Kapitel 1
„Hallo … Bec?“
„Hey, Süße.“
Samantha Evans wischte sich die Nase mit einem Taschentuch ab und freute sich ungemein, dass ihre Schwester genau zu dem Zeitpunkt zu Hause war, als ihr Leben aus den Fugen geraten war.
„Weinst du etwa? Was ist los? Du weinst doch sonst nie. Warte mal kurz …“
Wieder stiegen heiße Tränen in Sams Augen, als Bec ihre Töchter anschrie, den Fernseher leiser zu stellen. Protest war zu hören, aber Bec überging ihn mit der Drohung, die heiß ersehnten Ferienlagerpläne abzusagen, und die Geräuschkulisse verstummte.
„Okay. Erzähl mir, was passiert ist. Und wen muss ich verprügeln?“
Samantha konnte sich kaum ein Lächeln verkneifen bei Becs „Leg dich nicht mit meiner Schwester an“-Nummer. „Ich habe gestern Abend Gary auf einer Firmenveranstaltung getroffen.“
„Was hat der gottverdammte Gary auf einer Veranstaltung für Überflieger zu suchen? Das ist ganz schön ambitioniert für ihn.“
„Er war dort mit einer Frau aus einer konkurrierenden Firma. Sie werden heiraten. Sie ist schwanger.“
„Ich dachte, Gary glaubt nicht an Ehe und Kinder?“
„Das dachte ich auch.“
Einen Moment lang herrschte schwesterliches Schweigen. „Okay … aber Gary ist eine Ratte, die dich vor zwölf Monaten mitten im Steuererklärungs-Stress abserviert hat und mit dir nur miesen Sex hatte und wir haaasssen ihn … Weißt du noch? Warum weinst du diesem Verlierer jetzt hinterher?“
„Weil gestern Abend etwas Seltsames passiert ist. Mir wurde plötzlich klar, dass ich Sally bin.“
Becs Seufzer schallte laut in Sams Ohr. „Süße, du musst wirklich aufhören, dir diesen Film immer und immer wieder anzusehen. Du bist Sam. Und es ist nur ein Film.“
„Nein, hör mal, Sally hatte recht.“ Samanthas Stimme stockte. „Es ist ja nicht so, als wollte Gary nicht heiraten und Kinder haben, er wollte das nur nicht mit mir.“
„Okay, ich weiß nicht, mit wem ich hier spreche, aber du stellst mich besser gleich zu meiner Schwester durch“, scherzte Bec. „Du weißt schon, die Karrierefrau, die ganz versessen auf ein Chefbüro ist?“
Zu hören, wie ihre Schwester ihr Leben zusammenfasste, deprimierte Samantha zu sehr, um darauf etwas antworten zu können.
„Seit wann sind Ehe und Kinder Teil deines Plans?“
„Das sind sie nicht“, verneinte sie. „Aber gestern Abend da…“ Die Emotionen blieben Sam wie ein harter Kloß in der Kehle stecken. „Warum wollte er mich nicht heiraten? Was ist nur falsch an mir, Bec?“
„Nichts ist falsch an dir. Du warst nur zu sehr auf deine Karriere fokussiert, um deinen furchtbaren Männergeschmack zu bemerken.“
„Du hast recht, ich bin zu sehr auf meine Karriere fixiert. Ich stehe auf, ich gehe zur Arbeit, ich komme spät nach Hause, ich füttere Godzilla, ich gehe ins Bett. Gott …“ Sie stöhnte auf. „Ich bin so langweilig.“
„Nein, du arbeitest hart. Natürlich bist du am Ende des Tages müde. Du bist … vernünftig.“
„Ich bin spießig.“
„Du bist zuverlässig.“
Sam stöhnte innerlich auf. „O Gott, ich klinge wie ein Volvo. Ich bin scheiße.“
„Nein, Süße, dein Leben ist scheiße. Das ist etwas anderes.“
Samantha konnte immer darauf zählen, dass Bec die Dinge richtig benannte, und erkannte die Wahrheit in ihren Worten. Ihr ganzes Leben lang war sie ein braves Mädchen gewesen, das eifrig studiert, fieberhaft gearbeitet und die Karriereleiter hochgestiegen war, da blieb ihr nicht viel Zeit zu leben. Zum Teufel noch mal, ihre beiden engsten Beziehungen waren die zu einer achtzigjährigen Buchhändlerin und einem übergewichtigen Fisch!
Sicher, sie hatte fast den Höhepunkt ihrer Karriere erreicht, war finanziell abgesichert und lebte das Leben einer jungen, urbanen, modernen Frau. Könnte man meinen. Sie war genau da, wo sie sein wollte… Warum also fühlte es sich plötzlich so einsam an?
„Klingt für mich so, als ob die Begegnung mit Gary deine Uhr aktiviert hat. Deine Eizellen haben beschlossen, dass es an der Zeit ist, aufzuwachen und ihren biologischen Zweck zu erfüllen.“
„Meine … Eizellen?“
„Ganz sicher. Wenn du genau hinhörst, hörst du sie bestimmt tschiepen.“
„Tschiepen?“ Unsinn! Das fehlte ihr gerade noch – laute Eizellen. „In meinem Leben ist keine Zeit für tschiepende Eizellen, Bec. Wie bekomme ich sie wieder ruhiggestellt?“
„Finde einen Mann und bekomme ein paar Babys.“
„Unmöglich. Ich muss bis 2029 die Adams-Buchhaltung optimieren.“
Bec lachte. „Die Mistviecher können anstrengend sein. Bei dem Lärm könnte das Schlafen schwierig werden.“
Samantha hörte ihre Nichten im Hintergrund lachen und verspürte ganz plötzlich den Wunsch, sie in die Arme zu nehmen und ihre süßen Gesichter zu küssen. Sie waren schon so groß geworden, aber noch immer konnte sie sich daran erinnern, sie als Säuglinge im Arm zu halten und dabei ihre Finger und perfekt geschwungenen Münder zu bewundern.
„Vielleicht könnte ich meinen Terminkalender etwas anpassen. Ich könnte Adams früher abschließen, sagen wir 2027.“
„Tschiepende Eizellen warten auf niemannden“, beharrte Bec. „Nicht einmal auf Mr. Adams. Und mit einer Karriere, die jeden Moment deiner kostbaren Lebenszeit in Anspruch nimmt, sind Liebe und Babys nicht zu vereinbaren.“
„Warum nicht?“ Wenn sie von rebellierenden Eizellen geplagt wird, warum kann sie dann nicht beides haben? „Viele Frauen haben einen Job und ein Kind. Ich habe zu hart gearbeitet, um meine Karriere zu opfern, weil meine Eizellen vorübergehend den Verstand verloren haben. Ich meine, ich bin organisiert und arbeite effizient. Ich jongliere regelmäßig Konten im Wert von mehreren Millionen Dollar. Schwerer kann es doch nicht sein, oder?“
Bec schnaubte. „Es ist das Härteste, was ich je gemacht habe. Babys lassen sich nicht gut mit Arbeitszeiten kombinieren. Sie kotzen dir sogar über deinen Donna-Karan-Anzug, kurz bevor du das Haus verlässt.“
„Ich engagiere eine Nanny.“
„Süße, du bist eine Perfektionistin, die nichts abgeben kann. Du wirst keine Nanny wollen.“
Sam hörte die Überzeugung in der Stimme ihrer Schwester und wusste, dass sie recht hatte. Sie hasste es, Dinge abzugeben, weil niemand ihren Job so gut machen konnte wie sie. „Warum hast du mir nicht gesagt, dass es so schwer mit dreißig ist?“
„Ich dachte, du hättest kein Problem mit der großen Drei mit der Null.“
„Habe ich auch nicht. Aber wie hätte ich denn wissen können, dass meine Eierstöcke rebellieren würden? Das stand nicht in meinem Plan.“
„Vielleicht ist es Zeit für einen neuen Plan?“
Samantha putzte sich die Nase. „Ich mag den alten.“
„Tja … das Leben haut einem gerne mal ein Ei auf den Kopf, wenn man es am wenigsten erwartet.“
Sam stöhnte über das schlechte Wortspiel ihrer Schwester. „Ist es schon zu spät für mich, noch vegan zu werden?“
***
Der zweite Schlag kam eine Woche später. Birdie starb. Samantha stand völlig fassungslos vor der Buchhandlung. Heute Morgen noch war alles wie immer gewesen. Als sie vorbeigekommen war, hatte Birdie ihr zugewunken. Heute Nachmittag kam ihr dann ein Krankenwagen, ein Polizeiauto und ein Leichenwagen entgegen, als sie wieder um die Ecke kam. Und Birdie war weg.
„Was ist passiert?“, fragte sie Dulcie Reardon. Ihr Arm legte sich ganz automatisch um die gebeugten alten Schultern von Birdies anderer treuen Kundin.
„Herzinfarkt“, flüsterte Dulcie.
Dulcie, selbst ebenfalls nicht mehr die Jüngste, war an Samantha gelehnt und hielt sich die Hand vor den Mund. Sie standen da und sahen zu, wie zwei offiziell aussehende Männer einen Wagen mit einem schwarzen Leichensack schoben und ihn in den hinteren Teil des wartenden Fahrzeugs luden. Samanthas obligatorische Tasse heiße Schokolade von Starbucks war kalt geworden, komplett vergessen.
Einfach so, mit einem Mal, konnte das Leben vorbei sein.
Was sollte sie ohne Birdie tun? Fünf Jahre lang war die alte Dame jeden Morgen, jeden Nachmittag, jedes Wochenende ein Teil ihres Lebens gewesen. Aber nicht nur das: Eddie Hawke – Birdie für ihre Liebsten – war seit über fünfzig Jahren eine Institution im Viertel um die Glashütte von Tetworth.
Die Glashütte – benannt nach den alten Glasfabriken, die hier einst großflächig florierten – gehörte zu den älteren, sozioökonomisch eher stagnierenden Stadtteilen. Den Ansässigen schien das aber nichts auszumachen. Viele hatten nie woanders gelebt und erinnerten sich an eine Zeit, als der ganze Stadtteil bei einem einzigen Unternehmen beschäftigt war.
Heute war die einst großartige Ästhetik verblasst. Die Hauptstraße war übersät von Schlaglöchern, als wären sie Pockennarben, und die Gebäude, ursprünglich zur Stärkung einer aufstrebenden Industrie errichtet, waren an den Ecken schon vollkommen heruntergekommen. Aber die Menschen sind die gleichen geblieben – unverwüstlich und pragmatisch.
Wie Birdie. Die ihr geliebtes Antiquariat für Liebesromane an einer Ecke der inzwischen schäbigen Passage geführt hatte, die im Erdgeschoss des Wohnhauses lag, das sowohl Birdie als auch Samantha ihr Zuhause nannten.
Wie viele Sonntage hatte sie im Birdie’s verbracht, um die Regale nach ihren Lieblingsromanen zu durchforsten? Wer außer Birdie wusste von ihrer Leidenschaft für Bücher von Rita Summers mit ihren heldenhaften Piraten oder interessierte sich überhaupt dafür? Wer außer Birdie würde diese Bücher speziell für sie zurücklegen, wenn sie im Antiquariat eingetauscht wurden?
Wie oft hatte Birdie ihr ein warmes Abendessen gekocht? Das göttlichste Essen aufgetischt, zusammen mit ihren Ratschlägen für Autoaufkleber? Birdie hatte ihre hausgemachten Weisheiten so einfach verteilt wie die Pfefferminzbonbons, die liebevoll neben der Kasse aufbewahrt waren, und Samantha hatte sie dafür geliebt.
Sicher, Bec war auch gut darin, aber sie war eine vielbeschäftigte Mutter mit vier Kindern, die tausend Meilen entfernt in Denver lebte. Birdie war genau unter ihr gewesen und hatte sich immer Zeit genommen.
Das war nun vorbei.
***
Am nächsten Morgen fühlte es sich falsch an, aus der Haustür zu kommen und Birdies Laden verschlossen zu sehen. Samantha blieb vor dem makellosen, hochglanzpolierten Glas stehen und spürte erneut den Verlust. Birdie war an jedem Tag ihres Lebens mit den Spatzen aufgestanden. Es schien keine Rolle zu spielen, wie früh Samantha zur Arbeit ging, der Laden war immer geöffnet.
Aber nun war kein Licht zu sehen, keine Bewegung, kein kleines Winken, um direkt gut in den Tag zu starten. Nur ihr trübes Spiegelbild. Sie beäugte sich selbst kritisch, wie sie es immer tat, denn jahrzehntelang indoktrinierte Diätkultur und internalisiertes Fat Shaming konnte man nur schwer ablegen.
An manchen Tagen war sie besser darin – heute war keiner dieser Tage.
Eine ganz normale schlichte Frau in einem Chanel-Business-Anzug starrte sie an. Schlichtes braunes Haar, jeden Morgen zu einem Knoten im Nacken zurückgedreht. Durchschnittliche Größe. Viel zu breite Hüften mit gut was an den Oberschenkeln. Null Thigh Gap.
Samantha kämpfte mit ihrem Körperbild, seit ihr Sportlehrer sie in der Mittelstufe gefragt hatte, ob sie wirklich ein zweites Stück Trichterkuchen essen wolle. Und an diesem Morgen reichten nicht einmal ihre zehn Zentimeter hohen auffällig jadefarbenen Jimmy Choo Slingbacks aus, um das zu überwinden.
Vielleicht sprachen da aber auch nur ihre Eizellen. Sie murmelten ihre Missbilligung über das Bild einer unabhängigen, karriereorientierten Frau.
Die majestätischen, alten Eichen, an denen sie auf dem Weg zur Bushaltestelle vorbeikam, fielen ihr ausnahmsweise nicht auf. Selbst der Anblick des Gebäudes von PE Finance, das sie fünfzehn Minuten später erreichte und dessen reflektierende Glasscheiben im Sonnenschein wie eine Spiegelkugel funkelten, konnte ihren müden Geist nicht wecken. Im Gegenteil, das Glücksgefühl, das sie normalerweise dadurch verspürte, einfach nur in der Stadt zu sein, wollte überhaupt nicht aufkommen.
Als Samantha aus dem Bus stieg, bog sie um die Ecke, ohne dass die sanfte Brise, die über den Fluss zu ihr wehte, sie wie üblich in Schwung bringen konnte. Die exklusive Adresse des Gebäudes an der River Plaza war noch vor einer Woche eine Auszeichnung gewesen. Aber heute, als sie das verzierte Foyer betrat, fühlte es sich so leer und kalt an wie die italienischen Marmorplatten, auf denen ihre Designerabsätze klackten.
Sie hatte den Vormittag in Besprechungen mit zwei der einflussreichsten Kunden der Firma verbracht. Als jüngste Führungskraft in der Buchhaltung hatte sie sich gut geschlagen. Darin versuchte sie sich zu bestärken, während sie am Fenster ihres Büros im elften Stock stand und die anderen Gebäude in der Nähe betrachtete.
Für eine Stadt der Größe Tetworth’s – achtzigtausend Menschen – war es ungewöhnlich, dass ein halbes Dutzend Hochhäuser die Landschaft des Geschäftsviertels prägten. Aber die Nähe zu L.A. und San Francisco machte die Stadt für Unternehmen attraktiv, die auf der Suche nach einem guten Kompromiss zwischen Pendelstrecken und explodierenden Mietpreisen waren.
Nicht dass sich PE Finance als eine der renommiertesten Investmentagenturen der Welt darüber Sorgen machen müsste. Trotz der Büros in den verschiedensten Ländern befand sich der Hauptsitz in Tetworth, weil Percival Ettinghauser dort vor hundertzwanzig Jahren das Unternehmen gegründet hatte und Tradition für das immer noch familiengeführte Unternehmen eine große Rolle spielte.
Ein Sonnenstrahl auf dem Fluss erregte Samanthas Aufmerksamkeit und ihr betrübter Blick folgte einer Fähre, die ihre ameisenähnlichen Passagiere auf die andere Seite des Flusses transportierte.
Das war es, was sie gewollt hatte. Das war es, wofür sie so hart gearbeitet hatte.
Ja, der Vorfall mit Gary hatte ihr einen Dämpfer verpasst und Birdies Tod setzte nochmal einen obendrauf, aber es gab keinen Grund, sich davon völlig aus der Bahn werfen zu lassen. Sie war angekommen, verdammt noch mal! Mehr als angekommen. Sie war nur noch einen Schritt vom lang ersehnten Chefbüro im zwölften Stock entfernt und auf keinen Fall würde sie sich von widerspenstigen Eizellen einen Strich durch die Rechnung machen lassen – nur eine einzige Sache könnte das bewirken.
„Sam, kann ich etwas mit dir besprechen?“
Und sein Name war Ray.
