Kapitel 1
Bree
Ich biege um die Ecke und erspähe in der ersten Reihe einen freien Parkplatz. Jackpot. Freudige Erleichterung durchströmt mich. Heute muss mein Glückstag sein. Normalerweise muss ich weit hinten parken und über fünfzehn Minuten zu Fuß gehen, bis ich das Hauptgebäude der Lake Side U erreiche. Ich verlangsame und setze den Blinker. Im Augenwinkel sehe ich, wie ein silberner Jeep viel zu schnell angebraust kommt. Anstatt anzuhalten, fährt er an mir vorbei und das auch noch, ohne das Tempo zu drosseln. Die Lücke zwischen meinem Wagen und den parkenden Autos ist eng. Der hat sie doch nicht mehr alle! Instinktiv halte ich die Luft an. Wird mein Seitenspiegel das überleben?
„Das ist mein Parkplatz, Pumpkin“, ruft mir der Fahrer durch das halb heruntergelassene Beifahrerfenster zu.
Die Stimme erkenne ich sofort. Sie gehört Scott. Er ist der Einzige, der mich Pumpkin nennt. Seine bloße Existenz bringt mich zum Verzweifeln. Und ich hasse den Spitznamen, den er mir verpasst hat.
Als wir auf gleicher Höhe sind, grinst er breit, entblößt seine schneeweißen, geraden Zähne. Es gab eine Zeit, da bescherte mir sein Lächeln weiche Knie, obwohl es das nicht sollte.
Perplex sehe ich zu, wie der Jeep vor mir abbiegt und in die Parklücke fährt. Das darf doch nicht wahr sein! Scott, der Arsch, schnappt mir den Parkplatz vor der Nase weg. Wütend schlage ich aufs Lenkrad. Na warte, der kann etwas erleben.
Ich lehne mich leicht aus meinem Cabrio. „Echt, jetzt?“, rufe ich. „Ich wusste nicht, dass die erste Reihe für Fremdgeher reserviert ist.“
Während er den Kopf schüttelt und sich mit der Hand lässig durch das braune, mittellange Haar fährt, ertönt hinter mir ein Hupen. Ich reagiere nicht, sondern starre Scott aus zusammengekniffenen Augen finster an. Unbeeindruckt steigt er aus dem Auto und wird sogleich von seinen Freunden begrüßt.
Das Hupen wird energischer. „Jetzt fahr schon weiter“, schreit eine aufgebrachte Frauenstimme.
Sofort blicke ich in den Rückspiegel. Hinter mir reiht sich ein Auto ans andere. Verdammt, ich blockiere die Straße. Fluchend rolle ich an. Als ich Scott und seine Clique passiere, zeige ich ihm den Mittelfinger, worauf er und seine Freunde lachen. In meinem Magen rumort es. Hier und jetzt könnte ich ihm den Hals umdrehen.
Scott ist mein persönlicher Albtraum – beliebt, unverschämt attraktiv, der Quarterback des Footballteams und für mich absolut tabu.
Genervt kurve ich über den weitläufigen Parkplatz. Minuten später taucht in der letzten Reihe links von mir eine Lücke auf. Endlich. Nachdem ich geparkt habe, nehme ich die Tasche vom Beifahrersitz und steige aus.
Mit zügigen Schritten laufe ich zum Hauptgebäude. Wenn ich mich nicht beeile, komme ich zu spät. Ella, meine beste Freundin, seit ich denken kann, winkt mir von Weitem zu. Ich seufze, als ich erkenne, wo sie auf mich wartet. Von wegen Glückstag. Sie steht in der Nähe von Scott, der an seinem Jeep lehnt, und seiner Clique, im Schatten eines großen Baumes. Es ist Ende August und schon morgens brütend heiß.
„Da bist du ja endlich“, ruft sie mir entgegen.
„Hi, ich musste wie immer ganz hinten parken“, sage ich zu ihr, als ich sie erreicht habe.
Wir umarmen uns kurz zur Begrüßung. Während ich mich von ihr löse, komme ich nicht umhin, zu Scott hinüberzusehen.
Er hat den Arm um eine zierliche Frau mit pechschwarzem Haar gelegt. Letzte Woche war es eine kleine Rothaarige gewesen, die Woche davor eine Brünette, die endlos lange Beine besaß. Eigentlich sollte mich sein übermäßiger Frauenverschleiß abstoßen. Tut es. Irgendwie. Aber nicht so, wie es sollte. Sein Charakter ist für die Tonne, sein attraktives Aussehen nicht. Er ist groß gewachsen, hat eine kräftige Statur mit breiten Schultern und ein markantes Gesicht, das auf mich unheimlich anziehend wirkt. Wenn er lächelt, funkeln seine grünbraunen Augen und auf seinen Wangen tauchen klitzekleine Grübchen auf. Vermutlich nehmen sie die meisten gar nicht wahr, da sie so winzig sind, dass man sie leicht übersehen kann.
