann niemandem in die Knöchel beißen oder anderweitig Unruhe stiften.“

Cosmo, der in Tobys Körbchen lag, blickte auf und miaute empört.

Alexi lachte. „Dieser Kater ist eine richtige Diva.“

„Keine Frage, aber er hat einen guten Charakter.“

„Ich weiß nicht, warum, aber ich habe ein schlechtes Gefühl bei der Sache.“ Sie hielt inne und beobachtete durch das Fenster, wie sich die Männer auf der Terrasse verteilten. Nun hatten sie ihre Anzugjacken und Krawatten abgelegt und hielten Drinks in der Hand. Lautes Gelächter und unflätige Kommentare waren zu hören. Jemand kam mit einem Tablett voller Shots aus der Bar, die die Männer entspannt hinunterkippten. Giles und Simon leerten zusammen mit den anderen ihre Gläser und knallten sie auf den Tisch. Gleich darauf zogen sie sich mit ernsten Blicken zurück. Die anderen schienen es nicht zu bemerken. Jemand schrie „tote Ameisen“, und die ganze Gruppe ließ sich auf den Boden fallen, wobei sie mit den Armen und Beinen wackelten.

„Was machen die da?“, fragte Alexi mit verwirrtem Blick.

Jack zuckte mit den Schultern. „Anscheinend machen sie tote Ameisen nach.“

„Warum?“

„Weil es ein Junggesellenabschied ist. Wer sagt, dass dabei irgendetwas vernünftig ablaufen muss? Dann würde sich ja niemand amüsieren.“

„Tote Ameisen bewegen sich aber nicht.“

Jack lachte. „Hör auf!“

„Ich dachte, das sollte Giles’ letztes Hurra sein“, sagte Alexi und deutete auf einen Kameramann, der die Feier unaufdringlich für die Nachwelt festhielt.

Jack runzelte die Stirn. „Das ist zweifellos ein weiterer Beweis für Crystabels Kontrollsucht.“

„Ich frage mich, worüber sie sich so konzentriert unterhalten“, merkte Alexi an. Ihre journalistische Neugier war geweckt, als sie auf den Bräutigam und seinen Trauzeugen deutete. Sie hatten sich um eine Ecke verdrückt, wodurch sie vor den Blicken der anderen Herren verborgen waren, Alexi und Jack jedoch vom Küchenfenster aus einen ungehinderten Blick auf sie gewährten.

„Vielleicht unternimmt Simon einen letzten Versuch, Giles dazu zu bringen, seine Optionen zu überdenken. Jetzt, wo es fast so weit ist.“

„Solltest du nicht da draußen sein? Sie haben dich schließlich auch eingeladen.“

„Ich hatte gehofft, dass sich niemand mehr daran erinnert.“

„Trotzdem wüsste ich nur zu gern, warum dort eine solche Anspannung herrscht.“ Alexi schlang ihre Arme um Jacks Hals und küsste ihn. „Ich bin mir ganz sicher, dass ich mir das nicht einbilde.“

„Das ist Erpressung!“

Sie ließ ihre Augenlider flattern und brachte ihn dadurch zum Lachen. „Was auch immer dafür notwendig ist.“

Jack verdrehte die Augen. „Was tut man nicht alles.“

„Viel Spaß.“ Alexi runzelte die Stirn. Sie wünschte sich, sie könnte diese düstere Vorahnung einfach abschütteln. „Und lass dich nicht so volllaufen, dass du vergisst, weshalb du hier bist.“

„Hör auf, dir Sorgen zu machen“, beruhigte Jack sie und gab ihr einen Kuss. „Ich weiß, dass du dir Sorgen um den guten Ruf des Hotels machst, aber der Blitz schlägt nicht zweimal am selben Ort ein. Crystabel ist zwar unausstehlich, aber ihr Ziel ist es, gut auszusehen und ihren Bekanntheitsgrad zu steigern, was sich nur positiv auf Hopgood Hall auswirken kann.“

Alexi nickte, war aber noch nicht ganz überzeugt. „Ich verstehe.“

„Ich vermute, dass die Öffentlichkeit gespalten ist, was Crystabel betrifft. Manche lieben sie, andere hassen sie, aber man kann sie unmöglich ignorieren. Das bedeutet, dass die Leute entweder in den höchsten Tönen über die Hochzeit reden oder kein gutes Haar daran lassen. In jedem Fall verschafft es ihr Aufmerksamkeit.“

Alexi lächelte. „Das beschreibt es ganz gut. Jetzt geh schon.“ Sie gab ihm einen kleinen Schubs.

„Zu Befehl.“

***

Jack salutierte kurz vor seiner großen Liebe und schlenderte nach draußen. Er wurde von Schulterklopfen und begeistertem Jubel empfangen, während ihm jemand ein Bier in die Hand drückte. Den Bräutigam hatte er zuvor nur ein paar Mal getroffen, doch sie waren sich auf Anhieb sympathisch gewesen, weshalb Jack schon vor Wochen zu Giles’ Junggesellenabschied eingeladen worden war. Solche Feiern waren wirklich nicht seine Sache, aber er wusste nicht, wie er höflich hätte ablehnen können. Er wollte sich unauffällig davonmachen, bevor die Sache außer Kontrolle geriet, so wie es bei diesen Anlässen immer der Fall war. Bis zu einem gewissen Grad teilte er Alexis Unbehagen über die Situation. Der Bräutigam machte auf ihn den Eindruck, als wäre er zu dieser Hochzeit verdammt, und die Braut hatte eindeutig Hintergedanken. Würde jemand, der mit einem solchen Ehrgeiz sein öffentliches Profil als Influencerin ausbauen wollte, ihre Hochzeit nutzen, um Aufmerksamkeit zu erheischen? Der Gedanke erschien ihm surreal. Jack rief sich wieder ins Gedächtnis, dass Ehen nicht mehr für die Ewigkeit geschlossen wurden. Anscheinend war kaum noch jemand der Ansicht, dass für immer tatsächlich für immer bedeutete. Häufig schien es eher ein Fall von ‚bis dass der Tod oder unüberbrückbare Differenzen uns scheiden‘ zu sein.

Jack verdrehte die Augen bei diesem zynischen Gedankengang. Dennoch kam ihm diese ganze Veranstaltung eher wie eine geschäftliche Vereinbarung als eine Liebesheirat vor. In der Öffentlichkeit zeigte Crystabel Zuneigung zu ihrem gut aussehenden Bräutigam, doch das konnte alles Teil ihrer Vorstellung für die Kameras sein.

Jack hätte nur zu gerne gewusst, was die Frauen geplant hatten, um auf Giles’ Feier aufzutauchen. Er hatte nicht den geringsten Zweifel daran, dass genau das Crystabels Absicht war. Schließlich musste der Junggesellenabschied inszeniert worden sein, genau wie jeder andere Aspekt dieser Vermählung von der Braut penibel überwacht wurde.