Widerwillig löste sie ihren Blick von der schönen Aussicht. Sie drehte sich um, nur um den Fluch ihres Lebens zu sehen, den dämlichen Neffen des Chefs – von entfernter Ettinghauser Herkunft –, der in ihrer Tür stand und so ahnungslos wie immer aussah. Ausgerechnet heute wollte sie sagen: Ray, du bist ein Arschloch. Verzieh dich!
Aber sie tat es nicht.
Stattdessen seufzte sie und nickte dem Mann zu, der nichts als eine absolute Nervensäge war, seit er sich vor einem Jahr die Gunst seines Onkels erschlichen hatte. Von Anfang an war er inkompetent gewesen. Sie hatte seine Fehler mittlerweile lange genug wieder behoben, um zu wissen, dass er ohne Vetternwirtschaft nie eine Arbeit finden würde.
Und er hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass er ihren Job haben wollte. Es war fast schon lächerlich zu denken, Ray könnte einen so komplexen und verantwortungsvollen Job wie ihren überhaupt in Betracht ziehen. Aber der alte Mann war wirklich blind, wenn es um Ray ging.
Er schlenderte herein, sein Blick klebte – wie immer – an ihren Brüsten. Sam wandte sich wieder zum Fenster, um die winzigen Passagiere zu betrachten, die aus der Fähre stiegen. Und zum ersten Mal, seit sie vor fast einem Jahrzehnt hier angefangen hatte zu arbeiten, wünschte sie sich, sie wäre dort unten. Bei den kleinen Leuten.
Anstatt in ihrem Büro, bei den dummen Leuten.
Kapitel 2
Samantha lehnte sich im Schatten eines massiven Ahornbaums zurück und wartete darauf, dass Birdies Verwandtschaft den Friedhof verließ. Das dichte Blätterdach des Sommers bot willkommenen Schutz vor der Wärme der Sonne und die knorrigen alten Äste reckten ihre verknoteten Finger über das hügelige Gelände. Der Duft von frisch aufgeschütteter Erde umwehte ihre Sinne, während Samantha die Pracht der viktorianischen Grabsteine bewunderte, die in starkem Kontrast zur Schlichtheit modernerer Grabstätten standen.
Der Friedhof von Tetworth, nur einen Steinwurf vom Stadtzentrum entfernt, wurde von drei Hauptstraßen des Viertels umschlossen. Trotz der alltäglichen Hektik und Eile, die sich hinter den steinernen Ziertoren abspielten, bewahrte er irgendwie seine Ruhe. Wie eine große alte Dame thronte er über der Stadt. Seine imposante erhöhte Lage und die Türme mit den Kreuzen und anderen heiligen Symbolen, die über den moosbewachsenen Grabsteinen emporragten, strahlten eine unwirkliche Gelassenheit aus.
Es war durchaus passend, dass Eddie Hawke, selbst eine echte Dame, hier ihre letzte Ruhestätte gefunden hatte.
Samantha beobachtete geduldig die Zusammenkunft, die nur der Familie vorbehalten war. Sie vermutete, dass es angesichts der Größe des Hawke-Clans und der Anzahl derer, die geblieben waren und immer noch in Tetworth lebten, unvermeidlich war, denn sonst wären Tausende von Menschen jetzt anwesend. Birdie hatte immerhin sieben Söhne großgezogen, die wiederum ebenfalls Nachkommen hatten. Ihr jüngster Sohn hatte sogar selbst sieben Söhne.
Und sie waren ein eingeschworener Kreis. So oft, wie die Familienmitglieder in den Laden kamen und wie herzlich sie miteinander umgingen, wusste Samantha, dass Eddie sehr verehrt wurde. Ein Sohn oder eine Schwiegertochter oder ein Enkel oder Urenkel schienen immer vorbeizukommen. Samantha erkannte sogar ein paar von ihnen, als sie darauf wartete, dass sie wieder gingen.
Sie hatte sich bereits kurz nach Nick umgesehen – dem siebten Sohn des siebten Sohnes. Natürlich war er nicht unter ihnen, aber sie vermutete, dass niemand ihn erwartete. Birdies jüngster Enkel – ihr Augapfel und auch Samanthas und Birdies gelegentlicher Nachbar – war Eishockeyprofi in der NHL bei den New Brunswick Crabbers. Nick Hawkeye Hawke hatte vor Kurzem eine Knieoperation an seinem gerissenen Kreuzband hinter sich gebracht, die zum vorzeitigen Ende seiner Saison und dem Aus der Crabbers in den Playoffs geführt hatte.
Nicht dass sie seine Karriere so genau verfolgt hätte. Nee.
Sie interessierte sich nicht für Sport und auch generell nicht dafür, Mr. Ich-bin-zu-sexy-für-meine-Hockeyhose bei irgendetwas zuzusehen. Nicht nur die Boulevardpresse, sondern auch das Kommen und Gehen in seiner Wohnung, wann immer er in der Nebensaison nach Tetworth zurückkehrte, zeugten von einer Menge Frauen, die seinem Ego schmeichelten.
Ihre Beziehung bestand lediglich darin, dass sie sich im Aufzug, im Foyer oder an der Tür begegneten, ein- oder zweimal in der Buchhandlung, und dabei kurze Höflichkeiten austauschten, während sie ihre lächerliche, vergebliche und einseitige Verliebtheit in ihn für sich behielt.
Gab sie sich gelegentlich dem #hockeyplayersinsuits-Porno auf TikTok hin, um einen Blick auf ihn zu erhaschen? Ja. Denn ein Typ in einem Anzug war ihr Ding und so sehr sie sich auch bemühte, sie konnte immer noch nicht begreifen, dass Birdie einen Enkel hatte, der wie der heiße Typ aus Friday Night Lights aussah.
Verfolgte sie, wie sein hübsches Gesicht und seine schönen Knochen regelmäßig auf dem Eis zermahlen wurden? Nein, tat sie nicht. Es war Birdie, die sie über alles rund um Hawkeye auf dem Laufenden gehalten hatte.
Als endlich alle Autos der Familie weggefahren waren, näherte sich Samantha Birdies letzter Ruhestätte. Der sorgsam gepflegte Grabstein von Burt, ihrem geliebten Ehemann, der vor zehn Jahren gestorben war, stand treu daneben, und Samantha stieg ein Kloß in den Hals.
Birdie war endlich wieder bei ihrem Seelenverwandten.
Sie holte ein paar Mal tief Luft und rang um Fassung. Würde sie jemals eine wahre Liebe finden, so wie die von Burt und Eddie? Tränen traten in ihre Augen und sie wischte sie weg. Vor zehn Tagen war die einzige Liebesaffäre, die sie gehabt hatte, die mit Mr. Adams und den dicken Büchern seiner Firma.
Was zur Hölle war bloß los mit ihr?
Verdammter Mist! Sie hätte nicht kommen sollen. Sie hätte wissen müssen, dass ein majestätischer alter Friedhof voller Liebesgeschichten in ihrer derzeitigen Gefühlslage eine dumme Idee war. Aber es schien einfach nicht richtig, Birdie ohne ein letztes Lebewohl gehen zu lassen. Sie hatte keine Gelegenheit dazu gehabt, bevor der schwere Herzinfarkt Birdie in ihrem geliebten Laden ereilte, und wollte ihr nun die gebührende Ehre erweisen.
Weitere Tränen stiegen ihr in die Augen. Genervt von sich selbst blinzelte sie sie weg. Birdie hätte nicht gewollt, dass sie an ihrem Grab weinte. Dessen war sie sich sicher. Aber sie konnte die Tränen einfach nicht zurückhalten.
Was werde ich nur ohne dich tun, Birdie?
Samantha würde ihre Gespräche und Birdies wunderbar gackerndes Lachen vermissen. Die Buchhandlung war ihr Zufluchtsort vor dem Druck der Arbeit gewesen. Sie liebte ihren Job, aber er konnte sehr anstrengend sein. Bei wem sonst sollte sie Dampf ablassen? Und bei wem sollte sie sich darüber ausheulen, dass die Verkaufsautomaten auf allen Etagen entfernt worden waren, um einen gesünderen Ernährungsstil zu fördern, sie also ihren nachmittäglichen Zuckerrausch nicht mehr genießen konnte?
Bei wem sonst sollte sie sich über den selbstgefälligen, schmierigen Ray auskotzen?
***
Nick Hawke war spät dran. Der Flug aus Toronto hatte Verspätung und er wusste, dass es keinen Sinn hatte, den Uber-Fahrer zu bitten, sich zu beeilen, wenn die Räder eine halbe Stunde später die Rollbahn berührten, als die Beerdigung beginnen sollte.
Und überhaupt, Birdie würde es verstehen. Sie war der Inbegriff der Leichtigkeit gewesen.
Abwesend rieb er sich sein linkes Knie, als er aus dem Uber stieg. Zwei Wochen nach der Operation konnte er nun ohne Hilfsmittel oder Schiene laufen, aber es schmerzte immer noch höllisch. Er würde vor der Totenwache ein paar Schmerztabletten nehmen.
Er holte seinen geliebten abgeranzten Rucksack aus dem Kofferraum und lehnte ihn an einen der nahegelegenen Grabsteine, als der Uber wegfuhr. Er hätte jede der unzähligen Taschen benutzen können, die er von Sponsoren bekommen hatte, aber er beharrte auf diesen Rucksack. Birdie hatte ihn ihm vor zwanzig Jahren geschenkt, als er mit achtzehn Jahren zum ersten Mal bei den San Jose Sharks unter Vertrag kam.
Es war nur angemessen, ihn zu ihrem letzten Abschied wieder mit nach Hause zu nehmen.
Nick sah sich um und erblickte eine Frau, die neben dem einzigen frisch ausgehobenen Grab stand, das er sehen konnte. Samantha Evans. Da er nicht viel Zeit in Tetworth verbrachte, hatte er nie viel mit der Frau zu tun gehabt, die in der Wohnung nebenan wohnte, aber diese kurvige Silhouette würde er überall erkennen und die Raffung ihres schlichten schwarzen Kleides machte sie heute ohnehin unübersehbar.
Als hätte er nicht schon an der Bewegung ihrer Schultern erkannt, dass sie weinte, wehte ihm ihr gedämpftes Schluchzen mit der leichten Brise entgegen. Ein Teil von ihm wollte fast zurückweichen. Vielleicht wollte sie allein sein? Aber ihre Einsamkeit, ihr Elend, zwang ihn, ihr beizustehen. Seine Großmutter hatte viele Menschen auf unterschiedliche Weise berührt, und er wusste, dass sich zwischen Samantha und Birdie eine enge Freundschaft entwickelt hatte.
Er näherte sich langsam, um sie in ihrer Trauer nicht zu stören, sondern bei ihr zu sein und ihr vielleicht etwas Trost zu spenden. Er kramte in seiner Tasche herum und holte sein Taschentuch hervor, dessen weiße Spitze in seinen Fleischerhänden äußerst zart aussah. Sanft tippte er ihr damit auf den Arm, als er sich näherte.
Sie zuckte bei der Berührung zusammen. „Nick?“ Graue, rot umrandete Augen blinzelten offensichtlich überrascht. „Seit wann bist du hier?“
„Seit dreißig Minuten. Mein Flugzeug hatte zwei Stunden Verspätung.“
Er reichte ihr wieder das Taschentuch und sie starrte es abwesend an, als sie es nahm. „Du trägst ein weißes Spitzentaschentuch mit dir herum?“
„Birdie hat es mir beim allerersten Profi-Spiel meiner Karriere geschenkt.“ Er zuckte mit den Schultern. „Es ist mein Glücksbringer.“ Die Tatsache, dass er es bei dem Spiel, bei dem er sich das Knie zerschossen hatte, versehentlich hatte liegen lassen, bestätigte diesen Aberglauben nur noch mehr.
„Danke“, flüsterte sie mit heiserer Stimme, während sie sich die Augen abtupfte und die Nase putzte.
Nick wandte seine Aufmerksamkeit dem mit Erde besprenkelten Sarg zu. Er spürte, wie sich ihre Arme sanft berührten, während sie schweigend und in Gedanken versunken dastanden.
„Es ist echt schade, dass du die Beerdigung verpasst hast“, sagte sie schließlich.
Das war es auch. Er wäre gern dabei gewesen, aber … „Ist schon okay“, versicherte er. „Birdie würde es verstehen.“
Sie widersprach seiner Behauptung nicht, sondern sagte nur: „Ja.“
Eine weitere Minute des stillen Überlegens verging, bevor sie sich aufrappelte. „Ich gehe lieber.“ Sie schenkte ihm ein schwaches Lächeln. „Dann hast du etwas Zeit allein mit deiner Großmutter.“
Nick nickte. „Wir sehen uns. Ich kümmere mich die nächsten vier Monate lang um den Laden, bis die Familie eine dauerhafte Lösung gefunden hat.“
Da war wieder dieses überraschte Blinzeln, als ihr Lächeln verschwand. „Du wirst … die Buchhandlung führen?“
Er lachte, er konnte nicht anders. Sie sah aus, als wäre sie gerade in Hundekacke getreten.
„Du?“, wiederholte sie, als wäre es das Absurdeste, was sie je gehört hatte.
„Ja. Ich. So habe ich zwischen den Physio-Sitzungen etwas zu tun.“
Die Chance, dass er in seinem Alter bis zum September-Trainingslager und Saisonstart fit sein würde, war äußerst gering. Mit zweiundzwanzig hatte er sich das rechte Knie verletzt und danach war ein intensives halbes Jahr der Heilung nötig gewesen. Aber die Tatsache, dass er nun abgeschrieben worden war, da seine Verletzung als Karriereende bezeichnet wurde, hatte ihm nur noch mehr Feuer unterm Hintern gemacht. Er mochte achtunddreißig sein, aber er spielte nach wie vor ausgezeichnet Eishockey und er würde selbst entscheiden, wann er seinen Schläger an den Nagel hing, sonst niemand.
Sie jedoch starrte ihn immer noch fassungslos an. „Was?“, fragte er.
„Was zum Teufel weißt du darüber, ein Antiquariat für Liebesromane zu führen?“
Nick kicherte über ihren abschätzigen Ton. Als würde sie ihm nicht im Entferntesten etwas anderes zutrauen, als einen Puck über das Eis zu schießen. Er schnaubte. „Man sollte ein Buch nicht nach seinem Einband beurteilen, Samantha Evans.“
Wären böse Blicke eine olympische Disziplin, hätte sie gerade Gold geholt. Verdammt, könnte sie doch nur Feuer aus ihren Augen zu schießen, dann wäre er jetzt eine brennende menschliche Fackel. „Toll“, murmelte sie vor sich hin. „Wirklich toll.“
Dann stapfte sie davon und ließ Nick zurück, nicht ganz sicher darüber, warum sie sauer auf ihn war, aber ziemlich sicher, dass es ihm gefiel.
Kapitel 3
Als Samantha am nächsten Morgen in ihrem Büro ankam, standen bereits Demonstrierende vor dem Gebäude. Das hatte ihr nach Nicks gestriger Hiobsbotschaft gerade noch gefehlt. Diese Ankündigung brachte sie immer noch zur Weißglut.
Nick Hawke als Chef der Buchhandlung. Ihrer Buchhandlung.
Was wusste Mr. Ach-so-tolle-Schlagführung schon über Liebesromane? Was zum Teufel wusste er über Rita Summers? Wie sollte sie stundenlang mit Hawkeye über fiktive Piraten debattieren, wie sie und Birdie es getan hatten? Wie konnte er die schiere Glückseligkeit verstehen, wenn man sich völlig losgelöst in den mitreißenden Geschichten verlor?
Der Mann sah aus wie aus einer der gottverdammten Seiten entsprungen und gestern war da keine Ausnahme gewesen. Er war groß und breit und ungemein sexy, wobei sein Dreitagebart die sexy Kinnspalte nicht verbarg, sondern vielmehr betonte. Sein langes, dunkles, zerzaustes Haar war nach hinten geschoben und ließ ihn wie das uneheliche Kind von Fabio und Henry Cavill aussehen.
War es ernsthaft fair, dass ein einziger Kerl alle begehrenswerten körperlichen Eigenschaften besaß, die man als Mann nur haben konnte? Reichte es nicht aus, ein hochbezahlter Sportler zu sein, der mit millionenschweren Sponsoring-Deals überhäuft wurde? Musste er auch noch aussehen wie ein Filmstar?
Herrgott noch mal.
War die ganze Welt verrückt geworden? Erst Gary, dann ihre Eizellen, dann Birdie. Und jetzt Nick. Der Sportler. In ihrem Laden.
