Kapitel 1
Freitag, 23. Oktober 1936
Eynsleigh Manor, Sussex, England
Liebes Tagebuch: Mein Leben ist perfekt. Ich habe einen wundervollen Ehemann und ein bezauberndes Kind. Wie Jane Bennet sagen würde: „Wie soll ich solche Freude nur ertragen?“ Ich führe zum ersten Mal ein ruhiges Leben als Hausfrau in meinem eigenen Zuhause, wo ich für meinen Ehemann und unseren geliebten Sohn sorge. Ich bin gelassen und zufrieden.
Ich hielt beim Schreiben dieser Worte inne und starrte auf die Seite in meinem Tagebuch. Klang das nicht recht erbärmlich und langweilig für eine Frau in ihren Zwanzigern? Doch ich hatte auch gerade ein Kind zur Welt gebracht. Und es war ein schönes Gefühl, meinen eigenen kleinen Platz gefunden zu haben, an dem ich glücklich sein und sesshaft werden konnte, nachdem ich für einige harte Jahre lang versucht hatte, allein und mittellos durchzukommen. (Ja, ich weiß, dass ich eine verwandtschaftliche Verbindung zur Königsfamilie habe und mein Bruder ein Duke mit eigenem Schloss ist, aber leider ist nichts von all dem Reichtum an mich übergegangen!)
Ich saß auf dem Sofa im Tageswohnzimmer und genoss die Herbstsonne, die schräg durch die hohen Südfenster hereinschien. Es war mein Lieblingszimmer in diesem Haus: Sessel und Sofas mit hellem Brokatbezug waren rings um kleine Tische angeordnet oder standen im Winter vor dem Kamin. Die buttergelbe Tapete wurde im Sonnenschein noch schöner. Geräusche draußen auf dem Gelände ließen mich zu den Fenstern schauen. Der Morgennebel zog in Schwaden über raureifweißes Gras. Im Wäldchen in der Ferne verschwand der Boden unter einer Decke brauner Blätter. Was einst hektarweise unberührtes Parkland gewesen war, wurde neuerdings bebaut. Oh, ich meine nicht, dass wir hier eine Wohnsiedlung oder ein Industriegebiet errichteten. Mein Ehemann Darcy und mein Patenonkel Sir Hubert, dem Eynsleigh gehörte, hatten beschlossen, das Land besser zu nutzen. Mittlerweile grasten in der Ferne Schafe auf den Weiden. Der kleine Küchengarten war ausgeweitet worden, um verschiedene Sorten Obst und Gemüse zu liefern. Der Hof erwachte wieder zum Leben und wir hielten Hühner und sogar ein paar niedliche Ferkel. Ich versuchte, nicht daran zu denken, dass sie eines Tages verkauft werden und als Schinken enden würden. Das Hofleben ist grausam. Ich erblickte Jacob, einen unserer neuen Landarbeiter, der mit unseren Hunden zum Haus zurückkehrte. Üblicherweise ging ich selbst gerne mit den Hunden nach draußen, doch ich erholte mich noch von einer schlimmen Erkältung und das Wetter war ein wenig zu trist, um viel Zeit draußen zu verbringen.
Während ich ihn beobachtete, fing Jacob an zu rennen und die Hunde hetzten mit flatternden Zungen neben ihm her. Wir hatten mehrere junge Männer aus der Gegend eingestellt, um uns bei den neuen Aufgaben auf unserem Hof zu helfen. Drei von ihnen wohnten jetzt in dem kleinen Cottage, das im Stil des vergangenen Jahrhunderts gebaut worden war und aussah wie ein hübsches Häuschen aus einem Märchen. Jacob war mir schnell ans Herz gewachsen. Er hatte ein hartes Leben gehabt; war in einem Waisenhaus aufgewachsen und hatte dann unter schrecklichen Bedingungen für einen örtlichen Bauern gearbeitet. Trotz alledem war er stets fröhlich und arbeitswillig. Er liebte Tiere und hatte ein Talent für den Umgang mit ihnen. Unsere Hunde hatten gleich Gefallen an ihm gefunden, was meiner Meinung nach ein gutes Zeichen war. Hunde sind gute Menschenkenner!
„Da bist du ja, Schätzchen.“ Mein Großvater kam ins Tageswohnzimmer. Ich hatte ihn dazu überredet, nach Eynsleigh zurückzukommen, als das Wetter so tierisch kalt und nass geworden war. Ich wollte nicht, dass er so nah an der Londoner Nebelsuppe lebte. Das hatte einige Überzeugungsarbeit gekostet, da er sich in einem großen Haushalt wie Eynsleigh nicht wohlfühlte, und erst recht nicht damit, von unseren Bediensteten umsorgt zu werden. Er hatte schließlich eingewilligt, weil wir keinen vornehmen Besuch zu Gast hatten. Ich freute mich über seine Gesellschaft, da Sir Hubert wieder fort war und Darcy wegen verschiedener Aufträge kam und ging. In so einem großen, leeren Haus konnte man sich ziemlich einsam fühlen.
Ich hob den Blick. „Komm, setz dich ans Feuer.“ Ich streckte ihm meine Hand entgegen. „Es ist bitterkalt heute, oder? Ist es in deinem Zimmer warm genug?“
„Sehr angenehm sogar“, sagte er. „Es könnte nicht besser sein. Und hier drinnen mit dem großen Feuer ist es auch schön. Ihr habt wenigstens genügend Bäume, um das Feuer niemals ausgehen zu lassen, was?“ Er ließ sich in einen Sessel sinken. „Das wird die alten Fleischplatten aufwärmen.“
Ich wollte ihn gerade fragen, was er damit meinte, als mir auffiel, dass er in seinen Cockney-Slang verfallen war. Er meinte seine Füße. Ich fand diese Ausdrucksweise liebenswert. Und falls Sie sich fragen, wie eine Frau, die auf einem derart großen Anwesen lebt, einen Cockney-Großvater haben kann, sollte ich kurz erklären, dass mein Vater zwar der Enkel von Queen Victoria war, aber eine berühmte Schauspielerin geheiratet hatte, meine Mutter, die von bescheidener Abstammung war (auch wenn sie beschlossen hatte, das zu vergessen). So kam es, dass mein einer Großvater ein schottischer Duke war (den ich nie kennengelernt hatte, da er vor meiner Geburt gestorben war) und der andere ein Cockney-Polizist im Ruhestand. Er war mir neben Darcy und James Albert, der oben in seinem Gitterbett schlief, der liebste Mensch im Leben.
„Wie geht es dem kleinen Mann heute?“, fragte mein Großvater.
„Ausgezeichnet.“ Ich strahlte. „Er ist so aufmerksam geworden und interessiert sich für alles und jeden. Und wann immer ich ihn anschaue, lächelt er mich strahlend an.“
„Er ist ein toller kleiner Kerl“, stimmte mein Großvater mir zu. „Wirst du ihn nach unten holen, wenn er wach ist?“
Ich verzog das Gesicht. „Ich weiß, dass ich das nicht tun sollte. Er sollte im Kinderzimmer aufwachsen, so wie Darcy und ich, aber ich habe ihn so gern hier bei mir. Und ich glaube, es tut ihm gut, alles mitzubekommen, was hier vor sich geht.“
„Tu, was du willst, mein Schatz“, sagte mein Großvater. „Es ist dein Haus und dein Kind. Fühl dich nicht an alberne, alte Traditionen gebunden. Dein Bruder sieht seine Kinder nur für eine Stunde am Tag, oder? Geht es ihnen deshalb besser?“
Ich lachte. „Das liegt daran, das Fig nicht allzu mütterlich ist“, sagte ich. „Ich vermute, Binky würde mehr Zeit mit ihnen verbringen, aber wie du weißt, hat Fig die Hosen an.“
Ich legte mein Tagebuch zur Seite und stand auf. „Soll ich Kaffee bringen lassen?“ Ich zog am Klingelzug.
„Erwartest du deinen Ehemann bald zurück?“, fragte mein Großvater.
Ich seufzte. „Keine Ahnung. Er darf mir nie verraten, wohin er geht. Vielleicht nach Paris, vielleicht in die Antarktis, ich weiß es nicht. Aber ich glaube, er hätte mir etwas gesagt, wenn er länger fort wäre. Dieser Tage sind es normalerweise nur kurze Reisen; Gott sei Dank. Es wäre schrecklich, wenn ich mir über lange Zeit Sorgen um ihn machen müsste, ohne zu wissen, ob er in Gefahr ist.“
Mein Großvater nickte. „Es sollte darüber nachdenken, sesshaft zu werden, jetzt da er eine Familie hat, statt in der ganzen Welt herumzuziehen. Er könnte sich eine anständige Arbeit suchen, jeden Tag um acht Uhr dreißig mit dem Zug in die Stadt fahren und an einem Schreibtisch sitzen.“
„Ach, Großvater, das würde er hassen“, sagte ich. „Darcy ist nicht für Normalität gemacht. Er muss Dinge tun und braucht ein aufregendes Leben. Außerdem wird er ja gewissermaßen sesshaft. Er arbeitet jetzt offiziell für die Regierung.“ Ich verschwieg als was …
Ich ging davon aus, dass mein Ehemann ein Spion war, mir das aber nicht sagen durfte.