„Bree, du starrst ihn schon wieder an.“ Ella wedelt mit der Hand vor meinem Gesicht hin und her. „Nach zwei Wochen an der Uni solltest du dich echt mal dran gewöhnt haben, ihm zu begegnen.“
Blinzelnd wende ich mich ihr zu. „Ich weiß, und es ist falsch.“ Ich räuspere mich. „So falsch.“ Wenn das meine ältere Schwester Carly wüsste, wäre sie unglaublich enttäuscht von mir.
Ella hakt sich bei mir ein, und wir eilen den kurzen Weg entlang, über den akkurat geschnittenen Rasen, der in saftigem Dunkelgrün leuchtet, obwohl seit Monaten eine fast unerträgliche Hitze herrscht.
„Du schwärmst immer noch für ihn“, murmelt sie und mustert mich von der Seite. Dabei fällt ihr eine braun gelockte Haarsträhne in das mit Sommersprossen gesprenkelte Gesicht. Man sieht ihr auf den ersten Blick an, dass ihr Vater Engländer ist. Ihre Haut hat eine noble Blässe, und je nach Lichteinfall schimmern ihre Haare leicht rötlich.
„Ja, ich kann mir das auch nicht erklären, nach allem, was vorgefallen ist, und ich fühle mich echt mies deswegen.“ Meine beste Freundin ist die Einzige, die weiß, dass ich für Scott eine Schwäche habe, die ich einfach nicht abschütteln kann, egal, wie sehr ich es versuche. Hört das denn nie auf?
„Sei nicht so hart zu dir.“ Abrupt bleibt Ella stehen und legt mir die Hände auf die Schultern. „Man kann es dir nicht verübeln, dass er dir gefällt. Heiß, heißer, Scott.“ Sie zwinkert mir zu, bevor sie eine ernste Miene aufsetzt. „Wir wissen beide, dass du nie etwas mit ihm anfangen würdest, und das ist das Einzige, was zählt.“
„Soweit wird es definitiv nie kommen. Ich habe mich in eine Version von ihm verguckt, die nie existiert hat. So wie er in Wirklichkeit ist, würde ich ihn nicht einmal mit einer Kneifzange anfassen.“
„Siehst du.“ Ihre Mundwinkel wandern nach oben, dann lässt sie mich los.
Tief in Gedanken versunken gehe ich neben ihr her. Ich schwärme für Scott, seit er vor fast vier Jahren mit meiner Schwester zusammengekommen ist. In meinen Augen war er der perfekte Freund. Wann immer Carly ihn brauchte, war er zur Stelle. Er war freundlich, witzig und hat sich super mit unseren Eltern verstanden.
Mehr als einmal hat er mir den Hintern gerettet. Obwohl es mir meine Eltern verboten hatten, schlich ich mich am Wochenende oft abends aus dem Haus, um mit meinen Freunden am See abzuhängen. Damals war ich vierzehn und durfte noch keinen Alkohol trinken, was mich aber nicht die Bohne interessiert hat. Nach einem Bier war ich schon beduselt und wenn es Zeit wurde, zu gehen, habe ich meist Scott angerufen. Er kam, ohne zu zögern, und hat mich sicher nach Hause gebracht. Wäre meine Schwester nicht so überaus korrekt, hätte ich mich bei ihr gemeldet. Aber ich hatte Schiss, dass sie mich bei unseren Eltern verpetzen könnte. Sie ist zwar drei Jahre älter, war aber schon immer die bravere von uns beiden, die sich nie etwas zu Schulden kommen ließ, während ich das Schlitzohr war, das seine Grenzen auslotete. Oft bekam ich deswegen Hausarrest, und Dad hielt mir nicht selten eine Standpauke.
So kam es, dass ich heimlich anfing, für Scott und seine Art zu schwärmen, während er mit meiner Schwester zusammen war. Wenn es einen Preis für die schlechteste Schwester des Jahres geben würde, wäre er mir sicher.
Ich wusste, dass das nicht gut ist, aber ich war jung und liebte es, vor mich hinzuträumen. Insgeheim wünschte ich mir, dass ich eines Tages auch so einen liebevollen Freund, wie Scott es war, haben würde.
Erstickt lache ich auf. Nach sechs Monaten hat er meine Schwester betrogen und brach ihr damit das Herz. Wochenlang hat sie seinetwegen geweint und sich in ihrem Zimmer verkrochen. Ich litt mit ihr und versuchte alles, um sie aufzuheitern, doch es gelang mir nur bedingt.
Obwohl ich nun weiß, was für ein Dreckskerl er ist, hänge ich noch immer dieser für mich perfekten Version von ihm nach, die nur gespielt war. Dafür könnte ich mich selbst in den Arsch beißen.
„Kann ich heute Nachmittag zu euch kommen?“, fragt Ella und reißt mich aus meinen Gedanken. „Wir könnten im Pool schwimmen.“
Ich nicke. Wir betreten das steinerne Hauptgebäude. Eine angenehme Kühle empfängt uns. Der Eingangsbereich ist gigantisch und erinnert mich immer an eine Kirche. Hohe Decken, die mit Stuck verziert sind. Das Gebäude stammt noch aus der Kolonialzeit.
