Leseprobe Der kleine Häkelladen am Strand

Kapitel 1

Nicht schwanger.

Idas Augen brannten vor heißen Tränen, während sie das weiße Stäbchen des Schwangerschaftstests anstarrte. Wie konnte das sein? Warum klappte es nicht endlich?

Seit über anderthalb Jahren versuchten sie und ihr Freund Oscar jetzt schon, Eltern zu werden, bisher jedoch ohne Erfolg. Dabei wünschte sie sich nichts sehnlicher als ein Baby. Bald wurde sie dreiunddreißig, und mit jedem erfolglosen Monat hörte sie ihre biologische Uhr lauter ticken. Eine Träne löste sich und rann über ihre Wange.

„Wo bleibst du denn so lange?“, rief Oscar. „Komm endlich, das Essen steht schon auf dem Tisch und wird kalt.“

Ida tupfte sich die Augen ab und pfefferte das deprimierende Stäbchen in den Mülleimer. Nach einem prüfenden Blick in den Spiegel öffnete sie die Badezimmertür. Der köstliche Duft nach gebratenen Champignons und Zwiebeln stieg ihr in die Nase. Normalerweise wäre sie jetzt in die Küche gelaufen, hätte Oscar von hinten die Arme um die Mitte geschlungen, während er am Herd stand und die letzten Handgriffe tat, und sich an seinen warmen, tröstenden Rücken geschmiegt.

Normalerweise, das bedeutete, bis vor ungefähr fünf oder sechs Monaten. Seitdem reagierte Oscar immer kühler, wenn sie ihre Enttäuschung über die ausgebliebene Schwangerschaft offen zeigte, wurde mit jedem Monat distanzierter, so, als ginge ihn dieses Thema überhaupt nichts an. Nein, sogar noch schlimmer: als ginge sie ihm damit auf die Nerven.

Entschlossen atmete sie durch, straffte den Rücken und betrat mit einem angestrengten Lächeln die Küche, obwohl ihr viel mehr zum Heulen zumute war.

„Das riecht ja köstlich“, sagte sie betont heiter.

Oscar kochte für sein Leben gern. Das war etwas, was das Zusammenleben mit ihm wirklich sehr angenehm machte. Oftmals kochten sie gemeinsam, aber mindestens ebenso häufig tat er es allein, und das Beste war, dass es ihm Spaß machte, und er sich niemals darüber beklagte. Dafür widmete sie sich hinterher dem Abwasch und dem Putzen der Küche, außerdem backte sie gern Kuchen, das war die perfekte Arbeitsteilung.

Eigentlich waren sie ein gutes Team, und das bereits seit acht Jahren. Jedenfalls hatte sie das immer gedacht. Okay, die Leidenschaft der ersten Jahre war inzwischen abgekühlt, und im Grunde hatten sie auch gar keine Gemeinsamkeiten, wenn man von leckerem Essen oder gemütlichen Serienabenden auf der Couch absah. Aber das hatte Ida nie gestört. Sie war zufrieden und glücklich. Bis vor einigen Monaten. Seitdem stimmte irgendetwas nicht. Natürlich hatte sie Oscar schon mehrmals darauf angesprochen, aber er betonte stets, dass alles in Ordnung sei.

Jetzt setzte sich Ida an den Tisch, während Oscar ihren Teller nahm. Auf zwei getoasteten Brotscheiben richtete er ein Steak, Pilze und Zwiebeln aus der Pfanne an. Am Schluss streute er noch gehackte Petersilie darüber und stellte den Teller vor sie hin.

„Sieht fantastisch aus“, schwärmte sie.

Er warf ihr über die Schulter ein kurzes Lächeln zu, ehe er sich seinem eigenen Teller widmete. Inzwischen schenkte sie ihnen Weißwein ein und versuchte, ihre Enttäuschung über das erneut negative Ergebnis beiseitezuschieben. Es wurde ja nicht besser, wenn sie jetzt die Stimmung verdarb.

Oscar beugte sich über den Tisch, rührte noch einmal den Salat durch und setzte sich ebenfalls. „Ich hoffe, dass es auch so schmeckt“, erwiderte er.

„Ganz bestimmt. Guten Appetit.“

„Danke, dir auch.“

Ida nahm sich vom Salat, und sie begannen zu essen. „Wie immer sehr lecker“, lobte sie nach einigen Bissen. „Das Fleisch ist herrlich zart.“

„Freut mich.“ Während Oscar aß, scrollte er auf seinem Handy herum. Das machte er schon lange sehr häufig, aber seit Monaten hatte Ida das Gefühl, dass es noch mehr geworden war.

Ein paar Minuten lang beobachtete sie ihn dabei.

„Ist das Teil eigentlich inzwischen an dir festgewachsen?“, fragte sie ironisch.

Er fuhr auf. „Was? Ach so, jaja.“ Einige Sekunden lang widmete er sich seinem Essen, dann ging eine Nachricht ein, und er schaute schon wieder aufs Handy. Vor allem hatte er ihr wieder mal nicht zugehört.

Weitere Minuten sah Ida sich das an. „Kannst du nicht wenigstens beim Essen mal das Ding weglegen?“, bat sie schließlich.

Mit einem hörbar genervten Seufzen kam er ihrer Bitte nach.

Verstohlen betrachtete Ida ihn. Seit sie zusammen waren, schien er kaum gealtert zu sein. Er war drei Jahre älter als sie. Sein dunkelbraunes Haar war voll, sein Gesicht glatt, die Figur schlank. Ja, er war ein sehr gutaussehender Mann. Aber was nützte das, wenn sie immer mehr das Gefühl hatte, dass er nur physisch anwesend war, mit den Gedanken jedoch ganz woanders?

„Wie war dein Tag?“, versuchte sie, ein Gespräch in Gang zu bringen. Das war auch etwas, was es damals, während der ersten Jahre, nicht gegeben hatte. Sie hatten sich immer etwas zu sagen gehabt, auch ohne Aufforderung.

„Ganz okay. Ich konnte einen guten Deal aushandeln, ein Volvo, Jahreswagen.“ Oscar arbeitete als Autohändler.

„Super, das freut mich.“

Er linste zu seinem Smartphone, griff stattdessen zum Weinglas und trank, ohne mit ihr anzustoßen. Und ohne sie zu fragen, was sie heute so erlebt hatte. Als ob es ihn überhaupt nicht interessierte.

Während der ersten Monate, nachdem sie sich entschlossen hatten, ein Kind zu bekommen, hatte er noch aufgeregt mitgerechnet und sie schon Tage vorher gefragt, wann sie den nächsten Schwangerschaftstest machen wollte. Mit jedem negativen Ergebnis verringerte sich jedoch sein Interesse, und inzwischen schien es überhaupt nicht mehr vorhanden zu sein. Sollte sie es ihm jetzt sagen? Im Grunde war es vergebliche Liebesmüh. Mit Glück würde er etwas Mitleid heucheln. Andererseits ging es auch ihn etwas an, immerhin wurde er wieder kein Vater.

Sie nahm ebenfalls einen großen Schluck Wein. „Es hat wieder nicht geklappt.“

Wenigstens sah er endlich mal auf. „Wovon redest du?“

Fassungslos starrte sie ihn an. Fragte er das gerade ernsthaft? Das war doch ein deutliches Indiz dafür, dass er sich gar keine Gedanken mehr über ihre Familienplanung machte. Dass das Thema für ihn im Grunde bereits abgeschlossen war. Inzwischen fragte sie sich, ob es überhaupt jemals relevant für ihn gewesen war.