Unsere Unterhaltung wurde vom Geklapper von Geschirr draußen im Flur unterbrochen. Das Geräusch wurde lauter und es mischte sich rhythmisches Stampfen dazu. Dann kam Queenie mit einem Tablett herein.
„Hallo, Missus“, sagte sie. „Der Koch hat mir aufgetragen, den Kaffee nach oben zu bringen, weil alle anderen beschäftigt sind.“
Queenie stellte das Tablett auf dem niedrigen Tisch zwischen den Sesseln ab. Sie hatte den Kaffee in zwei Tassen gegossen und eine beträchtliche Menge war auf die Untertassen geschwappt. Ich hielt es für klüger, nichts zu sagen. Ich erwähnte auch nicht, dass sie mich mit „Missus“ angesprochen hatte, obwohl die korrekte Anrede „Mylady“ war. Entweder war sie zu dumm, um das zu verstehen, oder, was ich vermutete, sie wusste genau, was richtig war, hatte aber beschlossen, das zu ignorieren, um mir auf eine passive Art zu zeigen, dass sie genauso gut war wie ich. Auf jeden Fall war sie anstrengend, doch ich hatte sie gern. Sie hatte mir einmal das Leben gerettet und entwickelte sich unter Pierres Anleitung zu einer guten Köchin.
„Was macht der Koch denn heute zum Abendessen?“, fragte ich.
„Wieder so ein Gericht dieser Froschliebhaber“, sagte sie und schnaubte angewidert. „Ich sagte ihm, es ist noch Lamm da und das würde einen guten Shepherd’s Pie abgeben, doch stattdessen macht er irgendein Frikassee mit Pilzen, um Reste zu verbrauchen.“
„Das klingt gut“, sagte ich. „Ich hoffe, du machst dir Notizen und lernst auch, diese Gerichte zu kochen, Queenie. Dann wirst du eines Tages selbst eine gute Stelle als Köchin bekommen.“
Ein entsetzter Ausdruck trat auf ihr Gesicht. „Ähm, Sie werfen mich doch nicht raus, oder? Nicht nach allem, was ich für Sie getan habe.“
„Natürlich nicht“, sagte ich schnell. „Ich bin froh, dich als Hilfsköchin hier zu haben, aber vielleicht willst du eines Tages deine Flügel ausbreiten.“
Sie lachte aus voller Kehle. „Ich glaube, ich gehe so schon genug in die Breite, Missus. Meine Uniform wird immer enger. Aber ich denke auch, sie geht bei jeder Wäsche ein wenig ein.“
Ja, Queenie arbeitete in der Küche, wo es viel leckeres Essen gab, und sie aß gern. Das sah man.
„Vielleicht solltest du anfangen, mit den Hunden rauszugehen“, sagte ich zu ihr. „Ein wenig mehr Bewegung könnte dir guttun.“
„Ich soll mit diesen Riesenviechern rausgehen? Nein, danke“, sagte sie und legte einen Abgang hin, den sie wohl für würdevoll hielt und der höchstens dadurch ruiniert wurde, dass sie über die Teppichkante stolperte.
Ich schaute meinen Großvater an und grinste.
„Dieses Mädchen wird es nie lernen“, sagte er.
„Ich glaube, sie will es gar nicht lernen.“ Ich trank einen Schluck Kaffee. Queenie hatte bereits Zucker hineingegeben und er war sehr viel süßer, als ich es bevorzugte, doch es war die Mühe nicht wert, sie zurückzurufen. Ich wusste, dass ich von meinen Bediensteten nur das Beste erwarten und meinen Haushalt streng führen sollte, doch ich fand keine Freude darin, Menschen herumzukommandieren. Und in Queenies Fall wäre das ohnehin nur Zeitverschwendung. Sie würde nur sagen: „Klar wie Kloßbrühe, Missus“, und es dann wieder genau gleich machen.
Nachdem wir unseren Kaffee getrunken hatten, ging ich nach oben ins Kinderzimmer, um zu sehen, wie es James ging. Er war wach, lag in seinem Gitterbett und versuchte, seine Füße zu essen. Als er mich sah, zappelte er mit dem ganzen Körper, lächelte breit und gab ein niedliches Geräusch von sich. Das alles war natürlich schlicht unwiderstehlich. Ich nahm ihn hoch.
„Oh, bitte entschuldigt, dass ich nicht hier war, Mylady.“ Maisie erschien in der Tür. „Ich habe gerade seine saubere Bettwäsche aus der Waschküche heraufgeholt.“
„Da gibt es nichts zu entschuldigen“, sagte ich. „Ich wollte nur heraufkommen und schauen, ob er wach ist. Ich glaube, ich werde ihn für eine Weile mit nach unten nehmen, dann können Sie sich um andere Dinge kümmern.“
„Sehr wohl, Mylady“, sagte sie.
Während ich nach unten ging, verglich ich sie in Gedanken mit Queenie. Maisie war stehts arbeitswillig, fröhlich und liebte es, sich neben ihren Pflichten als meine persönliche Zofe um James Albert zu kümmern. Queenie war … nun ja, sie war eben Queenie. Als sie mein Dienstmädchen gewesen war, hatte sie meine Schuhe verlegt, mein Abendkleid ruiniert und alle möglichen schlimmen Dinge angestellt. Doch sie war auch mutig und hatte ohne Lohn gearbeitet, da ich es mir nicht hatte leisten können, sie zu bezahlen. Also war jetzt alles in Ordnung. Maisie kümmerte sich um meinen Sohn und mich, und Queenie war in der Küche glücklich.
„Da ist ja mein kleiner Mann.“ Mein Großvater streckte die Arme aus und ich reichte ihm das Kind. James schenkte meinem Großvater ein zahnloses Lächeln und griff nach seinem stoppeligen Gesicht. Wir machten es uns gerade gemütlich, als draußen auf dem Parkett galoppierende Pfoten zu hören waren und zwei energiegeladene Fellknäuel in den Raum geschossen kamen, eines schwarz, eines hell.
„Ich hoffe, ihr hab euch die Pfoten abwischen lassen“, sagte ich zu unseren beiden Labradorwelpen Holly und Jolly, die versuchten, mich abzuschlecken, während ich mein Bestes gab, um sie von mir fernzuhalten. Gleich darauf tauchte Mrs. Holbrook hinter den beiden auf; sie war recht außer Atem.
„Da seid ihr ja, ihr Rabauken“, sagte sie. „Entschuldigt, Mylady. Jemand hat die Tür aufgelassen, als sie gerade von ihrem Spaziergang zurückkehrten.“ Sie versuchte, die beiden an ihren Halsbändern zu packen. „Ihr bringt mich noch ins Grab.“
Die Hunde hatten unterdessen mein Kind erspäht, und wenn es eines gab, was sie noch mehr liebten als mich, dann war das mein Sohn. Jetzt wurde er abgeschleckt. Das war bestimmt unhygienisch und meine Schwägerin Fig hätte sich schrecklich aufgeregt, aber James schien seinen Spaß zu haben.
„Schon in Ordnung, Mrs. H.“, sagte ich. „Lassen Sie die beiden hier. Sie werden nach ihrem Spaziergang erschöpft sein.“
„Wie Ihr wünscht, Mylady.“ Sie seufzte. „Können wir den Hausherren bald zurückerwarten?“
„Das weiß ich nicht genau, Mrs. Holbrook. Ich hoffe es.“
„Der Koch wollte wissen, ob er Reste aufbrauchen soll, wenn er nur für zwei Personen kocht.“
„Was immer er auch zubereitet, es wird perfekt sein, Mrs. H.“ Ich lächelte sie an.
Sie knickste. „Das werde ich ihm ausrichten.“ Und sie verschwand.
Wie ich erwartet hatte, legten die Hunde sich bald vors Feuer. Ich nahm meinem Großvater den kleinen James ab und setzte ihn zwischen die Kissen aufs Sofa. Dann lehnte ich mich mit einem zufriedenen Seufzen zurück. Das Leben war ruhig, einfach und gut. Jetzt musste nur noch mein Ehemann nach Hause zurückkehren.
Wie aufs Stichwort hörte ich die Haustür zuschlagen. Stimmen ertönten aus dem Foyer. Die Hunde waren augenblicklich hellwach und hetzten bellend los. Dann hörte ich eine tiefe Stimme: „Runter, ihr Bestien. Sitz. Man muss ja meinen, ich wäre jahrelang fort gewesen.“
Ich seufzte tief vor Erleichterung. Darcy war wohlbehalten nach Hause zurückgekehrt.
Wenige Minuten später kam er ins Zimmer. Seine Wangen waren immer noch vom kalten Wind gerötet.
