Leseprobe Bound by Love

Kapitel 1

Auf dem Weg nach Somerset, Wisconsin

03. Dezember 2016

Megan

Der Wagen rollt nur langsam durch die verschneiten Straßen. Schneeflocken tanzen vor den Scheinwerfern durch die Nacht, manche bleiben an der Fensterscheibe haften, schmelzen und laufen in kleinen Rinnsalen das Glas hinab.

Ich strecke die Hand aus, vorsichtig, um Harley nicht zu wecken, und fahre die feuchte Spur mit dem Finger nach. Es ist heiß im Auto, sogar das Fenster fühlt sich warm unter meiner Haut an. Doch ich wage es nicht, meine Jacke auszuziehen oder den Fahrer zu bitten, die Heizung herunterzudrehen. Auf keinen Fall möchte ich, dass Harley früher als nötig wach wird. Ich blicke hinab zu ihm. Sein Kopf ruht noch immer auf meinem Schoß. Er atmet gleichmäßig, das ist das Wichtigste, aber er sieht schlimm aus. Als hätte er einen schweren Verkehrsunfall hinter sich. Mir tut es weh, ihn so zu sehen. Jede einzelne Wunde in seinem Gesicht schmerzt mich und gleichzeitig fühle ich mich unendlich erleichtert.

Wir haben es geschafft.

Ich bin versucht, ihm durchs Haar zu fahren, das nass und verschwitzt aussieht, aber ich lasse es. Er soll sich nach den Strapazen des unfairen Kampfes erholen.

Langsam wende ich den Blick ab und sehe wieder nach draußen. Es ist so still hier, dass ich das Knirschen des Schnees unter den Reifen hören kann. Eine Weile arbeitet sich das Taxi weiter über die glatten Straßen, dann passieren wir endlich das Ortseingangsschild von Somerset. Ich kneife die Augen zusammen, um etwas besser sehen zu können. Die Häuser, die in einigem Abstand zueinander am Straßenrand stehen, sind mit Lichterketten geschmückt, doch im Innern brennt nirgends Licht. Schnee liegt auf den Vordächern, den Verandastufen und den Fensterbrettern, er türmt sich unberührt in den Vorgärten und drückt die Äste der Tannen nieder, die hier und da vereinzelt in der Winterlandschaft stehen. Alles sieht so friedlich aus. Es hat etwas Beruhigendes, ganz anders als in Chicago, wo jeder stöhnt und jammert, sobald die ersten Flocken fallen. Dort färbt sich das Weiß ganz schnell schmutzig grau und neuer Schnee kann den Dreck der Autoabgase nur schlecht überdecken.

Ich starre weiter nach draußen und frage mich, wann ich das letzte Mal hier war. Es ist ewig her. Lange Zeit habe ich mich wegen meines prügelnden Ex Russell geschämt und den Kontakt zu meiner Mutter so lange reduziert, bis wir gar nicht mehr miteinander gesprochen haben. Und nun tauche ich plötzlich bei ihr auf. Mitten in der Nacht. Mit einem neuen Mann, der sein Geld damit verdient, sich in Käfigen zu schlagen. Und auch wenn Harley auf den ersten Blick hundertmal gefährlicher und stärker wirkt als Russell, auch wenn er mit seinen Wunden aussieht, als käme er aus einem Kriegsgebiet, schäme ich mich nicht. Im Gegenteil. Ich möchte, dass meine Mom und Harley sich kennenlernen. Und ich möchte, dass sie ihn genauso ins Herz schließt, wie ich es getan habe.

»Megan?«, durchbricht eine leise Stimme die Stille.

Ich sehe herüber zu Sally, die den schlafenden Dale im Arm hat und bis vor wenigen Augenblicken ebenfalls geschlafen hat. Jetzt sieht sie mich an. Ihr Blick ist schwer zu deuten.

»Ja?« Ich lächle und sie erwidert mein Lächeln nach einem Moment.