Wut stieg in ihr auf. Anstelle einer Antwort stand sie wortlos auf, ging ins Bad, holte das Stäbchen aus dem Mülleimer und knallte es vor ihn auf den Tisch.

„Oh“, sagte er nach einem kurzen Blick und hob die Schultern. „Das meinst du. Tja, war ja zu erwarten, oder?“

„Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?“, fragte sie erbost.

Sichtlich genervt hob er die Brauen. „Was willst du eigentlich von mir hören? Jeden Monat dieselbe Leier. Kannst du dich nicht einfach damit abfinden, dass wir eben keine Eltern werden? Das hat doch auch Vorteile. Sehr viele sogar. Wir bleiben frei und ungebunden. Keine durchwachten Nächte, Berge von stinkenden Windeln und vollgekotzte Lätzchen.“

Tief in seinen Augen stand deutlich seine Erleichterung geschrieben. Der Anblick versetzte Ida einen schmerzhaften Stich.

„So siehst du das also?“

„Im Grunde ja. Klar, so ein Baby ist auch süß. Aber in erster Linie macht es Arbeit und Mühe und kostet einen Haufen Geld.“

„Seit wann ist das denn deine Meinung dazu? Als wir damit anfingen, hast du noch ganz anders geredet. Du hast es dir toll vorgestellt, Papa zu werden und deinen Nachwuchs auf den Schultern zum Fußballspiel mitzunehmen und ihm Radfahren beizubringen.“

„Da hab ich auch gedacht, dass es ganz einfach und schnell geht. Zwei, vielleicht drei Monate, dann bist du schwanger und trägst strahlend deinen dicken Bauch mit dir herum. Und ich hätte ständig stolz daran gelauscht und ihn gestreichelt. Leider wurde daraus nichts, oder? So what. Statt dich endlich damit abzufinden, heulst du mir jetzt Monat für Monat die Ohren voll, und statt besser wird es immer schlimmer.“

Ida konnte nicht glauben, was sie da hörte. „Wie bitte? Ich heule dir die Ohren voll?“

Zu ihrem Erschrecken spürte sie, dass ihr tatsächlich Tränen in die Augen schossen. Es war einfach zu viel. Die Enttäuschung über die wiederum nicht eingetretene Schwangerschaft war schon traurig genug. Aber Oscars kalte Worte ließen das Fass jetzt überlaufen.

Er schien selbst zu erschrecken und legte schnell seine Hand auf ihren Unterarm. „Ida, so war das nicht gemeint. Nimm nicht immer alles so persönlich, okay?“

„Wie soll ich das nicht persönlich nehmen?“ Sie schniefte.

Er holte ein Taschentuch aus der Schublade und reichte es ihr. „Verstehst du nicht, dass mir dieses Thema langsam auf die Nerven geht? Sorry, das hört sich hart an, aber so ist es nun einmal. Es gibt noch so viele andere Dinge im Leben. Statt sie zu genießen, gibt’s für dich ja gar nichts anderes mehr als deinen Kinderwunsch.“

Meinen Kinderwunsch? Du tust ja so, als hättest du nie welche haben wollen.“

„Nein, so ist das nicht. Bitte, Liebes …“ Erneut legte er seine Hand auf ihren Arm.

„Hättest du es etwa nur mir zuliebe getan?“

Er hob die Schultern. „Ich kann mir durchaus ein Leben ohne Kinder vorstellen. Wie ich gerade schon sagte, hätte es jede Menge Vorteile. Denk nur an die schönen Reisen, die wir unternehmen können. Du wolltest schon immer eine Safari in Kenia machen, oder? Und ich würde gern mal in Norwegen Rafting ausprobieren. Das geht alles mit Kind nicht mehr. Da können wir bestenfalls in ein überfülltes All-Inclusive-Hotel für Familien mit lauter heulenden Kiddies und genervten Eltern. Nee, echt, das stelle ich mir nicht gerade angenehm vor.“ Sein Daumen strich unruhig über die Haut ihres Arms.

Ärgerlich und enttäuscht zog Ida ihn unter seiner Hand weg. „Hört sich an, als wärst du froh darüber, dass es wieder nicht geklappt hat.“

„Zumindest finde ich es nicht besonders schlimm. Wie ich gerade sagte …“ Sein Handy piepte. Sofort sah er nach. Seine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln.

„Gute Nachrichten?“, fragte Ida spitz.

Oscar legte das Smartphone mit dem Display nach unten auf den Tisch. „Ach, das war nur Aksel.“

Er log. Da war sich Ida ganz sicher. Nur warum? Was verheimlichte er ihr? „Was will er denn schon wieder?“

„Er fragt, ob ich gleich noch auf ein Bier zu ihm kommen will. Hast du was dagegen?“

„Ihr seid in letzter Zeit ja unzertrennlich, was?“

Tatsache war, dass Oscar momentan mehr Zeit mit seinem Freund verbrachte als mit ihr.

„Ja. Und? Ich rede dir doch auch nicht rein, wenn du dich mit deinen Freundinnen triffst und ihr euren Babykram besprecht.“

Ida zuckte zusammen. Plötzlich erschien ihr Freund ihr total fremd. War das wirklich noch der Mann, in den sie sich damals verliebt hatte?

„Na, dann hau mal ab, damit ihr in Ruhe euren Männerkram besprechen könnt“, sagte sie kalt.

„Sei nicht sauer.“ Er sprang so schnell auf, als hätte er nur darauf gewartet. Und als wäre es ihm völlig gleichgültig, ob sie ärgerlich war oder nicht. Rasch schlüpfte er in seine Jacke. „Du brauchst nicht auf mich zu warten, okay? Leg dich ruhig hin, wenn du müde bist. Wir sehen uns morgen.“

Wortlos sah sie zu, wie er das Haus verließ. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss, und für Ida hörte es sich an, als fiele damit auch in ihrem Inneren eine Tür zu. Die, die zu ihren Träumen führte, zu ihren Wünschen. Zu ihrem Glück.

Ihr Blick fiel auf den Schwangerschaftstest neben Oscars Teller. Erneut kamen ihr die Tränen, und dieses Mal ließ sie sie fließen. Es war nicht nur die Trauer über die erneut vergebliche Hoffnung, die sie wochenlang gehegt hatte. Vielmehr war es auch die Verzweiflung darüber, dass sie langsam nicht mehr wusste, was sie noch von ihrer Beziehung halten sollte. Von Oscar und seinem sonderbar empathielosen Verhalten.

Sie stellte sich vor, wie er mit Aksel zusammen Bier trank, wie sie lachten. Wo trafen sie sich eigentlich? Bei Aksel zu Hause? Oder in einer Bar? Oscars Freund war Single. Ida wusste, dass er gern flirtete. Welcher Mann tat das nicht? Nein, sie wollte gar nicht genauer darüber nachdenken, wo Oscar gerade steckte oder was er machte. Die Wehmut darüber, sich langsam von ihrem Lebenstraum verabschieden zu müssen, beschäftigte sie mehr als genug.

Ihr Telefon klingelte und riss sie aus ihren Grübeleien. Vielleicht war es Oscar, hoffte sie, um ihr mitzuteilen, dass er schon wieder auf dem Weg zu ihr war, weil er bei ihr sein wollte, weil er spürte, dass es ihr nicht gut ging.

Nein, es war Hanna. Ihre beste Freundin. Wie so oft schien sie gespürt zu haben, dass Ida mit jemandem reden musste. Mitunter war es schon fast unheimlich, dass sie sich immer gerade dann meldete, wenn Ida sie am nötigsten brauchte.