„Also das ist ein Anblick, nach dem ich mich gesehnt habe“, rief er, als er in der Tür innehielt. „Meine perfekte Familie.“ Dann beugte er sich herunter, um mir einen Kuss zu geben und James hochzuheben. „Ich sollte wohl fragen, warum das Kind nicht im Kinderzimmer ist, obwohl es noch gar nicht Zeit für den Tee ist“, sagte er mit einem amüsierten Grinsen. „Welche Regeln der gehobenen Gesellschaft brechen wir damit?“
„Er ist wach und neugierig“, sagte ich. „Was soll er denn allein in einem Kinderzimmer lernen? Ich will, dass mein Sohn zu einem Genie heranwächst, das sich auch in der Gesellschaft bewegen kann. Also setz dich. Möchtest du einen Kaffee? Queenie hat uns nur Tassen gebracht, keine Kanne, aber ich könnte Mrs. Holbrook mehr holen lassen.“
„Schon in Ordnung. Es gibt bald Mittagessen“, sagte er. „Und ich habe am Bahnhof eine Tasse getrunken, auch wenn das nicht viel mit Kaffee zu tun hatte. Wie geht es euch?“
„Wie du sehen kannst, prächtig. Aber wie geht es dir? Wo warst du? Oder kannst du mir das nicht sagen?“
Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich. „Ich habe einen kurzen Abstecher nach Deutschland gemacht“, sagte er. „Nicht mein Lieblingsziel im Moment. Die Rhetorik dort wird zunehmend militant und antisemitisch. Hitler wird mittlerweile regelrecht vergöttert. Schulkinder müssen dem Führer Treue geloben und alle heben den Arm zum Hitlergruß. Das ist wirklich erschreckend.“
„Verdammte Krauts“, murmelte mein Großvater.
„Wir wussten, dass es so kommen würde, oder nicht?“, fragte ich. „Ich weiß nicht, was der Rest der Welt tun kann, um das aufzuhalten.“
„Nicht viel.“ Er streckte die Hände zum Feuer, um sie aufzuwärmen, dann hob er den Blick. „Oh, und ich habe deine Mutter getroffen.“
„Wirklich? Wie geht es ihr?“
„Sie hat eine Menge Spaß und ist mittendrin“, sagte er. „Sie macht auf den Wunsch von Herrn Goebbels einen Film.“
„Du liebe Güte. Sie erzählte bereits, dass man sie darum bitten würde. Da muss sie ganz in ihrem Element sein.“
„Ist sie. Nur dass ihr Deutsch nicht allzu gut ist. Ich glaube, sie versteht gar nicht, was sie sagt. Es ist ein reiner Propagandafilm, weißt du? Deine blonde Mutter und blonde Kinder pflücken im Dirndl auf einer Wiese Wildblumen und führen ein glückliches deutsches Leben.“ Er hatte ins Feuer gestarrt und hob jetzt plötzlich den Blick. „Ich glaube nicht, dass ihr bewusst ist, in welch großer Gefahr sie schwebt.“
„Sie würde niemals akzeptieren, dass sie in Gefahr ist. Sie sagte, alle würden sie lieben. Max tut das auf jeden Fall und er steht in der Gunst der Nazis.“
„Das ist der Knackpunkt. Sie hat endlich ihre Hochzeit mit Max geplant.“ Er nahm meine Hand. „Wenn sie ihn heiratet, wird sie deutsche Staatsbürgerin, Georgie. Dann wird sie ihre britische Staatsbürgerschaft verlieren. Wir werden sie nicht länger rausholen können, falls sie das irgendwann möchte.“
„Aber du kennst meine Mutter – sie hat im Moment alles, was sie sich nur wünschen kann. Sie hat einen reichen Mann, den sie heiraten wird, und eine Karriere als Schauspielerin. Ihr Gesicht wird in ganz Deutschland auf Leinwänden zu sehen sein. Sie wird im siebten Himmel sein.“
„Du verstehst diese Leute nicht“, sagte er ernst. „Sie mag jetzt gerade Spaß an ihrem Leben haben, aber es könnte eine Zeit kommen, in der Max nicht mehr in der Gunst der Nazis steht, oder vielleicht holt sie irgendwann ihr Gewissen ein, wegen dem, was der jüdischen Bevölkerung widerfährt. Und dann wird es zu spät sein, um das Land zu verlassen. Sie wird dort festsitzen.“
„Was sollen wir tun?“, fragte ich.
„Ich habe versucht, sie zu warnen“, sagte er. „Aber du kennst deine Mutter. Sie hat nicht auf mich gehört.“
Kapitel 2
Montag, 26. Oktober
Eynsleigh
In meiner Welt ist alles gut. Darcy sagt, er wird für eine Weile zu Hause bleiben. Wir können also in Ruhe ein ganz normales Familienleben genießen.
Solche Dinge sollte ich niemals in mein Tagebuch schreiben! Wann werde ich das endlich lernen? Darcy war zwecks einiger Treffen in Whitehall über den Tag nach London gefahren. Zumindest ist es das, was er gesagt hatte. Da konnte man sich nie ganz sicher sein. Doch er war nicht rechtzeitig zum Abendessen zurück. Auch als ich James um zehn Uhr fütterte und ihn für die Nacht hinlegte, war er noch nicht wieder da. Ich lag noch eine Weile wach und lauschte den Fensterläden, die im Wind klapperten, während sich in meinem Kopf alle möglichen besorgniserregenden Szenarien entwickelten. Darcy hatte den Ärmelkanal überquert und war nach Deutschland zurückgekehrt; er war gefangengenommen worden und würde als Spion exekutiert werden. Irgendwann musste ich eingeschlafen sein. Erst als sich die Bettdecke bewegte, kühle Luft über meinen Körper strich und sich jemand neben mir ins Bett legte, war ich wieder wach.
„Ich hoffe, du bist das“, murmelte ich. „Ich habe keine Lust, die Augen zu öffnen.“
„Vielleicht ist es Clark Gable“, flüsterte eine Männerstimme an meinem Ohr.
„Hoffentlich nicht. Ich mag amerikanische Männer nicht, und Schnurrbärte auch nicht“, antwortete ich. „Aber falls es ein attraktiver Franzose ist …“
„Mais oui, chérie“, flüsterte die Stimme. Der Atem strich kitzelnd über meine Wange. „Ich bin Gaston und komme dich um Mitternacht besuchen!“
Ich lachte und schob ihn von mir weg. „Wo warst du? Ich habe mir Sorgen gemacht.“
„Tut mir leid“, sagte er. „Dafür kannst du deinem Cousin die Schuld geben.“
„Welchem Cousin? Ich habe ein paar davon, weißt du? Da ist alles dabei, vom haarigen Schotten bis zum König.“
„Letzterer“, sagte er. „Seine Majestät King Edward.“
„Donnerwetter. Du hattest eine Audienz bei David und hast mir nicht davon erzählt?“ (Ich benutzte aus Gewohnheit den Namen, unter dem ich ihn mein Leben lang gekannt hatte.) Hast du einen Bericht über internationale Geheimnisse abgeliefert? Wirst du zum Ritter geschlagen oder so?“
Er lachte. „Es war keine Audienz, sondern ein Vieraugengespräch.“
„Was?“ Jetzt war ich hellwach.
„Ich erhielt die Nachricht, dass Seine Majestät mich zu sehen wünsche. Ein Grund stand nicht dabei. Also habe ich ihn in seinem Fort aufgesucht.“
„Sein Fort?“
„Fort Belvedere. Sein Schlupfloch im Windsor Great Park. Wir haben um sechs angefangen zu trinken und ich kam erst nach elf dort weg.“
„Und du hast die ganze Zeit getrunken? Da wundert es mich, dass du nicht immer noch durch den Windsor Great Park stolperst und deinen Heimweg suchst.“
„Wir haben zwischendrin auch etwas gegessen, aber vor allem hat er geredet und ich habe zugehört.“
„Ihr wart allein? Eine gewisse Dame war nicht bei euch?“
„Nein, und zwar aus gutem Grund. Er muss eine schwere Entscheidung fällen, Georgie, und er ist recht ratlos.“
Ich drehte mich zu ihm um. „Bezüglich Mrs. Simpson?“
Darcy nickte. „Er ist fest entschlossen, sie zu heiraten.“
„Du meine Güte. Das wird nicht gut ankommen, oder?“
„Ganz und gar nicht. Er hat dem Premierminister bereits von seinen Intentionen berichtet und bekam zu hören, dass so etwas undenkbar sei. Es gebe keine Umstände, unter denen er sie heiraten könnte.“
„Natürlich nicht. Er steht der Church of England vor, und die erlaubt keine Scheidungen. Sie ist zweifach geschieden und eine Ausländerin.“
Darcy setzte sich auf und legte mir einen Arm um die Schultern. „Dein Cousin ist in vielerlei Hinsicht sehr naiv. Sie hat ihm eingeredet, er könne per Dekret die Gesetzeslage ändern, um die Hochzeit möglich zu machen. Das kann er natürlich nicht.“ Er hielt inne. Eine starke Windbö presste gegen die Fenster und heulte im Schornstein, was mich erschaudern ließ. „Dann hat er eine morganatische Ehe vorgeschlagen.“
„Was ist das?“, fragte ich.