»Geht das auch wirklich in Ordnung?«

»Ja«, sage ich und nicke. Dann füge ich an: »Ich denke schon.« Denn ich habe noch immer nicht mit meiner Mutter gesprochen. Zuerst wollte ich die Fahrt nutzen, um sie vorzuwarnen, aber dann dachte ich, dass es besser wäre, ihr die Pistole auf die Brust zu setzen und direkt bei ihr aufzukreuzen. Auch wenn es ihr wahrscheinlich einen halben Herzinfarkt verpasst, wenn es mitten in der Nacht an der Tür klingelt.

So tiefe Nacht ist es gar nicht mehr, stelle ich fest. Die Uhr im Auto zeigt an, dass es bereits fünf ist. Fast schon morgens also.

Sally nickt langsam, dann schaut sie nach draußen. »Es ist wunderschön hier. Wie am Nordpol. Es fehlen nur noch die Rentiere und Schlitten.«

»Der Ort hat keine 3000 Einwohner, da würden ein paar Rentiere wirklich nicht schaden.«

»… Was willst du mit einem Rentier, Baymax …?«

Ich sehe herunter zu Harley.

Er hat die geschwollenen Augen aufgeschlagen und grinst mich schief an. »… Tut’s fürs Erste nicht auch was Kleineres? Ein … Katzenbaby? Oder ein Hund?«

Auch wenn er mich schon wieder mit meinem verhassten Spitznamen anspricht und seine Stimme schwach und gebrochen klingt, ist sie das Schönste, was ich in den letzten Stunden gehört habe. Ich bin so unendlich froh, dass er wach ist, dass er Scherze macht und dass es ihm offenbar nicht so schlecht geht, wie er aussieht, dass ich mich kurzerhand zu ihm runter beuge und ihm einen Kuss gebe. Vorsichtig lege ich meine Lippen auf seine, um ihm nicht weh zu tun.

Doch Harley hat offenbar andere Pläne. Er hebt seine Hand und vergräbt sie in meinem Haar. Dann lässt er seine Zunge in meinen Mund gleiten. Sogleich beginnt mein Herz zu rasen und meine Kehle fühlt sich wie zugeschnürt an. Es ist ein unglaubliches Gefühl, Harley zu küssen, und sofort wächst in mir das Verlangen, ihm noch näher zu sein.

»Iiih, Onkel Harley!«

Anscheinend hat unser Gerede auch Dale geweckt.

Schnell lösen Harley und ich uns voneinander.

Ich sehe aus dem Fenster und lecke mir beschämt über die Lippen.

»Ah, du bist ja wach, Sportsfreund.« Ich höre die Amüsiertheit in Harleys Stimme. »Und? Was sagst du zu Somerset?«

»Sieht nicht nach Sommer aus«, antwortet Dale. Er spiegelt sich in der Scheibe und ich sehe, dass er sich aufsetzt und ebenfalls aus dem Fenster guckt. »Kann man hier Snowboard fahren?«

»Schlitten«, sage ich und erinnere mich an den großen Hügel, der durch ein Waldstück gleich hinter dem Haus meiner Mutter führt. »Es gibt in der Nähe –«

»Schlitten sind was für Babys.« Dale sieht wieder kurz raus, dann Harley an. »Du musst mir beibringen, wie man schießt.«

»Wie man … schießt?« Harley klingt so irritiert, wie ich mich fühle. Er setzt sich auf und ich spüre, dass es ihn viel Mühe kostet. Er scheint nur schwer ein schmerzhaftes Stöhnen unterdrücken zu können. »… Was willst du denn erlegen?«

»Die Bösen.« Dale zuckt mit den Schultern. »Die, die dich geschlagen haben und vor denen wir weglaufen.«

»Dale, Schatz …«, will Sally dazwischen gehen, aber Harley ist schneller.

»Woh, Halt, Kumpel. Ich werde dir ganz sicher nicht zeigen, wie man schießt. Und du wirst schön aufhören, auch nur darüber nachzudenken, irgendwen um die Ecke zu bringen, haben wir uns da verstanden? Dort, wo wir hinfahren, sind wir sicher. Du musst keine Angst haben und du brauchst keine Waffe. Alles klar?«

»Aber …«

»Kein Aber. Wenn du Verbrecher fangen willst, dann musst du später zur Polizei gehen. Bis dahin schlägst du dir diesen Unsinn aus dem Kopf.«

Dale verschränkt trotzig die Arme und Sally zieht ihn an sich.