„Zweihundert Pfund“, sagte einer der Männer zu Jack und zog einen dicken Stapel Geldscheine aus seiner Tasche, um seiner Aussage Nachdruck zu verleihen. „Kein schlechtes Ergebnis für einen Tag.“

„Überhaupt nicht“, erwiderte Jack und tat interessiert, als ihm wieder einfiel, dass die Männer heute bei einem Pferderennen gewesen waren.

Die anderen scharten sich um sie und gaben ebenfalls mit ihren Gewinnen an. Gleich darauf zogen sie diejenigen unter ihnen auf, die nicht die Voraussicht gehabt hatten, auf den Sieger zu setzen. Jack schlich sich davon, in dem Wissen, dass Giles und Simon immer noch nicht zurück waren. Er überließ die Herren ihrem Geprahle und stellte sich hinter eine große Topfpflanze am Rand der Terrasse, wo der Bräutigam und sein Trauzeuge gerade in eine hitzige Diskussion vertieft waren. Sie konnten Jack nicht sehen, aber er hörte jedes ihrer Worte.

Nun, als er durch das Laub der Pflanze spähte, hatte er klare Sicht auf die beiden. Der mürrische Bräutigam war sichtlich angespannt und krümmte sich regelrecht zusammen. Etwas stimmte hier nicht, da war Jack sich vollkommen sicher, doch es ging ihn nichts an. Wenn sich dieser Mann wirklich an Crystabel binden wollte, wünschte er ihm viel Glück. Alexi sorgte sich jedoch um den guten Ruf des Hotels, und Jack hätte so ziemlich alles getan, um ihre Anspannung zu lindern. Außerdem war seine Neugier geweckt. Einmal Detective …

„Sag’s ihr!“ Simon sprach leise und eindringlich. „Es ist noch nicht zu spät.“

„Das kann ich nicht, Mann.“ Giles schüttelte den Kopf. „Ich muss das jetzt durchziehen.“

„Nenn mich altmodisch, aber solltest du nicht verrückt vor Liebe sein, um auch nur über eine Heirat nachzudenken? Du machst auf mich nicht gerade den Eindruck, als wärst du ihr völlig verfallen.“

„Du weißt genau, dass es darum nicht geht.“ Giles trat gegen einen losen Stein. „Ich kann sie nicht so demütigen, nur weil ich …“

„Weil du endlich einmal deinem Herzen folgen willst? Von wegen Demütigung.“

„Das verstehst du nicht.“

„Ich verstehe es nur zu gut. Vergiss nicht, ich war vor dir mit Crystabel zusammen. Wenn sie ihre Krallen einmal in einen Kerl geschlagen hat, frisst sie ihn bei lebendigem Leib, wenn er sie lässt. Ehrlich, Mann, diese Frau liebt nur sich selbst.“

„Du bist immerhin ungeschoren davongekommen.“

„Gerade mal so, und das auch nur, weil sie sich dir zugewandt hat. Dadurch konnte sie es so aussehen lassen, als wäre unsere Trennung ihre Entscheidung gewesen. Mir war das egal, solange ich ihr entrinnen konnte.“

„Nach allem, was in diesem Urlaub passiert ist, verstehe ich nicht, wie du …“

„Reden wir nicht darüber. Wir sind doch übereingekommen, die Sache nie mehr zu erwähnen.“ Simon stieß einen langen Atemzug aus. „Was meinst du, warum sie ihren Junggesellinnenabschied hierher verlegt hat?“

Ein Ausbruch von lautem Gelächter auf der Terrasse übertönte kurzzeitig ihr Gespräch.

„Ich glaube, das Lokal, in das sie gehen wollten, war ausgebucht“, sagte Giles vage. „Crystabel hat mir eine Nachricht geschickt. Ich habe sie nicht weiter beachtet.“

„Unsinn! Kein Restaurant der Welt würde eine solche Gelegenheit ausschlagen, sich in der allgemeinen Aufmerksamkeit zu sonnen. Crystabel ist sehr bekannt und wird auf Schritt und Tritt von den Kameras verfolgt. Falls sie ausgebucht wären, hätten sie garantiert nicht sie abgewiesen.“

Giles zuckte mit den Schultern. „Es ist keine große Sache.“

„Aber ein weiteres Beispiel dafür, wie sehr sie dich kontrollieren will, Giles. Wach endlich auf, Mann!“

„Wir wissen beide, warum ich das tun muss“, sagte er so leise, dass Jack seine Worte kaum hören konnte. „Es gibt keinen Ausweg, also hör auf, dich darüber aufzuregen. Das ist nicht hilfreich.“

„Es gibt immer einen Ausweg“, erwiderte Simon mit Überzeugung in der Stimme. „Stell sie bloß.“

„Kommt schon, Jungs!“

Giles und Simon folgten der Aufforderung und kehrten wieder auf die Terrasse zurück. Jack wartete einen Augenblick und dachte darüber nach, was er gerade gehört hatte. Dann folgte er den beiden. Es sollte ihm nichts ausmachen – Giles war erwachsen und konnte tun und lassen, was er wollte –, doch die Tatsache, dass er gezwungenermaßen die schreckliche Crystabel heiratete, beschäftigte ihn mehr, als es sollte.

Es beschäftigte ihn sehr.

Während der nächsten Stunde machte Jack bei den Trinkspielen mit, doch die anderen waren bereits zu benebelt, um zu bemerken, dass er selbst nur wenig trank.

Mehrere Kellner erschienen mit voll beladenen Tabletts und bauten das Büfett auf. Dabei wurden sie von Anton Heston angeleitet, der einen weißen Kochkittel trug und seine Dreadlocks ordentlich zusammengebunden hatte. Anton hatte an der Kochshow teilgenommen, die im letzten Winter auf Hopgood Hall gedreht worden war. Kurzzeitig war auch er in den Verdacht geraten, seine Konkurrentin ermordet zu haben.

Der Mann aus Trinidad hatte sich im Gesamtwettbewerb den zweiten Platz gesichert und dadurch einen Jahresvertrag in Marcels Küche ergattert. Anton vergötterte Marcel und nahm alles, was er ihm beibrachte, wie ein Schwamm auf. Doch anders als der unberechenbare Marcel war Anton sehr gelassen. Jack hatte ihn noch nie gestresst erlebt. Alexi vermutete wiederum, dass ihre unterschiedlichen Temperamente sich perfekt ergänzten. Jetzt, wo das Hotelrestaurant voll ausgelastet war, hoffte sie, dass Anton zustimmen würde, dauerhaft an Marcels Seite zu arbeiten, statt auf eigene Faust ein Lokal zu eröffnen.