„Die beiden könnten heiraten, aber sie würde niemals die Königin oder eine königliche Hoheit werden, und ihre Kinder hätten keinen Erbanspruch auf den Thron.“
„Als ob in ihrem Alter noch Kinder im Spiel wären“, sagte ich verächtlich. „Sie sind beide über vierzig.“
„Wie dem auch sei“, fuhr Darcy fort. „Das ist für den Premierminister auf jeden Fall auch inakzeptabel. Er hat eingewilligt, die Idee dem Kabinett vorzutragen, doch er kennt die Antwort bereits.“
„Was wird David dann tun?“, fragte ich. „Sie einfachste Lösung wäre es, sie als Mätresse zu betrachten. Mehrere meiner Vorfahren haben mit einer solchen Regelung recht glücklich gelebt – denk nur an Lily Langtry oder Alice Keppel.“
Darcy gluckste. „King Edward hatte durchaus einige Mätressen, das stimmt, aber er hatte auch eine leidgeprüfte Ehefrau, die bei Staatsakten an seiner Seite stand. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Mrs. Simpson Staatsoberhäupter empfängt oder bei indischen Audienzen auf einem Elefanten reitet.“
„Was für ein Schlamassel“, sagte ich. „Aber er wird sie gewiss nicht aufgeben.“
„Nein“, sagte Darcy. „Das hat er sehr deutlich gemacht. Er würde lieber den Thron aufgeben als sie.“
„Donnerwetter.“ Ich versuchte zu spät, mir das Wort zu verkneifen. Die Bemühungen, meine Schulmädchensprache einzuschränken, waren in Krisenzeiten nicht sonderlich erfolgreich.
„Er ist völlig vernarrt in sie“, fuhr Darcy fort. „Sie hat ihn regelrecht verzaubert. Als wir eine Flasche Scotch geleert hatten, sagte er immer wieder: ‚Sie verstehen das nicht, Darcy, alter Junge, sie ist die wundervollste Frau in der ganzen Welt. Ich könnte nicht ohne sie leben.‛“
„Und was hat er jetzt vor?“
„Ich hörte, er will den Zeitungen zu einem günstigen Zeitpunkt erlauben, die Sache zu verraten. Bislang war die Presse erstaunlich gefügig und hat diese Nachricht noch nicht veröffentlicht. Aber er will die Öffentlichkeit auf seiner Seite haben. Er ist beliebt und davon überzeugt, das Volk würde wollen, dass er die Frau heiraten darf, die er liebt. Seiner Meinung nach würden Sie dafür sogar ihren örtlichen Abgeordneten unter Druck setzen. Dann könnten Gesetze geändert werden und er könnte glücklich und zufrieden bis ans Ende seiner Tage leben.“
„Aber es ist unwahrscheinlich, dass es so kommt, oder?“
„Das denke ich auch. Wenn es nur um Zivilrecht ginge, wäre es vielleicht möglich. Aber man kann nicht einfach die Glaubenslehre der Kirche ändern, deren Oberhaupt er ist.“
„Seine arme Mutter“, sagte ich. Queen Mary, die mir in der Vergangenheit verschiedene Aufträge gegeben hatte, war mir sehr ans Herz gewachsen. Sie war eine strenge Verfechterin von Regeln und Gesetzen und der Meinung, die Königsfamilie müsse über jeden Tadel erhaben sein. Sie hatte alles in ihrer Macht Stehende getan, um die Aufmerksamkeit ihres Sohnes von „dieser Frau“ abzulenken, wie sie sie nannte, jedoch ohne Erfolg. Sein verstorbener Vater, King George, war erstaunlich prophetisch gewesen: „Der Junge wird die Monarchie in den Untergang treiben“, hatte er kurz vor seinem Tod gesagt. Ich betete dafür, dass sich diese Worte nicht als wahrhaftige Prophezeiung herausstellen würden. Wir hatten in unserer Geschichte schon einen Konflikt zwischen König und Parlament erlebt und am Ende hatte der König seinen Kopf verloren. Jemand sollte meinen Cousin daran erinnern.
Mir kam ein Gedanke. „Darcy, warum wollte er, dass ausgerechnet du dir sein Wehklagen anhörst? Er hat seinen eigenen Freundeskreis, oder nicht? Und du standest ihm nie sonderlich nah.“
„Ah.“ Darcy atmete tief durch. „Er wollte nicht unbedingt mich. Sondern unser Haus.“
„Was? Was meinst du damit?“
„Er weiß, dass die Presse hinter Mrs. Simpson her sein wird, sobald die Nachricht veröffentlicht wird. Es könnte auch jemand darüber berichten, bevor er bereit dafür ist. Die amerikanischen Zeitungen sind schon voll von Artikeln darüber. Er will ihr die Unannehmlichkeiten ersparen. Er möchte, dass sie vor dem öffentlichen Interesse geschützt ist …“
Ich begriff langsam, was er da sagte.
„Er will, dass sie hier lebt?“ Ich bemerkte, dass ich meine Stimme erhoben hatte. Ich hatte nicht das beste Verhältnis zu Mrs. Simpson. Wir waren uns schon häufiger begegnet, und auch wenn sie mich dieses Jahr aus einem französischen Gefängnis gerettet hatte, freute ich mich nicht auf die Aussicht, ein Haus mit ihr zu teilen.
„Das ist der Plan. Sie wird im Schutze der Dunkelheit herkommen und bleiben, bis das Fiasko vorüber ist.“
„Donnerwetter“, sagte ich. Unser Haushalt lief recht reibungslos für ein junges Paar mit einem Kleinkind und einem Cockney-Großvater, doch er entsprach gewiss nicht den Erwartungen einer Frau, die die zukünftige Queen of England sein könnte. James Albert würde in seinem Kinderzimmer bleiben müssen. Die Hunde würden im Bedienstetenbereich bleiben müssen. Und ich würde für die gefürchtete Mrs. Simpson Gastgeberin spielen müssen; was schicke Kleider statt meiner ländlichen Tweedhose erforderte. Außerdem würde ihre Bewirtung ein Vermögen kosten, und das Geld war gerade knapp.
„Du hast doch nicht eingewilligt, oder?“ Ich bemerkte das Beben in meiner Stimme.
„Wie hätte ich ablehnen sollen?“, fragte er. „Wir haben ein großes Haus, das ausreichend abgelegen ist, und er ist dein Cousin. Seine eigenen Brüder stellen sich Mrs. Simpson entschieden entgegen, wie du weißt. Irgendjemand muss dem armen Kerl doch helfen.“
„Ich fürchte, ich werde nicht so mitfühlend sein“, sagte ich. „Ich neige dazu, seiner Mutter zuzustimmen. Er muss seine Pflichten gegenüber seinem Land erfüllen. Er ist immerhin der König. Er sollte sein Leben in den Dienst an seinem Volk stellen.“
„Ich weiß noch, dass du nicht allzu begeistert von der Aussicht warst, einen gewissen rumänischen Prinzen zu heiraten, als dir die Möglichkeit vorgeschlagen wurde.“ Er drückte meine Schulter.
„Prinz Siegfried? Darcy, er war abstoßend, hatte Fischlippen und interessierte sich nicht für Frauen. Außerdem bin ich nur ein sehr unbedeutendes Mitglied der Königsfamilie und das Schicksal Englands hing nicht von dieser Hochzeit ab.“ Ich kuschelte mich an ihn, da sich ein eisiger Luftzug seinen Weg durch die Vorhänge bahnte. „Außerdem“, fuhr ich fort, „verlangt man ja nicht von ihm, sie ganz aufzugeben. Er kann sie in einer seiner vielen Residenzen unterbringen und sie besuchen, wann immer ihm danach ist.“
„Das wäre durchaus die vernünftigste Lösung. Ich habe ihm genau das vorgeschlagen, statt eine Verfassungskrise heraufzubeschwören. Wir werden abwarten müssen, wie das Parlament entscheidet. Sein Schicksal liegt in den Händen der Parlamentarier. Vielleicht stimmen sie der morganatischen Ehe zu, dann wäre alles gut, nur dass sie nicht zusammen mit ihm gekrönt werden könnte. Wenn nicht …“ Er verstummte. Das Schweigen zog sich hin. „Ich habe keine Ahnung, was dann passiert.“
Mir dämmerte gerade erst, was dieser schreckliche Besuch im Einzelnen bedeuten würde.