»Ist schon gut, Schatz. Du musst dir keine Sorgen machen.«

»Beibringen, wie man schießt …«, wiederholt Harley leise und schüttelt grinsend den Kopf. Dann legt er einen Arm um mich und zieht mich an seine Brust. »Wie lange fahren wir noch?«

Ich versuche in dem Wirrwarr aus schneebedeckten Straßen etwas zu erkennen, aber es sieht alles so gleich aus. »Nicht lange. Somerset ist winzig, wir müssten schon fast einmal durch sein.«

Harley sagt nichts mehr. Er drückt mir einen Kuss aufs Haar und lässt seine Lippen dort. Gemeinsam sehen wir nach draußen und hängen unseren Gedanken nach.

***

Während Harley und Sally das Gepäck ausladen und den Taxifahrer bezahlen, steuere ich das Haus meiner Mom an. Es unterscheidet sich von den anderen in der Straße nur dadurch, dass es keine Weihnachtsbeleuchtung hat. Ich stapfe über den ungeräumten Weg zur Haustür und mein Puls beschleunigt sich. Auch wenn ich allen im Wagen weisgemacht habe, dass sie mich mit offenen Armen empfangen wird, bin ich mir da alles andere als sicher. Ich habe mich einfach viel zu lange nicht bei ihr gemeldet.

Aber was haben wir für eine Wahl? Wir brauchen etwas, wo wir unterkommen können und Dylan, Harleys ehemaliger Kollege von der Polizei, hat uns ausdrücklich gewarnt, in Hotels oder Motels einzuchecken. Alles, wo wir Kreditkarten oder Ausweise benutzen, könnte dazu führen, dass Luigis Handlanger unseren Aufenthaltsort erfahren und das möchte natürlich keiner von uns.

»Sei kein Schisser«, wispere ich und sage mir, dass ich in der letzten Zeit Dinge getan habe, die sehr viel mehr Mut erforderten. Da sollte ich nun wirklich keine Angst haben, bei meiner eigenen Mom anzuklingeln. Trotzdem fühle ich mich irgendwie wie damals als Kind, wenn ich kurz davor war, ihr einen blöden Streich beichten zu müssen. Hey Mom, Dad und ich haben Badeschaum in den Springbrunnen im Garten geschüttet. Nun ja, ein bisschen was anderes ist es diesmal schon.

»3 … 2 … 1 …« Bei 1 drücke ich den Finger auf die Klingel und wundere mich, dass die Tür aufgerissen wird, noch ehe der erste Ton erklingt.

Eine hagere Frau zieht mich an sich und schließt mich in ihre Arme.

»Wie schön«, flüstert sie und mir wird erst jetzt klar, dass es meine Mom ist.

Ich erwidere ihre Umarmung und spüre, wie die Anspannung ein Stück weit von mir abfällt. Mit so einer Begrüßung hätte ich nicht gerechnet. »… Du bist noch wach?« Unsinnigerweise ist es das Erste, was mir über die Lippen kommt.

Meine Mom hält mich an den Schultern ein Stück von sich weg. »Ich habe euch kommen sehen. Gut siehst du aus. Wer sind deine Begleiter?« Auch in den Augen meiner Mutter stehen Tränen und ein breites Lächeln überzieht ihr Gesicht.

Ich muss sie nicht fragen, warum sie wach war. Seit dem Tod meines Vaters leidet sie an Schlafstörungen und starrt oft nächtelang einfach nur aus dem Fenster. Das war schon so, kurz nachdem er gestorben war und offenbar hat es sich selbst Jahre danach nicht gebessert. Sie ist dünn geworden, älter, und das ehemals goldene Haar hängt ihr, von grauen Strähnen durchzogen, über die Schultern. Trotzdem hat sie eine stille Eleganz an sich und eine Haltung, die zeigt, dass sie sich nicht unterkriegen lässt. Niemals.