Die Demonstrierenden trugen Plakate und prangerten die dubiosen Geschäfte ihres neuesten Kunden, der Ölgesellschaft, an. Samantha hatte auf dem üblichen Weg Widerspruch eingelegt, nachdem PE Finance die Firma in Betracht zog. Es war ja nicht so, als bräuchten sie deren Geld. Sie legte außerdem großen Wert darauf, dass PE sich gesellschaftlich engagierte, was sie im Großen und Ganzen auch taten. Also hatte sie sich innerhalb des Unternehmens wichtige Rückendeckung verschafft, aber letztendlich hatte PE doch beschlossen, den neuen Kunden zu übernehmen. Das war ein weiterer Grund, warum sie noch mehr aufsteigen wollte. Damit ihre Stimme im Entscheidungsprozess immer mehr Gewicht bekam.
Sie liebte die Arbeit bei PE, aber das Unternehmen wurde immer älter und war an der Spitze sehr penislastig. Sie brauchten unbedingt eine jüngere und diversere Firmenstruktur, um künftig wirklich mithalten zu können – wie man an dieser Entscheidung gut sah.
Ein junger Mann mit Locks reichte ihr ein Flugblatt, als sie sich durch die zusammengewürfelte Menge drängte. Sie las es, während der Aufzug sie lautlos und doch effizient in ihr Stockwerk beförderte. Die altbekannten Missstände starrten ihr in fetten, wütenden Federstrichen entgegen. Ihr Beitrag zum Klimawandel, der nicht nur den Planeten tötete, sondern alle Menschen auf ihm, einschließlich hilfloser Babys.
Babys. Samanthas Magen krampfte sich zusammen und sie schluckte, während ihre Eizellen weinten.
Der Aufzug öffnete sich und Samantha nahm direkten Kurs auf das Büro des Vorstandsvorsitzenden, wo die regelmäßige Morgenbesprechung stattfand.
„Bob“, grüßte sie, als sie eintrat.
„Sammy“, brummte er und winkte sie zum Fenster hinüber, wo er stand.
Samantha war noch nie begeistert davon gewesen, dass er darauf bestand, ihren Namen so zu infantilisieren. Sammy klang nach einem kleinen Mädchen.
Nach fünf Jahren nahm sie es kaum noch wahr, aber aus irgendeinem Grund war es an diesem Morgen besonders irritierend.
Sie stellte sich zu ihm an das raumhohe Fenster und blickte auf das, worüber er vor sich hinmurmelte. Die Demonstrierenden tummelten sich wie Ameisen am unteren Ende des Gebäudes. „Diese verdammten bezahlten Krawallmacher“, knurrte er. „Wir versuchen hier oben nur, unseren Lebensunterhalt ehrlich zu verdienen. Ich wette, davon haben die nicht die geringste Ahnung.“
„Ich habe den Vorstand gewarnt, dass das passieren könnte“, sagte Samantha und reichte ihm das Flugblatt.
Er sah es abschätzig an und zerknüllte es anschließend. „Was unsere Kunden tun, geht uns nichts an. Wir legen ihr Geld an, verschaffen ihnen die besten Steuervorteile, die man mit Geld kaufen kann, und halten sie bei Laune.“
„Wir könnten unser Geschäft anpassen“, murmelte sie. „Du weißt doch, dass diese Leute irgendwann irgendwo auf Kosten der Umwelt Mist bauen werden. Was soll ich dann meinen Kindern sagen, wenn sie mich fragen, warum ich nicht …“
„Kinder?“ Bob unterbrach sie stammelnd.
Er starrte sie an und Samantha konnte es ihm nicht wirklich verübeln. Wo zur Hölle war das hergekommen? Kontrollierten ihre Eizellen jetzt ihren Mund?
Bob stand da und wirkte wie ein Fisch auf dem Trockenen, bevor er zu seiner Tirade ansetzte. „Du hast vor fünf Jahren hier in diesem Büro gestanden und hoch und heilig geschworen, dass du keine Kinder willst.“
Samantha seufzte. Es stimmte, das hatte sie. Er hatte sie damals zwar nicht direkt gefragt, aber nach Ausflüchten gesucht, das hatte sie gespürt und darauf getippt, dass er wegen ihres Fortpflanzungspotenzials zurückhaltend gewesen war. Natürlich war es fragwürdig, ganz zu schweigen von illegal, sie wegen ihres Alters bei einem Vorstellungsgespräch zu diskriminieren, aber das war zu dem Zeitpunkt egal gewesen. Sie hatte den Job gewollt und sie hatte ganz sicher keine Kinder gewollt.
„Du hast recht“, sie nickte. „Wollte ich nicht … will ich nicht. Es ist nur … meine Eizellen haben angefangen mit mir zu reden. Ich glaube, meine Uhr tickt plötzlich.“
Er starrte sie an, sichtlich verwirrt von dieser Aussage – etwas, das sie nachempfinden konnte. Sie verstand auch nicht wirklich, was da vor sich ging. „Mach dir keine Sorgen“, versicherte sie. „Ich habe nur ein paar schlechte Tage. Vergiss es.“
Samantha notierte sich in Gedanken, dass sie ihre Gynäkologin aufsuchen würde, um ihre Eizellen chirurgisch entfernen zu lassen, als sie sein Büro verließ.
***
Bobs Sekretärin rief nach dem Mittagessen an und bat sie, in Bobs Büro zu kommen. Sie reagierte auf die Nachricht ohne den üblichen Elan.
„Ich möchte, dass du dir freinimmst.“
Samantha hätte über Bobs nüchterne, nicht um den heißen Brei herumredende Art lachen können, hätte er es nicht so ernst gemeint.
„Wie bitte?“ Was zum Teufel sollte das?
„Du bist offensichtlich ein wenig gestresst und nicht annähernd so konzentriert, wie du sein solltest. Ich habe nachgesehen, du hast in den letzten fünf Jahren keinen einzigen Jahresurlaub genommen. Nimm ihn jetzt. Komm wieder, wenn deine ähm … Eizellen … aufgehört haben zu reden.“
Samantha konnte nicht glauben, was sie da hörte. „Willst du … mich entlassen?“ Sie hatte sich eine winzige Unaufmerksamkeit geleistet und er kündigte sie direkt?
„Natürlich nicht“, brummte er. „Aber ich werde dich nicht anlügen, Sammy. Ich brauche jemanden, der mehr ist als nur ein verdammt guter Buchhalter. Ich brauche jemanden, der das Spiel durchzieht. Jemanden, der mir einhundertzehn Prozent geben kann. Kinder, Sammy … sie verschieben den Fokus einer Frau. Du musst deine Prioritäten gründlich überdenken.“
„Ich kann nicht Urlaub machen. Ich habe fünf aktive Kunden und drei weitere in der Pipeline im Wert von mehreren zehn Millionen Dollar.“
„Ray kann das erledigen.“
Jetzt wurde es Samantha klar. Es ging nicht um ihren Fokus oder ihren Urlaub oder gar ihre Eizellen. Es ging um den goldhaarigen Typen. Galle stieg ihr ätzend und brennend die Kehle hinauf. Sie wurde unter einem lächerlichen Vorwand in den Urlaub geschickt, um Platz für das Firmenarschloch zu machen!
„Ray kommt damit nicht klar“, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen. Ray ist ein Mistkerl!
„Natürlich tut er das. Du warst ihm eine gute Lehrerin. Und wenn es dir … wieder besser geht, wird er es auch drauf haben wie.“
Samantha rastete aus. Ray konnte sie am Arsch lecken. „Nein, Bob, auf keinen Fall. Auf keinen Fall. Kein Deal. Entweder Ray oder ich. Ray oder ich. Ich lasse mich nicht durch einen inkompetenten Trottel ersetzen und ich werde nicht Teil einer Firma oder eines Deals sein, in dem unsere Namen zusammen auftauchen.“
„Ich glaube, du solltest jetzt sehr vorsichtig sein.“ Bobs Stimme wurde ein wenig leiser.
Ha! Von wegen. Wenn Bob glaubte, sie würde stillschweigend zusehen, wie sein Neffe ihre harte Arbeit und ihren guten Ruf ausnutzte, um sich einen Vorteil zu verschaffen, hatte er sich gewaltig geschnitten.
„Oder was? Feuerst du mich dann, anstatt mich zu bitten, Urlaub zu nehmen? Nun, weißt du was? Du kannst dir deinen Job sonst wohin stecken, aber merk dir meine Worte.“ Sie erhob sich von ihrem Stuhl und stieß mit dem Finger auf den Schreibtisch. „Ich komme wieder und weißt du warum? Wenn dein dämlicher Neffe meine jahrelange harte Arbeit zunichtegemacht und diese Firma Millionen von Dollar gekostet hat, wirst du wieder angekrochen kommen. Und mach dich schon mal auf diese Erniedrigung gefasst, denn ich werde jede Minute davon genießen.“
„Es gibt keinen Grund, hysterisch zu werden, Sammy. Ich werde dich nicht entlassen.“
Er sprach mit einer Stimme, die, wie sie annahm, beschwichtigend wirken sollte. Dabei setzte er diesen entsetzten Blick auf, den Männer oft hatten, wenn Frauen ihnen zu weiblich wurden. Als würde er erwarten, dass sie ihren BH verbrennen oder das Wort Vagina sagen würde. Oder noch schlimmer – weinen.
„So ein Pech, denn ich kündige. Entweder ich oder er, Bob.“
Bob bewegte sich sichtlich unbehaglich. „Ray schafft das schon.“
Samantha schüttelte den Kopf. Bob verstand wirklich nicht, was sein Neffe für ein Mensch war. „Ray ist ein nutzloser fauler Sack. Wir sehen uns, Bob.“
Samantha stürmte in ihr Büro und knallte die Tür zu. Wie konnte er es wagen, Ray ihr vorzuziehen? Dieser … dieser … alte Narr! Sie leerte eine Schachtel mit Druckerpapier aus und warf ihre Schreibtischutensilien hinein. Ein Foto von Bec und den Mädchen. Ein Briefbeschwerer, den Jess, ihre Nichte, im Kindergarten gemacht hatte. Ihr Namensschild. Ein Stapel Post-it-Zettel. Streng genommen gehörten sie ihr nicht, aber in Anbetracht der Tatsache, dass ihr ein Chefbüro zustand, kam Bob billig davon.
Außerdem konnte man nie genug Post-its haben.
Es klopfte an ihrer Tür und sie knurrte den Eindringling an, er solle verschwinden. „Was, nicht mehr das kleine naive Mädchen von Onkel Bob?“
Samanthas Kopf schnellte hoch, als Ray mit offenem Mund in ihrer Tür lungerte. Sie betrachtete das vorgetäuschte unschuldige Lächeln und zog zum ersten Mal in ihrem Leben ernsthaft einen Mord in Erwägung. Lediglich der Gedanke, dreiundzwanzig Stunden am Tag mit ihren babybesessenen Eizellen in einer Zelle eingesperrt zu sein, hielt sie davon ab, ihr Fenster auf seine Stoßfestigkeit zu testen.
In dieser Verfassung zweifelte sie kein bisschen daran, das kleine Wiesel durch das kugelsichere Glas schleudern zu können.
„Musst du nicht eine Firma bankrott machen?“, fragte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
Ray schmunzelte, als er den Raum betrat und vor ihrem Schreibtisch zum Stehen kam. „Sammy, Sammy, Sammy.“ Er ballte die Hände zu Fäusten, legte die Knöchel auf das Holz und lehnte sich vor. „Du hast mich immer unterschätzt.“
Samantha blinzelte, als Rays Maske fiel und sie ein kaltes, berechnendes Flackern in seinem Gesichtsausdruck erblickte. Plötzlich konnte sie alles erkennen. Seine leere Miene war nun messerscharfe Wachsamkeit, sein argloses Grinsen eine haifischähnliche Grimasse, sein eifriger Welpenblick erbarmungsloser Hohn.
Die vollkommene Durchtriebenheit des Ganzen ließ sie erschaudern. Er hatte mit ihr gespielt. Er hatte die ganze Zeit einen Plan gehabt, nämlich den, sie hinauszudrängen. Zu Rays Leidwesen hatte sie seine Arbeit gesehen und die Zahlen logen nicht. Er mochte in Intrigen eine Eins bekommen, aber in Sachen Zahlen würde er eine fette Sechs kassieren.
Eine Handvoll Hinterhältigkeit kompensierte keinen Haufen Dummheit.
„Ich gebe dir sechs Monate.“
Ray lachte, als er sich vom Schreibtisch entfernte und zum Fenster stolzierte. „Weißt du, Samantha, ich könnte mit Onkel Bob sprechen. Ein gutes Wort einlegen.“ Er wandte seinen Blick von der Aussicht zu ihr. „Natürlich würde ich im Gegenzug etwas … Dankbarkeit von dir erwarten.“
Samantha brauchte einen Moment, um die neueste Wendung dieser wahnwitzigen Geschichte zu begreifen. Nämlich Ray, wie er ihre Brüste ansah, als wären sie mit Schlagsahne überzogen und mit Nüssen bestreut. Wollte er ernsthaft sexuelle Belästigung zu seiner Liste an unglaublich dummen Dingen auf der Arbeit hinzufügen?
Ihre Eizellen bebten, als sie ihre Schachtel aufhob. „Da bin ich lieber für den Rest meines Lebens arbeitslos.“
Die Demonstrierenden ließen ihre Plakate fallen und jubelten, als sie mit der Schachtel im Arm hinausging. Es war offensichtlich, dass sie das Unternehmen verließ, und sie gratulierten ihr zu ihrem Mut.
Sie fühlte sich wie eine Betrügerin, aber der Jubel hob ihre Laune, nachdem die Ungeheuerlichkeit dessen, was sie getan hatte, und die Ungeheuerlichkeit des Unbekannten, in das sie sich stürzte, sie vollends überkamen.
Na toll. Was zur Hölle sollte sie denn jetzt tun?
Ein Baby bekommen.
Ach, Schnauze, Eizellen!, befahl sie, als sie zum ersten Mal in ihrem Erwachsenenleben in das große Unbekannte ging.
Kapitel 4
„Ich werde mich tätowieren lassen“, verkündete Sam, als Bec den Hörer abnahm.
„Also … hat sich deine Angst vor Nadeln jetzt gebessert?“
„Ich habe keine Angst vor Nadeln.“
„Du bist in Ohnmacht gefallen, als du Jess letztes Jahr zum Nähen ins Krankenhaus gebracht hast.“
„Das war eine große Nadel.“
„Und bei Tattoos nicht?“
„Nein, das sind kleine Nadeln.“
„Viele kleine Nadeln.“
Samantha schluckte, als ihre Stirn unangenehm warm wurde. Einfach atmen. Du schaffst das, du schaffst das. „Klingt, als fändest du das nicht gut?“
„Ich finde es von ganzem Herzen gut. Gut für dich, wirklich. Ich bin nur etwas verwundert, dass du plötzlich so etwas … Ungewohntes tun willst.“
„Ich hatte in den letzten Tagen einfach etwas Zeit nachzudenken, und mir ist klar geworden, dass ich so sehr mit meiner Karriere beschäftigt war, dass ich das Leben ein bisschen verpasst habe.“
„Ein bisschen? Sam, die Welt hätte in einem riesigen Feuerball explodieren können, ohne dass du es bemerkt hättest. Sage ich dir nicht schon seit Jahren, dass du ein Leben brauchst?“
„Nun ja … das hast du … deshalb nehme ich doch jetzt deinen Rat an und lebe ein bisschen. Ich meine, wo hat mich das harte Arbeiten hingebracht? Ich wurde durch einen dämlichen zweiundzwanzigjährigen Yuppie ersetzt und meine Ex-Freunde waren allesamt eintönig. Ich bin langweilig, Bec. Es wird Zeit, etwas zu ändern.“
„Sing es, Schwesterherz!“
„Ich setze es auf die To-Do-Liste.“
„Stell dir vor, wie überrascht ich wäre“, spottete Bec gutmütig.
Samantha wusste, was Bec von ihrer obsessiven Listenmacherei hielt, aber sie konnte nicht aufhören. Es gab ihr die Kontrolle und Orientierung, nach der sie sich all die Jahre ihrer turbulenten Kindheit gesehnt hatte.
„Was steht denn alles drauf?“
„Bis jetzt nur das Tattoo.“
„Ein Punkt ist keine Liste, Süße.“
„Ich weiß. Aber Veränderungen geschehen nicht über Nacht.“
„Okay, okay.“ Bec seufzte. „Also … was für ein Tattoo und wo?“
„Etwas Kleines.“ Etwas sehr Kleines. „Vielleicht ein Schmetterling auf dem Knöchel.“
„Oder auf der Schulter?“
„Vielleicht auf der Hüfte.“
„Du könntest wirklich abenteuerlich sein und eine Brust nehmen. Etwas, das einfach ein wenig aus dem BH blitzt.“
Samantha schluckte wieder. Allein bei dem Gedanken daran wurde ihr übel. „Der Termin ist in drei Tagen, also habe ich noch Zeit, zu überlegen.“
„Bravo. Ich bin stolz auf dich, Sam. Wie läuft es mit der Jobsuche?“
„Offensichtlich bin ich zu überqualifiziert für Zeitarbeitsjobs und etwas zu Dauerhaftes will ich nicht. Ich möchte gehen können, wenn Bob wieder angekrochen kommt.“
„Klar. Ich habe jedenfalls ein gutes Gefühl für heute. Ich wette, du gehst zur Tür hinaus und der perfekte Job fällt dir einfach in den Schoß.“
***
Samantha blieb stehen und starrte auf die Baustelle an Birdies Laden, als sie das Gebäude verließ. In den letzten drei Wochen war er mit Brettern vernagelt und Nick nirgends zu sehen gewesen.