„Und wie sollen wir für all das bezahlen? Du hast selbst gesagt, dass wir im Moment knapp bei Kasse sind, nachdem wir so viel Geld in den Aufbau des Hofs investiert haben. Diese Ferkel werden erst in einem Jahr groß genug sein, um guten Schinken abzugeben. Lämmer bekommen wir erst im nächsten Frühling. Soweit ich weiß, verkaufen wir im Moment nur ein paar Eier und Kohlköpfe. Das bringt nicht genug ein, um für Mrs. Simpsons teuren Geschmack bei Alkohol und Lebensmitteln zu bezahlen. Ich befürchte ohnehin schon, dass wir Pierre entlassen müssen.“
„Was glaubst du, warum ich eine Lohnarbeit angenommen habe, statt Aufträgen, die mir zusagen?“, fragte er. „Wir müssen nur ein paar Monate überstehen, bis im Frühling die ersten Lämmer zur Welt kommen. Wir werden es schaffen. Versprochen. In der Zwischenzeit hat uns der König um einen Gefallen gebeten, Georgie, und ich glaube, wir sollten ihm in dieser schwierigen Situation zur Seite stehen. Wir verschaffen ihm die nötige Zeit und den Freiraum, um sich zu entscheiden und hoffentlich das Richtige zu tun.“
Ich versuchte, gütige Gedanken zu formen. Doch mir kam nur ein Bild von Mrs. Simpson in den Sinn, die in meinem Lieblingssessel saß, Zigarette rauchte und mir sagte, dass meine Garderobe, meine Frisur und mein Weinkeller einer Überholung bedurften. „Wie lang soll das gehen?“
„Oh, nicht lang. Er wird sich bis Ende des Jahres entscheiden müssen.“
„Ende des Jahres? Ich soll zwei Monate lang höflich zu Mrs. Simpson sein? Für dich ist das in Ordnung. Du wirst für Besprechungen und so etwas immer wieder nach London fahren. Aber ich werde hier tagein tagaus mit ihr festsitzen.“
„Vielleicht dauert es nicht bis zum Ende des Jahres“, sagte er. „Es hängt davon ab, wann dein Cousin sein Schicksal erkennt und danach handelt. Das könnte auch schon nächste Woche passieren.“
„Wird er herkommen, um sie zu besuchen? So wie ich David kenne, wird er sich nicht von ihr fernhalten können, und dann ist die Katze schnell aus dem Sack.“
„Er hat mir versichert, dass er fernbleiben würde, bis sich alles geklärt hat. Er will nicht, dass wir von der Presse belagert werden.“
„Das ist schön zu hören.“ Ich seufzte. „Du hast also schon eingewilligt?“
„Ich habe ihm gesagt, dass ich mit dir darüber reden muss, und eigentlich auch mit Sir Hubert, da es technisch gesehen sein Haus ist. Falls wir Sir Hubert ausfindig machen können, auf dem Gipfel, den er gerade erklimmt.“
„Ich glaube, er ist in Amerika“, sagte ich. „In seinem letzten Brief schrieb er davon, einen Film über den Grand Canyon zu drehen. Aber ich wüsste nicht, wie man ihn kontaktieren sollte. Mrs. Simpson wird schon wieder fort sein, wenn er nach England zurückkehrt … hoffe ich.“
Darcy drückte erneut meine Schulter. „Du hättest Königin werden sollen“, sagte er. „Du wärst bereit gewesen, deine Pflicht gegenüber deinem Land zu erfüllen.“
„Himmel, nein.“ Ich lachte. „Wäre ich Anwärterin auf den Thron, hätte ich dich niemals heiraten dürfen, du verdammter Katholik.“
„Du hättest dich um meinetwillen gegen den Thron entschieden?“
Ich blickte ihn liebevoll an. „Ganz eindeutig“, sagte ich.
„Das bereitet einem Mann ein tolles Gefühl“, sagte er. „Tatsächlich macht es einen Mann darauf aufmerksam, dass er eine begehrenswerte Frau in den Armen hält und es höchste Zeit ist, deswegen etwas zu unternehmen.“
Und das tat er.
Kapitel 3
Dienstag, 27. Oktober
Eynsleigh
Warum habe ich je geglaubt, ich könnte ein gewöhnliches, ruhiges Leben führen? Es wird von Minute zu Minute komplizierter.
Am Morgen fragte ich mich, wie ich den Bediensteten diese Neuigkeit mitteilen sollte. Ich hatte keine Ahnung, wie sie das aufnehmen würden. Die erste Person, der ich etwas erzählte, war mein Großvater. Seine Reaktion konnte ich einschätzen.
„Na dann mache ich mal rasch die Biege“, sagte er. „Diese Frau wird keine Menschen wie mich im Haus haben wollen.“
„Ach, Großvater, bitte geh nicht.“ Ich nahm seine Hand. „Es ist bestimmt nicht für lange. Ich weiß, dass du dich nicht wohlfühlst, wenn wir Gäste haben; insbesondere Gäste wie sie. Ich könnte es also verstehen, wenn du dich lieber zu Mrs. Holbrook in ihrer Wohnstube gesellst, statt hier oben bei uns zu sein. Du magst sie doch, oder nicht?“
„Sie ist eine sehr gütige Frau“, sagte er. „Gebildet. Höflich.“
„Du magst sie. Das sehe ich doch.“ Ich grinste ihn frech an.
„Ich gebe zu, dass ich ihre Gesellschaft genieße“, sagte er. „Und ich hätte nichts dagegen, in ihrer Stube Zeit mit ihr zu verbringen, solange das in diesem Haus nicht gegen das Protokoll verstößt. Ich weiß nicht, was die Regeln zum Kontakt zwischen Herren und Bediensteten sagen, aber da ich weder das eine noch das andere bin, kann ich wohl kommen und gehen, wie es mir gefällt.“
„Exakt. Dann wirst du also bleiben? Ich könnte wirklich deine Unterstützung gebrauchen.“
Er seufzte leise. „Schauen wir mal, wie sich die Sache entwickelt, ja? Leicht wird es vermutlich für keinen von uns. Müssen wir nicht hinter jedem Busch mit Reportern rechnen, die über uns herfallen, sobald wir vor die Tür gehen?“
„Das ist ja der Punkt“, sagte ich. „Sie soll sich hier verstecken. Niemand darf erfahren, dass sie hier ist. Die Bediensteten werden zum Stillschweigen verpflichtet. Und es geht auch nur um die Zeit, bis König und Parlament sich über ihren Status geeinigt haben.“
„Ich kann dir sagen, was ihr Status ist“, sagte mein Großvater mit einem Schnauben. „Verdammt lästig. Sie ist eine gesellschaftliche Aufsteigerin der schlimmsten Sorte und als Gemahlin eines Königs völlig ungeeignet. An seiner Stelle würde ich sie schnellstmöglich nach Amerika zurückschicken.“
„Du weißt, dass er das nicht tun wird“, sagte ich. „Er liebt sie. Du hast ihn gesehen. In ihrer Gegenwart ist er wie ein kleiner Junge. Sie kommandiert und er folgt.“
„Vielleicht ist sie die Mutter, die er nie hatte“, sagte mein Großvater. „Seine eigene Mutter war nie sonderlich anschmiegsam, oder? Und ich hörte, dass seine Gouvernante wirklich schrecklich mit David und seinen Brüdern umgegangen ist. Geradezu sadistisch. Sie hat die Kinder wohl gekniffen, um sie zum Weinen zu bringen, und es dann so wirken lassen, als wäre sie die Einzige, die sie beruhigen kann.“
„Mir kam Mrs. Simpson nicht sonderlich warmherzig und anschmiegsam vor“, sagte ich. „Aber sie erfüllt ein Bedürfnis im Leben des Königs, und er ist mir wichtig. Ich möchte, dass er glücklich ist. Sie darf trotzdem niemals Königin werden.“
„Wir werden sehen“, sagte mein Großvater. „Hoffen wir einfach, dass es schnell geklärt wird.“
„Amen“, stimmte ich zu.
***
Mrs. Holbrook wirkte recht nervös, als ich ihr die Neuigkeiten mitteilte. „Eine Dame der Gesellschaft? Sie kommt hierher? Und es soll ein Geheimnis bleiben?“
„Ja. Nur für kurze Zeit. Sie braucht einen ruhigen und friedlichen Ort. Niemand darf wissen, dass sie hier ist.“
„Hatte sie eine Art Zusammenbruch?“
Ich war versucht, „noch nicht“ zu sagen, nickte aber. „Wir werden nicht darüber sprechen. Sie weisen die Bediensteten lediglich an, sich gut um diese Dame zu kümmern und sich dabei vorbildlich zu benehmen.“
„Das mache ich, Mylady“, sagte sie. „Wir werden Euch nicht enttäuschen. Versprochen.“
Ich fragte mich, was passieren würde, wenn Bilder von ihr in sämtlichen Zeitungen auftauchten und meine Bediensteten begriffen, wen genau sie hier versorgten. Man würde sie zum Stillschweigen ermahnen müssen. Ich glaubte, dass sie das schaffen würden … abgesehen von Queenie natürlich. Man konnte sich nicht darauf verlassen, dass sie den Mund halten würde. Sie meinte es gut, doch es könnte im falschen Augenblick aus ihr herausplatzen. Ich konnte mir gut vorstellen, wie sie reagieren würde, wenn im Dorf jemand etwas erzählte, das über Mrs. Simpson in der Zeitung gestanden hatte. Queenie würde entgegnen: „Sie wissen doch gar nicht, wovon Sie da sprechen. Die Frau ist ganz anders. Sie lebt gerade bei uns.“
Womöglich würden wir sie im Haus einsperren müssen, bis die Dame wieder fort war. Oder vielleicht lieber gleich in der Küche.