„Perfekt. Wir sehen uns beim Mittagessen“, sagt Ella und will zu ihrem Kurs gehen.
„Bevor ich es vergesse.“ Ich halte sie am Ellbogen zurück. „Mom hat mich gebeten, Josh, der heute seinen ersten Tag an der Uni hat, beim Mittagessen Gesellschaft zu leisten. Er kennt noch niemanden, da er zuvor auf einer Privatschule war.“
„Dann leisten wir ihm zusammen Gesellschaft.“
Es ist einfach toll, wie unkompliziert Ella ist. Das ist eine Eigenschaft, die ich sehr an ihr schätze.
Josh hat sich eine üble Grippe eingefangen, war deswegen sogar im Krankenhaus und fängt deshalb erst verspätet an. Ich kenne ihn nicht wirklich. Sein Vater ist Professor Brown und unterrichtet hier Philosophie. Mom kennt ihn von ihrer Uni-Zeit an der Columbia. Seitdem sind sie befreundet, und meine Schwester Carly besuchte für ein Semester einen seiner Kurse. Auf jeden Fall wird Josh froh sein, in der Mensa nicht allein an einem Tisch zu sitzen.
„Wir sehen uns beim Essen.“ Ella winkt mir zu und geht die geschwungene Steintreppe nach oben zu ihrer ersten Vorlesung.
Scott
„Bree hat ganz schön Feuer, die Kleine hat dir ungeniert den Mittelfinger gezeigt“, sagt Noah grinsend. Er ist einen Kopf kleiner als ich, aber genauso muskulös und der beste Wide Receiver im Team. Interessiert beobachtet er, wie Pumpkin und ihre Freundin Ella auf das Hauptgebäude zugehen. „Und sie hat sich echt gemacht.“
„Du lässt sie in Ruhe“, brumme ich. Mein Blick bleibt an Brees Kurven hängen. Er hat recht. Vor drei Jahren war sie noch ein Strich in der Landschaft. Jetzt hat sie ein paar Kilos mehr auf den Rippen und besitzt beeindruckende Rundungen.
„Musst ja nicht gleich sauer werden.“ Langsam dreht sich Noah zu mir um, verschränkt die tätowierten Arme vor der Brust. „Du bist schon lange nicht mehr mit ihrer Schwester zusammen, also musst du auch nicht den Beschützer spielen.“
Angespannt schlucke ich und fange mich wieder. „Wenn du sie nur flachlegen willst, lässt du die Finger von ihr.“ Ich sehe meine Freunde der Reihe nach eindringlich an. „Das gilt für jeden von euch.“
Ich mag Bree. Ich mochte sie und ihre unbeschwerte, draufgängerische Art schon immer. Obwohl sie mich manchmal mit ihrer „Ich mache nur, worauf ich Bock habe, und Regeln interessieren mich nicht“-Art tierisch nerven konnte. In der Zeit, als ich mit Carly zusammen war, ist mir Bree nicht nur ans Herz gewachsen, sondern für mich zu so etwas wie einer kleinen Schwester geworden, die sich gefühlt über Nacht in eine verdammt, attraktive junge Frau verwandelt hat.
„Boah, seit Semesterbeginn hast du echt durchgehend miese Laune.“ Dean, den ich am längsten von allen kenne, kratzt sich am glattrasierten Kinn. „Alles okay bei dir?“
Nein, überhaupt nicht, möchte ich erwidern, aber ich bringe es nicht über mich. „Ja“, antworte ich stattdessen nach einer Weile.
Rasch ziehe ich den Arm zurück, den ich um Violetts Schultern gelegt habe. Dann stoße ich mich vom Wagen ab, um Dean nicht die Gelegenheit zu geben, nachzubohren, und steuere das Hauptgebäude an. Die Falten, die auf seiner Stirn aufgetaucht sind, verraten mir, dass er mir meine Antwort nicht abgekauft hat.
In den Semesterferien hat sich für mich so vieles auf dramatische Art und Weise geändert. Dad hat seinen gut bezahlten Job verloren, weil er Kundengelder veruntreut hat. Er hoffte, er könne damit die Verluste wieder wettmachen, die er an der Börse eingefahren hat. Doch er hat alles nur verschlimmert und kann von Glück reden, dass er nicht angezeigt wurde. Dad musste unsere Villa verkaufen, um die Schulden zu begleichen. Seit einem Monat hausen wir nun in einem winzigen Haus in einem heruntergekommenen Stadtteil von Chicago, den ich zuvor nicht einmal gekannt hatte. Die Straßen sind dreckig, überall liegt Müll herum und es stinkt an jeder zweiten Kreuzung nach Pisse.
Wie werden meine Freunde, die alle aus reichen, perfekten Familien kommen, reagieren, wenn sie davon erfahren? Vielleicht wenden sie sich von mir ab – also behalte ich es lieber für mich. Während sie die Semesterferien an den schönsten Stränden der Welt verbrachten, musste ich lernen, was es heißt, arm zu sein.