Die Männer stürzten sich auf das Essen. Dabei erweckten sie den Eindruck, als hätten sie seit einer Woche nichts mehr zu sich genommen. Jack hielt sich im Hintergrund. Er fragte sich, ob er unbemerkt verschwinden und sich wieder Alexi und Cosmo in der Küche anschließen konnte. Bevor er den Rückzug antreten konnte, ertönte lautes Lachen von einer Gruppe Frauen, die das Eintreffen der Damen ankündigte. Die Gruppe wurde von Crystabel angeführt, deren tyrannische Mutter Gloria an ihrer Seite war. Der allgegenwärtige Kameramann zeichnete jede ihrer Bewegungen auf.

Jack blieb stehen und beobachtete den entsetzten Ausdruck auf Giles’ Gesicht. Warum er so entsetzt war, vermochte Jack nicht zu sagen. Selbst der dümmste Mensch der Welt hätte das Unvermeidliche vorhersehen müssen.

„Was zum Teufel …?“ Giles sah aus wie das Kaninchen vor der Schlange.

„Hallo, Liebling.“ Crystabel gab ihm einen kleinen Kuss auf die Wange, doch Jack fiel auf, dass sie dabei Simon mit ihren hungrigen Blicken fixierte. Sofern er nicht gerade seinen Verstand verlor, war die Braut immer noch in den Trauzeugen ihres künftigen Ehemannes verliebt; einen Mann, der ihre Zuneigung eindeutig nicht erwiderte. „Es macht dir doch nichts aus, wenn wir zu euch kommen, oder?“

„Ehrlich gesagt schon.“ Simon sprach die Worte laut aus, wobei er ein wenig lallte, und die Kamera richtete sich auf ihn. „Hier dürfen nur Männer rein.“

„Dich habe ich nicht gefragt“, schnappte Crystabel.

„Bitte geht. Ihr verderbt uns den ganzen Spaß.“ Giles sprach mit ruhiger Autorität, wobei er seine Verlobte vielleicht zum ersten Mal überhaupt offen herausforderte. Der erstaunte Blick, den Crystabel ihrer Mutter zuwarf, ließ jedenfalls darauf schließen. Ihre Kinnlade klappte herunter, und sie war eindeutig sprachlos.

Aber dieser Zustand hielt nicht lange an.

„Liebling, sei nicht dumm.“ Sie lachte und tat Giles’ Bemerkung als Scherz ab, was sie jedoch nicht war. „Wir sind im 21. Jahrhundert angekommen. Es herrscht Gleichberechtigung. Geschlechtertrennung ist wirklich altmodisch. Benehmt euch so schlecht, wie ihr wollt. Spielt eure Spiele. Wir sitzen einfach nur auf der Terrasse und genießen die letzten Augenblicke dieses wunderschönen Tages. Ihr werdet nicht einmal bemerken, dass wir da sind.“

Die Kamera wurde im Hintergrund herumgefahren, doch Jack war sich darüber im Klaren, dass die Zuschauer dieses Wortgefecht niemals zu Gesicht bekommen würden.

Giles sah Crystabel teilnahmslos an. „Entweder ihr geht, oder wir“, sagte er leise.

„Geht! Geht! Geht!“ Die berauschten Männer stimmten in den Sprechgesang ein.

Die Kamera wirbelte weiter herum. Ein paar der Herren, die noch nicht allzu betrunken waren, nahmen den Vorfall mit ihren Mobiltelefonen auf, während sie Giles lautstark unterstützten. Crystabel bemerkte es auch, weshalb sie ihren Verlobten nicht weiter bedrängte. Filmaufnahmen, die sie nicht kontrollieren konnte, waren ihr ein Gräuel.

„Kommt schon, Ladys“, sagte sie mit einem kurzen, schrillen Lachen. „Wir wissen, wenn wir unerwünscht sind.“

„Bist du dir da sicher?“, hörte Jack Simon leise murmeln.

Riesiger Jubel brandete auf, als die Damen auf ihren hohen Absätzen mit so viel Würde, wie sie nur aufbringen konnten, die Terrasse verließen. An der Terrassentür hielt Crystabel kurz inne und warf einen Blick über ihre Schulter. Aus ihren Augen schossen Blitze.

In Simons Richtung.

***

Alexi und Cheryl beobachteten die Ereignisse vom Küchenfenster aus. Am liebsten hätte Alexi in den Jubel eingestimmt, als die Braut dieses Scharmützel verlor. Zum ersten Mal überhaupt war sie Zeugin davon geworden, dass Crystabel es nicht geschafft hatte, ihren Willen durchzusetzen. Nie zuvor hatte sie es erlebt, dass dieser Frau etwas verwehrt blieb.

„Na gut“, murmelte sie. „Es sieht ganz so aus, als ob Giles doch ein Rückgrat hätte.“

„Das ist zu wenig und kommt viel zu spät“, antwortete Cheryl. „Sie lässt ihn bestimmt dafür bezahlen, dass er sie öffentlich herausgefordert hat. Hast du ihr Gesicht gesehen? Zornig beschreibt es nicht mal annähernd. Und ihre Mutter war genauso wütend. Sie wollte vortreten und Druck machen, aber Crystabel hat sie zurückgehalten.“

„Sie weiß, dass sie zu weit gegangen ist.“

„Es gibt immer ein erstes Mal.“

„Erinnere mich daran, niemals zu heiraten“, sagte Alexi und ging schaudernd vom Fenster weg.

„Komm und setz dich. Wir essen hier etwas. So können wir uns von den marodierenden Jungs fernhalten.“

Drew kam wie gerufen und schleppte ein volles Tablett in den Raum. „Da draußen geht es zu wie im Tollhaus“, sagte er schaudernd. „Wie können sechs Männer …?“

„Sieben“, verbesserte ihn Alexi. „Jack feiert auch mit.“

„Na schön, sieben. Wie können sieben Männer das ganze Hotel in Beschlag nehmen?“

„Nur die Bar und die Terrasse“, korrigierte ihn Cheryl. „Aber wir haben auch noch Gäste im Restaurant, und Giles bezahlt uns ausgesprochen gut. Vergiss das nicht.“

„Glaub mir, das tue ich nicht.“

Er stellte das Essen auf dem Tisch ab und bedeutete den Damen, sich zu bedienen. Cosmo setzte sich in Bewegung und stolzierte zu Alexi hinüber, schlang sich um ihre Beine und zeigte großes Interesse am Serviervorgang.

Nachdem sie zu Abend gegessen hatten, kümmerten Cheryl und Drew sich um Verity. Alexi blieb allein und ratlos zurück. Sie überlegte, in ihr Cottage zurückzufahren, verwarf diesen Gedanken aber schnell wieder. Jack würde sie begleiten wollen. Außerdem war sie nicht in einem Zustand, um Auto zu fahren, weshalb sie ohnehin auf ihn warten musste.