Alles in ihr krampfte und sträubte sich vor Sorge, weil jeden Tag Baulärm zu hören war.
Was tat er da?
Wusste er denn nicht, dass gerade die Antiquiertheit den Charme des Hauses ausmachte? Der muffige Geruch der zerlesenen Taschenbücher, die klapprigen Metallregale, die Sitzsack-Ecke, der grelle Zottelteppich, den Birdie verlegt hatte, nachdem der alte Teppich durch Überschwemmungen in den siebziger Jahren zerstört worden war. Er wollte das doch nicht etwa modernisieren? Alles neu und glänzend machen?
Birdie war Kult; Frauen kamen zu ihr, um einen Hauch von früher zu erleben. Sie kamen, weil sie Liebesroman-Junkies waren und beim Durchstöbern von Birdies Regalen immer einen Schatz entdeckten. Birdie’s machte süchtig.
Was, wenn er den Verkauf von Liebesromanen überhaupt nicht fortsetzen würde? Was, wenn er ganz modern werden und sich weigern würde, sie weiterhin zu führen? Was, wenn er eine Art literarischer Snob war, der das Genre verachtete und nur neue Sachen verkaufen wollte? Würde er Birdies treue Kundschaft völlig verprellen und ihr wunderbares Erbe ruinieren?
Und als sie vor dem neu enthüllten Schaufenster stand, bestätigten sich alle ihre Zweifel der letzten Wochen. Es war furchtbar! Die Schlichtheit von Birdies Klarglas war durch die stilvolle Eleganz einer glatten dunklen Tönung ersetzt worden.
Das einfache gemalte Schild, das fünfzig Jahre lang das Fenster geziert hatte und auf dem Birdie’s Second-Hand Romance Bookshop stand, war nun eine grelle neonfarbene Kreation in Eisblau. Darunter noch mehr Neon. Kaffee, stand da. Und: Willkommen.
O Gott! Er hatte den Laden in einen dieser schrecklichen modernen Orte verwandelt, wo die Leute Kaffee tranken, während sie hochkarätige Deals besprachen, Termingeschäfte handelten, heuerten und feuerten.
Die Bücher waren überflüssig.
Birdie würde sich im Grab umdrehen. Ihre kostbaren Bücher waren ihr einziger Lebensinhalt gewesen – sie hatte weder Neon noch Kaffee gebraucht. Die Bücher verkauften sich von selbst. Nichts von diesem Power-Lunch-Mist. Man brauchte weder einen Business-Anzug noch eine Geldbörse voller Scheine, um bei Birdie’s willkommen zu sein. Gebrauchte Bücher waren günstig und legere Kleidung war praktisch Pflicht.
Nick erschien an der Tür und winkte ihr fröhlich zu. Er trug eine modisch zerschlissene Jeans und ein schlichtes weißes T-Shirt. Trotz ihrer Wut auf ihn spürte sie, wie seine pure Maskulinität durch das Glas hindurch drang und sie berührte.
Um alles in der Welt, was heilig war.
Eine Schande, dass er gerade etwas Heiliges entweiht hatte, denn ob er nun gut aussah oder nicht, er hatte es in ihren Augen definitiv verbockt. Er mochte Gottes Geschenk an die Frauen sein, aber ganz offensichtlich hatte er keine Seele!
Er hängte ein Schild in die Tür, auf dem „Hilfe gesucht“ stand, und kam zu ihr heraus, während er eine fröhliche Melodie pfiff. Ein breites Grinsen überzog sein Gesicht und vertiefte die Spalte in seinem Kinn, seine Augen funkelten. „Sieht das für dich gerade aus?“, fragte er mit einem umwerfenden Lächeln.
Ach du Schande. Wie viele Herzen hatte er schon gebrochen, weil er einfach nicht wusste, wie man dieses Ding ausschaltete? Zum Glück war sie nach fünf Jahren, in denen sie Zeugin einer ganzen Parade von Frauen war, die bei seinen kurzen Besuchen zu Hause ein- und ausgingen, immun gegen seinen Charme.
„Äh, sicher“, sagte sie, wobei ihr Blick auf die Kurve seines Mundes gerichtet war, die sich äußerst reizvoll nach oben bog.
„Also.“ Er breitete seine Arme aus. „Was denkst du?“
Er war stolz, das war offensichtlich, aber war ihm wirklich nicht klar, welches Sakrileg er begangen hatte?
„Ich mochte es vorher lieber.“
„Oh je, höre ich da eine Spur Feindseligkeit, Sam?“
Er sah sie mit seinen neckischen braunen Augen an und wieder einmal fühlte sie sich von seiner puren Maskulinität überwältigt. Sie schnupperte kurz. „Enttäuschung. Birdie wird sich im Grab umdrehen.“
O Gott, sie klang so spießig! Aber wenn Nick glaubte, er könnte gut aussehen und lächeln und diese Farce vor ihr wäre vergeben, dann irrte er sich.
„Ach, sei doch nicht so spießig“, sagte er lachend und ergriff ihre Hand, um sie in den Laden zu ziehen. „Komm, ich zeige dir alles.“
Die Klingel über der Tür läutete wie immer. Es war ein beruhigendes, vertrautes Geräusch und Samantha war etwas besänftigt.
„Tadaaa!“, verkündete er, während er sie langsam herumdrehte, damit sie all seine Renovierungsarbeiten begutachten konnte.
Sie sah eine antike Kaffeemaschine wie in den zwanziger Jahren in Teehäusern üblich und eine massive, weich gepolsterte, abgenutzte Ledercouch, die den Platz im Fenster einnahm. Sofakissen, Sitzsäcke, antike Perlenlampen und Art-déco-Couchtische zierten einen Raum, der wie die Salons früher aussah.
Er war ein Mischmasch aus gebrauchten Möbeln und Einrichtungsgegenständen und sah so einladend aus, dass sie sich am liebsten ein Buch geschnappt und sich in einen Sitzsack geworfen hätte. Samantha beobachtete die Leute, die draußen vorbeirauschten, und fand es toll, dass sie hinaussehen konnte und selbst unsichtbar blieb. Es war wie eine geheime Welt, in der man sich seinem Liebesroman-Fetisch hingeben konnte, ohne Angst vor Spott oder Anschuldigungen zu haben.
„Oh …“ Sie atmete nach einem aufgestauten Atemzug aus. „Es ist … fantastisch.“ Sie hatte sich geirrt. Birdie hätte das hier geliebt.
Samantha drehte sich nach hinten und bemerkte ein neues Computersystem auf Birdies altem Tresen. Der war zwar abgeschliffen und neu lackiert worden, aber definitiv noch als dasselbe Mahagoniteil erkennbar, hinter dem sie jeden Tag ihres Lebens gesessen hatte.
Neben dem Computer stand sogar eine Schale mit Pfefferminzbonbons.
Und dann waren da noch die Bücher. Daran hatte er nichts geändert. Sicher, sie waren neu angeordnet worden, um den verfügbaren Platz optimal zu nutzen. Die Bücherregale waren jetzt aus stabilem Holz, aber die Bücher waren dieselben. Tausende und Abertausende von Buchrücken ragten heraus, ihr altbekannter Geruch verlor sich in den neueren Aromen von Leder, Lack und Sägemehl.
Hoffentlich würde es nicht mehr lange dauern, bis ihr unverwechselbarer Duft den ganzen Laden wieder so durchzog wie zu Birdies Zeiten. Denn das war immer das Schönste gewesen, wenn sie den Laden betreten hatte – der fast schon greifbare Geruch von alter Tinte auf verwittertem Papier.
Sie spürte, wie ihre Finger zu kribbeln begannen, und erkannte das vertraute Gefühl, das sie immer bei Birdie gehabt hatte. Sie wollte zwischen den Regalen umhergehen und etwas zu lesen finden.
Ein paar neuere Regale in der Nähe der Theke fielen ihr ins Auge und sie ging hinüber zu ihnen. Sie waren vollgestopft mit Western. Alte Western im Taschenbuchformat.
Sie wählte einen aus und sah ihn sich an. „Branching out?“, murmelte sie und drehte sich zu ihm.
„Es geht nichts über einen guten Larry and Stretch“, sagte er grinsend.
Sie sah ihn skeptisch an. „Du willst ernsthaft Western im Sortiment haben?“
„Warum nicht?“
„Weil neunundneunzig Prozent deiner Kundschaft Frauen sind und sie herkommen, um Bücher zu lesen, die von Frauen über Frauen geschrieben wurden.“
Das musste er doch wissen, oder? Was machte er überhaupt hier, wenn er das nicht wusste …
Kapitel 5
Nick blinzelte, weil Samantha ihn anstarrte, als sei er ein wenig – oder vielleicht sehr – blass. Er unterdrückte den Drang, zu lächeln. Sie war anders. Seine seltenen Besuche zu Hause hatten mit seiner Nachbarin nicht mehr als kurze Gespräche zugelassen, wenn sie ihre Schlüssel ins Schloss steckten, mit dem Aufzug fuhren oder bei Birdie’s ein paar nette Worte wechselten. Sie waren freundlich, aber sie schien immer zur Arbeit zu gehen oder von der Arbeit nach Hause zu kommen, sodass seine Eindrücke von der Frau in der Wohnung nebenan bestenfalls dürftig gewesen waren.
Und dann hatte er sie an Birdies Grab getroffen und ihre offensichtliche Liebe zu seiner Großmutter hatte in ihm ein warmes Gefühl der Solidarität ausgelöst.
Heute Morgen hinterließ sie auf jeden Fall bleibenden Eindruck, als sie eine ganze Reihe an Gesichtsausdrücken durchlief. Erst war sie nachdenklich gewesen, dann gereizt, dann war ihr süßer rosafarbener Mund weicher geworden, als sie hauchzart ihre Zustimmung zu seinen Veränderungen verkündet hatte, und was war sie jetzt?
Versnobt?
„Hey.“ Er tadelte sie. „Erst testen, dann urteilen.“
„Danke.“ Sie stellte das Buch zurück ins Regal. „Ich glaube, ich verzichte.“
„Snob“, stichelte er.
Ihre Augen weiteten sich ein wenig, als hätte sie nicht erwartet, dass er sich über sie lustig machen würde. Sie fasste sich schnell wieder und warf ihm einen abwehrenden Blick zu. „Anspruchsvoll.“
„Nun, mein Großvater Burt hat sie geliebt und mich praktisch damit großgezogen. Und wenn ich schon den ganzen Tag in einer Buchhandlung für Liebesromane festsitze, dann möchte ich wenigstens selbst etwas zum Lesen haben. Außerdem versuche ich eine männliche Kundschaft anzusprechen.“
„Ist das so? Dann stell doch einen Fernseher in die Ecke und lass den ganzen Tag ESPN laufen.“
Nick lachte. „Oder du könntest dich für den Job bewerben.“ Er deutete auf das Schild, das er in der Tür angebracht hatte. „Das sollte sie herbringen.“
Sie warf ihm einen finsteren Blick zu. „Genau.“
In ihrer Stimme schwang Spott mit und angesichts des Unglaubens in ihrem Tonfall runzelte Nick die Stirn. Meinte sie das ernst? Samantha Evans war wunderschön und kurvig und hatte einfach den süßesten Mund. Tatsächlich könnte dieser Mund ziemlich ablenkend werden, sollte sie auf sein Angebot eingehen. Sie hatte dichtes, welliges Haar, das sie ausnahmsweise nicht zusammengebunden trug, und die verführerischsten grauen Augen, die er je gesehen hatte.
Außerdem strahlte sie so hell wie ein Funke. Und bei Gott, er liebte Frauen, die ihn auf Trab halten konnten. „Ich meine es ernst. Sie würden Schlange stehen.“
Sie schnaubte. „Warum?“
„Um einen Blick auf diese Kurven zu erhaschen.“
Sie starrte ihn an, als könnte sie nur schwer begreifen, was er sagte. „Lass mich dir eins sagen, Nick. Männer wollen keine Kurven. Männer wollen Klappergestelle und Barbiepuppen.“
„Dieser hier nicht.“
Nick wollte eine Frau, die etwas auf den Rippen hatte und sich nicht scheute, in seiner Gegenwart zu essen. Eine, die gerne aß. Eine, die Salat und Sellerie nicht als Lebensmittel zählte. „Ich mag echte Frauen.“
Samantha hob eine Augenbraue. „Ich habe dich noch nie mit einer echten Frau gesehen, Nick Hawke, und ich habe schon einige bei dir ein- und ausgehen sehen. Du solltest dir wirklich eine Drehtür einbauen lassen, um damit fertig zu werden.“
Der Gedanke war amüsant, aber Nick bezweifelte, dass sie es gut finden würde, wenn er lachte. „Ich bin schon mit allen Formen und Größen ausgegangen. Ich kann nichts dafür, dass du nur einen Bruchteil davon gesehen hast.“
„Einen Bruchteil?“ Sie schüttelte den Kopf. „Mein Gott …“
Dann lachte er. „Frauen lieben mich, was soll ich sagen?“
Sie musterte ihn von oben bis unten auf eine Art, die auf Nick eigentlich leidenschaftslos und missbilligend wirken und ihn definitiv nicht anturnen sollte, aber irgendwie tat sie es doch. „Natürlich tun sie das.“
Der Gedanke, dass dieses verbale Pingpong regelmäßig stattfinden könnte, wenn sie für ihn arbeiten würde, ließ seinen Puls in die Höhe schießen. „Wie auch immer …“ Er lenkte das Gespräch wieder auf die richtige Spur. „Wie gesagt, es werden Männer an diese Tür klopfen, warte nur ab.“
„Ja, na ja … erwarte nicht zu viel.“
„Vertrau mir. Wenn ich dich sexy finde, dann werden es auch andere tun.“
Sie starrte ihn an. „Du findest mich sexy?“
„Natürlich. Ich liebe diesen ganzen …“ Nick deutete an ihrem Körper auf und ab. Auch wenn sie ein Oversized-T-Shirt und eine weite Jeans trug, verbarg nicht einmal dieses Trauerspiel von Mode ihre sexy Konturen. „Du erinnerst mich an Rubens.“
„Das steht doch nur für fett“, wies sie ihn zurück.
„Nein, steht es nicht.“ Nick schüttelte den Kopf.
„Rubens’ Modelle hatten Cellulite.“
„Sie waren rund und weich. Sie waren sexy.“
„Cellulite ist niemals sexy.“
Nick schüttelte den Kopf. „Frauen sind so verkorkst.“
Sie gab ein halbes Lachen mit einem leicht hysterisch anmutenden Unterton von sich. „Meinst du? Wenn jedes Bild und jede Schlagzeile sich unser ganzes Leben lang darum drehen, wie wir aussehen, und uns überall erzählt wird, wie wir dünner und hübscher und jünger sein können?“
„Ja.“ Er nickte. Trotz des Aufschwungs der Body-Positivity-Bewegung musste es schwer sein, Jahrzehnte beschissener Botschaften wieder loszuwerden. „Das ist echt ätzend.“
Samantha war sichtlich erschöpft und nickte mürrisch. „Äh, ja.“
Nick wünschte sich, er hätte einen Zauberstab, mit dem er Samantha und jeder anderen Frau auf diesem Planeten hier und jetzt helfen könnte. Aber den hatte er nicht. Was er jedoch hatte, war ein Job, und vielleicht konnte er ihre gemeinsame Arbeitszeit nutzen, sie dazu zu bringen, sich selbst in einem neuen Licht zu sehen?
„Okay, also … ich kann die Missstände auf der Welt heute nicht beheben, aber ich habe von einer Stammkundin gehört, dass du einen Job suchst, also … hättest du Interesse?“
Einen langen Moment sah sie ihn mit ernsten grauen Augen an, als würde sie seine Glaubhaftigkeit einschätzen. Dann huschte ein langsames Lächeln über ihr Gesicht und ein elektrisierendes Gefühl zuckte über seinen Rücken.