»Das sind …« Ich räuspere mich. »Mein Freund Harley, seine Schwägerin Sally und ihr Sohn, Dale. Wir bräuchten einen Unterschlupf für … ein paar Nächte oder so.« Möglicherweise ist das untertrieben. Vielleicht bleiben wir sogar Wochen oder Monate.

»Warum kommen sie nicht näher? Ich beiße nicht.«

Erst jetzt blicke ich zurück zur Straße und sehe, dass Harley, Sally und Dale dort aufgereiht stehen und warten. Das Taxi fährt gerade weg und es ist ein skurriler Anblick, wie die drei reglos im Schneegestöber ausharren.

»Vielleicht wollen sie Schneemänner werden«, scherzt meine Mom.

Ich muss lachen und das durchbricht den Bann. »Kommt schon rüber«, rufe ich.

Die drei setzen sich in Bewegung, wobei Dale vorneweg durch den Schnee rennt.

»Nicht so schnell, sonst fällst du!«, ruft Sally, doch der Junge hört nicht auf sie.

Ich bin froh über jeden unbeschwerten Moment, den er durchlebt. Über jede Minute, in der er nicht über die ›bösen Männer‹ und Schusswaffen nachdenkt.

»Harley ist verletzt«, flüstere ich meiner Mutter zu. »Kann ich dir morgen alles erzählen? Wir sind ziemlich erschöpft.«

»Du kannst jederzeit mit mir reden, Megan. Aber du musst nicht. Ich bin froh, dass du hier bist und du erzählst mir einfach nur das, was du mir erzählen möchtest.« Sie drückt kurz und sanft meinen Oberarm, dann deutet sie ins Innere des Hauses. »Fühlt euch wie zu Hause.«

Dale bleibt auf der Fußmatte stehen und tritt sich die vereisten Schuhe ab. »Hallo, Misses …«

»Das ist Dale«, erklärt Sally.

Mom beugt sich zu ihm runter und hält ihm die Hand hin. »Hallo, Dale. Ich habe einen Kamin, gleich da vorne. Wärm dich am Feuer auf, wenn du willst.«

Das lässt sich Dale nicht zweimal sagen. Blitzschnell ist er aus seinen Schuhen geschlüpft und flitzt ins Haus.

»Es tut mir leid, er …«, beginnt Sally, aber meine Mutter lässt sie gar nicht zu Wort kommen.

»Fühlen Sie sich einfach wie zu Hause. Ich bin Patricia und freue mich immer, wenn ich Besuch bekomme.« Sie gibt die Tür frei und lässt Sally rein. »Wärmen Sie sich auf, ich bringe gleich Decken und heißen Kakao.«

Ich spüre einen schweren Arm auf meinen Schultern und Harleys Körperwärme, als er neben mich tritt.

»Das ist Harley«, erkläre ich.

Harley nimmt den Arm gleich wieder von meiner Schulter und schüttelt meiner Mom die Hand. »Eine tolle Tochter haben Sie.«

»Vielen Dank, aber das weiß ich, junger Mann.« Meine Mutter lacht und wirft mir einen so liebevollen Blick zu, dass ich Wut in mir aufsteigen spüre. Wut auf Russell, weil ich mich wegen ihm so lange nicht bei ihr gemeldet habe.

»Ich bringe euch beide zum Gästezimmer. Dann könnt ihr euch ausruhen.«

Ich bin ihr unendlich dankbar, dass sie uns nicht ausfragt und Harley mit seinen Wunden nicht mustert wie einen Außerirdischen. Stattdessen schließt sie nur die Tür hinter uns und nachdem wir uns von Sally und Dale verabschiedet haben, bringt sie uns in den hinteren Teil des Hauses.

»Hier seid ihr ein bisschen ungestört.« Sie öffnet die Tür zum Gästezimmer, das früher, als dies hier noch unser Sommerhaus war, das Arbeitszimmer meines Vaters gewesen ist. Schmerzhaft lächelt sie in Richtung der riesigen Glasfront, die hinaus auf den Wald geht. Die verschneiten Bäume bieten einen märchenhaften Anblick. »Theo, Megans Vater, hat diesen Ausblick geliebt.«

Harley tritt an die Fensterfront und schaut nach draußen. »Kein Wunder«, sagt er und klingt ernsthaft beeindruckt.