„Hallo“, meldete sie sich. „Ich bin froh, dass du anrufst.“

„Dann hat es wieder nicht geklappt?“, rief Hanna enttäuscht. „Ich hör’s an deiner Stimme. Eigentlich wollte ich nur fragen, ob du den Test schon gemacht hast.“

„Ja, gerade vor dem Essen. Nichts. Langsam fürchte ich, dass es auch nichts mehr wird.“

„Hey, du darfst die Hoffnung nicht aufgeben, hörst du? Ich vermute, dass du dich viel zu sehr darauf versteifst. Dann klappt es oft nicht, hab ich neulich gelesen.“

„Das kann schon sein. Aber was soll ich denn machen? Ich bin zweiunddreißig. Langsam bekomme ich Angst, dass es schon bald zu spät sein könnte.“ Erregt stand Ida auf und begann, im Wohnzimmer herumzulaufen.

„Süße, du hast noch reichlich Zeit! Wie hat Oscar denn reagiert?“

„Wie immer in den letzten Monaten. Totales Desinteresse. Nee, eher noch übler. Ich hatte das Gefühl, er war froh darüber, dass es wieder nicht geklappt hat. Denn ein Baby könnte ja seine Freiheit einschränken.“ Den letzten Satz sprach Ida voll schmerzlicher Ironie.

„Vielleicht ist es ja ganz gut, dass du noch nicht schwanger von ihm bist“, meinte Hanna vorsichtig.

„Inzwischen glaube ich das mitunter schon selbst. Eben konnte er gar nicht schnell genug verschwinden.“

„Wieder mal zu Aksel?“

„Genau. In letzter Zeit kleben die beiden aneinander wie Kuchenteig am Holzlöffel. Keine Ahnung, was die dauernd zu besprechen haben.“

„Meinst du, dass da … noch was anderes ist?“ Hanna brauchte ihren Verdacht nicht auszusprechen.

„Mittlerweile weiß ich gar nicht mehr, was ich noch denken soll. Ich hatte mir alles so schön ausgemalt. Ein Baby würde unser Glück perfekt machen. Uns geht’s so gut! Oscar verkauft ein Auto nach dem anderen und bekommt jedes Mal eine saftige Provision. Ich habe in der Boutique eine tolle Chefin, nette Kolleginnen und verdiene mein eigenes Geld. Oscar und ich haben schon viele wunderschöne Reisen unternommen. Jetzt fehlt uns nur noch ein Baby. Wenn er Vater wäre, würde er bestimmt nicht mehr ständig bei Aksel rumhängen und sich wieder mehr auf unsere Beziehung fokussieren.“ Ida blieb am Tisch stehen, nahm ihr Weinglas und leerte es.

„Ach, das tut mir echt leid! Hab nur Geduld, okay? Mach dir nicht so einen Druck deswegen. Dann wird es schon klappen. Und wenn du mal raus willst, bist du hier jederzeit willkommen, das weißt du ja, oder?“

„Klar. Danke. Womöglich komme ich eines Tages darauf zurück.“

„Liebend gern. Ich freu mich immer, wenn wir uns sehen. Ist ohnehin viel zu selten.“

Hanna wohnte sozusagen am anderen Ende Dänemarks, in Jütland an der Westküste in Blåvand. Automatisch sah Ida die Bilder vor sich, die sie beglückten, wenn sie sie besuchte. Die rauschende Brandung der Nordsee, die auf den weißen Strand schlug, ein Gebirge aus sandigen Dünen, und darüber vom Wind zerzauste Wolken und Möwen, die auf den Böen segelten wie Schiffe. Sofort breitete sich Heimweh in ihr aus und Sehnsucht nach der Nähe und dem Verständnis ihrer Freundin.

Sie kamen beide aus dem kleinen Dorf Hennebjorg in der Nähe von Blåvand und kannten sich seit ihrer Schulzeit. Vor einigen Jahren lernte Hanna, die in Blåvand arbeitete, ihren Mann Felix kennen, bald darauf wurde sie zum ersten Mal Mutter. Inzwischen hatte sie zwei Kinder und war mit dem dritten schwanger. Felix arbeitete bei einem großen Ferienhausvermieter, und während Hannas erster Schwangerschaft waren sie in ein hübsches Haus im Ort gezogen.

Idas Eltern waren vor zehn Jahren kurz hintereinander verstorben. Zwei Jahre darauf lernte sie während eines Kurztrips nach Kopenhagen Oscar kennen, es war Liebe auf den ersten Blick. Und so ließ sie schon bald ihren Heimatort und ihre Freundin zurück, um zu ihm in die Großstadt zu ziehen. Tatsächlich war sie dort jahrelang sehr glücklich gewesen.

Bis vor einigen Monaten. Ida verstand immer weniger, was in Oscar vorging.

„Das stimmt leider“, gab sie ihrer Freundin recht. „Ich werde sehen, ob ich nicht demnächst ein paar Tage Urlaub kriegen kann.“

„Das wäre mega!“, freute sich Hanna. „Notfalls komm einfach übers Wochenende her, wenn du mal nicht arbeiten musst.“

„Super Idee! Wie geht’s dir denn eigentlich? Was macht das Kleine?“

„Tritt und strampelt munter vor sich hin. Und immer ausgerechnet dann, wenn ich mich hinlege. Schlafen ist mitunter ganz schön schwierig.“ Hanna lachte.

„O je, du Ärmste.“

„Nicht der Rede wert. Ich kenne das ja schon von den beiden anderen. Ach, ich wünsche dir so sehr, dass du das auch bald erleben kannst.“

„Danke. Ich werde deinen Rat befolgen und alles etwas ruhiger angehen lassen.“ Ida seufzte. „Auch wenn es schwerfällt. Du weißt ja, die biologische Uhr …“

„Daran darfst du nicht denken. Versuch einfach, alles zu genießen und den Gedanken daran völlig abzuschalten. Dann klappt es bestimmt schneller, als du gucken kannst.“

„Wäre echt schön.“ Im Hintergrund hörte Ida Kindergeschrei, das binnen einer Sekunde Ähnlichkeit mit dem Heulen einer Sirene bekam.

„Du hörst es bestimmt“, sagte Hanna bedauernd. „Die Pflicht ruft. Mama kommt schon, Ole!“

„Ich melde mich so bald wie möglich“, versprach Ida.

„Ich freu mich!“

Als sie auflegte, ging es ihr schon viel besser. Vielleicht würde ja doch bald alles gut werden.

Und ehe sie sich allein zu Hause langweilte, holte sie ihr Häkelzeug aus dem Schrank und widmete sich ihrem liebsten Hobby. Sie häkelte mit Vorliebe naturgetreue Tiere aus Wolle, die sie mit Füllwatte ausstopfte. Unter ihren Händen entstanden schwarz-weiße Zebras, bunte Eulen oder braune Bären. Sie wären wunderbare Spielzeuge für ihr Baby, und einige hatte sie bereits im Freundes- und Kollegenkreis an die Kinder verschenkt. Jedes Mal hatten die Tiere großen Anklang gefunden, ebenso wie die winzigen Jäckchen und Mützchen oder die weichen Decken, die sie mitunter zur Abwechslung häkelte oder strickte. Es tat ihr gut, kreativ zu sein und mit ihren Händen etwas Schönes zu erschaffen. Wenn sie schon kein Baby bekam, konnte sie zumindest niedliche Häkeltiere in die Welt setzen.