„Sehr gerne.“ Ihr Lächeln verwandelte sich in ein breites Grinsen. „Es könnte allerdings nur vorübergehend sein“, sagte sie, während ihr Gesichtsausdruck wieder zu völliger Ernsthaftigkeit wechselte. „Ich bin hundertprozentig entschlossen, meinen alten Job zurückzubekommen, aber bis dahin wird das hier reichen.“
Nick lachte fast laut auf, weil sie es so unter ihrer Würde klingen ließ. „Nun, nur wenn du glaubst, dass du es reinquetschen kannst.“
Irgendwie vermisste sie die dicke Portion Sarkasmus in seiner Stimme und nickte abwesend. „Ach, es wird ein paar Monate dauern, bis Bob Ray als den inkompetenten Arsch sieht, der er ist. Ich gebe dir so viel Zeit, wie ich kann.“
„Wow, danke.“
„Kein Problem.“ Sie lächelte. „Hey, wie schwer kann das schon sein?“
Nick schmunzelte. In ihrem Gesicht fehlte jetzt jede Spur von Spott oder Überheblichkeit. „Ja eben. Ich meine, die Familie hat mir den Laden schließlich zum Weiterführen gegeben.“
Plötzlich wurde ihr bewusst, wie abweisend sie geklungen haben musste, und sie zuckte zusammen. „O Gott, das tut mir leid. Ich wollte nicht …“
„Schon gut.“ Er lachte. „Ich weiß schon, wie du das meintest. Ich wollte nur sehen, wie du dich windest.“ Sie warf ihm einen bösen Blick zu, woraufhin er lächeln musste, als er fortfuhr: „Kannst du morgen anfangen?“
„Oh …“ Sie runzelte die Stirn. „Müssen Sie nicht ein Vorstellungsgespräch mit mir führen, oder so? Ich meine, was genau gehört denn zu dem Job?“
„Sie haben recht.“ Nick richtete sich auf und setzte eine ironisch übereifrige Miene auf. „Gut, dass ich Sie habe, sonst hätte ich meine erste Angestellte aus einer bloßen Laune heraus eingestellt.“
Er ging hinter den Tresen und setzte sich auf den Hocker seiner Großmutter. Dabei kamen die Erinnerungen auf, wie er als Kind darauf gesessen und Burt ihn herumgedreht hatte, während Birdie ihre Kundschaft bediente. Er griff unter den Tresen, holte ein Notizbuch und einen Stift hervor, schlug es auf einer beliebigen leeren Seite in der Mitte auf und schrieb ihren Namen an den Anfang.
„Nun, Ms. Evans.“ Er warf ihr einen Blick zu, als sie auf die andere Seite des Tresens ging. „Wissen Sie, wie man eine antike Kaffeemaschine bedient?“
Sie lachte halb. „Ich weiß nicht einmal, wie man eine moderne bedient.“
Nick schürzte die Lippen, während er ein Kreuz auf die Seite machte. „Schon mal in einer Buchhandlung gearbeitet?“
„Nö.“
Er machte ein weiteres Kreuz neben dem ersten. „Irgendwelche Erfahrungen im Einzelhandel?“
„Nö.“
Noch ein Kreuz. „Meine Güte, Ms. Evans, Sie sollten sich hier doch verkaufen.“
Diesmal lachte sie aus voller Kehle, ihre grauen Augen leuchteten wie Sonnenschein durch Wolken, und Nick wollte unbedingt mehr davon hören.
„Oh. Richtig. Ähm … na ja, lassen Sie mich überlegen. Ich kann lesen.“
„Lesen können.“ Nick machte ein Häkchen unter den Kreuzen. „Das hilft.“
„Ich kann gut mit Zahlen umgehen. Ich kann Ihnen bei der Buchhaltung helfen.“
Nick konnte sich gerade noch verkneifen zu sagen: Verdammt richtig, mit den nackten Zahlen kennst du dich aus. „Ausgezeichnet.“ Ein zweites Häkchen. Birdie war zum Glück eine akribische Buchhalterin gewesen, aber zu Nicks Fähigkeiten gehörte das nicht wirklich. „Sonst noch etwas?“
„Ähm …“ Sie schüttelte den Kopf und versuchte offensichtlich, sich ein weiteres Plus auszudenken. „Wie es scheint, werden die Männer vor der Tür Schlange stehen, um einen Blick auf die Rubens entsprungene Hilfskraft zu erhaschen.“
Nick lächelte triumphierend – ja verdammt, das würden sie. „Das ist die richtige Einstellung.“ Und er würde es sich zur Aufgabe machen, dass sie es auch tatsächlich glaubte. „Betrachten Sie sich als eingestellt. Ich werde jeden Nachmittag für ein paar Stunden wegen meiner Physiotherapie weg sein. Also wirst du dann alles allein übernehmen, sonst sind wir zu zweit. Bis du ein besseres Angebot bekommst, versteht sich.“
„Wirklich?“
Sie klatschte aufgeregt in die Hände, so plötzlich und mitreißend freudig, dass es mitten in seiner Brust warm glühte.
„So einfach geht das doch nicht.“
„Da hast du recht.“ Er nickte feierlich. „Es gibt eine Bedingung.“
„Ich wusste es“, sagte sie, den Blick in spöttischer Ablehnung gesenkt.
Er griff nach hinten und zog einen Western aus dem Regal. „Du musst einen Marshall Grover lesen.“
„Deal.“ Und zu seiner Überraschung streckte ihm die Hand entgegen, als wolle sie sich keine Zeit lassen, ihre Meinung zu ändern. „Aber ich habe auch eine Bedingung.“
Nick nahm ihre Hand und bei der Berührung stieg ihm die Wärme den ganzen Arm hinauf. „Ms. Evans“, murmelte er und verlieh seiner Stimme einen flirtenden Unterton. „Ich mache hier die Bedingungen.“
Es war befriedigend zu hören, wie ihr Atem leicht stockte, und zu wissen, dass er nicht der Einzige war, den diese auflodernde Stimmung ein wenig aus der Fassung brachte. Mit ihrer Hand in seiner war die Tatsache, dass es irgendwo da draußen einen Puck mit seinem Namen gab, völlig vergessen.
Sie ignorierte seine Anweisung und sagte: „Du musst einen Rita Summers lesen.“
Nick zog eine Augenbraue hoch. In diesem Moment hätte er eine Tonne Rucola gegessen, wenn sie das verlangt hätte. Und er hasste dieses spitze, pfeffrige Unkraut mit Leidenschaft. „Rita Summers?“
„Sie schreibt über Piratenhelden.“
„Ich dachte, Piraten wären Schurken?“
„Ihre sind es nicht … direkt.“
Nicks Blick fiel auf Samanthas Mund und verharrte auf ihren Lippen, während sie die Worte formten. Er fragte sich, ob sie beim Küssen so weich sein würden, wie sie aussahen. Weich, wie der Rest von ihr. Es vergingen ein paar Augenblicke, bis er merkte, dass er ihre Hand länger hielt, als es angemessen war, und dass sie auf seine Antwort wartete.
Er räusperte sich. „Deal“, stimmte er schließlich zu und ließ seine Finger von ihren gleiten.
Verdammt, Nick konnte es kaum erwarten, herauszufinden, was genau das bedeutete. Irgendetwas sagte ihm, dass Piraten Samanthas Vorliebe waren, und er wollte unbedingt mehr darüber erfahren.
Kapitel 6
Tag drei im Birdie’s und Samantha war in bester Laune. Die Arbeit machte … Spaß. Jetzt gab es ein Konzept. Sie konnte ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen – lesen – und mit der Stammkundschaft quatschen, die sie in den letzten fünf Jahren bei Birdie’s kennengelernt hatte.
Und da war noch etwas: Ihre Eizellen hatten aufgehört zu meckern.
Das Beste war jedoch, wie sich ihr Verhältnis zu Nick entwickelte. Statt nur freundlich zueinander waren sie nun, naja … befreundet. Früher, bei ihren flüchtigen Begegnungen, hatte sie sich einfach von ihm blenden lassen, aber jetzt, wo sie zusammenarbeiteten, konnte sie sehen, dass er unter all dem Eishockeyruhm und der Prominenz ein ganz normaler Typ war.
Sie hatte noch nie einen männlichen Freund gehabt. Männer waren entweder Bekannte, Kollegen oder Liebhaber – es gab kein Dazwischen. Es war also ein Novum, das sie genoss, einfach nur zu reden und zu lachen und etwas zu unternehmen, ohne dass der ganze Beziehungskram dazwischenkam.
Sicher, er flirtete, aber sie wusste, dass er es nur tat, um ihr Ego zu pushen. Und es funktionierte, sie musste es nur im Auge behalten und durfte sich nicht davon blenden lassen oder den gelegentlichen Momenten, die ihr den Atem raubten, zu viel Glauben schenken.
Oder den Blicken, die etwas länger als nötig zu dauern schienen.
Streng genommen war sie sich ziemlich sicher, dass Nick auch ohne sie zurechtgekommen wäre – es war ja nicht so, als würden sie sich die Füße wund laufen. Wahrscheinlich hätte sie einfach während seiner Physio-Stunden einspringen können, aber würde Birdie noch leben, wäre sie während ihrer Auszeit von der Arbeit sowieso immer hier.
Sie könnte genauso gut aushelfen.
„Erklär mal das ganze Ding mit dem siebten Sohn“, meinte Samantha, während sie sich Orangensirup von den Fingern leckte.
Sie hatte Nick gerade ihre Obsession – dank Martha’s, einem alten Teehaus, das an der Grenze zwischen der Glashütte und der Stadt lag, nur zehn Gehminuten von der Buchhandlung entfernt – eröffnet: Orange-Mohn-Friands. Sie waren aus frischen Orangen, die direkt die Straße hinunter aus dem San Joaquin Valley kamen, und wurden mit einem pikanten Sirup übergossen.
Nick war angesteckt worden. Zumindest beobachtete er gern, wie sie an ihren Fingern lutschte, nachdem sie einen verschlungen hatte, was sie vielleicht oder vielleicht auch nicht dazu brachte, sich mit dem Essen Zeit zu lassen.
„Ahh.“ Nick beäugte sie mit halbgeschlossenen Augen und versuchte so verführerisch und mysteriös wie möglich auszusehen. „Die Legende besagt, dass der siebte Sohn eines siebten Sohnes mit vielen Gaben gesegnet ist.“
Samantha lachte. Sie war schon immer fasziniert davon gewesen, dass Nick der siebte Sohn eines siebten Sohnes war. Ehrlich gesagt hatte sie das viel interessanter gefunden als seine Profi-Hockey-Karriere.
„Zum Beispiel?“
Er beendete das mystische Getue und nahm einen Schluck von seinem Milchkaffee, bevor er antwortete. „Heilung, zweites Auge, Glück. Und offenbar sind wir die geborenen Reisenden, voller Abenteuerlust und Fernweh.“
Samantha legte den Kopf schräg. „Ein Heiler? Wie praktisch. Gilt das auch für Tiere? Ich habe nämlich einen fettleibigen Goldfisch, der ein Wunder gebrauchen kann.“
Er warf ihr einen spöttisch ernsten Blick zu, als ihr Lachen um ihn herum erklang. „Ich sehe deine Skepsis.“ Nick schloss wieder halb die Augen. „Vielleicht muss ich dich für deinen mangelnden Respekt vor meinen Kräften und deinem Vorgesetzten bestrafen.“
Samanthas Herz schlug schneller, als sündige Gedanken an ihre Bestrafung ihren Kopf durchdrangen. Und seinen wohl auch, wie die Art und Weise, wie er sie anstarrte, vermuten ließ. Ihr Atem wurde in der zunehmenden Stille rauer. Oder war das vielleicht seiner?
Zum Glück durchbrach Nick die Intensität als Erster. „Nee.“ Er stieß ein halbes Lachen aus, das ganz eindeutig einen heiseren Unterton hatte. „Ich halte diese ganze Geistheiler-Sache für Mist, aber das Fernweh habe ich bekommen, sogar eine riesige Dosis davon. Und ich bin froh, dass Hockey mir geholfen hat, diesen Teil von mir zu verwirklichen.“
„Birdie hat mir immer deine Postkarten gezeigt.“ Karten von Nick und der Stadt, in der er gerade spielte, kamen regelmäßig. Selbst wenn er schon einmal dort gespielt hatte, bemühte er sich, eine andere Karte zu besorgen, sodass keine doppelt war. „Es war süß von dir, sie zu schicken.“
Im Zeitalter der elektronischen Kommunikation – E-Mail, SMS, Insta-Nachrichten – war es furchtbar altmodisch, eine Postkarte und eine Briefmarke zu kaufen und sie abzuschicken, aber Birdie hatte sich sehr darüber gefreut.
Er zog die Augenbrauen hoch. „Ich bin schließlich ein süßer Kerl.“
Samantha schnaubte. Er mochte süße Dinge tun, aber an Nick Hawke war nichts Süßes. In seinen verblichenen Jeans und dem schwarzen T-Shirt war der Mann einfach nur unfassbar heiß.
„Ich schätze, es ist einfach, sich dem Fernweh hinzugeben“, sagte sie, um das Gespräch wieder auf das Thema zu lenken, „wenn man Millionenverträge in der Tasche hat.“
„Auf jeden Fall.“ Er nickte. „Aber auch ohne Hockey hätte ich mir mit achtzehn meinen Rucksack geschnappt, mein zu Hause verlassen und wäre auf Entdeckungsreise gegangen.“
Samantha schauderte. Allein der Gedanke daran bereitete ihr Herzklopfen.
Seit der Highschool, als ihre Mutter ihrem Vater, einem Buchmacher, endlich gesagt hatte, dass sie nicht mehr umziehen würden, hatte sie ihr Leben durchgeplant. Ihr Vater hatte sie von einer Stadt zur nächsten geschleppt, von einer Rennbahn zur nächsten, und obwohl sie ihm ihre blitzschnellen Kopfrechenfähigkeiten zu verdanken hatte, war sie mit dem Nomadendasein nie zufrieden gewesen.
Bec, die Extrovertierte, war aufgeblüht. Sie dagegen hatte in der Bibliothek gelebt, Listen geschrieben und ihre sehr stabile Zukunft geplant. An Ort und Stelle bleiben, hart arbeiten und es bis ganz nach oben schaffen war ihr Mantra gewesen und sie hatte weder aufgehört noch war sie in irgendeiner Weise davon abgewichen.
„Und wenn meine Hockeykarriere vorbei ist, werde ich weiter auf Entdeckungsreise gehen. Aber vielleicht nicht mehr so viel nur mit einem Rucksack“, sagte er grinsend, während er sein Knie massierte.
„Wie schlimm ist es?“, fragte sie. „Dein Knie.“
Nick wurde nüchtern. „Es ist mein zweites ACL und ich habe einen ziemlich guten Job geleistet.“
„Wird es bis zum Saisonstart wieder in Ordnung sein?“
Er schüttelte den Kopf. „Wahrscheinlich nicht, bis zum Camp sind es nur noch gut drei Monate. Aber meine Genesung sollte so weit fortgeschritten sein, dass ich mit den Jungs zusammen ein angepasstes Training machen kann.“
Für Samantha war es nichts Neues, dass Nick so wie sie nur vorübergehend hier war, aber es beunruhigte sie. Und die Tatsache, dass es sie beunruhigte, beunruhigte sie sogar noch mehr. „Bist du sicher, dass du nach vier Monaten Milchkaffee und Orangen-Friands bereit sein wirst?“
Nick klopfte sich auf den Bauch. „Ich habe einen ziemlich guten Stoffwechsel.“
Samanthas Blick fiel auf seine Hand. Oh ja, das hatte er. Alles, was der Mann hatte, war verdammt gut.
***
„Ich kann nicht glauben, dass ich dich dafür eingestellt habe, den ganzen Tag auf der Couch zu sitzen und zu lesen“, schimpfte Nick am nächsten Tag gutmütig mit Sam, während er sich einen weiteren Kaffee machte. Er hatte aufgehört, zu zählen, wie viele er heute getrunken hatte. Was ihn wohl zuerst umbringen würde, fragte er sich. Seine bisher zehnjährige Koffein-Sucht oder seine viel neuere Sucht nach Samantha?
Sie trug die übliche Arbeitskleidung aus Jeans und einem schwarzen T-Shirt mit einem magnetischen Namensschild mit der Aufschrift „Sam“. Aber es war die Art, wie sie es trug. Ihr T-Shirt mit V-Ausschnitt saß an den richtigen Stellen, genauso wie ihre Jeans die Kurven betonte, die jetzt auffällig regelmäßig in seinem Kopf herumschwirrten. Sie hatte die Beine unter sich verschränkt und den Kopf zur Seite geneigt, während sie abwesend eine Haarsträhne um einen Finger zwirbelte. Die Tatsache, dass sie ihr Haar jetzt offen trug, war außerordentlich ablenkend.
Sie saß an ihrem dritten Larry and Stretch für den Tag und schaute nicht einmal auf, als sie sagte: „Das ist ein Vorteil des Jobs.“
Er lachte und nahm einen Schluck seines Milchkaffees. Jepp. Sam passte hier genau rein. Wenn man sie so sah, eingekuschelt zwischen den Kissen, war es, als wäre sie mit den Möbeln mitgeliefert worden. Und die Kundschaft liebte sie. Vor allem die Männer.