Aus einem spontanen Bauchgefühl heraus machte sie sich auf den Weg ins Obergeschoss. Sie war gespannt darauf, wie Crystabel ihren unerwarteten Rauswurf überspielen würde. Alexi hatte das Gefühl, dass sie selbst vor ihren engsten Freundinnen das Gesicht wahren wollte. Nicht dass Crystabel wirkliche Freundinnen gehabt hätte, überlegte Alexi. Ihre Brautjungfern schien sie ausgewählt zu haben, weil sie entweder mit ihr verwandt oder ihre Arbeitskolleginnen waren, und Alexi hatte zwischen ihnen keinerlei vertraute Gespräche bemerkt.

Der Klang gedämpfter Stimmen drang aus dem Gäste-Wohnzimmer. Alexi warf einen Blick in den Raum, aber Crystabel war nicht bei ihren Brautjungfern. Auch vom Kameramann fehlte jede Spur.

Bevor jemand ihre Anwesenheit bemerkte, zog sie sich zurück und ging weiter den Korridor entlang. Crystabel bewohnte das beste Zimmer im Hotel. Natürlich, dachte Alexi und verdrehte die Augen. Es war dasselbe Zimmer, das Drew Alexi bei ihrem ersten Besuch in Lambourn gegeben hatte. Damals war sie gerade beim Sentinel entlassen worden und dankbar für die Unterstützung ihrer Freunde, die sie viel zu lange vernachlässigt hatte. Doch in ihrer Stunde der Not hatten die beiden Alexi trotz jahrelanger Funkstille großzügig aufgenommen. Das war eine demütigende Erfahrung gewesen. In Lambourn hatte Alexi sich praktisch auf Anhieb zu Hause gefühlt und sich trotz der beiden Mordfälle hier niedergelassen.

Das war eine gute Entscheidung gewesen.

Die Tür zu Crystabels Zimmer war halb offen, und sie hörte die schrille, wütende Stimme der Braut. Was sie nicht erwartet hatte, war Simon, der ihr mit seiner tiefen Stimme ruhig antwortete.

„Du brauchst mir nichts vorzuspielen“, sagte er. „Hier gibt es keine Kameras.“

„Mit deinem Abgang hast du jedes Recht verwirkt, mir Vorschriften zu machen“, entgegnete Crystabel giftig.

Alexi blinzelte, als sie sich an die Wand drückte. Crystabels Feindseligkeit schockierte sie zutiefst. Sie hoffte, dass niemand aus den angrenzenden Zimmern kam und sie beim Lauschen erwischte. Dieses Risiko würde sie jedoch eingehen, beschloss Alexi. Falls Crystabel und Simon keine Zuhörer wünschten, hätten sie zumindest die Tür schließen und ihre Stimmen senken sollen. Die Journalistin in Alexi war sich vollkommen sicher, dass sie hier einer Story auf der Spur war. Nicht dass sie die jemals veröffentlichen würde. Das wäre etwas für die Klatschspalten, und solche Artikel betrachtete Alexi als unter ihrer Würde.

Folglich war Crystabel immer noch verletzt über die Zurückweisung des Mannes, den sie ihrem Bräutigam offenbar vorzog, und wollte nun aus Trotz seinen besten Freund heiraten. Kein Wunder, dass diese Promi-Hochzeit auf Alexi wie gestellt wirkte. Aber warum Giles dabei mitspielte, war ihr ein Rätsel. Er kam ihr nicht vor, als wäre er Hals über Kopf in Crystabel verliebt. Doch vielleicht hatte er andere Gründe, die weniger offensichtlich waren als die seiner Braut.

„Komm darüber hinweg“, erwiderte Simon mit ruhiger, aber spöttischer Stimme. „Es sollte mich wahrscheinlich nicht überraschen, dass du dich an Giles herangemacht hast. Was mich aber überrascht, ist, dass mein Freund dein Spiel nicht durchschaut.“

„Welches Spiel? Ich liebe ihn!“, kreischte sie. „Und du bist irrwitzig eifersüchtig. Du kannst es einfach nicht ertragen, mich glücklich zu sehen.“

„Ehrlich gesagt will ich dich überhaupt nicht sehen. Aber ich sorge mich um meinen Freund, denn du wirst ihn komplett entmannen. Giles will kein Prominenter sein und die ganze Zeit von Kameras verfolgt werden. Er ist nicht so besessen von sich selbst.“

„Aber ich schon?“

Simon gluckste, doch Alexi konnte in dem Geräusch keine Spur von Humor ausmachen. „Wenn der Deckel auf den Topf passt …“

„Ich habe eine erfolgreiche Karriere. Giles bereitet sich darauf vor, den Hof seines Vaters zu übernehmen. Wir haben beide unser eigenes Leben und werden deshalb eine glückliche Ehe führen.“

Simon prustete los. „Mit dir in London und ihm hier? Na ja, wenn er dich nicht zu oft sieht, hat eure Ehe vielleicht eine geringe Chance auf Erfolg.“

„Wir werden viel Zeit miteinander verbringen. Außerdem haben wir gemeinsame Pläne. Er wird mir dabei helfen, meine Karriere auf die nächste Stufe zu heben.“

„Dir? Hier, wo es mehr Pferde als Menschen gibt? Mit deinen Designer-Gummistiefeln? Du wirst vor Langeweile sterben.“ Eisiges Schweigen breitete sich im Raum aus, bevor Simon erneut zu sprechen anfing. „Hast du deine Pläne eigentlich mal mit Giles besprochen, oder nimmst du einfach an, dass er sich deinen Wünschen fügt? Falls ja, wirst du eine Enttäuschung erleben. Rennpferde auszubilden, ist ein Vollzeitjob. Giles wird keine Zeit haben, dir auf irgendwelchen roten Teppichen hinterherzulaufen. Außerdem hasst er das Stadtleben genauso sehr wie du die Ruhe auf dem Land. So viel weißt du doch sicher über den Mann, mit dem du die nächsten paar Monate deines Lebens verbringen willst?“

„Die nächsten paar Monate?“, kreischte sie. „Das ist ein Versprechen für das ganze Leben.“

Simon schnaubte verächtlich. „Ich gebe euch höchstens ein Jahr.“

„Du sagst, dass du unsere Trennung nicht bereust, aber ich weiß es besser.“ Alexi war nicht überrascht, dass Crystabel das Thema wechselte. Auf diese Weise konnte sie sich selbst wieder ins Rampenlicht rücken. „Wenn du keine Gefühle für mich hättest, würdest du dich nicht so darüber aufregen, dass ich einen anderen heirate.“

„Mir war schon vor unserem Urlaub klar, dass unsere Ehe in einer Katastrophe enden würde. Ich hatte vor, in Griechenland mit dir darüber zu sprechen, aber dann …“

Mist, jetzt waren beide verstummt. Was auch immer in Griechenland vorgefallen war, hatte offenbar weitreichende Folgen gehabt, doch keiner von ihnen ging näher darauf ein.