Kapitel 2

Am folgenden Tag bekam Ida ihre Periode. Im ersten Moment war ihr zum Heulen zumute, aber dann schluckte sie das Gefühl hinunter, atmete tief durch und dachte an ihr gestriges Gespräch mit ihrer Freundin. Kein Stress mehr diesbezüglich. Sie lenkte sich mit ihrer Arbeit ab, plauderte mit den Kundinnen und ging mittags mit ihren Kolleginnen essen. Die Pizza mit Lachs und Spinat schmeckte hervorragend und war bestens zum Trösten geeignet.

Abends brachte Oscar ihr Blumen mit. Rote Rosen.

„Tut mir leid, dass ich gestern so schnell abgehauen bin.“

„Es kam mir fast vor wie eine Flucht.“ Ein Rest Ärger schwelte immer noch in ihr, auch wenn die schönen Blüten einen Großteil rasch eliminierten. Sie dufteten auch ganz herrlich.

„Nein, Quatsch. Es ist nur … Aksel hat gerade Probleme im Job.“

„Ach so. Das ist natürlich wichtiger.“ Ida hörte selbst den Sarkasmus in ihrer Stimme.

„Du bist immer noch sauer.“ Oscar trat auf sie zu, schloss sie fest in die Arme und strich über ihr weizenblondes Haar.

Wie immer, wenn er das tat, fühlte sich Ida so wunderbar geborgen, dass nun auch der restliche Zorn von ihr abfiel. Sie schmiegte sich an ihn und sog seinen vertrauten Duft ein.

„Nein, bin ich nicht“, sagte sie leise.

„Da bin ich froh.“

Oscar presste sie stärker an sich, und seine Hände gingen auf Wanderschaft. Dann küsste er sie. Willig erwiderte Ida den Kuss, glücklich über die wiedergefundene Nähe zwischen ihnen. Doch als er begann, die Knöpfe ihrer Bluse zu öffnen, hielt sie seine Hand fest.

„Nein, lass. Ich habe Bauchweh.“

„Hast du deine Regel bekommen?“

Sie nickte betrübt. „War nach dem Testergebnis gestern ja klar.“

Er ließ sie abrupt los, als hätte er sich an ihr verbrannt. „Leg dich doch auf die Couch und mach den Fernseher an. Ich koch uns in der Zwischenzeit eine Kleinigkeit.“

Seine liebevollen Worte passten nicht zu seiner Mimik. Ida meinte, Widerwillen zu erkennen. Oder bildete sie sich das nur ein?

„Soll ich dir nicht helfen?“, fragte sie. „Wir können auch zusammen …“

„Nicht nötig. Ruh dich aus.“

Wahrscheinlich meinte er es wirklich einfach nur gut. Ida legte sich hin, stopfte sich ein Kissen unter den Kopf und griff nach der Fernbedienung. Nach einigem Herumzappen fand sie eine Doku über das alte Ägypten. Mitunter wurde der Bericht vom Geklapper der Töpfe und Schüsseln unterbrochen. Still lächelte Ida in sich hinein. Im Grunde hatte sie es doch richtig gut! Sie war nicht krank, sondern einfach nur wieder einmal nicht schwanger geworden. Trotzdem durfte sie hier herumliegen, während ihr Freund in der Küche die ganze Arbeit allein verrichtete. Wie fürsorglich er war.

Entschlossen schaltete sie den Fernseher wieder aus, stand auf und tappte zu Oscar. Sie umfasste seine Brust und schmiegte ihren Kopf an seinen warmen Rücken, wie sie es so oft tat.

Er arbeitete unbeirrt weiter, aber Ida war sicher, dass er lächelte.

„Ich bin so froh, dass ich dich habe“, flüsterte sie.

Für den Bruchteil einer Sekunde erstarrte er. Ja, da war sie ganz sicher. Die Muskeln in seiner Brust und seinem Rücken verhärteten sich. Schon war der Moment wieder vorbei, und er griff zum Kochlöffel und rührte die Nudeln um.

„Ich bin auch froh“, gab er zurück.

Langsam löste sie sich von ihm. War sie momentan einfach nur überempfindlich? Sie beschloss, das ungute Gefühl, das in ihr hochkroch, zu ignorieren.

„Lass uns mal wieder wegfahren“, schlug sie vor und ging zum Schrank, um die Teller herauszuholen.

„Können wir machen, sofern ich Urlaub bekomme.“ Er goss die Pasta ab. Heißer Dampf stieg auf und erfüllte die kleine Küche.

Ida wartete. Mehr sagte er nicht. Keine begeisterten Vorschläge, wohin er gern einmal wollte. Keine Vorfreude auf gemeinsame Tage mit ihr. Noch vor einem Jahr hätte er sofort mit Ideen und Plänen angefangen.

„Wohin würdest du denn gern fahren?“, fragte sie schließlich.

„Hm, schwer zu sagen. Wir haben gerade irre viel Arbeit, verstehst du? Da hab ich ehrlich gesagt den Kopf gar nicht frei für irgendwelche Reiseplanungen.“ Ohne sie anzusehen, stellte er die Schüssel mit den Nudeln auf den Tisch.

Ida legte das Besteck neben die Teller und schenkte Wasser in Gläser, während sich Enttäuschung in ihr breitmachte.

„Es muss ja nicht für lang sein. Für ein verlängertes Wochenende vielleicht. Nur du und ich.“

Er sah sie kurz an, ganz kurz nur, und wandte sich ab. Ein Holzlöffel klapperte im Topf, während er die Tomatensoße in eine Schüssel kippte.

„Okay, das ist bestimmt machbar.“

Das klang ja so, als wäre es für ihn eine lästige Pflicht.

Oder waren es die Hormone, die ihr das einredeten?

Ida beschloss, sich nicht weiter verunsichern zu lassen, und setzte sich.

Auch Oscar nahm Platz und griff zur Nudelschüssel. „Oh, ich habe den Parmesan vergessen. Kannst du ihn schnell aus dem Kühlschrank holen?“, bat er.

„Natürlich.“ Ida stand auf, öffnete die Kühlschranktür und suchte den Hartkäse. Sie fand ihn nicht sofort, sondern musste erst einige Packungen und Joghurtbecher zur Seite schieben.

Als sie sich wieder zum Tisch umwandte, sah Oscar auf sein Handy. Schon wieder!

Es kostete Ida große Anstrengung, nichts zu sagen. Sie wollte nicht jedes Mal die Stimmung verderben, indem sie ihn auf seine viel zu häufige Handynutzung hinwies.

Er schien es auch so zu merken, warf ihr einen kurzen Blick zu und legte es weg. Dann lächelte er und hielt ihr die Schüssel hin. „Bitte, bedien dich.“

„Danke. Duftet ja schon wieder ganz herrlich.“

„Das ist das frische Basilikum. Mann, hab ich ’nen Hunger.“

Sie begannen zu essen.