Nachdem ich Mrs. Holbrook die Neuigkeiten eröffnet hatte, galt es zu entscheiden, in welchem Zimmer wir die Besucherin unterbringen würden. Welches Schlafzimmer wäre wohl angemessen für eine amerikanische Dame, die vermutlich an warme Zimmer und heiße Bäder gewöhnt war? Eynsleigh war in der Zeit von Queen Elizabeth erbaut worden und nicht gerade für warme Zimmer oder gut funktionierende Wasserboiler bekannt. Zugluft strömte durch die Kamine und unter Türen hindurch, die Böden waren eiskalt und die Flure auch. Mir kam in den Sinn, dass sie vielleicht nicht lange bleiben würde, wenn es hier zu ungemütlich war. Es gab ein besonders schlimmes Schlafzimmer, in dem es angeblich spukte. Wenn wir sie dort unterbringen würden …
Dann tadelte ich mich streng. Der König hatte Darcy um Hilfe gebeten, und ich mochte meinen Cousin trotz seiner Fehler sehr gern. Wir durften ihn nicht im Stich lassen. Ich würde die Zähne zusammenbeißen und freundlich zu Mrs. Simpson sein müssen. Wir entschieden uns für das Blaue Schlafzimmer an der Rückseite des Hauses, da man von dort eine schöne Aussicht hatte und es in der Nähe eines Badezimmers lag. Außerdem war es vor neugierigen Blicken geschützt und hatte einen funktionierenden Kamin. Eines der Dienstmädchen würde ihr jeden Morgen ein Feuer anzünden können und ich würde verhindern, dass Queenie ihr den morgendlichen Tee brachte.
„Mach dir keine Sorgen“, sagte Darcy, als er merkte, dass ich mich aufregte. „Wir tun den beiden einen Gefallen und wenn es ihr hier nicht gefällt, kann sie sich einen anderen Unterschlupf suchen. Wir müssen uns nicht verausgaben, nur um sie zufriedenzustellen.“
„Du weißt, wie sie ist“, sagte ich. „Sie erwartet, dass alle genau das tun, was sie verlangt, und sie ununterbrochen anhimmeln.“
Darauf hatte Darcy keine Antwort. Er wusste, dass es die Wahrheit war. Stattdessen legte er mir einen Arm um die Schultern. „Mach dir nichts draus, meine Liebe. Es ist nicht für lang. Wir werden es überstehen. Dann kommt dein Patenonkel nach Hause und wir feiern ein schönes Weihnachtsfest.“
„Ja.“ Ich lächelte, als ich mir das Strahlen in James Blick vorstellte, wenn er zum ersten Mal den leuchtenden Weihnachtsbaum erblickte. Es lag vieles vor uns, worauf ich mich freuen konnte, und nur ein kleines Ärgernis. Das konnte ich aushalten. Wir verbrachten einen angenehmen Vormittag. Als später am Tag die Sonne herauskam, setzte ich James in seinen Kinderwagen und schob ihn nach draußen, damit er sich die Hühner und Schweine anschauen konnte. Alles schien sich prächtig zu entwickeln.
„Nächstes Jahr um diese Zeit werden wir eine Menge Schinken haben“, sagte Darcy herzlos. Warum mussten Männer immer so unbekümmert sein?
Nachdem ich James ins Kinderzimmer zurückgebracht hatte, stieß ich im Tageswohnzimmer zu meinem Großvater und klingelte für Kaffee.
„War der Spaziergang schön?“, fragte er, und hob den Blick. Er hatte Zeitung gelesen.
„Herrlich, danke. Es ist wirklich toll da draußen, wenn auch etwas frisch. James war ganz fasziniert von den Hühnern und Schweinen.“
„Er ist so ein lebhafter kleiner Kerl.“ Mein Großvater strahlte. „Er erinnert mich an deinen Onkel Jimmy in dem Alter.“ Ein wehmütiger Ausdruck trat auf sein Gesicht. Mein Onkel Jimmy war im Weltkrieg gefallen. Ich hatte ihn nie kennengelernt.
„Ah, Kaffee.“ Ich hob den Blick, als Phipps, unser Lakai und Chauffeur, mit einem Tablett hereinkam. Er brachte eine Kanne Kaffee, heiße Milch, Zucker, drei Tassen und einen Teller mit Keksen. Offensichtlich hatte heute Mrs. Holbrook und nicht Queenie den Kaffee vorbereitet. Ich hatte meinem Großvater gerade eingeschenkt, als Mrs. Holbrook hereinkam.
„Die Mittagspost war heute früh dran, Mylady. Ich schätze, der Postbote will den Nachmittag freimachen.“ Sie lächelte und reichte mir einen Umschlag. Ich nahm ihn und erstarrte. Ich kannte das Wappen und die Handschrift. Es war ein Brief von meiner Schwägerin, der Duchess of Rannoch, besser bekannt als Fig.
Donnerwetter. Fig schrieb nur, wenn sie etwas wollte. Das waren nie gute Nachrichten … Ich öffnete den Umschlag mit Beklemmung.
Meine liebe Georgiana,
(Ich konnte beinahe Figs gebieterischen Ton hören.)
Ich hoffe, du, Darcy und dein junger Sohn erfreut euch guter Gesundheit. Wir haben garstiges Wetter hier in Schottland. Jeden Tag stürmt es. Binky sagt, er hat in der Parklandschaft noch nie so viele Bäume umstürzen sehen. Immerhin haben wir so genug Holz für den Winter.
Ich schreibe dir bezüglich unseres Sohns Podge. Wie du weißt, wird er nach Eton gehen, sobald er dreizehn ist, aber jetzt geht es erst einmal darum, eine Vorbereitungsschule auszuwählen. Er wird im neuen Jahr sieben und es ist Zeit für ein Internat. Ich habe mich über verschiedene, zur Wahl stehende Schulen informiert. (Binky ist da wie immer ein hoffnungsloser Fall. Er sagt, Podge würde sich mit einem Hauslehrer genauso gut entwickeln. Aber das ist natürlich falsch. Es geht bei der Schule nicht nur um akademische Dinge. Er muss Rugby spielen und sich abhärten, ehe er wie die restlichen Männer meiner Familie zur Armee geht.)
Ich schaute von dem Brief auf. Podges liebliches Gesicht trat mir vor Augen. Er war ein sanftes, empfindsames Kind. Und sehr fantasievoll. Er würde nur über meine Leiche zur Armee gehen! Aber ich musste eingestehen, dass er auf einem Internat wohl besser aufgehoben war als in einem Kinderzimmer in der schottischen Wildnis. Ich selbst war mit einer Gouvernante aufgewachsen und auch wenn das nicht wirklich furchtbar gewesen war, war es sehr einsam, und ich war recht unvorbereitet in die große, weite Weit hinausgegangen, als ich aufs Mädcheninternat geschickt worden war. Ich fragte mich, warum Fig mir all das mitteilte. Wollte sie um Darcys Rat bezüglich der Schulen bitten? Nein, ganz sicher nicht. Darcy war katholisch erzogen worden und hatte ein von Mönchen geführtes, katholisches Internat besucht. Da würde Fig ihren Sohn ganz sicher nicht hinschicken wollen.
Ich las weiter.
Wir haben ein paar gute Empfehlungen von Freunden und Familie erhalten. Ganz besonders interessiert uns eine Schule in eurer Nähe. Chorley Moat heißt sie. Mein Bruder hat seinen Sohn Archibald auf diese Schule geschickt und sagte, dort würde man viel Wert auf Aktivitäten im Freien legen, wie Rugby oder Geländeläufe. Wir müssen sicherstellen, dass Podge nicht so schwächlich aufwächst wie Binky. Der ist absolut hoffnungslos, wenn es um Sport geht.
Ich schreibe dir also, um dir mitzuteilen, dass wir kommende Woche vorbeikommen, um die Schule zu besichtigen; und vielleicht noch ein paar weitere Internate in Südengland. Wir würden gern ein paar Tage bei euch unterkommen, wenn das in Ordnung ist. Ich nehme an, mit einem Neugeborenen wirst du zu Hause sein, und unser Besuch macht gewiss keine Umstände. Wir bringen Chauffeur und Automobil mit, sodass uns niemand herumfahren muss. Wir bringen beide Kinder mit (Vielleicht schauen wir auch, ob es in der Nähe Schulen gibt, die für Addy in Frage kommen, wenn sie alt genug ist. Es wäre praktisch, beide Kinder im selben Teil des Landes zu haben, und natürlich könnten sie ihre kürzeren Schulferien bei euch verbringen, statt bis rauf nach Schottland zu reisen …).
„Verdammte Frechheit“, murmelte ich.
„Was ist denn, Schätzchen?“, fragte mein Großvater. Er leerte seine Kaffeetasse und stellte sie auf das Tablett zurück.