Dass ich nicht mehr im Luxus lebe, ist kein Problem für mich, ich kann mich mit fast allem arrangieren, das hat die Vergangenheit gezeigt. Was wirklich schmerzt, ist die Enttäuschung, die ich durch meinen Dad erfahren habe. Obwohl ich mich mit Enttäuschungen bestens auskenne.
Seit das Semester begonnen hat, trainiere ich noch härter als zuvor. Ein Sportstipendium ist meine einzige Möglichkeit, an der Lake Side U zu bleiben. Sollte ich keines bekommen, werde ich die Uni und meine Freunde verlassen müssen. Dieser Gedanke macht mich krank. Es ist mein letztes Jahr, und ich will den Abschluss an der Lake Side U machen. Ich will nicht für die Fehler meines Dads bezahlen müssen. Sie dürfen keine Auswirkungen auf meine Zukunft haben.
Kapitel 2
Bree
„Weißt du, wie Josh aussieht?“, fragt mich Ella, nachdem wir uns an einen Tisch in der Mensa gequetscht haben. Die Hitze ist mittlerweile so unerträglich geworden, sogar im Schatten ist es kaum auszuhalten. Was dazu führt, dass praktisch jeder Platz besetzt ist und ein fürchterliches Gedränge herrscht, weil niemand im Freien essen will.
„Nein, aber Professor Brown weiß, wie ich aussehe. Er war schon öfter bei uns zu Besuch und wird mich seinem Sohn sicher beschrieben haben.“ Ich reibe über die lange, übel verheilte Narbe an meinem Unterarm.
Ella weist mit einem Kopfnicken darauf und verdreht die Augen. „Die macht dich tatsächlich unverwechselbar. Du musstest ja unbedingt einen doppelten Salto versuchen und das nur, weil dich einer unserer Mitschüler in der Elementary School damit aufgezogen hat, dass du das nicht hinbekommst.“
Zu meinem Leidwesen hat er recht behalten. Kopfüber bin ich auf die Matte geknallt und wollte mich mit den Händen abstützen. Leider ist meine linke Hand abgerutscht und auf dem harten Boden der Turnhalle gelandet. Der Schlag war zu heftig, sowohl Elle als auch Speiche sind gebrochen. Ein eiskalter Schauer rinnt mir das Rückgrat hinunter. Der Schmerz war beinahe unerträglich und der Anblick, wie ein Teil des Unterarmknochens aus meiner Haut ragte, zu viel für mich. Ich wurde ohnmächtig und bin erst im Krankenhaus wieder zu mir gekommen.
„Bist du Bree?“, fragt jemand neben mir.
Ich drehe den Kopf und blicke in ein freundliches, leicht rundliches Gesicht eines jungen Mannes mit blonden, extrem kurz geschorenen Haaren. Braune Augen sehen mich unsicher an.
„Ja.“ Ich stehe auf und halte ihm die Hand hin. „Du bist bestimmt Josh. Es freut mich, dich kennenzulernen.“ Mit dem Kopf deute ich auf meine Freundin. „Das ist Ella.“
Sie winkt ihm zu. „Setz dich doch.“
„Echt nett von euch, dass ihr mit mir abhängt.“ Seine Mundwinkel wandern nach oben.
„Kein Ding“, antwortet Ella. „Warum bist du nicht mehr auf der Privatschule? Haben sie dich rausgeworfen?“
Ich kann mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Ella ist die personifizierte Neugierde.
Josh öffnet den Mund. „Ähm …“, murmelt er und klappt ihn wieder zu.
„Jetzt überfahre ihn nicht gleich.“ Ich knuffe Ella in die Seite. „Ist es nicht komisch für dich, an der Uni zu sein, an der dein Vater unterrichtet?“
„Doch, ist es.“ Josh senkt die Stimme. „Ich war in einem sehr konservativen Internat, und die hatten dort Probleme mit meiner sexuellen Orientierung.“
„Schweine“, kommt es mir über die Lippen, als ich vollends begreife, was er gesagt hat.
„Keine Bange, hier wird dir das nicht passieren.“ Aufmunternd nickt ihm Ella zu.
„Ja, das meinte Dad auch. Ich bin froh, nicht mehr im Internat zu sein.“ Auf einmal wirkt Josh um einiges lockerer. „Nachdem ich gemerkt habe, wie mich meine Mitstudenten plötzlich mieden und über mich tratschten, bin ich freiwillig gegangen.“
„Das war auf jeden Fall die richtige Entscheidung.“ Nur zu gut kann ich mir vorstellen, wie er sich gefühlt haben muss. Es ist schrecklich, wenn hinter dem eigenen Rücken getuschelt wird und einem die Leute aus dem Weg gehen. Genauso ist es meiner Schwester ergangen. Statt sich über Scotts Verhalten aufzuregen, verbreiteten ihre Mitstudenten lieber das Gerücht, sie hätte es im Bett nicht gebracht und deshalb habe er sie betrogen.