„Was hältst du davon, wenn wir an die Westküste fahren?“, schlug Ida schließlich vor. „Nur für zwei oder drei Tage, wenn es länger bei dir nicht geht. Das ist nicht weit weg und wir haben keine allzu weite Anreise. Ich möchte so gern mal wieder an die Nordsee.“

„Puh, darüber muss ich nachdenken. Du weißt ja, dass ich lieber ins Warme fahre.“

„Das ist mir auch recht, Oscar. Mir ist völlig egal, wohin es geht. Wir können auch gern einen spontanen Städtetrip nach Barcelona machen oder nach Rom. Es geht mir vielmehr darum, dass wir beide mal wieder Zeit miteinander verbringen können.“

„Das tun wir doch jeden Tag.“

Ida starrte ihn an, während Ärger in ihr hochkochte. „Weißt du echt nicht, was ich meine? Hast du vielleicht schon mal was von Tapetenwechsel gehört? Oder von Qualitytime? Natürlich sehen wir uns täglich. Nach der Arbeit für zwei, drei Stunden. Im täglichen Trott. Und falls du nicht schon wieder bei deinem Freund herumhängst.“

„Was soll das denn …?“

Sie hob die Hand, und Oscar verstummte. „Was ich mir wünsche, ist Zeit nur für dich und mich. Ohne den Gedanken an den Wecker, der am nächsten Morgen wieder früh klingelt, ohne Arbeit, ohne Pflichten. Nur wir beide in einer anderen Umgebung als unserer Wohnung. In einem kuscheligen Hotel zum Beispiel oder einer gemütlichen Ferienwohnung. Wenn es möglich ist, gern auch länger als ein paar Tage. Das ist wichtig für uns, Oscar. Wir entfernen uns voneinander. Spürst du das denn nicht?“

Er wurde bleich, hatte sich jedoch schnell wieder im Griff. „Es könnte uns gut gehen, Ida. Wenn du endlich mit diesem Druck aufhörst, den du uns beiden auferlegst.“

Nun spürte sie, dass sie selbst erblasste. Eine heftige Erwiderung, die ihr auf der Zunge lag, schluckte sie mühsam hinunter. Um des lieben Friedens willen.

„Deshalb möchte ich ja mit dir wegfahren“, erklärte sie. „Damit wir beide uns wieder richtig entspannen können. Aber wenn du nicht willst, brauchst du es nur zu sagen. Ist okay.“

„So hab ich das gar nicht gemeint. Natürlich möchte ich gern Zeit mit dir verbringen. Und wenn es sein muss, fahre ich auch mit dir an die Nordsee.“

„Du sollst es selbst auch wollen und nicht nur mir zuliebe tun.“

„Ich will es ja.“

Sie las in seinen Augen. Und sie wünschte sich so sehr, ihm glauben zu können.

***

Die nächsten dreieinhalb Wochen vergingen im üblichen Trott. Sie gingen zur Arbeit und verbrachten die Abende zusammen. Okay, nicht alle. Hin und wieder fragte Oscar, ob es in Ordnung wäre, wenn er für eine oder zwei Stunden zu Aksel führe, denn der hätte immer noch große Probleme mit seinem Arbeitgeber und würde sehr darunter leiden, nicht zu wissen, wie alles weiterging.

Was sollte sie schon sagen? Es schien ihm wirklich wichtig zu sein, seinen Freund zu unterstützen.

Ida nutzte die freien Abende für ihr Hobby und häkelte weitere Tiere. Gerade arbeitete sie an einem kleinen braunen Hund. Während er unter ihren Händen Gestalt annahm, entspannte sie sich immer mehr.

An den Wochenenden ging sie mit Oscar ins Kino, ins Restaurant und einmal sogar in eine Bar. Arm in Arm liefen sie durch die nächtlichen Straßen, und Ida genoss jeden Augenblick an der Seite ihres Freundes. Während dieser Stunden kam es ihr vor, als gäbe es keine Probleme zwischen ihnen. Oscar war aufmerksam, humorvoll und liebenswürdig, wie sie ihn kennengelernt hatte und liebte.

Okay, zumindest beinahe. Denn ohne sein Handy ging er auch jetzt nirgendwohin. Noch nicht einmal aufs Klo. So war er damals nicht gewesen. Um die zerbrechliche Harmonie zwischen ihnen nicht zu stören, sprach Ida das Thema jedoch nicht an. Oft schien er auch selbst zu merken, wenn es ihr zu viel wurde. Dann steckte er nach einem knappen Blick zu ihr sein Handy weg, ohne dass sie es hatte erwähnen müssen.

So oft wie möglich versuchte sie, Oscar zu verführen, besonders um ihre fruchtbaren Tage herum. Er schlief zwar mit ihr, doch sie hatte mehr und mehr das Gefühl, dass es nur noch eine Pflichtübung für ihn war, und meistens kuschelten sie hinterher auch gar nicht mehr, wie sie es sonst immer getan hatten, sondern er drehte sich um und schlief schnell ein. Sie lag dann noch lange wach, starrte an die Decke und fragte sich, was zum Teufel eigentlich zwischen ihnen schieflief.

Dieses Mal war es nicht einmal nötig, dass sie einen Schwangerschaftstest kaufte, denn ihre Periode setzte sogar schon drei Tage vor dem errechneten Datum ein. Ida hockte auf der Toilette und weinte verzweifelt. Während der vergangenen Wochen hatte sie sich abgelenkt, so gut es ging, und immer wieder versucht, an etwas anderes zu denken. Trotzdem hatte es schon wieder nicht geklappt.

Natürlich war sie bereits häufig beim Gynäkologen gewesen, und der hatte ihr nach eingehenden Untersuchungen bestätigt, dass alles in bester Ordnung war. Und auch Oscar hatte sich durchchecken lassen, mit dem gleichen Ergebnis wie sie.

Es war einfach nicht zu verstehen! Überall auf der Welt wurden unzählige Frauen schwanger, jeden Tag – warum zur Hölle sie nicht?

Vielleicht sollte sie mal wieder einen Termin bei ihrem Frauenarzt machen. Was, wenn sich in der Zwischenzeit irgendetwas geändert hatte? Möglicherweise war es auch an der Zeit, über einen Besuch in einer Kinderwunschklinik nachzudenken. Allerdings bezweifelte Ida, dass Oscar da mitspielen würde. Jedenfalls nicht bei der momentanen angespannten Stimmung zwischen ihnen.

„Bitte lass es uns nicht länger verschieben“, bat sie Oscar an diesem Abend, sobald sie mit dem Essen fertig waren. „Lass uns wegfahren. Ich brauche das, verstehst du? Etwas Abstand zu allem.“ Vielleicht konnten sie in einer entspannten Atmosphäre im Urlaub das Thema einmal ganz in Ruhe ansprechen.

Prüfend betrachtete er sie. „Ist alles in Ordnung? Ach je, hat es etwa wieder nicht geklappt?“

Sie schüttelte den Kopf und kämpfte gegen die Tränen an. „Nein. Ich kapier es nicht. Und ich will dich damit auch gar nicht nerven. Alles, was ich möchte, ist, für ein paar Tage hier rauszukommen. Ein Tapetenwechsel, um auf andere Gedanken zu kommen. Zeit nur für uns beide, verstehst du?“

Er griff nach ihrer Hand und drückte sie. „Natürlich, Liebes. Wir fahren weg, versprochen.“

Freude stieg in ihr auf. „Wann?“

„Du kannst es ja gar nicht erwarten.“ Er lächelte.

„Nein. Es ist schon lange überfällig. Meinst du denn, dass du ein paar Tage frei bekommen kannst? Oder habt ihr immer noch so viel Arbeit?“

Einige Sekunden lang schwieg er geheimnisvoll. „Okay, ich wollte es dir in den nächsten Tagen ohnehin sagen. Ich habe bei meinem Chef vorgefühlt, was ein paar Tage Urlaub betrifft, und ihn daran erinnert, wie viele Überstunden ich bereits angehäuft habe.“

Gespannt hielt Ida die Luft an.

„Viel Arbeit haben wir immer“, fuhr Oscar fort. „Das wird in nächster Zeit auch bestimmt nicht weniger. Wenn es danach geht, kann niemand von uns Urlaub nehmen. Mein Chef hat allerdings eingesehen, dass es so nicht weitergeht, und zugestimmt, dass ich eine Woche freinehmen kann.“ Nun strahlte er.