„Meine Schwägerin“, sagte ich.
„Oh. Die.“ Er verzog das Gesicht. „Schlechte Nachrichten?“
„Die schlimmsten. Sie will herkommen und eine Weile bleiben, während sie sich Schulen für ihre beiden Kinder anschaut. Sie glaubt, eine Schule in unserer Nähe wäre gut, weil die Kinder dann während der kürzeren Schulferien zu uns kommen könnten.“
Er nickte. „Das könnte den armen Kleinen guttun. Mit diesen Eltern und einem Kindermädchen da oben festzusitzen kann nicht allzu viel Spaß machen.“
„Vermutlich nicht“, sagte ich. „Und ich mag die beiden auch, aber dass sie uns ihre Kinder derart aufdrängt ist einfach frech, oder?“
„Sie ist nicht allzu mütterlich, nicht wahr?“
„Sie ist pures Gift“, sagte ich. „Und jetzt muss ich höflich sein und sie wieder hier beherbergen und … Donnerwetter, Großvater. Sie werden zur selben Zeit hier sein wie Mrs. Simpson.“
Er grinste. „Das ist schon in Ordnung. Dann können sich die beiden Frauen gegenseitig angiften.“
Ich dachte darüber nach. „Sie sind sich schon mal begegnet“, sagte ich. „Und ich glaube, Fig hatte Ehrfurcht vor Mrs. Simpson. Vielleicht ist sie in ihrer Gegenwart weniger unausstehlich.“
Mein Großvater seufzte leise. „Na ja, immerhin nimmt mir das die Entscheidung ab. Mrs. Simpson und deine Schwägerin? Das ist zu viel für einen Kerl wie mich. Ich verschwinde morgen.“
„Oh nein, Großvater. Bitte geh nicht.“
Er streckte den Arm aus und tätschelte meine Hand. „Ich weiß, wann ich unerwünscht bin, Schätzchen. Mrs. Simpson wäre schon schlimm genug, aber deine Schwägerin schaut mich an, als wäre ich etwas, das die Katze hereingeschleppt hat. Außerdem braucht mein kleines Haus mich. Was, wenn es friert und eine Leitung platzt? Es gibt Dinge, um die ich mich kümmern muss. Aber zu Weihnachten bin ich wieder hier, wenn du mich dahaben willst. Dann machen wir uns eine schöne Zeit, ja?“
Ich schaute ihn schwermütig an, da ich wusste, wie viel mir seine ruhige Art bedeutete. Doch ich konnte ihn verstehen. Auch ich hatte schon unter Figs kritischem Blick gelitten, und ich war die Tochter eines Dukes.
„Bleib nicht zu lange fort“, sagte ich. „Ich schicke dir ein Telegramm, sobald all diese Leute wieder fort sind.“
In diesem Augenblick kam Darcy herein. „Oh, Kaffee, sehr schön“, sagte er. Auch er hielt einen Brief in der Hand. Seiner sah sehr offiziell aus.
„Wage es ja nicht, mir zu erzählen, dass dieser Brief dich irgendwo in die Ferne beordert“, sagte ich, „denn ich habe gerade erfahren, dass Fig und Binky über uns kommen werden, und ich werde Fig und Mrs. Simpson nicht allein hier unterhalten.“
„Ganz im Gegenteil“, sagte Darcy. „Dieser Brief macht meine Stellung offiziell. Ich stehe jetzt im Dienst der Regierung Seiner Majestät und erhalte einen Lohn, statt unter der Hand bezahlt zu werden.“
„Oh, wie schön.“ Ich lächelte ihn an. „Aber heißt das, dass du nun nicht mehr so häufig ins Ausland gehst? Du wirst in London arbeiten?“
„Ich gehe davon aus, immer noch reisen zu müssen“, sagte er, „aber ich sollte häufiger zu Hause sein. Das ist auch gut so, jetzt da ich eine Familie habe.“ Er hielt inne, als bei ihm ankam, was ich ihm gerade eröffnet hatte. „Moment. Hast du gerade gesagt, Fig würde über uns kommen?“
Ich nickte. „Die beiden schauen sich Schulen für Podge an. Sie wollen eine in unserer Nähe finden, damit er in den Ferien zu uns kommen kann, statt bis nach Schottland zu reisen.“
„Das klingt sinnvoll“, sagte Darcy. „Der arme Kerl. Es wird ihm besser gehen, wenn er auf einem Internat ist, statt dort oben festzusitzen.“
Ich versuchte, mir vorzustellen, wie James Albert schon mit sieben auf ein Internat ging. Das würde ich nicht zulassen. Ich erhob mich. „Ich sollte Mrs. Holbrook sagen, dass wir zusätzliche Schlafzimmer herrichten müssen“, sagte ich. „Sie wird bestimmt nicht begeistert sein.“
Ich durchquerte den Raum und zog kräftig am Klingelzug.
Kapitel 4
Mittwoch, 28. Oktober
Eynsleigh
Es kann jetzt jeden Tag so weit sein, dass mein Haus von zwei bösartigen Frauen überfallen wird. Ich hoffe einfach, dass wir alle überleben.
„Haben wir irgendeinen Hinweis darauf, wann diese Dame eintreffen wird?“, fragte Mrs. Holbrook. Ich hatte die Bediensteten darüber unterrichtet, dass diese Dame eine bedeutende Person war, die absolute Privatsphäre wünschte. Falls irgendeiner unserer Bediensteten wagen sollte, zu erwähnen, dass sie bei uns wohnt, würde die Person augenblicklich entlassen werden. Vermutlich würde der Name Mrs. Simpson niemandem hier etwas sagen, da er noch nicht in den britischen Zeitungen erwähnt wurde, doch es könnte jeden Tag so weit sein.
„Ich fürchte, nein. Ich habe noch nichts gehört.“
Wir begutachteten das Schlafzimmer, das wir für Mrs. Simpson ausgewählt hatten, und überlegten, wo wir Binky und Fig unterbringen würden. Die Kinder würden im Kinderzimmer schlafen und ihr Kindermädchen in dem kleinen Schlafzimmer nebenan. Ich beschloss, James’ Gitterbett für die Dauer dieses Besuchs nach unten in unser Schlafzimmer zu holen.
Wir hatten keine Ahnung, wer von unseren ungeladenen Gästen zuerst eintreffen würde. Ich hoffte, dass es Fig und Binky sein würden, damit ich die beiden bezüglich Mrs. Simpson informieren konnte. Die ganze Sache würde so doch ganz gut funktionieren. Fig würde vielleicht neidisch sein, sich in Mrs. Simpsons Gegenwart aber zurückhalten, so wie bei jeder eleganten Frau. (Sie selbst hatte nicht den besten Sinn für Mode und auch nicht das Geld, um sich gut zu kleiden.) Und sie würde Mrs. Simpson ganz sicher nicht herumkommandieren können. Sie würde sich ruhig und respektvoll geben. Vielleicht würde sie sogar recht bald wieder abreisen wollen …
Aber natürlich läuft es im Leben nie so glatt. Ich hatte am späten Abend gerade James gefüttert und versuchte, ihn zum Einschlafen zu bringen. Er war ungewöhnlich gereizt, womöglich weil er meine eigene Anspannung spürte. Ich lief gerade mit ihm auf und ab und sang ihm etwas vor, als ich Scheinwerferlicht auf unserer Zufahrt sah. Wer könnte so spät am Abend herkommen? Ich legte James schnell in sein Gitterbett und ging nach unten. Die Bediensteten lagen längst in ihren Betten. Ich öffnete die Haustür gerade rechtzeitig, um eine zierliche, dunkelhaarige Frau auf mich zukommen zu sehen, während der Fahrer eine beachtliche Menge Gepäck aus dem Kofferraum auslud.
„Gott sei Dank, Ihr seid wach“, rief sie mir zu und bestätigte damit, dass es sich um die berüchtigte Amerikanerin handelte, die wir erwarteten. „Ich weiß, wie lächerlich früh man im ländlichen England ins Bett geht und hatte schon befürchtet, vor der Tür schlafen zu müssen.“ Sie erreichte mich und streckte eine Hand aus. „Wie geht es Euch, Georgiana, Schätzchen. Wirklich nett, dass Ihr mich aufnehmt.“ Sie schaute zum Auto. Der Chauffeur strauchelte jetzt, mit etlichen Koffern beladen, in Richtung Haustür.
„Dieser Narr hat sich auf den ländlichen Straßen verfahren. Wir sind auf irgendeinem Feldweg gelandet, der zu einem Stall führte, und waren plötzlich von bellenden Hunden umringt. Nicht das beste Erlebnis für meine Nerven.“
Sie ging voraus, die Treppe hinauf, und betrat das Foyer. Mir fiel auf, dass sie einen Nerzmantel trug, der bis zum Boden reichte.