„Das sagst du doch nur, um das Gesicht zu wahren.“ Crystabels verdrießliche Stimme durchbrach die Stille, die mit Anschuldigungen aufgeladen war.

„Glaub, was du willst, aber ich sage dir eins: Ich habe nur zugestimmt, Giles’ Trauzeuge zu sein, weil er mich darum gebeten hat – nicht, weil ich in deiner Nähe sein will. Und wenn du dieses Schmierentheater wirklich durchziehst, brauchst du nicht zu glauben, dass ich irgendetwas mit dir zu tun haben will.“ Er hielt inne. „Wir wissen beide, dass Giles der Hochzeit nur zugestimmt hat, weil er sich schuldig fühlt.“

„Unsinn!“

„Hat er dir einen Antrag gemacht?“ Simons Stimme hatte einen höhnischen Unterton angenommen.

„Das war … eine gemeinsame Entscheidung.“

„Du hast ihm den Antrag gemacht.“ Alexi spähte durch den Türspalt und sah, wie Simon, der mit dem Rücken zu ihr stand, den Kopf schüttelte. „Du hast ihn in einem schwachen Moment erwischt, ihm geschmeichelt, seine Unsicherheiten ausgenutzt, und dann kam diese lächerliche Hochzeitssache ins Rollen, ohne dass ihm bewusst war, worauf er sich einlässt. Jetzt hat er das Gefühl, in der Falle zu sitzen, was kein Wunder ist.“

„Schau, Giles ist erwachsen. Falls er mich nicht heiraten will, sollte er es mir selbst sagen, anstatt seinen Lakaien die Drecksarbeit machen zu lassen.“

Simon gluckste. „Gut, gut. Zumindest siehst du ein, dass du nicht unwiderstehlich bist. Ich hätte nie gedacht, dass ich diesen Tag noch erlebe.“

„Verschwinde einfach.“ Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Ich dachte, du und ich … aber anscheinend lag ich falsch.“

Alexi schlüpfte eilig in einen der angrenzenden Räume. Nur wenige Sekunden später verließ Simon mit zornigem Gesichtsausdruck Crystabels Zimmer.

Bevor sie in die Küche zurückkehren konnte, sah sie Gloria aus dem Gäste-Wohnzimmer kommen und an Crystabels Tür klopfen.

„Ah, da bist du ja“, sagte sie. „War das gerade Simon? Was hat er zu dir gesagt, Liebes? Du wirkst aufgeregt. Lass dich nicht von ihm ärgern. Was er sagt, ist nicht wichtig. Halte dich einfach von ihm fern.“

Alexi wollte nur zu gerne erfahren, was die anderen Frauen zu sagen hatten, wenn die Braut und ihre Mutter nicht in der Nähe waren. Sie schloss sich den Brautjungfern im Gäste-Wohnzimmer an.

„Ladys“, sagte sie, „brauchen Sie etwas?“

Die vier Brautjungfern – zwei Cousinen und zwei Arbeitskolleginnen Crystabels, alle bedeutend weniger glanzvoll als die Braut – blickten lächelnd auf.

„Wir genießen die Auszeit“, sagte Jenny, eine von Crystabels Cousinen, mit einem verschmitzten Lächeln.

„Das kann man Ihnen nicht verübeln“, erwiderte Alexi und ließ sich auf einen freien Stuhl fallen. „Crystabel und ihre Mutter können ganz schön anstrengend sein.“

Die Damen nickten einvernehmlich, und die Anspannung wich aus dem Raum.

„Um ehrlich zu sein“, sagte Abby, eine von Crystabels Kolleginnen, „muss man als Frau in unserem Beruf willensstark sein. Sonst trampeln alle auf einem herum.“

„Inzwischen haben sich die Dinge doch sicherlich geändert“, merkte Alexi an. „Obwohl ich zugeben muss, dass der Sentinel ziemlich männerdominiert war, als ich dort angefangen habe. Inzwischen ist das natürlich anders, aber ich hatte immer das Gefühl, dass ich viel härter arbeiten musste als meine männlichen Kollegen, um Anerkennung zu bekommen.“

„Es gibt Willensstärke“, sagte Claire, die andere Cousine, „und dann gibt es noch Crystabel. Fünf Jahre lang hatten wir uns nicht gesehen. Ich wäre fast in Ohnmacht gefallen, als sie mich aus heiterem Himmel anrief und mich fragte … nein, mir sagte, dass ich ihre Brautjungfer sein würde.“

„Sie hätten Nein sagen können.“

Claire lachte. „Wohl kaum. Crystabel bekommt immer, was sie will. Das war schon so, als wir noch Kinder waren. Alles musste nach ihren Vorstellungen ablaufen. Aber jetzt heiratet sie, also besteht immerhin die Möglichkeit, dass sie dadurch reifer wird und endlich aufhört, immer nur an sich selbst zu denken.“

Alle im Raum starrten Claire an.

„Na ja, das könnte doch sein“, protestierte sie.

„Und ich könnte im Lotto gewinnen“, erwiderte Jenny.

„Du kennst Giles besser als wir, Nicola“, warf Abby ein. „Wie ist er denn so?“

„Woher kennen Sie ihn?“, fragte Alexi im selben Moment. „Nur aus Interesse.“ Es überraschte sie, dass die Damen in ihrer Gegenwart so offen redeten.

„Mein Papa hat ein Rennpferd im Stall von Giles’ Vater stehen. Ich gehe seit Jahren dorthin.“

„Und du hast sie bei diesem berüchtigten Urlaub in Griechenland begleitet, Jenny.“ Jenny wandte sich Alexi zu. Ihr Gesicht war eine unleserliche Maske. „Als sie abreisten, war Crystabel mit Simon verlobt, dem sexy Trauzeugen. Bei ihrer Rückkehr hatten sie die Verlobung gelöst. Crystabel hat mir nie erzählt, warum.“

„Sie war deswegen sehr niedergeschlagen“, erklärte Claire. „Wenn ihr mich fragt, hat sie immer noch Gefühle für ihn, aber Simon ist das egal.“

„Wahrscheinlich kommt sie deshalb nicht von ihm los“, sagte Jenny bissig. „Niemand verlässt Crystabel.“

Alexi wollte Jenny noch fragen, was in Griechenland passiert war, vermutete jedoch, dass sie nichts darüber erfahren würde – insbesondere, wenn Zuhörer anwesend waren. Obwohl die anderen Brautjungfern keinen allzu neugierigen Eindruck auf sie machten, erschien es Alexi unwahrscheinlich, dass sie irgendetwas über diesen geheimnisumwobenen Vorfall wussten. Einen Vorfall, der langfristige Folgen für alle Beteiligten hatte.