Tiefe Freude stieg in Ida auf. „Im Ernst? Das ist … Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Es ist fantastisch.“ Bebend vor Glück sprang sie auf, fiel ihm um den Hals und schmiegte sich an ihn.

Oscar drückte sie an sich. „Freut mich, dass meine Überraschung gelungen ist.“

„Und wie!“ Sie küsste ihn auf den Mund und setzte sich wieder auf ihren Stuhl. „Weißt du denn schon, wann du Urlaub nehmen kannst?“

„Am besten möglichst bald. Nicht, dass mein Chef seine Zusage vor lauter Arbeit wieder vergisst.“

„Da dürftest du recht haben. Sagen wir, Mitte April? Das wären noch fünf Wochen. Da kann sich dein Chef gut drauf einrichten, und auch Ellen hätte noch genug Zeit, alles wegen meiner Vertretung zu klären.“ Das war Idas Chefin.

„Klappt es denn bei dir so kurzfristig?“, erkundigte sich Oscar.

„Ich denke schon. Karla und Marie arbeiten beide nur Teilzeit und fragen oft nach Zusatzstunden. Und Ellen hat mir noch nie Steine in den Weg gelegt.“

„Super. Gut, dann nehmen wir Mitte April. Montag sage ich sofort in der Firma Bescheid, damit alles in trockenen Tüchern ist.“

„Unbedingt! Äh, wo wollen wir eigentlich hin? Schwebt dir irgendein Reiseziel vor?“

Er schüttelte den Kopf. „Das ist mir eigentlich egal. Für eine Fernreise dürfte der Termin zu kurzfristig sein. Vielleicht ans Mittelmeer?“ Nachdenklich rieb er sein Kinn. „Weißt du was? Wenn du willst, fahre ich mit dir an deine geliebte Nordsee.“

„Wirklich? Auch nach Blåvand?“

„Auch dorthin.“ Er nickte lächelnd.

Ida griff über den Tisch nach seiner Hand und drückte sie. „Du bist der Beste! Es ist ja schon bald. Am besten suchen wir gleich nach einer Unterkunft, oder?“

Er grinste. „Du kannst es ja gar nicht erwarten! Such etwas Schönes für uns aus, mir ist alles recht.“

Glücklich betrachtete Ida ihren Lebensgefährten. Wie es schien, hatte dieser Urlaub bereits jetzt einen heilsamen Einfluss auf ihre Beziehung. „Hannas Mann Felix arbeitet doch bei einem Ferienhausanbieter. Am besten rufe ich sie sofort an und frage sie als erstes.“

„Mach das. Vielleicht bekommen wir ja sogar besondere Konditionen.“ Oscar zwinkerte ihr zu.

„Wer weiß!“ Ida strahlte vorfreudig und griff nach ihrem Smartphone, um ihre Freundin anzurufen. Während sie darauf wartete, dass sie abnahm, beobachtete sie Oscar. Er schenkte ihr noch ein Lächeln, dann verzog er sich mit seinem eigenen Handy in ein anderes Zimmer.

Wollte er sie in Ruhe mit ihrer Freundin telefonieren lassen? Oder schon wieder geheimnisvolle Dinge mit Aksel besprechen? Erneut meldete sich das seltsame Gefühl und säte Misstrauen in ihr Herz.

Die Stimme ihrer Freundin lenkte sie ab. „Hallo, Ida, das ist ja eine schöne Überraschung. Wie geht es dir?“

„Ach, eigentlich gut.“

„Eigentlich? Was ist los? Lass mich raten …“

„Wieder nichts“, kam Ida ihr zuvor. „Ich weiß mir echt keinen Rat mehr.“

„Das tut mir so leid!“

„Danke. Deshalb ruf ich aber gar nicht an.“ Ida trank einen Schluck Wasser.

„Oh! Gibt es etwa noch andere Neuigkeiten? Du klingst so aufgeregt.“

„Das bin ich auch, und wie! Oscar und ich fahren an die Nordsee! Endlich wieder! Ich warte schon so lange drauf.“

„Echt? Das ist fantastisch!“, rief Hanna erfreut. „Wohin wollt ihr denn genau? Vielleicht können wir uns mal treffen.“

„Genau das hab ich vor. Natürlich soll es in erster Linie ein Liebesurlaub mit Oscar werden. Unsere Beziehung hat das nötig, verstehst du?“ Unruhig drehte Ida das halbleere Glas auf dem Tisch.

„Das kann ich mir gut vorstellen. Solche Belastungen wie bei euch gehen nicht spurlos an einem vorbei.“

„So ist es leider. Irgendwie ist bei uns schon länger der Wurm drin. Aber ich habe das Gefühl, dass es mit diesem Urlaub besser werden kann. Und wenn wir schon bei euch sind, müssen wir uns natürlich auch unbedingt einmal treffen. Du und ich haben uns schon so lange nicht mehr gesehen.“

„Wo du recht hast … Darüber würde ich mich wirklich riesig freuen!“

„Das machen wir auf jeden Fall!“ Ida spürte, wie mit jeder Sekunde ein wenig Druck von ihr abfiel. „Also, was ich fragen wollte … Felix arbeitet ja sozusagen an der Quelle. Meinst du, ob er mal nachsehen könnte, ob eine schöne kleine Ferienwohnung oder ein Haus frei ist? Mitte April, also in fünf Wochen.“

„Ich frag ihn gern mal, wie die Ausbuchung so aussieht. Sicherlich gut, es ist ja noch keine Hauptsaison. Wir haben bei uns zu Hause allerdings auch ein Gästezimmer, deshalb wäre es gar nicht nötig, dass ihr Geld für eine Unterkunft ausgebt“, erinnerte Hanna.

„Das ist total lieb von dir! Aber für Oscar und mich ist es wichtig, dass wir ein paar Tage nur für uns haben, verstehst du? Na klar treffen wir uns, keine Sorge! Für mich allein wäre ein täglicher Familienanschluss bei euch auch mehr als schön, aber zusammen mit Oscar …“ Ida leerte das Glas, griff zur Wasserflasche und schenkte sich nach.

„Natürlich, verstehe ich. Ihr habt es nicht einfach zurzeit.“

„Leider. Wir brauchen dringend eine Auszeit. Zeit für uns, für Nähe. Damit wir wieder zueinanderfinden können.“

„So schlimm?“, erkundigte sich Hanna bedauernd.

„Wie gesagt, ich glaube, wir sind jetzt schon auf einem guten Weg“, erklärte Ida. „Meistens gibt Oscar sich ja auch viel Mühe. Trotzdem hab ich mitunter das Gefühl, dass irgendwas nicht stimmt. Dass er gedanklich weit weg ist.“

„Vielleicht belastet ihn das Babythema ebenfalls, und er lässt es sich nicht anmerken. Männer sind da ja mitunter etwas speziell.“

„Glaub ich nicht. Dafür reagiert er seit Längerem viel zu gleichgültig auf dieses Thema. Ich will da jetzt auch gar nicht weiter drüber nachdenken. Ich glaube, im vergangenen Monat hab ich es schon ganz gut hinbekommen, alles etwas lockerer zu sehen.“ Erneut nippte Ida am Wasser.

„Das ist super! Dann wird es auch bald klappen, du wirst schon sehen. Wer weiß, vielleicht ja schon während eurer bevorstehenden kleinen Liebesreise.“ Hanna kicherte. „Ich werde Felix sagen, dass sie euer Schlafzimmer ganz romantisch herrichten sollen. Du weißt schon, mit Rosenblättern, Herzkerzen und so. Eure Leidenschaft wird brodeln, und es wäre ja gelacht, wenn dabei nicht ein Baby entsteht.“

Ida lachte mit. „Wenn du das sagst, klingt es ganz einfach.“

Für ihre Freundin war es einfach. Sie erwartete immerhin bereits ihr drittes Kind.