Ich schnaube. Natürlich wagte es niemand, etwas Schlechtes über Scott zu sagen. Er ist der unangefochtene Star der Lake Side U. Warum meine Schwester die Gerüchte einfach hingenommen hat, begreife ich bis heute nicht.
Wäre ich zu der Zeit schon an der Uni gewesen und nicht mehr an der Highschool, hätte ich mit den Unwahrheiten aufgeräumt und Scott ordentlich gezeigt, wo es langgeht. Zum Glück verstummte das Gemunkel von einem Tag auf den anderen. Lange fragte ich mich, warum auf einmal so plötzlich Ruhe eingekehrt war. Es schien fast so, als hätte jemand ein Machtwort gesprochen. Ob es womöglich Dad oder Professor Brown waren?
„Ich finde, er unterrichtet so wahnsinnig gut. Du bist mir in der Vorlesung gar nicht aufgefallen“, sagt Ella neben mir. O Gott, ich war so tief in meinen Gedanken, dass ich dem Gespräch nicht mehr gefolgt bin.
„Ich saß ganz vorn. Geschichte ist mein Hauptfach“, erwidert Josh.
„Meins auch“, kreischt Ella beinahe. „Dann können wir die Gruppenarbeit zusammenschreiben, die wir bis nächste Woche abgeben müssen.“
„Sehr gerne.“ Josh fischt sein Smartphone aus der Hosentasche und wir tauschen unsere Nummern aus.
„Ich muss jetzt los. Dad bestand darauf, dass ich kurz bei ihm vorbeischaue und erzähle, wie der Morgen war.“ Er rollt mit den Augen, steht auf und drückt Ella und mich flüchtig zum Abschied.
„Josh ist nett“, sagt Ella, sobald er nicht mehr in Hörweite ist.
„Ja, das denke ich auch.“ Das ist leicht geflunkert, da ich nicht viel von der Unterhaltung mitbekommen habe.
„Komm, wir gehen schon zum Hörsaal, dann können wir unsere Notizen von gestern noch kurz abgleichen.“ Ella erhebt sich.
„Welche Notizen? Du hast die Vorlesung geschwänzt.“
„Ja, genau das meine ich doch.“ Kichernd geht sie voran.
„Hat es sich wenigstens gelohnt?“, frage ich und schiebe das Tablett in das metallene Gestell der Geschirrrückgabe.
„Nein.“ Sie schürzt die Lippen. „Der Typ konnte nicht küssen.“
Meine Mundwinkel zucken. „Vielleicht wollte dir das Universum damit sagen, dass du dich mehr auf die Kurse, statt auf die Männer konzentrieren solltest.“
„Und das kommt ausgerechnet von dir.“ Sie hakt sich bei mir ein. „Wann hast du das letzte Mal richtig gebüffelt?“
„Touché.“ Die vergangenen zwei Wochen waren Ella und ich mehr mit dem neuen, aufregenden Uni-Leben beschäftigt und gingen auf Partys, als unsere Nasen in Bücher zu stecken. Das muss sich aber definitiv ändern.
***
Mir brummt der Schädel, als der Professor die zwanzigste Folie auf den Projektor legt. Die angezeigte Formel verschwimmt vor meinen Augen und ich blinzle ein paar Mal, um meine Sicht zu klären. Erfolglos. Gleichungen waren noch nie meine Stärke. Ich bin kein Zahlenmensch. Aber Dad meinte, es wäre gut für mein Jurastudium, wenn ich mich zumindest durch ein Semester Mathematik kämpfe. Er muss es wissen, da er nicht nur Anwalt ist, sondern auch eine eigene Kanzlei besitzt. Für seinen Ehrgeiz bewundere ich ihn. Eines Tages möchte ich in seine Fußstapfen treten.
Wenn er von seinen Mandaten erzählt, hänge ich wie gebannt an seinen Lippen. In den Semesterferien war ich oft bei ihm in der Kanzlei und habe mitgeholfen. Hauptsächlich musste ich Akten und Gerichtsunterlagen sortieren, doch vereinzelt durfte ich an Fällen mitarbeiten. Das war spannend und herausfordernd zugleich.
„Das war es für heute“, sagt der Professor eine gefühlte Ewigkeit später und macht den Projektor aus, bevor ich die Gleichung abschreiben konnte.
Ich blicke zu Ella hinüber. Sie starrt ins Leere. In ihrem Notizblock befinden sich gerade einmal zehn Aufgaben. Sie hat offenbar schon vor einer Weile aufgegeben.
„Bevor Sie jetzt gehen. Die Theater-AG sucht noch Freiwillige, wenn also noch jemand Credits für das laufende Semester benötigt, wäre das eine hervorragende Gelegenheit.“ Sein Blick schweift durch den Raum, und ich rutsche auf meinem Stuhl nach unten.
In die Theater-AG will ich bestimmt nicht, auch wenn mir tatsächlich noch ein paar Credits fehlen, um das von der Uni vorgegebene Soll zu erreichen. Dann müsste ich mir neben unzähligen Paragrafen auch noch seitenweise Text merken.