Sie hörte Crystabel und ihre Mutter miteinander reden, als sie in das Gäste-Wohnzimmer zurückkamen.

„Na dann, Ladys … holen wir den Champagner“, sagte Claire seufzend und setzte ein falsches Lächeln auf, als sie nach der Flasche im Kühler griff. „Unsere Auszeit ist vorbei. Zeit für Spiele.“

Alexi ging die Treppe hinunter und machte sich auf den Rückweg in die Küche.

„Leichtgewicht“, sagte sie, als sie Jack dort vorfand, der lobenswert nüchtern war.

„Man kann sich auch zu viel des Guten gönnen“, erwiderte er und zwinkerte ihr zu.

3

„Hast du etwas Interessantes herausgefunden?“, fragte Alexi, als sie sich an den Tisch setzte. „Ich habe gesehen, wie du den Bräutigam und seinen Trauzeugen belauscht hast. Das Gespräch hat auf mich ziemlich hitzig gewirkt. Mein Schnüffler-Instinkt färbt wohl auf dich ab.“

„Dir entgeht auch gar nichts.“ Jack lächelte sie an. „Aber vergiss nicht, dass ich selbst ein professioneller Schnüffler bin. Das gehört einfach dazu.“

„Hier gibt es mehr Streit als Party.“ Alexi machte eine Kopfbewegung zur Terrasse, die nun von vielen hübschen Lampen erleuchtet war, die bei Sonnenuntergang angeschaltet worden waren. Die Lautstärke hatte sich um mehrere Dezibel erhöht. „Giles’ Vater und ein paar seiner engsten Freunde sind gerade angekommen.“

Jack ging zu Alexi, die ans Küchenfenster getreten war. „Vater und Sohn haben richtig Zoff miteinander, wie es scheint“, schlussfolgerte Jack. Die beiden Männer standen genau am selben Ort wie zuvor Giles und Simon. Beide gestikulierten dramatisch mit ihren Händen in der Luft, um ihrem jeweiligen Standpunkt Nachdruck zu verleihen.

„Da draußen herrscht eine gewaltige Anspannung“, sagte Alexi seufzend. Sie erzählte Jack, was sie von den Damen im Obergeschoss erfahren hatte. Auch das Gespräch zwischen Crystabel und Simon, das sie belauscht hatte, fasste sie für ihn zusammen. „Ich frage mich, was damals in Griechenland vorgefallen ist.“

„Wollen wir hoffen, dass wir es niemals herausfinden“, erwiderte Jack. „Es muss etwas von erheblicher Bedeutung gewesen sein, wenn Crystabel und Simon dort ihre Verlobung gelöst haben.“

Alexi nickte. „Ich habe den Eindruck, dass es zwischen ihnen viele ungelöste Probleme gibt. Das geht uns zwar nichts an, aber es ist offensichtlich, dass die Sache auf ein paar Leute hier großen Einfluss hat.“

„Ganz genau.“ Jack ging vom Fenster weg. „Hochzeiten sind einer der stressigsten Anlässe im Leben eines Menschen, zusammen mit Weihnachten, Umzügen und Familienferien. Hast du das gewusst?“

„Das habe ich.“

Jack lächelte. „Sag nichts. Du hast mal einen Artikel darüber geschrieben.“

Alexi erwiderte sein Lächeln. „Nein, aber jemand, den ich kenne.“

Ein Ausbruch von lautem Gelächter auf der Terrasse nahm ihre Aufmerksamkeit in Beschlag. Ein weiteres Trinkspiel war gerade in vollem Gange.

„Langsam ist da draußen richtig was los“, sagte Jack. „Willst du hierbleiben, oder sollen wir zum Cottage zurückfahren?“

„Ich habe versprochen, für eine Weile die Stellung zu halten. Verity hat anscheinend leichtes Fieber, und Drew und Cheryl denken jetzt natürlich, sie stünde an der Schwelle des Todes.“

„Dann hoffe ich, dass es ihr bald wieder besser geht.“

„Da bin ich mir ganz sicher. Ich glaube, dass sie online einen Arzt konsultiert haben. Jedenfalls weichen die beiden Verity nicht von der Seite, also habe ich zugestimmt, noch zu bleiben. Nur für den Fall, dass jemand mit Weisungsbefugnis zwischen den Herren da draußen und den Damen oben vermitteln muss.“

„Meine Güte. Du bist aber tapfer.“

„Crystabel jagt mir keine Angst ein.“ Alexi grinste. „Na ja, zumindest nicht allzu viel!“

„Ich finde es interessant, dass du glaubst, ausgerechnet Crystabel könnte Ärger machen, trotz dieses wilden Haufens da draußen“, sagte Jack und deutete auf die jungen Männer, die auf der Terrasse herumstolperten.

Alexi zuckte nur mit den Schultern. „Jungs sind eben Jungs, wie Drew schon gesagt hat. Im Grunde sind sie harmlos.“

„Aber hallo.“ Jack hob ruckartig seinen Kopf. „Simon beteiligt sich jetzt auch an der Auseinandersetzung.“

Alexi folgte seinem Blick. „Da würde ich nur zu gerne Mäuschen spielen“, stieß sie frustriert hervor. „Das ist die Journalistin in mir. Ich komme einfach nicht dagegen an. Hinter dieser Sache steckt eine Story, ich weiß es einfach. Warum sonst würden sie so hitzig miteinander diskutieren? Sie glauben anscheinend, dass niemand sie sehen kann. An dieses Fenster hier haben sie wohl nicht gedacht.“ Alexi wippte mit dem Fuß, als sie das fragliche Fenster öffnete. „Mist! Es ist einfach zu laut hier. Der Lärm übertönt ihre Stimmen.“

„Langsam habe ich den Eindruck, dass alle von Giles’ engsten Freunden und Verwandten gegen seine Hochzeit mit Crystabel sind.“

„Das scheint auf so ziemlich jeden hier zuzutreffen. Giles ist der Einzige, der diese Hochzeit will.“

Jack zuckte mit den Schultern. „Er ist ein großer Junge und kann seine eigenen Entscheidungen treffen.“

„Ich weiß nicht. Crystabel scheint ihn völlig zu dominieren. Wer weiß? Vielleicht möchte er lieber im Rampenlicht stehen, als sein Leben mit der Ausbildung von temperamentvollen Rennpferden zu verbringen. Alles ist möglich. Aber lass dir eins gesagt sein – die Damen bestehen genauso eisern darauf wie die Herren, dass diese Ehe nicht lange halten wird. Tatsächlich denken sie, die Hochzeit sollte überhaupt nicht stattfinden.“

„Niemand außer dem Brautpaar scheint der Ansicht zu sein, dass diese Hochzeit stattfinden sollte, aber es ist ihr Leben. Wer sind wir, um über sie zu urteilen?“

„Auch wieder wahr. Übrigens, hast du schon gegessen?“, fragte Alexi.