Nicht dass es viele von ihnen gab oder sie es überhaupt bemerkte.
Er wusste zwar, dass ihr Körperbild völlig verkorkst war, weil jahrzehntelang auf Bildschirmen und in Magazinen nur perfekte, weichgezeichnete Körper zu sehen waren, aber jedes Mal, wenn sie bei einem Kompliment ernsthaft verwirrt dreinschaute oder auf sein neckisches morgendliches Pfeifen ein abweisendes Schnauben von sich gab, wollte er die Welt niederbrennen.
Aber vielleicht war es gerade ihre völlige Ahnungslosigkeit, die sie noch attraktiver machte.
„Gib’s zu“, sagte er und beobachtete sie, während sich ihre Finger weiter krümmten. „Du bist süchtig und Marshall Grover ist brillant. Du magst seine Geschichten.“
Sie schaute ihn über das Buch hinweg an. „Natürlich tue ich das, Nick. Was gibt es daran nicht zu mögen? Es sind Liebesromane für Männer.“
Nick spuckte einen Schluck Kaffee zurück in seine Tasse. „Ich bin sicher, er würde nichts lieber hören, als dass du das über seine Bücher sagst.“
„Es stimmt.“ Sie lächelte ihn an, als hätte sie nicht gerade ein komplettes Sakrileg geäußert. „Und das wüsstest du, wenn du dich jemals an deinen Teil der Abmachung halten würdest.“
„Nein, nein, nein.“ Nick schüttelte den Kopf, trug seine Kaffeetasse zu ihr rüber und ließ sich am anderen Ende der Couch nieder. „Das“, er nahm ihr das Buch ab, „ist Action.“
„Klar.“ Samantha nickte. „Mit einer romantischen Nebenhandlung und einem Happy End.“ Sie schnappte sich das Buch zurück, als sie ihn eindringlich anblickte. „Romantik.“
„Aber es gibt Gangs und Pferde und Schurken und Prostituierte.“
„Und eine schöne Frau.“
„Und Wüsten und Klapperschlangen und Zugüberfälle.“
„Die sich in den Helden verliebt.“
„Sheriffs, Saloons, Glücksspiel.“
„Und der Held verliebt sich in sie.“
Nick sah sie an, während sie ihn ebenfalls ansah, geduldig, und darauf wartete, dass er es kapierte. „Oh … Mist.“ Er blinzelte. „Ich glaube, du hast recht.“ Sie hob eine Augenbraue und auch ihr Mund verzog sich – auf eine höchst ablenkende Weise. „Ich werde mir ein endgültiges Urteil vorbehalten, bis ich einen fairen Vergleich habe.“
Sie grinste ihn an und streckte ihre Beine wieder aus. Er beobachtete sie dabei, wie sie sich zu einem Bücherregal hinüberbeugte. Ihre Jeans klebte förmlich an ihr und ihr Oberteil war ein wenig hochgerutscht, sodass die Wölbung ihrer Taille zu sehen war, als sie nach oben griff. Sie drehte sich um und warf ihm sanft ein Buch zu.
„Der Pirat und die Prinzessin. Eines ihrer besten.“
Nick fing es leicht auf. „Okay, okay, ich gebe auf. Ich fange morgen an.“
„Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen.“
Er deutete auf die Uhr. „Es ist Feierabend.“
„Oh, verdammt …“
Ihr Rücken krümmte sich, als sie in ihrer hinteren Jeanstasche nach ihrem Handy griff, wodurch ihre Brüste hervortraten und sein Puls kurz Schluckauf bekam. Ihr Gesicht erhellte sich ein wenig, als das Display aufleuchtete. Sie starrte darauf, als wünschte sie sich, andere Zahlen zu sehen.
„Gibt es ein Problem?“
„Oh … nein … nicht wirklich.“ Sie steckte ihr Handy wieder in die Gesäßtasche, ihre Brust hob sich erneut. „Es gibt da nur etwas, das ich tun muss, na ja, nicht muss … will … zumindest habe ich …“
„Oookay. Das ergibt nicht viel Sinn, Sam.“
Er mochte die verkürzte Version ihres Namens. Sie passte zu ihr, auf diese freche, unisex Art. Obwohl Gott wusste, dass nichts an ihr unisex war. Sie war ganz Frau.
„Ich lasse mir ein Tattoo stechen.“
Nick blinzelte. „Du? Du lässt dir ein Tattoo stechen?“
Es hatte nur einen ganzen Tag in ihrer Gesellschaft gebraucht, um herauszufinden, dass Samantha sehr rechtschaffen war. Großartig, aber rechtschaffen. Innerhalb weniger Tage war der Laden übersät mit gelben Post-it-Zetteln, auf denen säuberlich geschriebene Erinnerungen und Listen standen, und die Freude, die sie dabei empfand, jeden Punkt auf einer dieser Listen durchzustreichen und sie dann in den Müll zu werfen, sprach nicht gerade für eine impulsive Natur.
Schade eigentlich, denn er konnte sich nichts Besseres für seine Zeit in Tetworth vorstellen, als Samanthas aufgeräumte Post-it-Zettel-Welt durcheinanderzubringen.
„Ja“, sagte sie sichtlich genervt. „Hast du ein Problem damit?“
Nick hob kapitulierend die Hände. „Ganz und gar nicht. Ich habe dich nur nicht für den Typ dafür gehalten. Du wirkst ein bisschen … konservativ für ein Tattoo.“
Offensichtlich war es das Falsche – oder möglicherweise das Richtige –, was er da sagte, denn ihr Rückgrat richtete sich buchstäblich vor seinen Augen auf. „Nicht mehr.“
Okay, das war Überzeugung, und doch … „Naja, warum siehst du dann so verängstigt aus?“
Sie seufzte, als sie sich ein wenig zurücklehnte, wobei ihre Zähne ihre Unterlippe berührten. „Nadelphobie.“
„Ah.“ Die Tatsache, dass sie vor diesem Hintergrund überhaupt eine Tätowierung in Betracht zog, sprach noch mehr für ihre Überzeugung. „Soll ich mitkommen und deine Hand halten?“
„Würdest du?“ Ihr Gesicht leuchtete auf wie an Silvester, als er nickte, und sie machte wieder dieses entzückende kleine Klatschen. „O Nick, vielen Dank.“ Dann, als hätte sie plötzlich überschüssige Energie, gab sie ihm einen kurzen Kuss auf die Wange, bevor sie zu ihrer Tasche eilte.
Nick stand einen Moment lang da und vergaß zu atmen. Er schloss die Augen und wartete darauf, dass das Gebrüll einer Eishockey-Menge seinen Kopf durchflutete und ihn in die übliche Euphorie hüllte. So wie es immer war, wenn er die Augen schloss.
Aber es war seltsam abwesend.
Na toll. Wollte es ihn jetzt im Stich lassen? Jetzt, wo die rechtschaffene Samantha vom Weg abkam? Mit rechtschaffen konnte er umgehen. Sie lachten und schäkerten und aßen Orangen-Mohn-Friands. Sie waren Freunde. Aber die verwegene Samantha?
Die Samantha, die auf die schiefe Bahn geriet und sich ein Tattoo stechen ließ, war ein ganz anderes Kaliber.
Kapitel 7
Ich werde keine Angst haben. Ich werde kein Weichei sein. Ich werde mutig sein. Ich werde mich tätowieren lassen.
Heute beginnt meine Transformation weg vom rechtschaffenen Mädchen.
„Also, wo und was?“
Nicks Stimme unterbrach ihre rasenden Gedanken. Sie wirkte seltsam beruhigend und Samantha schenkte ihm ein weiteres dankbares Lächeln. Sie standen dicht beieinander, zusammengedrängt von den vielen Fahrgästen, die zur Hauptverkehrszeit in der Innenstadt mit dem Bus unterwegs waren.
„Auf den Rücken. Ich weiß noch nicht, was. Nichts zu Großes.“
„Du magst es lieber zierlich?“
„Ich bevorzuge weniger Nadeln.“
Er lachte. „Okay … wie wäre es mit einem Delphin?“
„Zu groß.“
„Eine Rose?“
„Immer noch zu groß.“
Er hob eine Augenbraue. „Eine Ameise?“
Samantha warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Komisch.“
„Ein Floh?“
Sie ignorierte sein Grinsen, als der Bus an der Haltestelle Chinatown anhielt und sie ausstiegen. Ohne miteinander zu sprechen, drängten sie sich durch die Menschenmassen, die zur Hauptverkehrszeit in der Stadt unterwegs waren. Büroangestellte eilten zur U-Bahn, um ihre Züge zu erreichen, während andere in Restaurants und Kneipen gingen.
Der erdige Gestank der Abgase mischte sich mit herrlichen Aromen – heiße Woks, Sojasauce und grüner Tee –, die die Abendluft würzten und selbst die eiligste Pendlerin in Versuchung brachten. In den Fenstern sah man, wie gerade Pekingenten zubereitet wurden, und uralte Heilkräuter zierten sie. Im Kontrast dazu standen die modernere Küche des Gloria Jean's Coffees und des großen goldenen Ms.
Ein paar Minuten später kamen sie am zentralen Springbrunnen vorbei und gingen eine Passage hinunter in das Tattoostudio. Samantha warf einen Blick durch das neonbeleuchtete Glas.
„Sieht es“, sie rümpfte die Nase, als sie sich hoffnungsvoll zu ihm umdrehte, „für dich dreckig aus?“
„Das ist das beste Studio der Stadt, Samantha. Hast du Schiss?“
Sie ignorierte den letzten Teil seiner Bemerkung und konzentrierte sich auf den ersten. „Woher weißt du das denn?“
Er zuckte mit den Schultern. „Ich habe schon ein bisschen Farbe unter der Haut.“
„Ach, wirklich? Du bist tätowiert?“ Sie verschränkte die Arme. „Zeig mal.“
„Wann anders“, wies er sie ab und zerrte sie in den Laden.
Zehn Minuten später, nachdem sie Reg – dem zwei Meter großen bärtigen Tätowierer in Lederkleidung, der aussah, als wäre er eher mitten auf einem Jahrmarkt zu Hause – eine Standpauke über Methodik und Sterilität gehalten hatte, lag sie mit dem Gesicht nach unten auf einer Art Massagetisch. Aus der bunten Auswahl hatte sie sich ein altes Symbol ausgesucht. Seine Wirbel waren sehr feminin und es bedeutete vor allem Metamorphose.
Anscheinend. Hoffentlich.
Es war perfekt, und der Tätowierer hatte ihr versichert, dass man es auch kleiner stechen konnte.
Nick saß am Kopfende des Tisches, seine Hände auf ihren Schultern. Sie lag da und sah ihn an, das Kinn auf die abgeflachten Hände gestützt. „Wie fühlst du dich?“, fragte er leise.
„Wie gelähmt.“ Ihr ganzer Körper pochte, als ihr Herz gegen den Brustkorb schlug.
„Du denkst, das ist beängstigend. Du solltest mal versuchen, dich mit einem zweihundertachtzig Pfund schweren Abwehrspieler anzulegen.“
„Danke, aber die Kohlsuppendiät und ein Tattoo sind so ziemlich das Extremste, was ich über mich ergehen lassen würde.“
Sein erwiderndes Lächeln und sein Druck auf ihre Schulter beruhigten ihre Nerven. Zumindest für eine Sekunde, bis Reg seine Maschine einschaltete. Sam griff nach Nicks Händen, legte sie vor sich auf dem Tisch ab und umklammerte sie mit aller Kraft.
Sie kniff die Augen zusammen und wäre fast vom Tisch gesprungen, als die erste Nadel unauslöschliche Tinte in ihre Haut injizierte. „Wie lange, sagte er, würde das dauern?“, flüsterte sie.
„Dreißig Minuten.“
„Verdammt!“
Samantha ließ seine Hände los, um nach der Vorderseite von Nicks Shirt zu greifen. Er zuckte ein wenig zusammen, als sich ihre Fingernägel in ihn gruben, beschwerte sich aber nicht.
„Also, verrate es mir“, sagte er. „Warum jetzt dieses Tattoo, Midlife-Crisis?“
Samantha zuckte zusammen, als eine weitere Nadel sich in ihren unteren Rücken bohrte. „Weil Gary mich dazu gebracht hat, mich wie Sally zu fühlen, und mir klar geworden ist, dass ich ein Volvo bin. Bec ist voll dafür und ich habe es satt, mein langweiliges altes Ich zu sein.“
Es wurde still, während sie die Augen schloss und die Zähne zusammenbiss und er offensichtlich versuchte, ihren Wortsalat zu sortieren, was ihm nicht gelang.
„Okay. Wer ist Gary, wer ist Sally, wer ist Bec und was zum Henker hat ein Volvo mit all dem zu tun?“
Samantha klärte ihn auf und merkte nicht einmal, wie sich ihre angespannten Muskeln lockerten, als sie ihm die ganze traurige Geschichte erzählte.
„Gary ist ein Idiot.“
Sie öffnete die Augen und ihr Blick traf seinen. „Und leider ist Gary nur die Spitze des Eisbergs.“
„Gibt es da ein Muster?“
„Oh ja.“ Ihr Rücken fühlte sich an, als stünde er in Flammen, und sie schloss die Augen, um es auszublenden. „Bec sagt, ich hätte einen furchtbaren Männergeschmack.“
„Tatsächlich, ja?“
Er hörte sich nah an, aber sie drückte die Augenlider weiter fest zu, weil sie sich dadurch konzentrieren konnte und sie das nicht unterbrechen wollte. „Ich war zu sehr mit meiner Karriere beschäftigt, um auf die Warnzeichen zu achten. Deshalb habe ich einige schlechte Entscheidungen getroffen. Ich neige dazu, mir nur Männer in meinem Alter oder jünger zu suchen, solche Künstlertypen.“
„Klingt doch okay?“, murmelte er.
Seine tiefe Stimme war beruhigend und Samantha vergaß kurzzeitig sich zu konzentrieren, als sie ein halbes Augenlid öffnete, um ein Lächeln auf seinem Mund zu entdecken. Sie konnte nicht anders, als es zu erwidern.
„Nein. Sie hatten Bindungsängste. Und das war auch gut so, weil ich bis vor Kurzem selbst nicht wirklich mehr wollte.“
„Du hast deine Ziele zu niedrig gesteckt.“
Es kam als rumpeliges Knurren heraus, das ihr den Rücken herunterlief. „Das ist lieb von dir, Nick, aber glaub mir, das habe ich nicht. Ich setze mir Ziele, die ich erreichen kann. Ich meine, sieh mich an – au!“
„Sorry“, murmelte Reg.
Samantha biss die Zähne zusammen, schloss die Augen und umklammerte Nick fester, bis die heiße Welle des Schmerzes nachließ. „Seien wir doch mal ehrlich. Ich bin Durchschnitt. Und wenn Durchschnittsfrauen eines wissen, dann dass sie nicht über sich hinauswachsen werden.“
„Das ist das Absurdeste, was ich je gehört habe.“
Sie knurrte, aber es gefiel ihr, dass ihre Aussage offensichtlich bei ihm auf Unverständnis stieß. „Sag das mal den Generationen von Durchschnittsfrauen, die es irgendwann einmal gewagt haben, ihre Grenzen zu übersteigen, und deren Selbstwertgefühl dann von einem Adonis zu Brei gequetscht wurde.“
„Ich kann nicht glauben, dass dieser Mist in deinem Kopf vor sich geht“, murmelte er.
„Nein. Es ist okay.“ Sie schlug die Augen auf. „Wir haben immer noch eine akzeptable Auswahl, aber Männer, die aussehen wie …“ Du. Fast hätte sie „du“ gesagt. Aber seine Augen trafen ihre und sie schreckte zurück. „Wie griechische Statuen oder Models oder Filmstars sind einfach nicht unsere Liga.“
„Das ist das Abgedrehteste, was ich je gehört habe.“
Natürlich dachte er das. Er war ein Mann. Ein heißer Profi-Eishockeyspieler-Mann. Er wurde sein ganzes Erwachsenenleben lang nur angehimmelt.