„Lief da bei der Premiere letztes Jahr nicht irgendwas gewaltig schief?“, flüstert Ella und duckt sich genauso wie ich.
Ich presse die Lippen zusammen, um nicht laut loszulachen. „Allerdings“, krächze ich und kann mir ein leises Lachen nicht mehr verkneifen. Hastig halte ich mir die Hand vor den Mund. Ein prüfender Blick nach vorn verrät mir, dass es der Professor nicht gehört hat. Sein Blick gleitet weiterhin durch den Saal.
„Carly hat mir erzählt, dass Ophelia Hamlet vor Nervosität in einer dramatischen Szene vor die Füße gekotzt hat. Worauf dieser zurückgetaumelt ist und das komplette Bühnenbild umgerissen hat.“ Kaum habe ich geendet, pruste nicht nur ich los, auch Ella schüttelt es vor Lachen.
„Wie schön, haben die Damen Interesse?“, fragt der Professor, und ich erstarre.
Verdammt. Er kann nur Ella und mich meinen. Den Kopf drehend erkenne ich, dass ich richtig liege. Sein ernster, strenger Blick ruht auf uns.
„Ich kann nicht.“ Ella richtet sich kerzengerade auf. „Ich bin schon im Debattierklub, außerdem habe ich genug Credits.“
„Bree?“, dröhnt es durch den Saal. Wie schön, der Professor kennt meinen Namen. Somit gibt es kein Entkommen für mich. „Wie ich Ihren Unterlagen entnehme, fehlen Ihnen noch drei Credits. Vielleicht wussten Sie es noch nicht, aber die Theater-AG ist Ihre einzige Möglichkeit, noch welche zu bekommen. Alle anderen Kurse sind schon voll.“
Leise seufzte ich. Bis jetzt besuche ich noch keinen freiwilligen außerschulischen Kurs. Das hat sich nun offensichtlich auf einen Schlag geändert. Ich brauche die Credits, wenn ich mein Studium erfolgreich abschließen will.
„Ich freue mich sehr, dass ich ein Teil der Theater-AG sein darf“, sage ich so euphorisch, wie es mir möglich ist.
„Sehr schön. Morgen früh um acht findet das erste Treffen statt.“
Jetzt darf ich auch noch eher aufstehen. Ausgerechnet an dem Morgen, an dem meine Kurse später als üblich beginnen.
Der Professor verabschiedet sich, und der Saal leert sich zügig.
Ella lehnt sich zu mir, perplex sieht sie mich an. „Dir fehlen noch Credits?“
„Ja. Hätte ich mich doch bloß wie alle anderen vor Semesterbeginn darum gekümmert.“ Ich könnte mir eine scheuern. Missmutig stehe ich auf, an der Misere bin ich selbst schuld. Das wird mir eine Lehre sein. „Wir sehen uns später bei mir zu Hause.“
„Bis dann“, erwidert sie und packt ihre Sachen zusammen.
***
Ich parke mein Ford-Mustang-Cabriolet, das mir meine Eltern zum Achtzehnten geschenkt haben, in der Garage, eile die Stufen nach oben, durchquere das Erdgeschoss, biege nach rechts ab und nehme die Treppe, die in den ersten Stock führt. In meinem Zimmer ziehe ich die Schuluniform aus, die aus einem roten, mittellangen Rock und einer weißen, kurzärmligen Bluse besteht, und schlüpfe in meinen Bikini.
Ich kann es kaum erwarten, in den Pool zu springen. Nach der unerträglichen Hitze heute lechze ich richtiggehend nach einer kühlen Erfrischung. Eilig kehre ich ins Erdgeschoss zurück, passiere das geräumige Wohnzimmer und trete in den Garten. Vor mir erstreckt sich der tropfenförmige Pool, auf den Mom so unheimlich stolz ist.
„Hey, Schwesterherz, wie war dein Tag? Ich habe dich heute gar nicht auf dem Unigelände gesehen“, ruft mir meine Schwester zu, die doch tatsächlich an der prallen Sonne auf einer der Sonnenliegen chillt. So wie ich sie kenne, hat sie sich mindestens dreimal mit Sonnenschutzfaktor fünfzig eingecremt.
„Nicht schlecht, aber ich muss in der Theater-AG mitmachen.“ Ich schlendere zu ihr hinüber und setze mich auf die Liege neben ihr.
„Uh … das ist übel.“ Carly richtet sich auf. Die langen blonden, leicht gewellten Haare hat sie zu einem lockeren Dutt hochgesteckt. „Ich dachte, du würdest dich dem Cheerleader-Team anschließen. Du hast Gymnastik geliebt an der Highschool, das hätte dir bestimmt gefallen.“
„Ja, das hatte ich auch vor, aber ich wollte das Footballteam nicht unterstützen. Und jetzt ist es ohnehin zu spät, sie suchen niemanden mehr.“
„Warum willst du das Footballteam nicht unterstützen?“ Sie zieht sich die XXL-Sonnenbrille von der Nase und betrachtet mich irritiert.