„Nein. Und du?“

„Ich bin auch am Verhungern. Mal sehen, ob ich Anton dazu bringen kann, uns etwas zuzubereiten.“

„Für dich tut der Junge alles. Ich bekomme langsam das Gefühl, dass ich einen Rivalen habe. Muss ich mir Sorgen machen?“

Alexi grinste ihn über ihre Schulter an, als sie die Küche verließ. „Unbedingt.“ Sie zwinkerte ihm zu, als sie die Eingangshalle durchquerte.

Die jungen Männer hatten sowohl die Bar als auch die dahinterliegende Terrasse in Beschlag genommen. Ihre Zahl hatte sich zwischenzeitlich beträchtlich vergrößert und schloss nun die meisten Mitarbeiter von Giles’ Vater sowie ein paar Leute aus der Gegend ein, die Alexi von ihren Besuchen in der Bar kannte. Der Lärm war ohrenbetäubend, genauso wie die Musik, die aus den Lautsprechern hinter der Bar dröhnte.

Sie blickte zur Treppe hinüber. Einige der Damen kamen herunter, mit Crystabel in ihrer Mitte. Mit ihren Blicken hätte sie töten können, und sie schien weit davon entfernt, glücklich zu sein; vermutlich, weil sie nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand. Bezeichnenderweise war der sonst so omnipräsente Kameramann nirgends zu sehen. Es ließ sich nicht vermeiden, dass einige der Herren auf halber Treppe mit den Damen zusammentrafen. Sie tanzten etwas unsicher auf den Stufen, und es schien sich eine Privatparty zu bilden. Crystabel sah mit missgünstiger Miene und verschränkten Armen zu. Ungeduldig wippte sie mit dem Fuß. Niemand hatte sie zum Tanz aufgefordert, und von ihrem Zukünftigen fehlte jede Spur.

Alexi ging den abgesperrten Korridor hinter der Bar entlang, der zur Restaurantküche führte. In Kürze würde die Küche schließen, doch wie Jack vorausgesehen hatte, war Anton gerne bereit, etwas für die beiden zuzubereiten. Er versprach, die Speisen zügig in Cheryls private Küche zu bringen.

Alexi machte sich auf den Rückweg, hielt jedoch inne, als sie gedämpfte Stimmen aus einer Nische unter der Treppe vernahm. Ein Mann und eine Frau. Man musste kein Genie sein, um zu begreifen, was sie dort taten. Im ersten Augenblick wollte Alexi die beiden darauf hinweisen, dass dieser Bereich für die Hotelgäste gesperrt war; doch die Journalistin in ihr musste unbedingt wissen, wer von der Hochzeitsgesellschaft sich danebenbenahm.

Sie spähte in die Nische und kam sich dabei wie ein Voyeur vor. Irgendwie schaffte sie es, ein Keuchen zu unterdrücken, als sie das eng umschlungene Paar erkannte. Die beiden nahmen ihre Anwesenheit nicht einmal wahr.

Dort stand Giles mit Crystabels Cousine Jenny.

***

Jack lächelte Alexi an, als sie in die Küche zurückkehrte. „Auftrag erfüllt, da bin ich mir ganz sicher.“

„Vergiss das Abendessen“, erwiderte Alexi atemlos und voller Sorge. „Rate mal, was ich gerade gesehen habe.“

„Keine Ahnung“, erwiderte er bedächtig. „Gib mir einen Tipp.“

Jack, der in seinen Jahren als Detective praktisch alles gesehen und gehört hatte, war genauso schockiert wie Alexi, als sie ihm ihre Beobachtungen schilderte. „Was zum Teufel …?“

„Du sagst es.“ Alexi ließ sich auf einen Stuhl fallen und ignorierte ausnahmsweise Cosmo, der zu ihr hinüberstolziert war und sich an ihre Beine schmiegte. Der Kater schien instinktiv zu wissen, wann es etwas zu essen gab. „Das gibt Ärger. Ich spüre es. Ich hoffe nur, dass nichts passiert, was ein schlechtes Licht auf das Hotel werfen könnte. Einen weiteren Skandal würden wir nicht überleben.“

„Oh, ich weiß nicht.“ Jack beugte sich hinunter, um Cosmo aufzuheben, und drückte den schnurrenden Kater sanft an seine Schulter. „Ich will ja nicht grausam sein, aber der Mord während des Kochwettbewerbs hat das Geschäft geradezu beflügelt.“

„Jack!“ Alexi hob ihren Kopf.

Er gluckste. „Tut mir leid, Liebling, aber das ist die reine Wahrheit.“

Alexi schenkte ihm ein reumütiges Lächeln und nickte halbherzig. „Na ja, Streitigkeiten kommen wohl bei jeder Hochzeit vor. Aber dass der Bräutigam und die Trauzeugin etwas am Laufen haben … Da bin ich mir nicht so sicher.“

„Vielleicht war es ein betrunkener Flirt?“

Alexi schüttelte den Kopf. „Ich bin nicht allzu lange geblieben, aber das glaube ich nicht. Ich hatte den Eindruck, dass es mehr als das war.“

Anton drückte mit seinem Rücken die Küchentür auf und marschierte mit einem vollen Tablett in den Raum. Der Duft ließ Jack das Wasser im Mund zusammenlaufen, und sein Magen knurrte vernehmlich.

„Sie sind echt ein Lebensretter, Mann“, sagte er und half Anton dabei, die mitgebrachten Speisen auf dem Küchentisch abzustellen.

„Immer gerne zu Diensten“, erwiderte der. „Guten Appetit.“

„Da draußen herrscht das reinste Chaos“, sagte Alexi und nickte in Richtung der Bar. „Haben Sie zufällig ein Treffen zwischen den Damen und Herren im hinteren Korridor beobachtet?“

Anton schüttelte den Kopf. „Ich habe dort niemanden gesehen.“

„Giles ist da draußen.“ Jack machte eine Kopfbewegung zum Fenster, wo Giles inmitten seiner Freunde auf der Terrasse stand und mit ihnen Shots hinunterkippte. Keine der Frauen war in Sichtweite. Danach gingen die Männer wieder nach drinnen.

„Lassen Sie es sich schmecken“, sagte Anton und zog sich zurück.

„Mein Gott, das ist köstlich!“, rief Alexi und schloss ihre Augen, als sie Antons Coronation Chicken genoss.

„Das ist es wirklich“, stimmte Jack zu, der über ihre Begeisterung lächeln musste.