„Na ja, egal.“ Es war nicht genug Zeit, um die jahrzehntelange Indoktrination durch Diätkultur und Schönheitsindustrie zu erklären. „Ich hatte in den letzten Wochen viel Zeit, um über meine Situation nachzudenken, und bin zu dem Schluss gekommen, dass meine Eizellen keine Ruhe geben werden, ehe sie sich nicht etwas vermehren dürfen. Also muss ich wohl oder übel nach einer ganz anderen Zielgruppe Ausschau halten als bisher. Und jetzt, wo mein stressiger Job für eine Weile kein Thema mehr ist, ist der perfekte Zeitpunkt, daran zu arbeiten.“
Er blinzelte, sichtlich verwirrt über diese Wendung. „Deine Eizellen?“
„Ja, Nick, meine Eizellen. Meine Uhr tickt. Meine Eizellen sind am Sterben.“
„Du bist dreißig.“
„Oprah sagt, dass Eizellen mit siebenundzwanzig anfangen zu sterben.“ Es hatte einen Vorteil, arbeitslos zu sein – Wiederholungen im Fernsehprogramm. „Ich habe drei Jahre an toten Eizellen in mir, Nick. Und der Rest wird alt, Verfallsdatum überschritten.“
„Was ist mit deinem Plan, zu deinem Spitzenjob zurückzukehren? Wie willst du beides unter einen Hut bringen?“
„Ich bin eine Frau. Wir sind multitaskingfähig. Ich kann das Baby bekommen, mir ein paar Wochen frei nehmen und dann kann es direkt in die Kinderkrippe gehen. Ich habe das alles durchdacht.“
„Einfach so?“
Samantha verdrehte die Augen. „Ja. Hast du es noch nicht gehört? Heutzutage können Frauen alles haben.“
„Du hast noch nicht viel mit Babys zu tun gehabt, oder?“
„Nicht wirklich, aber es wird so sein wie jedes andere Ziel, das ich mir gesetzt habe. Und ich bin sehr zielorientiert. Ich kümmere mich um Multimillionen-Dollar-Konten, ich kann mich um ein Baby kümmern.“
„Also … damit ich das richtig verstehe.“ Er sah sie an, als sei sie völlig verrückt. „In den Monaten, die du von jetzt anhast, bis Bob auf Händen und Knien zurückgekrochen kommt, wirst du dir einen Mann suchen und schwanger werden.“
„Ja“, bestätigte sie, während die Nadel erneut heftig stach und sie Nicks Schulter an sich drückte. „Ich weiß, es klingt unausgereift, Nick. Aber ich habe alle Optionen genau durchdacht. Ich schaffe das.“
„Ich glaube, verrückt trifft es eher.“
„Es wird schon klappen, glaub mir.“
„Okay, ich schätze, es gibt nur einen Weg, das herauszufinden.“ Er schüttelte den Kopf auf eine Weise, die Samantha keinen Zweifel daran ließ, dass er glaubte, dass es hundertprozentig nicht klappen würde. „Also … Du meintest, du willst eine andere Zielgruppe?“
Sie sprang auf den Gesprächswechsel an. Sie hatte in ihrem Leben keinen Platz mehr für Nein-Sager, sie musste einen Mann finden. „Richtig.“ Samantha nickte. „Jetzt, wo ich mehr Zeit habe, kann ich eine aktivere Rolle bei der Männerwahl einnehmen. In der Vergangenheit habe ich es einfach geschehen lassen, weil ich zu beschäftigt war, mich zu bemühen. Aber ich muss schlauer sein. Also habe ich eine Liste gemacht.“
„Was für eine Überraschung.“
Sie schloss die Augen und blendete seinen Sarkasmus aus. „Die Männer, auf die ich normalerweise stehe, sind offensichtlich nicht zu einer festen Bindung bereit. Bec sagt, ich suche unterbewusst nach meinem Vater.“
„Und tust du das?“
„Ich weiß es nicht. Kann sein. Er war nicht sehr sesshaft. Wir sind oft umgezogen. Ich mag es, sesshaft zu sein.“
„Ja, aber magst du das auch bei deinen Männern?“
Samantha dachte angestrengt nach. „Bei meinen bisherigen Entscheidungen würde man das nicht vermuten. Sie waren meinem Dad alle erschreckend ähnlich.“
„Die menschliche Psyche ist schon komisch.“
Samantha schlug kurz die Augen auf und vor ihr erschien sein umwerfendes Gesicht. Ihr Vater hätte Nick geliebt. Er war ein richtig männlicher Mann gewesen. Trotz ihres absoluten Faibles für Zahlen hatte sie immer das vage Gefühl gehabt, dass ihr Vater ein wenig enttäuscht gewesen war, keinen Jungen gezeugt zu haben.
Aber jetzt nicht die Zeit für Psychoanalyse.
„Wie auch immer.“ Sie schloss wieder die Augen. „Ich suche jemanden, der reif ist und weiß, was er vom Leben will, nicht jemanden, der noch auf der Suche danach ist. Jemand, der bereit ist, sich niederzulassen. Jemanden wie mich.“
„Nun, dann bin ich raus.“
Samanthas Augen flogen auf. Nick Hawke gehörte definitiv nicht zu ihrer Zielgruppe. Weder zur alten noch zur neuen. Scheiße, der Mann befand sich nicht einmal im selben Planetensystem wie ihre Zielgruppe. Der Gedanke war leicht deprimierend.
„Du kommst mir jedenfalls nicht wie der Baby-Typ vor.“
Er zuckte mit den Schultern. „Ich mag sie sehr gerne. Ich habe nur nicht den Drang, selbst eins zu machen. Ich denke, die Familie Hawke hat mehr als genug zur Weltbevölkerung beigetragen. Ich spiele lieber den Lieblingsonkel.“
„Wirklich? Du sehnst dich wirklich nicht nach einem eigenen Kind?“
Samantha wusste, dass sie es verstehen sollte. Bis vor Kurzem hatte sie genauso gefühlt. Aber jetzt, wie eine ehemalige Raucherin, konnte sie diese Haltung nur schwer nachvollziehen.
„Wirklich. Und du weißt, dass dieses ganze Ding mit einer anderen Zielgruppe nach hinten losgehen wird, oder?“
„Warum?“
„Weil Beziehungen doch einfach … passieren sollten? Wenn sie dazu bestimmt sind, zu passieren?“
Samantha lachte. Und das von einem Mann, der sich nie Gedanken darüber machen musste, wo er sein nächstes Date herbekam. „Ich habe hier einen Zeitplan, Nick. Ich kann nicht einfach“, ihre Hände gestikulierten Anführungszeichen, „darauf warten, dass es passiert.“
„Okay, das war's“, verkündete Reg.
Samantha blinzelte wegen der Unterbrechung. Dank Nick war das schneller gegangen, als sie gedacht hatte. Sie rollte sich vom Tisch und bewunderte Regs Werk in seinem ovalen freistehenden Spiegel und sie liebte es.
Ihre Metamorphose konnte beginnen.
Sie hatte ihren ersten Schritt getan. Er war unglaublich schmerzhaft gewesen und wäre sie ihn ohne Nick gegangen, hätte sie schon bei der ersten Nadel einen Rückzieher gemacht. Aber als sie jetzt ihr Tattoo betrachtete, war sie unheimlich stolz auf sich.
Sie hatte sich gerade tätowieren lassen. Sie konnte alles tun. Sie konnte ganz sicher ein Baby bekommen.
„Also … hast du einen bestimmten Typ Mann im Sinn für deinen Plan?“ fragte Nick, nachdem Samantha Reg bezahlt hatte und sie wieder auf der Straße waren.
„Nö.“
„Was? Keine Liste? Kein Post-it-Zettel irgendwo mit Körperbau, Augenfarbe, Schuhgröße usw.?“
„Nein.“ Samantha warf ihm einen abwehrenden Blick zu. „Ich suche nicht nach bestimmten körperlichen Eigenschaften. Ich schätze, ich würde gerne eine Art Funken spüren, aber hauptsächlich möchte ich, dass er nett ist. Ich meine, er wird der Vater meines Babys sein, also werde ich ihn mögen müssen.“
„Ich denke, das würde helfen.“
Sie zuckte mit den Schultern. „Ich dachte mir, ich melde mich einfach bei einer App an und beginne dort erstmal. Ich werde ihn erkennen, wenn ich ihn sehe.“
„Was?“ Nick stand die Abneigung förmlich ins Gesicht geschrieben. „Auf keinen Fall. Bleib weg von den Apps, Sam, egal was du tust.“
„Warum?“
Samantha war wahrscheinlich die einzige Frau, die sie sowohl auf der Arbeit als auch in ihrem eigenen kleinen Freundeskreis kannte, die sich noch nie im Online-Dating versucht hatte. Es hatte sich deprimierend falsch und unnötig angefühlt, wo die Männersuche doch so gut zu funktionieren schien. Aber nun standen die Dinge anders. Sie hatte nur wenig Zeit und ganz bestimmte Erwartungen.
Und sie bewunderte einen guten Algorithmus zutiefst.
„Weil sie ein fauliger Sumpf von Gym Bros sind, die nur eine schnelle Nummer schieben wollen.“
Sie winkte den Einwand ab. „Ich werde darauf achten, dass ich mein Profil richtig einrichte. Das ist der schnellste und effizienteste Weg, zu finden, wonach ich wirklich suche. Es sei denn, du hast mal eben eine Auswahl geeigneter Männer in meinem Alter oder älter passend zu meiner Zielgruppe parat?“
Mit anderen Worten: keine Eishockeygötter.
„Ja!“ Er schnippte mit den Fingern und klang … erleichtert? „Ich habe sechs ältere Brüder. Alles berufstätige Männer. Ich bin sicher, dass ich unter ihren Freunden und Kollegen jemanden finden könnte, der bereit wäre, mit einer dezent durchgeknallten Rubensfrau mit sterbenden Eizellen auszugehen.“
Oh, okay, ja. Das könnte durchaus funktionieren. Und der Gedanke einer persönlichen Empfehlung gefiel ihr auch viel besser als ein wildfremdes Internet-Match. „Wirklich? Du würdest das für mich tun?“
„Auf jeden Fall.“ Er nickte. „Überlass das mir.“
Kapitel 8
„Nick hat mir ein Date mit einem plastischen Chirurgen besorgt.“
„Das ist nett. Ein kosmetischer oder ein seriöser?“
„Gibt es da einen Unterschied?“
„Das wüsstest du, wenn du dir jemals die Mühe gemacht hättest, eine Cosmo statt der Financial Times zu lesen.“
Samantha konnte Becs Augenrollen geradezu sehen, als ein lauter Seufzer durch die Leitung ertönte.
„Kosmetische korrigieren deine Brüste und deinen Intimbereich. Seriöse kümmern sich um kleine Kinder, die durch Verletzungen entstellt sind, um Waisenkinder, Brandwunden, Bürgerkriegsopfer. Die kriegen humanitäre Auszeichnungen.“
„Dann kosmetisch, denke ich. Apropos, was meinst du, wie ich mit Brustimplantaten aussehen würde?“
„Mit deinen Brüsten ist alles in Ordnung. Sie sind perfekt. Ich würde für sie töten.“
Samantha lächelte. „Tu mir den Gefallen.“
„Na gut. Welche Körbchengröße?“
„E?“
„Wie eine Barbie-Puppe? Wie wär’s mit einer C?“
„Bec, ich habe schon eine C.“
„Genau das meine ich. Perfekt.“
***
Nicks Nasenflügel weiteten sich, als er die herrlich sinnliche Sexszene in Rita Summers’ Buch las. Sie mochte siebzig sein, aber die Dame wusste das ein oder andere über Sex. Und wie man darüber schreibt. Sein Glied pochte und er verstand vollkommen, warum der Held die Heldin wollte.
Scheiße, er wollte sie, und sie war nicht einmal real!
Es gab einen entscheidenden Nachteil, eine Buchhandlung für Liebesromane zu besitzen – Sex. Er war umgeben von Büchern, die den Liebesakt in allen Einzelheiten beschrieben. Stoßen, wippen, hämmern, eindringen. Stöhnen, wimmern, ächzen. explodieren, zerschmettern.
Ficken.
An manchen Tagen fühlte es sich an, als würden die Regale um ihn herum pochen, pulsieren, zum Leben erwachen. Er hätte schwören können, dass er ab und zu, wenn die letzte Kundin gegangen war und er für die Nacht abschloss, das schwache Echo eines schweren Atmens hören konnte.
Sein Blick glitt von der Buchseite weg, als Samantha mit einem Staubwedel in der Hand vorbeiging. Die Heldin in Ritas Buch war eine Magd in einem Gasthaus und es fiel ihm schwer, die beiden nicht zu vergleichen, während er sie heimlich beobachtete.
Ihr T-Shirt rutschte hoch, als sie das oberste Regal abstaubte, und er einen verlockenden Blick auf ihr Metamorphosen-Tattoo konnte erhaschen. Ihr runder Po brachte ihn ganz aus dem Gleichgewicht, als sie sich tief hinunterbeugte. Dann beugte sie sich vor, wodurch sich ihr Busen gegen den Stoff ihres Shirts drückte. Er wollte sie dort unbedingt berühren.
Wie würde sie wohl reagieren, wenn er sie zwischen die Regale drängte und von ihr verlangte, ihm zu dienen, so wie es der Chef des Mädchens getan hatte? Würde sie genauso bereitwillig sein? So begierig? Würde sie auf die Knie sinken wie die gutgläubige Magd und ihn um den Verstand bringen?
Oder würde sie ihm in die Eier treten und ihn wegen sexueller Belästigung verklagen …?
Sie blickte auf und bemerkte, wie er sie anstarrte, und lächelte abwesend, sichtlich auf die bevorstehende Aufgabe konzentriert. Nick wandte schnell den Blick ab. Was soll der Scheiß, Junge? Er atmete ein paar Mal tief durch, nachdem Samantha hinter einem anderen Bücherregal verschwunden war.
Reiß dich zusammen, Arschloch!
Das war völlig unangebracht. Jesus … hatten diese Bücher sein Gehirn frittiert? Nein. Es war nur … eine Weile her, das war alles.
Nick dachte zurück. Wie lange war es her?
Seit kurz vor seiner Verletzung. Und zwei Monate waren eine außerordentlich lange Zeit für ihn. Er atmete leichter. Diese … Fixierung auf Samantha war lediglich ein Spiegelbild seines zölibatären Zustands.
Sieh es ein, Mann, du liebst Frauen. Frauen lieben dich.
Es kam selten vor, dass Nick auch nur eine Woche ohne irgendeine Art von Action auskam. Das war also sein Problem. Er brauchte Sex. Der würde seine brodelnde Geilheit etwas lindern.
Und er würde weniger Zeit damit verbringen, seine Angestellte anzustarren.
Sicher, er war jeden Nachmittag ein paar Stunden weg von ihr, aber das war eindeutig nicht genug. Und den Rest der Zeit saß er nur auf seinem Hintern. Nick war es gewohnt, hart zu trainieren. Laufen, springen, Schlittschuhlaufen, Training im Gym.
Den Puck versenken.
Nick fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Die nächsten Monate ohne die tägliche rigorose Anstrengung würden die längste Zeit seines Lebens sein und der Gedanke, sie auf seinem Hintern sitzend zu verbringen, während Samantha irgendwelche Dinge um ihn herum abstaubte, war plötzlich verdammt frustrierend.
Er brauchte dringend Sex.
„Musst du das tun?“, schimpfte er, als sie wieder mit ihrem Staubwedel auftauchte, sich auf die Zehenspitzen stellte, um ein verirrtes Spinnennetz an der Decke zu erreichen, und dabei ihre Hüfte entblößte.
Sie hielt mitten im Geschehen inne und runzelte die Stirn. „Was tun?“
So verdammt hoch oben abstauben. „Diese Staubscheiße.“
Sie ließ sich wieder auf die Fußballen nieder und nickte. „Ja.“
Natürlich. Nick schlug das Buch wieder auf und zwang sich zur Konzentration. „Hätte ich von deinem Putzfimmel gewusst, hätte ich dich nicht eingestellt“, murmelte er.
„Bitte.“ Sie schnaubte. „Ich hätte eine Zwangsstörung auf die Stirn geschrieben haben können und deine halbherzige Gesprächstechnik hätte es nicht aufgedeckt.“
„Ich wusste nicht, dass ich auf Staubfreaks hätte prüfen müssen.“
Sie sah ihn erneut stirnrunzelnd an. „Gibt es einen bestimmten Grund, weshalb du dich heute so aufführst?“
„Abgesehen von deinem exzessiven Staubwedel-Gebrauch?“
„Es ist Staub, Nick. Ich weiß, dass es den draußen auf dem Eis nicht gibt, aber hier, im normalen Leben, bildet er sich jeden Tag. Deine Großmutter hat daher jeden Tag Staub gewischt.“
Ja, aber meine Großmutter sah nicht so heiß aus in Jeans und T-Shirt.
Nick stand auf. Er musste raus an die frische Luft. Plötzlich läutete die Glocke über der Tür und Nick hätte die Kundin, die hereinkam, am liebsten geküsst. Es war Dulcie und er begrüßte sie wie eine Königin. Die alte Dame kam an den meisten Tagen vorbei, um ihre Bücher auszutauschen und zu plaudern. Nick wusste, dass Dulcie seine Großmutter schrecklich vermisste, also kümmerte er sich immer ganz besonders um sie, wenn sie kam.