„Weil Scott dort spielt.“ Kaum haben die Worte meinen Mund verlassen, beiße ich mir auf die Zunge. Normalerweise vermeide ich es tunlichst, seinen Namen in ihrer Gegenwart auszusprechen. Dennoch möchte ich sie oft fragen, wie sie damit fertig geworden ist, dass er sie betrogen hat. Für ihre Stärke habe ich sie oft bewundert.
Erst letztens habe ich beobachtet, wie sie Scott auf dem Flur begegnet ist. Erhobenen Hauptes ist sie an ihm vorbeigelaufen, als hätte er ihr nicht auf grausame Art das Herz aus der Brust gerissen und darauf herumgetrampelt.
„Das hätte mir nichts ausgemacht.“ Sie lächelt gequält. „Ich möchte nicht, dass du meinetwegen darauf verzichtest, das zu tun, was du wirklich willst.“
„Ach.“ Ich winke ab. „So wichtig war es mir gar nicht.“ Das war glatt gelogen.
Sie beweist erneut unheimliche Stärke, und ich schwärme immer noch still und heimlich für diesen Vollidioten. Scott. Auf einmal fühle ich mich schlecht, obwohl ich es bin, die ihr zuliebe aufs Cheerleadern verzichtet hat.
„Also, warum musst du in der Theater-AG mitmachen?“
Ein Schatten legt sich auf meine Schwester. „Das würde ich auch gerne wissen, junge Dame.“
„Hallo Dad“, sage ich, ohne hochzusehen.
„Was ist es diesmal?“ Er seufzt.
Ich drehe mich zu ihm um und lächle ihn an. „Im Zweifelsfall für den Angeklagten. Ausgerechnet du solltest das doch wissen.“
Dad drückt zuerst mir und dann Carly einen Kuss auf den Scheitel. „Richtig, aber dein Vorstrafenregister ist ziemlich lang.“
Gespielt empört schnappe ich nach Luft und fasse mir ans Herz. „Ehrlich, ich habe nichts getan. Mein Verfehlen bestand nur darin, mich nicht früh genug darum zu kümmern, dass ich genug Credits für das Semester bekomme. Und das wird mir nicht wieder passieren, denn ich habe keinen Bock auf die Theater-AG.“
„Hm.“ Dad schmunzelt. „Es hätte schlimmer sein können und du hast etwas daraus gelernt.“
Ich nicke artig. „Ella kommt später noch vorbei.“
Dads Schmunzeln wird breiter. „Manchmal habe ich das Gefühl, sie wohnt bei uns.“
Carly kichert. „Ich wette, sie bleibt zum Essen und pennt anschließend hier.“
Scott
Ein Pfiff ertönt, das Training endet, bei dem ich alles gegeben habe. Meine Lungen brennen, und ein dicker Schweißfilm benetzt meine Haut. Kleine Rinnsale laufen mir über das Gesicht. Schwer atmend erreiche ich die Umkleide, ziehe mich aus und verschwinde unter der Dusche.
„Besprechung, alle herkommen“, ruft der Coach mit ernster Stimme von der Umkleide her in die Duschen.
Noah und ich sehen uns überrascht an. Normalerweise taucht Carter nach dem Training nicht in der Umkleide auf; wenn er uns etwas zu sagen hat, tut er das auf dem Spielfeld.
Ich stelle das Wasser ab, nehme ein Frottiertuch und wickle es mir um die Hüften.
„Ihr habt alle gut gespielt letztes Wochenende. Die Riverside Bears haben wir dem Erdboden gleich gemacht.“
Die Mannschaft johlt. Einige, darunter Dean, hämmern frenetisch gegen die Spinde.
Auf einmal verfinstert sich Carters Miene und sein Blick ruht auf mir. „Keine Alleingänge mehr, Scott, wir sind ein Team. Hast du das verstanden?“ Augenblicklich herrscht Stille, der Coach hat mich bis jetzt noch nie vor versammelter Mannschaft kritisiert.
Ich nicke widerwillig. Als wüsste ich das nicht. Irgendwo muss ich meinem Ärger und meiner Verzweiflung doch Luft machen. Einige der Gegner habe ich umgerannt, als wären sie aus Pappe. Tief in mir hat sich so viel Wut angestaut, und ich weiß einfach nicht, wohin damit. Das verdanke ich allein Dad. Er hat alles, was wir hatten, zerstört. Mom geht ihm, so gut es geht, aus dem Weg, was in dem kleinen Haus fast unmöglich ist. Sie ist genauso enttäuscht von ihm wie ich.
„Wir spielen Football und kein Theater, also reiße dich gefälligst zusammen und zieh in Zukunft keine Show mehr ab.“ Erneut dröhnt Carters tiefe, autoritäre Stimme durch die Umkleide.
Mein leichtes Nicken hat ihn nicht überzeugt. Am liebsten würde ich die Faust in einen der Spinde rammen. Der Coach und ich liefern uns ein Blickduell.