„Ist es auch, du wirst schon sehen. Ach, ich freu mich schon so, auch wenn wir uns nur kurz sehen. Und das nächste Mal kommen wir zu euch und zeigen den Kindern Kopenhagen.“

„Es wird ihnen gefallen. Hier gibt’s auch einen ganz tollen Zoo“, lockte Ida.

„Okay, unser nächstes Reiseziel steht fest! Ich werde Felix gleich alarmieren. Und ich sag dir sofort Bescheid, wenn wir etwas frei haben.“

„Klasse, danke! Ich freu mich schon!“

„Und ich mich erst!“

Kapitel 3

Zwei Tage später rief Hanna an. „Gute Nachrichten! Felix meint, ihr habt zu eurem Wunschtermin Mitte April sogar noch die Auswahl zwischen mehreren sehr schönen Ferienhäusern. Was für ein Glück, dass Nebensaison ist, da ist noch einiges frei und die Auswahl gut. Also, eins der Häuser hat zwar keinen direkten Meerblick, ist allerdings nur wenige Schritte davon entfernt. Ein anderes liegt etwas weiter hinten in den Dünen, ist allerdings größer und hat eine eigene Sauna. Außerdem …“

„Das am Meer klingt traumhaft!“, rief Ida. „Wenn es möglich ist, möchte ich es gern buchen.“

Hanna lachte fröhlich. „Das nenne ich mal eine spontane Entscheidung. Möchtest du nicht zuerst Oscar fragen, ob er damit einverstanden ist?“

„Nö.“ Ida kicherte und fühlte sich so gut wie schon lange nicht mehr. „Er hat gesagt, ihm wäre alles recht.“

„Hast du das gut.“ Hanna seufzte. „Ich wünschte, das würde ich öfter von meiner Familie hören, wenn es darum geht, was ich kochen soll.“

„O je, klingt kompliziert.“

„Ach was, alles halb so wild. So lange ich Rosenkohl und Spinat vermeide, wird meistens alles brav gegessen. Und du meinst, dass es für Oscar wirklich in Ordnung ist, wenn du dieses Haus buchst?“

„So nah am Meer? Ich wüsste nicht, welche Einwände er da vorbringen sollte, auch wenn es nicht die Karibik oder der Indische Ozean ist. Das wäre ihm natürlich wesentlich lieber.“ Ida überlegte kurz. „Okay, der Termin passt auch. Oscar hat bereits seinen Chef gefragt und der hat zugestimmt und sein Go gegeben. Und offenbar haben wir wohl eine Glückssträhne, denn auch Ellen, meine Chefin, hat zugesagt, nachdem Karla und Marie sofort anboten, sich meine Stunden aufzuteilen.“

„Das ist großartig!“, freute sich Hanna. „Dann sehen wir uns ja schon bald.“

„Ja! Nur noch ein guter Monat. Ich freu mich wie verrückt!“

„Nicht so sehr wie ich.“

Sie lachten zusammen, und Ida spürte, wie gut ihr das tat.

***

Die Zeit bis zum Urlaub verging wie im Flug. Voller Vorfreude kaufte sich Ida ein paar neue Kleidungsstücke. Darunter war auch ein sexy Bikini in schwarz, knapp geschnitten. Lächelnd drehte sie sich vor dem Spiegel in der Umkleidekabine und betrachtete sich von allen Seiten. Oscar würden die Augen herausfallen, wenn er sie in dem scharfen Teil sah. Mitte April war es zwar wahrscheinlich zum Baden noch zu frisch, aber mit etwas Glück schon warm genug, dass sie sich zum Sonnenbaden zwischen ein paar geschützte Dünen zurückziehen könnten. Sie freute sich jetzt schon darauf, Oscar dort nach allen Regeln der Kunst zu verführen. Wer konnte schon sagen, ob nicht neun Monate später endlich ein kleines, am Meer gezeugtes Baby zur Welt kommen würde?

Ida freute sich so sehr auf den Urlaub, dass ihre Enttäuschung, dass sie wiederum nicht schwanger geworden war, dieses Mal in einem erträglichen Rahmen blieb. Dafür setzte sie all ihre Hoffnung auf die Urlaubstage voller Glück und Liebe. Und sie lenkte sich ab, indem sie nach dem Hund für Hannas Sohn Ole nun für ihre Tochter Alma eine Katze häkelte. Allein die Vorstellung über deren Freude bewirkte, dass es ihr rasch besser ging.

Eine Woche vor der Abreise begann sie, ihren Koffer zu packen. Ein Kleid und Shirt nach dem anderen zog sie aus dem Kleiderschrank, betrachtete es prüfend und hängte es entweder wieder zurück oder legte es sorgfältig zusammen, um es mitzunehmen. Bei jedem einzelnen Stück überlegte sie ganz genau, ob Oscar es an ihr mochte. In diesem Urlaub war es wichtig, dass er sie nur so zu sehen bekam, wie sie ihm zu hundert Prozent gefiel. Es sollten Tage der Heilung für ihre Beziehung werden. Dazu musste alles perfekt sein.

Oscar blieb während dieser Tage bemerkenswert ruhig.

„Bist du gar nicht aufgeregt?“, fragte Ida drei Tage vor der Abfahrt.

„Nö. Es geht nur an die Nordsee. Wenn wir eine Fernreise machen würden, okay, da wäre ich wohl schon nervös und hätte Reisefieber. Aber so …“ Oscar hob die Schultern. „Nein, kein Grund zur Unruhe.“

„Freust du dich denn wenigstens?“

„Natürlich tue ich das.“

Ida wartete. Kam da noch mehr? Vielleicht Träume und Pläne über die schönen Dinge, die sie gemeinsam unternehmen könnten? Vorfreude auf Zeit zu zweit? Nein. Oscar widmete sich schon wieder seinen Kartoffeln und schielte auf sein danebenliegendes Smartphone.

„Also, ich freu mich sehr“, gestand sie. „Nur du und ich und die Nordsee …“

„Hmhm“, brummte er.

„Wir können Hand in Hand barfuß am Strand entlanglaufen“, träumte sie. „Und hinterher wärmen wir uns im Ferienhaus wieder auf. Ein gemeinsames Schaumbad klingt doch traumhaft, oder?“

„Ja, ja. Wird toll.“

Ida schwieg enttäuscht. Erneut krochen Sorgen in ihr empor wie Spinnen mit dürren Beinen. Aber sie sprach sie nicht aus. In diesem Urlaub hatten sie so viel Zeit nur für sich, dass sie alles in Ruhe klären könnten.

***

Oscar war noch nicht von der Arbeit zurück, und Ida legte letzte Hand an ihren Koffer. Sorgfältig überprüfte sie, ob sie alles eingepackt und nichts vergessen hatte.

Auch Oscar hatte bereits zu packen begonnen, allerdings lag sein Koffer immer noch halbleer neben seinem Bett. Als ob es ihn überhaupt nicht interessiert, dachte Ida betroffen. Wenn er gleich nach Hause kam, musste er sich beeilen, denn sie wollten morgen zeitig aufbrechen.

Um ihm Zeit dafür zu lassen, machte sie sich daran, das Abendbrot vorzubereiten. Während sie Tomaten in Scheiben schnitt, hörte sie ihn zur Tür hereinkommen.

Sobald er die Küche betrat, wusste Ida, dass etwas nicht stimmte. Er hatte jetzt Urlaub, da sollte er strahlen und sich freuen. Stattdessen entdeckte sie diese steile Falte zwischen seinen Brauen, die sich nur in unangenehmen Situationen zeigte.