Aber heute übertraf er sich selbst.
Er machte ihr eine Tasse Tee, mit einer Zitronenscheibe genau wie sie ihn mochte, und servierte ihn in einer Tasse samt Untertasse aus Porzellan mit Narzissen-Muster. Samantha hatte sie in einem Antiquitätengeschäft erstanden, nachdem Dulcie sich geweigert hatte, aus einem Kaffeebecher zu trinken.
„Ungehobelt“, hatte sie gemurmelt und ihn angeschaut, als hätte Birdie ihm nie Manieren beigebracht.
„Wie geht’s deinem kleinen Urenkel?“ fragte Samantha, als sie Dulcie den Tee brachte. „Wurde er schon aus dem Krankenhaus entlassen?“
„Noch nicht, Liebes.“ Die ältere Frau pustete auf den Tee. „Die Ärzte sagen, es dauert noch eine Woche.“
„Das wird eine Erleichterung für Joanne sein“, meinte Samantha mitfühlend. „Wenn du fertig bist, habe ich den Beverly Jenkins, den du haben wolltest. Eine Kundin hat ihn gestern umgetauscht.“
Dulcie strahlte. „Ist sie nicht umwerfend, Nick?“
„Umwerfend“, stimmte er energisch zu und machte sich auf den Weg nach hinten, aber nicht bevor er hörte, wie Dulcie ihn fragte, ob es ihm gut ginge, und Samantha etwas von einer Stauballergie erzählte.
Nick schritt im Hinterzimmer umher, das sowohl Abstellraum als auch Küche war, komplett mit Kühlschrank, Spülbecken und einem kleinen Esstisch.
Umwerfend. Ja, verdammt noch mal, sie war umwerfend.
Die gesamte Kundschaft stimmte dem zu. Alle, so schien es, liebten Samantha. Nick brauchte gar nicht erst so zu tun, als wüsste er, was die Leute motivierte, den Laden zu betreten, aber er wusste, was sie motivierte, wiederzukommen – Samantha.
Sie war munter und zuvorkommend und freute sich immer aufrichtig, jemanden zu sehen. Sie erinnerte sich an Details aus deren Leben, wie gerade eben bei Dulcie, und kannte die individuellen Buchvorlieben, von den Lieblingsautorinnen bis zu den Lieblingsthemen.
Allein an diesem Morgen war da Vonnie von der US-amerikanischen Regierungsdruckerei GPO, die es gerne heiß und spicy mochte. Bernie, ein stämmiger Bauarbeiter mittleren Alters, der jede Woche kam, um seine Mutter und ihre Freundinnen im Altersheim mit seichten Liebesromanen zu versorgen. Und Dora, die nachts in einem 7-Eleven arbeitete und eine Vorliebe für romantische Spannung hatte.
Sie alle verließen den Laden mit einer Tasche voller kleiner Schätze und einem Lächeln im Gesicht.
Samantha war ständig auf ihre Kundschaft bedacht. Wenn ein bestimmtes Buch eingetauscht wurde, schwenkte sie es und sagte: „Das lege ich für Bernie zur Seite. Die alte Mrs. Gruber im Heim liebt Historisches.“ Oder: „Oh, toll, das wird Dora lieben.“
Dank der umwerfenden Samantha setzten sie Birdies Tradition und den Gemeinschaftssinn fort und der Laden blühte sogar richtig auf. Er wäre dumm, das alles kaputt zu machen.
Also musste er mit den Abstaub-Fantasien aufhören und einfach nur endlich Sex haben.
***
Samantha freute sich, Nicks von hinten zu sehen, als er zur Physiotherapie ging, und hoffte inständig, dass er dadurch bessere Laune bekam. Den ganzen Morgen hatte er gegrübelt und sie hatten kaum ein normales Wort miteinander gesprochen. Sie hatte keine Ahnung, warum er mit einem riesigen Stock im Arsch zur Arbeit gekommen war, aber sie hatte mit dem bevorstehenden Blind Date heute Abend schon genug zu tun, ohne sich auch noch um Nick scheren zu müssen.
Das Date mit dem Schönheitschirurgen.
Gott, warum hatte sie dem jemals zugestimmt? Aber dann tschiepten ihre Eizellen und sie erinnerte sich.
Was sollte sie anziehen? Was sollte sie sagen? Was, wenn er Mundgeruch hatte? Oder langweilig war? Oder … Lust auf Innereien hatte?
Was, wenn er sie nicht wollte?
Blind Dates machten sie immer nervös. Ein Blind Date mit einem Schönheitschirurgen machte sie panisch. Das sollte es nicht, schließlich war sie ein perfekt für Schönheitsoperationen. Sie könnten sich wahrscheinlich die ganze Nacht über ihre körperlichen Makel unterhalten. Ihre Cellulite, ihre nicht vorhandenen Brüste, die winzigen Fältchen um ihre Augen, die sie gerade erst wahrzunehmen begann, und ihre hartnäckigen Kurven.
Wie wär’s mit Botox und reich mir bitte die Kartoffeln. Nein … zu viele Kohlenhydrate. Brokkoli. In Brokkoli sind keine Kohlenhydrate.
O Gott, sie war schon ein Wrack, bevor sie dort ankam!
Im Ernst, eine Nacht kritisch beäugt zu werden von jemandem, dessen einzige Aufgabe es war, Schönheit zu kreieren, klang plötzlich sehr entmutigend. Aber er war in ihrer Zielgruppe. Ein fünfundvierzigjähriger berufstätiger Mann, das war alles, was zählte.
Die Klingel unterbrach ihre Gedanken und sie blickte von der Theke auf. Nick kam gerade durch die Tür zurück und sah verdammt viel weniger angespannt aus als zuvor.
„Wie war die Physio?“
„Ausgezeichnet“, verkündete er lächelnd.
Okay, definitiv viel entspannter. „Du bist besser gelaunt.“
„Ja.“ Er zog eine Grimasse, als er sich näherte. „Das tut mir leid. Lagerkoller, glaube ich. Ich bin es nicht wirklich gewohnt, drinnen eingesperrt zu sein. Wenn ich wieder so werde, dann schick mich auf einen Spaziergang.“
Samantha zog eine Augenbraue hoch. Wie zum Teufel sollte er bis September wieder fit sein, wenn er sich nach ein paar Wochen so verhielt? „Ich verspreche dir, dich notfalls mit vorgehaltener Waffe zu verjagen.“
Er lachte. „Deal. Und? Was ist los?“
Samantha wollte ihn fragen, woher er wusste, dass irgendetwas los war, aber sie vermutete, dass sie die Stirn gerunzelt hatte, als er hereinkam. Selbst nach einer so kurzen Bekanntschaft konnte Nick sie wirklich gut einschätzen. Besser als jeder ihrer Ex-Freunde es je getan hatte. Verdammt, sie war ein Jahr lang mit Gary zusammen gewesen und er hatte nie eine Ahnung von ihren Stimmungen gehabt.
„Ich bin ein bisschen nervös wegen heute Abend“, gab sie zu, während sie sich leicht auf dem Hocker drehte. „Ich kann mich nicht einmal entscheiden, was ich anziehen soll.“
„Sam.“ Er seufzte schwer. „Ich werde dir ein Geheimnis verraten. Männern ist es egal, was Frauen anziehen. Sie freuen sich einfach nur darüber, dass du sie genug magst, um mit ihnen auszugehen.“
Okay, sicher … wie auch immer. „Sie wollen doch aber bestimmt, dass ihre Dates vorzeigbar sind, oder?“
„Nein.“ Er schüttelte den Kopf. „Sie wollen einfach nur jemanden mit Bock auf Sex.“
„Nick!“ Manchmal war dieser Mann einfach nur nervtötend. „Er ist ein plastischer Chirurg. Ich wette, es wird ihn interessieren.“
„Na gut.“ Er holte tief Luft, als wäre ihre Kleidung das Letzte, was er diskutieren wollte, aber er würde es durchstehen. Was sie zu schätzen wusste. „Hast du ein bestimmtes Outfit im Sinn?“
„Ich habe ein paar schöne maßgeschneiderte Hosen im Retro-Look.“ Ihr Hintern sah darin auch ganz gut aus.
Er schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Nee.“
„Ich habe haufenweise Power-Anzüge?“ Und Jacken bedeckten eine Vielzahl von Sünden.
„Herrgott, Sam, du versuchst deine Eizellen glücklich zu machen, nicht die Bücher auszugleichen.“
Samantha starrte ihn an. War es wirklich nötig, sarkastisch zu sein? Sie holte tief Luft und versuchte es erneut. „Ich habe dieses kleine schwarze Kleid. Es ist nicht neu, aber es ist ein klassischer Schnitt.“
„Warum hast du das nicht gleich gesagt? Das klingt doch perfekt.“
„Es ist ein bisschen zu eng.“ Aber … Schwarz machte doch schlank, oder?
„Ja … du solltest dich auf jeden Fall für den enganliegenden Look entscheiden.“
Samantha schaute an ihrem Körper hinunter und dann wieder zu Nick. Sie wollte protestieren, aber er hatte einen merkwürdigen Gesichtsausdruck, der ihren Unterleib ganz wild werden ließ, und das wollte sie nicht zulassen. „Okay, danke.“ Sie stand auf und streckte sich ein wenig, um ihren Rücken zu entlasten, und bemerkte, dass sein Blick kurz auf ihre Taille fiel, bevor er zu ihrem Gesicht zurückkehrte. „Wenn du mich nicht mehr brauchst, mache ich für heute Schluss.“
„Was ist mit Kondomen?“
Samantha blinzelte über die Frage, die er gerade ausgesprochen hatte. „Was?“
„Kondome“, sagte er mit einem Nicken, seine Stimme wurde nachdrücklicher. „Du weißt schon. Nur für den Fall. Sei vorbereitet.“
„Nick … ich gehe nur auf ein Date. Ich habe nicht vor, mit dem Kerl direkt Sex zu haben.“
„Aber was ist, wenn er der Eine ist? Was, wenn er deine Eizellen retten will und dich völlig vom Hocker reißt und du einfach nicht Nein sagen kannst?“
Samantha schnaubte bei dem Bild, das er heraufbeschwor. Ja. Genau. „Nun … ich bin ziemlich geübt im Nein-Sagen.“ In Anbetracht dessen, wie tief verankert die Hook-Up-Culture im Sport ist, hatte sie keinen Zweifel daran, dass Nick wahrscheinlich mit vielen Frauen schon beim ersten Date geschlafen hatte. Verdammt, er musste sich wahrscheinlich nicht einmal mit ihnen verabreden, um Sex zu haben. Aber so war sie nicht.
Sie hatte kein Problem mit One-Night-Stands. Sie waren nur nicht ihr Ding.
„Und wenn du nicht Nein sagen willst?“
„Dann kann es bis zu Date Nummer zwei warten.“
„Und wenn es nicht warten kann?“
„Nick!“ Warum war er so penetrant?
„Ich meine es ernst. Das passiert manchmal.“
Hmm. Wie würde das sein? Wenn man jemandem so sehr verfiel, dass man ihn einfach haben musste. Auf der Stelle. Sie starrte ihm in die Augen, fasziniert von der Vorstellung, Nick so sehr zu verfallen.
Aber so naiv war sie nun auch wieder nicht.
„Na ja, mir passiert so etwas nicht. Ich bin viel zu vernünftig. Und falls es doch passieren sollte, bin ich mir sicher, dass er für solche Eventualitäten vorgesorgt hat.“
„Schutz ist nicht nur die Verantwortung der Männer, Sam.“
Samantha registrierte seinen ernsten Blick, seine braunen Augen waren eindringlich, die Spalte in seinem Kinn ausgeprägt. Zotteliges Haar streifte seinen Kragen und sie kämpfte gegen den plötzlichen Dran, ihre Finger hineinzustecken. Es wäre so einfach, bei der Arbeit mit Nick den Fokus zu verlieren. Es wäre einfach, sich einzureden, dass ihre Schwärmerei etwas mehr war. Und es wäre dumm.
Ihre Uhr tickte bis zur Geburt eines Babys herunter. Seine zählte bis zur Hockeysaison.
„Dann werden wir eben auf dem Heimweg bei Dora im 7-Eleven vorbeischauen.“
Im Laden herrschte einige Augenblicke lang Stille, bevor er murmelte. „Gut.“
Fest entschlossen, jetzt weg und stattdessen in Stimmung für heute Abend zu kommen, packte Samantha ihre Tasche und verabschiedete sich von Nick, als sie die Tür öffnete.
„Sam?“
„Ja?“ Sie drehte sich um, die Hand auf dem Türknauf.
„Wenn er vorschlägt, irgendwas an dir machen zu lassen, renn weg. Renn schnell weg.“
Danksagungen
Als eine Person, die schon immer mit ihrem Gewicht und ihrem Körperbild zu kämpfen hatte, befürchte ich, dass ich in dieser fantastischen Body-Positivity-Bewegung eine Menge Gegenwind bekommen könnte.
Was ich verdammt noch mal liebe – ernsthaft, es wurde Zeit!
Ich finde es toll, dass wir heutzutage so unglaublich positive Plus-Sized-Charaktere schreiben und die Menschen, die sie lieben. Das ist sooo verdammt ermutigend. Aber ich wollte ein Buch über eine Frau schreiben, die immer noch täglich mit ihrer Psyche kämpft, die ihr durch die toxischen Botschaften der Jahrzehnte an Diätkultur auferlegt wurde. Als eine Person, die ihre Meinung über ihren Körper von einer Stunde auf die andere ändern kann und sich in einem ständigen Konflikt mit dieser unglaublich komplizierten Hassliebe befindet, wollte ich mich auf den Seiten wiederfinden.
Ich betrachte dieses Buch als ein Buch über die eigene Stimme und als solches wird es nicht alle Frauen widerspiegeln, die (auf die eine oder andere Weise) mit ihrem Körperbild kämpfen, weil das so unglaublich individuell und vielschichtig ist. Aber wenn es dich widerspiegelt, dann hoffe ich, dass du dich gesehen fühlst und weißt, dass du nicht allein bist, wenn du diese erstaunliche Ansammlung von Zellen, Organen und Nerven sowohl liebst als auch hasst, die dich zu dir macht und zu solch einem komplexen Wunderwerk fähig ist, obwohl wir manchmal so unfreundlich zu ihr sein können.
Die Beschaffenheit eines jeden Menschen ist individuell und kann widersprüchlich sein und das ist in Ordnung.
Ein großes Dankeschön an alle bei Boldwood Publishing, die diesem Buch Leben eingehaucht haben. Besonderen Dank an meine Lektorin Megan Haslam. Niamh Wallace und Nia Beynon für ihre Fähigkeiten in Marketing und Autorenzusammenschluss und Candida Bradford und Rachel Sargeant für ihre lieben Kommentare und ihre geschulten Augen während des Lektoratsprozesses.
Danke an meine Agentin Jill Marsal von Marsal Lyon für ihre Führung und ihre wohltuende Ausstrahlung. Danke auch an meine wunderbare Fangemeinde, die Amy Andrews All Stars, die sowohl mein Cheer Squad als auch mein Brain-Trust sind.
Ein besonderer Dank geht an meine Autorenfreundinnen, die meine Hand halten, wenn ich sie brauche, und die Sektkorken knallen lassen, wenn es etwas zu feiern gibt – Ally Blake, Clare Connelly, Jennifer St George, Pippa Roscoe, Rachael Stewart und Rachel Bailey. Diese Frauen kennen die Höhen und Tiefen einer Karriere als Autorin sehr gut und ich bin so froh, dass ich sie an meiner Seite habe. Danke, meine Lieben, ihr seid alle großartig.
Und zu guter Letzt gilt mein Dank ganz besonderen Menschen. Meinen Kindern Jack und Claire, die wir zu Reisenden erzogen haben und die deshalb jetzt beide am anderen Ende der Welt leben. Es zerreißt mir zwar das Herz, so weit von ihnen entfernt zu sein, aber die Tatsache, dass sie ihr bestes Leben leben, weil wir ihnen vermittelt haben, dass es da draußen eine ganze Welt gibt, die sie erkunden sollten, erfüllt mich mit Freude. Und es ist nie ein Problem, sie zu besuchen, wo auch immer sie sind.
Und mein Dank geht an meine Schwester Ros, die mich bedingungslos liebt, an meinen Bruder Stephen, der im Laufe der Jahre so unglaublich großzügig zu mir war, an meine beste Freundin Leah, deren rosarote Brille ich immer zu schätzen weiß, und an meinen Mann Mark, in den ich mich im Alter von sechzehn Jahren schockverliebt habe und der mich seitdem liebt und zum Lachen bringt. Er und seine Werte sind der Kern all meiner Helden, und ich empfinde mich als außerordentlich gesegnet.
Und allen Lesenden – überall und immer – danke ich aus tiefstem romantikliebendem Herzen!