„Die Theater-AG sucht übrigens noch Mitglieder.“ Noah lacht.
„Stimmt.“ Coach Carter legt den Kopf schief. „Hast du denn schon genug Credits, Scott?“
„Nein, aber ich …“
„Gut, dann gehörst du jetzt zur Theater-AG“, entgegnet er, noch bevor ich den Satz beenden konnte.
Verdammt. Das kann er mir doch nicht antun. Von ihm lasse ich mich nicht dazu zwingen. „Ich werde einen anderen Kurs belegen.“ Wegen Dad konnte ich mich noch nicht darum kümmern, normalerweise erledige ich das gleich, nachdem die Kurse für das Semester aufgeschaltet sind.
„Das geht nicht. Nur noch in der Theater-AG sind einige Plätze frei. Du tauchst morgen um acht dort auf und wirst an jedem Treffen teilnehmen. Wenn du es vergeigst oder dir keine Mühe gibst, setze ich dich für die nächsten zwei Spiele auf die Bank. Und dann reden wir über deinen Platz im Team.“
Ein Raunen geht durch die Mannschaft.
„Sorry“, murmelt Noah, kaum dass der Coach den Raum verlassen hat.
Ich klopfe ihm auf die Schulter. „Kannst nix dafür. Ich habe es verkackt mit den Credits.“
Frustriert packe ich meine Sachen zusammen, verabschiede mich vom Team und schlendere mit hängendem Kopf zum Jeep.
Ausgerechnet die Theater-AG. Dort mitzumachen, wird mich Stunden kosten. Ich muss nicht nur den Kurs besuchen, sondern in meiner begrenzten Freizeit neben dem Training auch noch proben. Missmutig steige ich in den Wagen und sinke in das weiche Lederpolster. Die Zeit dafür habe ich schlichtweg nicht.
Ich starte den Motor, fahre an und frage mich unablässig, ob der Coach geblufft hat, oder ob er mich tatsächlich aus dem Team werfen würde. Leisten kann er es sich eigentlich nicht. Ich bin der beste Quarterback der letzten Jahre und seit ich im Team bin, haben wir jedes Jahr die Meisterschaft gewonnen.
Genervt parke ich auf dem Gehweg vor unserem Haus und komme zu dem Entschluss, dass ich es nicht darauf ankommen lassen will.
Ich stoße die Tür auf und betrete das Haus. Dad sitzt vor dem Fernseher und zappt durch die Kanäle. In der rechten Hand hält er ein Bier. Seit wir umgezogen sind, lässt er sich gehen. Seine Haare sind fettig und das Shirt hat einen faustgroßen Fleck vom Essen gestern.
Angewidert schüttle ich den Kopf. „Wo ist Mom?“
„Sie ist für ein paar Tage zu einer Freundin gefahren“, antwortet er, ohne mich anzusehen.
Scheiße, auch das noch. Hoffentlich lassen sie sich nicht scheiden. Dad muss dringend den Arsch hochbekommen.
„Wann kommt sie zurück und hast du dich endlich nach einem neuen Job umgesehen?“
„In ein paar Tagen und das mache ich morgen.“ Das sagt er mir schon seit zwei Wochen. „Setz dich doch zu mir, dann können wir uns zusammen ein Spiel ansehen.“ Endlich dreht er den Kopf in meine Richtung. Sein Blick ist glasig, das war bestimmt nicht sein erstes Bier heute.
„Nein, darauf habe ich keinen Bock“, brumme ich und laufe in mein Zimmer, das einer Abstellkammer gleicht.
Die Tür werfe ich schwungvoll ins Schloss, dann ziehe ich mein Smartphone aus der Hosentasche. Mom hat dreimal versucht, mich zu erreichen, und mir mehrere Nachrichten hinterlassen. Mein Griff um das Smartphone verstärkt sich. Ich wähle ihre Nummer, ohne die Nachrichten zu lesen.
„Hey, warum bist du gegangen?“, frage ich sie geradeheraus, als sie abgenommen hat.
Es dauert einen Moment, bis sie antwortet. „Ich habe Dinge erfahren, die mich schockiert und verletzt haben.“ Ihre Stimme zittert. Sie schnieft leise. „Ich hab dich nicht erreicht, aber ich konnte auch nicht länger warten. Es tut mir leid, mein Schatz. In ein paar Tagen bin ich zurück, versprochen. Aber wenn du mich brauchst, kann ich auch sofort nach Hause kommen. Oder du kommst zu uns.“
Verdammt, sie hört sich unendlich traurig an. Was hat Dad angestellt?
„Bist du noch da?“
„Ja.“ Ich klinge so müde, wie ich mich fühle. „Nimm dir die Zeit, die du brauchst. Ich komme klar, mach dir keine Sorgen um mich.“ Wir verabschieden uns, und ich lege auf. In meinen Eingeweiden brodelt es. Dad hat irgendetwas verbrochen, von dem ich noch nichts weiß.