„Es tut mir leid, aber die Bediensteten sind schon alle zu Bett gegangen“, sagte ich. „Ich war nur wach, weil ich mein Kind gestillt habe.“
„Natürlich. Ihr habt einen Sohn und Erben zur Welt gebracht. Sehr löblich. Hoffen wir, dass er mehr Spaß daran hat, der Erbe zu sein, als ein gewisser anderer Mann.“ Sie hielt inne und schaute mich über die Schulter hinweg an, während sie ihre Handschuhe auszog. „Er wollte nie König sein. Er hasst es. Ihr kennt David. Es gefällt ihm nicht, andere herumzukommandieren. Und er war davon ausgegangen, dass sein Vater noch zwanzig Jahre weiterleben würde, wie die alte Queen, statt so früh zu sterben. Wie unbedacht.“
Sie schaute sich um. Ich wusste, dass sie die Güte von allem bewertete, was in ihren Blick geriet. Da Sir Hubert einen guten Geschmack hatte und dieses überaus elegante Haus geerbt hatte, glaubte ich nicht, dass sie allzu viel Grund zur Beschwerde finden würde. Doch sie schaute mich mit einem finsteren Blick an. „Hier gibt es keine Zentralheizung, oder?“
„Leider nein“, sagte ich. „Und wir wussten nicht, wann Sie eintreffen würden, daher wird es in Ihrem Schlafzimmer heute Nacht recht kalt sein. Aber das Dienstmädchen wird ein Feuer entzünden, bevor Sie am Morgen aufstehen.“
„Du lieber Gott. Ich bin hier wirklich in der tiefsten Provinz“, sagte sie. „David sagte, er wollte mich aus der Reichweite der Zeitungen bringen, doch hier sind wir wirklich mitten im Nirgendwo. Ich werde nie verstehen, wie ihr Briten ohne Heizung leben könnt.“
In mir regte sich der Wunsch, mich zu entschuldigen und ihr eine Wärmflasche zu suchen, doch dann dachte ich: Zum Teufel damit. Wir taten ihr einen Gefallen. Sie hatte es nicht für notwendig befunden, mich über ihre Ankunft zu informieren. Wenn sie in dieser Nacht frieren würde, dann war das ihr Pech.
„Wenn Sie uns hätten wissen lassen, wann Sie eintreffen, wäre das Zimmer schon schön warm“, sagte ich lieblich.
„Ich habe es selbst erst im letzten Moment erfahren“, antwortete sie. „David wollte sich noch von mir verabschieden, konnte aber nicht riskieren, der Presse einen Hinweis zu liefern. Also musste ich durch die Hintertür verschwinden. Eine Nacht-und-Nebel-Aktion.“ Sie beobachtete den Chauffeur, der gerade die letzten Kisten und Schachteln auf dem Boden meiner Eingangshalle abstellte.
„Ich fahre dann wieder, Madam“, sagte er.“
„Ja. Sie können gehen“, sagte sie und wedelte mit einer Hand. „Ich hoffe, Sie finden den Rückweg schneller als den Hinweg.“
„Ich würde Ihnen ja eine Tasse Tee anbieten, aber die Bediensteten schlafen schon“, sagte ich.
„Das ist schon in Ordnung, Miss“, sagte er. Er schaute mich an, als wäre er der Meinung, ich sollte einfach schnell nach unten in die Küche gehen und den Kessel aufsetzen.
„Lady Georgiana. Ich bin die Hausherrin.“
Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. „Entschuldigt, Mylady. Ich hatte keine Ahnung, da Ihr selbst die Tür geöffnet habt. Ich mache mich dann auf den Weg.“
Er trat eilig den Rückzug an.
„Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer“, sagte ich. „Immerhin ist schon alles für Sie vorbereitet. Ich helfe Ihnen gern mit einem der kleineren Koffer, aber ich fürchte, auf den Rest Ihrer Sachen müssen Sie bis morgen warten.“
„Ich schätze, eine Nacht werde ich wohl überleben.“ Sie seufzte leidvoll. „Ich frage mich, was ich am dringendsten brauche.“ Sie reichte mir einen nicht zu riesigen Koffer und dann noch eine Hutschachtel, während sie selbst ein Schmuckkästchen in die Hand nahm.
„Das kann ich nicht in der Eingangshalle liegen lassen“, sagte sie. „Ich nehme an, Ihr habt ein Dienstmädchen, dass sich um meine Sachen kümmern kann?“
Mir kam ein bösartiger Gedanke: Ich würde ihr Queenie zur Seite stellen. Dann fiel mir wieder ein, dass sie Queenie vergangenes Weihnachten schon einmal begegnet war. Und das war nicht gut gelaufen. Doch es wäre unterhaltsam, ihr Gesicht zu beobachten, während Queenie ihr vorgestellt wurde … Bleib freundlich, Georgie, ermahnte ich mich. Wir machen das alles für deinen Cousin.
„Meine Zofe hilft mir im Moment auch mit dem Kind“, sagte ich. „Aber ich vermute, sie kann ein wenig Zeit für Sie finden. Wo ist Ihr Dienstmädchen?“
„Ich habe im Moment keines. Das letzte Mädchen hat sich als sehr unbefriedigend herausgestellt – sie hat nur zu gern mit Reportern geplaudert – und seitdem habe ich aus Koffern gelebt. Ich fühlte mich nie sesshaft genug, um ein neues Mädchen einzustellen. Sobald ich weiß, wie es weitergeht, werde ich ein Dienstmädchen einstellen, wenn das nötig sein sollte. Ich gehe nehme an, dass sie im Buckingham Palace mehr als genug Dienstmädchen haben.“
Oh je. Sie ging wirklich davon aus, bald dort einzuziehen.
Wir waren während unserer Unterhaltung die Treppe hinaufgestiegen. Ich öffnete die Tür zu ihrem Schlafzimmer.
„Wir haben Sie an der Rückseite des Hauses untergebracht, damit Sie nicht zu sehen sind, falls ein Reporter hier herumschnüffeln sollte.“ Ich trat in den Raum. Es war wirklich kalt. Ich stellte das Gepäck ab und machte die Nachttischlampe an.
„In der obersten Schublade der Kommode liegt eine Wärmflasche und im Badezimmer gibt es reichlich heißes Wasser. Es ist am Ende des Flurs.“
„Oh Gott.“ Sie schaute sich um. „Ich schätze, man muss für die Liebe auch bereit sein zu leiden.“ Sie stellte das Schmuckkästchen auf dem Nachttisch ab. „Manchmal frage ich mich, warum ich überhaupt eingewilligt habe, den Kerl zu heiraten. Alles stellt sich als so kompliziert heraus. Aber er lässt eine Tiara für mich anfertigen. Das ist schön. Und Ihre Majestät klingt nicht schlecht, oder?“ Sie lachte trocken, woraus ich schloss, dass sie von ihrer Zukunft nicht allzu begeistert war.
Ich verließ sie und kehrte in unser Schlafzimmer zurück, wo Darcy sich James Albert über die Schulter gelegt hatte und mit ihm auf und ab lief. Unser Sohn protestierte lautstark. Darcy schaute mich verzweifelt an. „Gott sei Dank. Hier, geh zu deiner Mutter.“ Er reichte mir den Jungen. Ich tat das Einzige, was üblicherweise funktionierte: Ich setzte mich aufs Bett und bot ihm ein Nachtmahl an. Er saugte einige Minuten lang und schlief dann glückselig ein.
„Was war da los?“, fragte Darcy. „Ich bin aufgewacht, weil das Kind schrie, und du warst verschwunden.“
„Mrs. Simpson ist eingetroffen“, sagte ich. „In der Eingangshalle stapelt sich ihr Gepäck. Ich habe sie in ihr Zimmer gebracht, aber sie ist sehr unglücklich darüber, dass wir keine Zentralheizung besitzen.“
„Gut“, sagte Darcy. „Vielleicht will sie bald wieder gehen, wenn wir ihr den Aufenthalt ungemütlich gestalten.“
„Genau mein Gedanke“, sagte ich. „Rutsch rüber. Meine Füße sind eiskalt.“
Ich legte mich neben ihn. „Vielleicht wäre so eine Zentralheizung eine gute Sache“, sagte Darcy. „Wenn der Hof Profit abwirft, könnten wir Sir Hubert so etwas vorschlagen.“
„Wer weiß, wann er wieder hier auftaucht“, sagte ich. „Er war in Amerika, ist aber mittlerweile vermutlich nach Alaska oder Nordrussland weitergereist.“ Ich kuschelte mich an Darcy. „Ich bin froh, dass du zu Hause bist“, sagte ich. „Wage es ja nicht, ins Ausland zu gehen und mich mit Mrs. Simpson und Fig allein zu lassen.“
Er gluckste und nahm mich in den Arm. „Das könnte man vielleicht als Scheidungsgrund zulassen“, stimmte er zu. „Allerdings muss ich morgen in die Stadt.“
„Feigling“, sagte ich.
„Nein, ehrlich. Ich habe leider eine Besprechung. Aber du wirst bestimmt hervorragend mit der Situation umgehen.“
„Pff.“ Das war alles, was mir dazu einfiel.