„Hallo, da bist du ja“, sagte sie besorgt. „Was ist denn los? Du guckst so komisch. Stimmt was nicht?“

Grimmig nickte er und pfefferte seine Jacke über eine Stuhllehne, statt sie sorgfältig an die Garderobe zu hängen.

„Das kann man wohl sagen! Ich bekomme jetzt doch keinen Urlaub.“

Fast hätte sich Ida in den Finger geschnitten. Entsetzt legte sie Tomate und Messer auf den Tisch und starrte Oscar an. „Was?“

Er ging zur Spüle, schenkte sich ein Glas Wasser ein und trank. „Kannst du dir vorstellen, wie sauer ich bin?“

„Was denkst du denn?“, fragte sie bestürzt. „Natürlich kann ich das! Was soll das überhaupt heißen? Dein Urlaub war bewilligt. Den kann dein Chef nicht einfach so streichen.“

„Kann er, wenn gleich beide Kollegen zeitgleich krank werden. Genau das ist heute passiert. Und beide fallen für mindestens eine Woche aus. Mein Chef kann unmöglich das Geschäft ganz allein betreuen. Und das müsste er, wenn ich in den Urlaub fahre. Es tut mir so leid, Liebes. Aber ich kann nicht mitkommen.“ Oscar stellte das leere Glas auf die Spüle.

„Das ist jetzt nicht dein Ernst!“ Ida hörte selbst, dass sie viel zu laut sprach. Aber die Nerven gingen mit ihr durch. Gerade stürzten all ihre Wünsche und Träume zusammen wie ein Kartenhaus.

Oscar hob die Schultern. „Was soll ich machen? Ich kann es leider nicht ändern. Ich bin genauso verärgert wie du.“

Verärgert? Sie war völlig durch den Wind! Stinksauer! Und zutiefst enttäuscht. „Ich hab mich so gefreut“, flüsterte sie, weil ihr plötzlich die Sprache versagte.

Er trat zu ihr und strich über ihren Oberarm. „Das weiß ich. Ich mich auch. Wir holen das nach, versprochen. Und diesmal fährst du einfach allein, ja? Nur weil ich nicht fahren kann, bedeutet das nicht, dass du ebenfalls hierbleiben musst.“

„Was? Nein! Ich will nicht allein fahren. Dies sollte ein Pärchenurlaub werden, Oscar. Nur du und ich! Wir brauchen diese Zeit für uns, für unsere Beziehung.“

„Ich weiß. Und wir holen es auch so schnell wie möglich nach. Mein Chef hat mir zwei zusätzliche Urlaubstage für das nächste Mal zugesagt, weil dieser ja nun platzt. Das ist sehr kulant von ihm, das müsste er nicht machen. Er kann ja auch nichts dafür, dass es so gekommen ist.“

„Nein, natürlich nicht. Trotzdem ist es so, dass auch du mal ein paar freie Tage brauchst. Du arbeitest so viel. Ach, ist das scheiße! Ich hab mich so auf diesen Urlaub mit dir gefreut.“

„Ich mich doch ebenso. Aber du solltest dir die Freude davon nicht vermiesen lassen, hörst du? Gönn dir diese Woche an der Nordsee. Es wird dir guttun.“

Einige Sekunden lang flatterten die Gedanken in Idas Kopf herum wie gefangene Vögel. Sie sah sich mit Oscar glückstrahlend im Sonnenschein am Strand entlanglaufen, Hand in Hand. Sah sich nachts in seinen Armen liegen, vor Glück glühend. Und nun wurde aus alldem nichts. „Nein! Ohne dich fahre ich nicht“, wiederholte sie. „Ich bleibe auch hier.“ Die Enttäuschung wütete in ihr und trieb ihr Tränen in die Augen. Mühsam unterdrückte sie sie.

„Auf keinen Fall, Liebes!“, drängte Oscar entschieden. „Du fährst. Alles ist geregelt, in der Boutique hast du eine gute Vertretung, und du hast dieses wunderschöne Haus gemietet. Vor allem hast du dich so darauf gefreut.“

Erneut dachte Ida nach. Der Nordseestrand erschien vor ihrem geistigen Auge. Mächtige Wogen, die schäumend an den Strand schlugen, kalte Gischt, die sie übersprühte, und am Himmel die sehnsüchtigen Schreie der Möwen. Wollte sie wirklich darauf verzichten?

Oscar beobachtete sie. „Und denk nur an deine Freundin, wie enttäuscht sie wäre“, sagte er und legte damit weitere Kohlen aufs Feuer.

Dieses Argument traf ins Schwarze. Gleiches galt für Felix, der ihr dieses Haus herausgesucht und gebucht hatte. Wenn sie ihnen absagte, würden sie ebenso traurig sein wie sie selbst. Das konnte sie ihnen nicht antun.

„Also gut, ich fahre allein. Aber nur unter Protest. Du tust mir so leid“, sagte Ida traurig.

„Ja, es ist wirklich blöd. Aber meine Kollegen haben es ja nicht mit Absicht gemacht.“

Natürlich wusste Ida, dass Oscar recht hatte. Niemand wurde freiwillig krank. Trotzdem war ihre Enttäuschung einfach zu groß.

„Es tut mir weh, dich allein hier zurückzulassen“, gestand sie. „Ich sollte das wirklich nicht machen.“

„Das muss es nicht, Liebes. Wir wissen beide, dass du es in letzter Zeit nicht leicht gehabt hast.“

Du. Er sprach nur von ihr, nicht von sich. Plötzlich sah Ida wieder seine Gleichgültigkeit vor sich, mit der er das Thema vergeblicher Kinderwunsch behandelte. Oder tat sie ihm Unrecht?

„Du auch nicht“, warf sie ein.

Achtlos winkte er ab. „Halb so wild. Mach dir um mich keine Sorgen, ich komme schon klar.“

„Ich fahre dann mit dem Zug, oder?“, fragte sie. „Das Auto brauchst du ja sicher für die Arbeit.“

„Nein, du kannst es nehmen. Mein Chef hat sofort von sich aus vorgeschlagen, dass ich solange einen Wagen aus unserem Bestand bekommen kann“, erklärte Oscar.

„Das ist wohl das Mindeste.“ Plötzlich fühlte sich Ida sehr müde. Es war, als hätte der Schock ihr jegliche Energie geraubt. „Okay, ich geh dann jetzt schlafen. Morgen möchte ich früh los.“

„Willst du nicht erst was essen? Du hast schon angefangen, etwas vorzubereiten. Ich kann es rasch fertigmachen und koche uns etwas Leckeres.“

„Lieb von dir. Aber der Appetit ist mir vergangen, sorry.“

„Verstehe ich. Es ist wirklich super schade. Wir holen das nach, Liebes. Versprochen.“

Oscar küsste sie, doch in Ida blieb es seltsam kalt dabei.

Während sie sich wusch, ging ihr auf, dass Oscar entgegen seiner Worte nicht sonderlich enttäuscht gewirkt hatte. Mit einem Mal standen vor ihrem inneren Auge all die Gelegenheiten, in denen er ganz versonnen in sein Handy gesehen und dabei gelächelt hatte. Die vielen Abende, an denen er dringend seinem Freund beistehen musste. Die Gleichgültigkeit, mit der er sie oftmals behandelte, sogar, als sie seinen Beistand nötig gehabt hatte.

War er wirklich enttäuscht darüber, dass er hierbleiben musste? Oder kam ihm das womöglich sogar sehr gelegen?