„Ich gebe mir Mühe, nicht zu oft hier zu essen. Mit dieser Küche und Fays Essen“, sagte sie, „laufe ich Gefahr, so dick wie ein Elefant zu werden.“ Fay war die Adoptivmutter von Natalie Parker, der Frau, die in Lambourn ermordet worden war. Alexi und Jack hatten großen Anteil daran, dass ein Pferdeausbilder aus der Gegend als Mörder entlarvt werden konnte. Jetzt lebte Fay in Natalies Cottage im Dorf.

Jack gluckste. „Von hier aus gesehen ist dein Anblick ganz annehmbar.“

„Nur ganz annehmbar?“, fragte sie entrüstet.

Jack lachte als Antwort auf Cosmos empörtes Miauen und legte ihm ein Stück des Huhns auf den Boden, zusammen mit einer kleineren Portion für Toby. Kater und Hund aßen mit Genuss.

Sie nahmen ihr Essen schweigend ein, während laute Stimmen und noch lautere Musik von der Terrasse zu ihnen herüberdröhnten. Jack spürte, dass Alexi genervt war. Er beobachtete, wie die Ader an ihrem Halsansatz pulsierte, während ihr Blick immer wieder zur Terrasse hinüberging. Sie sorgte sich, dass sich zwischen den verfeindeten Mitgliedern dieser Hochzeitsgesellschaft irgendeine Katastrophe ereignete, was wiederum schwerwiegende Folgen für das Hotel haben könnte.

Auch Jack machte sich seine Gedanken. Er hoffte, dass die seltsame Atmosphäre nur ihrer eigenen Unruhe geschuldet war, bedingt durch die kaum verhüllte Feindseligkeit mancher Anwesender. Dass Alexi gesehen hatte, wie der Bräutigam mit einer anderen Frau auf Tuchfühlung ging, gab den allergrößten Anlass zur Besorgnis. Sie machte sich deshalb zu Recht Gedanken, was Jack nur noch mehr beunruhigte.

Alexi schien sich in Lambourn gut eingelebt zu haben. Sie hatte Freundschaften geschlossen und sich überraschend schnell an das Landleben gewöhnt. Doch im Herzen war sie immer noch ein Stadtmädchen und eine Investigativjournalistin. Falls sich in diesem verschlafenen Dorf eine weitere Katastrophe ereignete, könnte sie sich für eine Unglücksbringerin halten und wieder nach London zurückkehren. Ihr verdammter Ex, der Redakteur beim Sentinel, hatte nicht nachgelassen in seinen Bemühungen, sie zurück in die Hauptstadt zu locken. Jack fragte sich, ob Alexi der Versuchung widerstehen könnte, falls er ihr ihre frühere Position als Senior-Journalistin wieder anbot.

Was er dann tun würde, wusste Jack nicht. Er hing sehr an Alexi und war mehr als bereit, sich fest zu binden. Mit seiner bewegten Vergangenheit und einer bitteren Scheidung, die er hinter sich hatte, hätte er nie geglaubt, dass eine solche Situation eintreten könnte. Er war ein gebranntes Kind. Doch nun wusste er mit Gewissheit, dass das mit Alexi sich richtig anfühlte. Für ihn bestand überhaupt kein Zweifel daran, dass sie für ihn die Eine war. Ob sie seine Gefühle erwiderte und sich eine langfristige Beziehung mit ihm wünschte, hatte er sie nicht gefragt. Er war ein Feigling, der Angst davor hatte, sie … na ja, zu verschrecken.

Drew kam in die Küche, als sie die letzten Bissen aßen. Cosmo hatte seinen Teller bereits sauber geleckt und wandte sich nun Tobys Portion zu.

„Wie geht es unserer kleinen Patientin?“, fragte Alexi.

„Besser, glaube ich. Wir haben ihr etwas Paracetamol verabreicht, und daraufhin ist ihr Fieber gesunken. Sie schläft jetzt. Cheryl ist bei ihr. Ich wollte nur nachsehen, ob hier alles in Ordnung ist.“ Er zuckte zusammen, als draußen lautes Gelächter erklang. „Na ja, so in Ordnung, wie diese Dinge eben sein können.“

Alexi lächelte. Jack begriff sofort, dass sie nicht die Absicht hatte, ihre Bedenken vor Drew zu wiederholen. Das war eine kluge Entscheidung, dachte Jack. Trotz seiner tapferen Fassade war es offensichtlich, dass Drew sich große Sorgen um seine Tochter machte. Soweit Jack wusste, war sein kleiner Schatz seit ihrer Geburt immer kerngesund gewesen, weshalb es nahelag, dass das hingebungsvolle Elternpaar völlig niedergeschlagen von diesem ersten Rückschlag war.

„Gut“, sagte Alexi gähnend.

„Geht nach Hause, ihr zwei“, sagte Drew. „Ihr habt mehr als genug getan. Außerdem sieht es so aus, als ob sich die Party dem Ende zuneigt.“

Jack nickte. Die Musik war leiser geworden, und die meisten der Herren hatten die Terrasse längst in Richtung der Bar verlassen. Er lächelte Alexi an und sagte ihr damit ohne Worte, dass sie sich grundlos Sorgen gemacht hatte.

„Die beiden Feiern vermischen sich jetzt, würde ich sagen“, merkte Alexi an. „Als ich vorhin die Halle durchquert habe, sind die Damen schon die Stufen heruntergekommen. Dann ist Simon aufgetaucht, und sie haben sich aus dem Staub gemacht.“

„Schließt du jetzt die Bar?“, fragte Jack.

Drew nickte. „Ich habe ihnen gesagt, dass wir um Mitternacht zumachen, und jetzt ist schon fast die Geisterstunde angebrochen. Aus Erfahrung weiß ich, dass wir nur Schaden haben, wenn die Bar zu lange offen bleibt.“

„Sehr vernünftig“, erwiderte Jack.

„Und was auch immer im Obergeschoss passiert, bleibt dort oben“, fügte Alexi grinsend hinzu.

„Ja, so ist das“, grunzte Drew. „Die beiden Trauzeugen sind die Favoriten. Das ist so eine Art Tradition. Was?“, fragte er, als er sah, wie Alexi und Jack sich vielsagend anblickten.

„Gar nichts. Du solltest nicht …“ Jack verstummte abrupt, als der ohrenbetäubende Schrei einer Frau von der Terrasse ertönte. „Was zum …?“

Alle drei verließen die Küche durch die Außentür, die auf die Terrasse führte. Dort fanden sie eine hysterische Crystabel vor, die mit einem Messer in der Hand über den blutüberströmten Körper ihres zukünftigen Ehemannes gebeugt war. Das Blut tropfte von der Klinge auf die klaffende Wunde in Giles’ Brust.

Die Frauen, angeführt von Jenny, kamen aus der Bar. Sie nahm die Szene in sich auf, stieß einen Schrei aus und wurde ohnmächtig.