Ich muss an die fensterlose Wohnung denken, in der er lebt, weil er alles Geld, was er verdient, ins Wohl seiner Familie steckt und bin froh, mit ihm hier zu sein.

»Sehen Sie die Wanne dort?« Meine Mutter tritt neben Harley und deutet nach draußen auf die kleine Veranda. Sie kichert verschmitzt. »Da habe ich mir etwas gegönnt. Sehen Sie?«

»Einen Whirlpool?«

Moms Lächeln wird noch eine Spur breiter. »Ihr könnt ihn benutzen. Die Wassertemperatur lässt sich bis auf 38 Grad hochregeln. Man kann also auch im Winter rein.«

Ich bin überrascht. Meine Mutter hat sich also einen Whirlpool gekauft? Warum auch nicht? Sie war schon immer ein Fan von Wasser. Egal ob eine Badewanne, das Meer oder kristallklare Gebirgsbäche, wenn wir früher in den Urlaub gefahren sind … Nicht mal die kleinste Pfütze war vor ihr sicher.

Sie dreht sich zu mir um. »Ich glaube, für die Wanderer und Spaziergänger dort im Wald ist es kein schöner Anblick, wenn ich in die Wanne steige, aber dann sollen sie eben nicht hinsehen.«

Ich muss lachen. »Da hast du Recht!« Erleichtert stelle ich dabei fest, dass es überhaupt nicht komisch ist, wieder hier zu sein. Im Gegenteil: Es fühlt sich eher an, als wäre ich nur kurz weg gewesen.

»Ich bringe euch ein paar Bademäntel. Ihr seid schon eher was, das sich die Leute gerne anschauen. Und wir wollen ja nicht gleich den ganzen Ort vor der Tür stehen haben.« Damit verlässt sie das Zimmer.

»Sie ist eine tolle Frau.« Harley dreht sich zu mir um und ich sehe ihm an, wie kaputt er ist. Er deutet mir, näher zu kommen, und als ich bei ihm angelangt bin, schlingt er seine Arme um meine Hüften. »Wie fühlst du dich?«

»Wie fühlst du dich?«, erwidere ich.

»Wie ein Stück Mett.«

»Wie ein … was?«

»Mett. Durch den Fleischwolf gedreht und –«

Ich lache und halt Harley den Mund zu. »Halt die Klappe, Harley. Du hast zu viele Treffer kassiert, du redest wirres Zeug.« Dass er ein wenig verwirrt ist, kann aber auch an den starken Medikamenten liegen, die er verordnet bekommen hat. Die Ärzte haben ihm eine Gehirnerschütterung diagnostiziert, was an sich nicht so schlimm wäre, jedoch haben Boxer und andere Kampfsportler meist länger etwas davon und sie fallen auch heftiger aus. Wegen unserer speziellen Situation konnte er nicht zur Beobachtung im Krankenhaus bleiben und wurde darum gleich mit ein paar echten Hammertabletten eingedeckt: etwas gegen die Schmerzen, etwas gegen drohende Entzündungen der Wunden oder Gelenke, dazu cortisonhaltige Augentropfen, denn dort hat er ganz schön was abbekommen. Kein Wunder. Sein vorgeblicher Manager hat dafür gesorgt, dass er so gut wie wehrlos war. Sonst wäre ihm das nie passiert.

Harley beißt mir spielerisch in die Finger, löst sich aber direkt von mir, als auf dem Flur die Schritte meiner Mutter zu hören sind.

Sie klopft leise an die angelehnte Tür und kommt dann rein, um Bademäntel und Handtücher auf unser Bett zu legen. »Wenn ihr noch etwas braucht, sagt Bescheid. Wenn ihr Hunger habt, meldet euch oder bedient euch an der Pastete im Kühlschrank. Die Tür neben eurer führt ins Bad und der Weg zurück, den wir gerade gekommen sind, zum Kamin«, fügt sie an Harley gewandt hinzu. Sie lächelt wieder und ich glaube, sie schon lange nicht mehr so glücklich erlebt zu haben. »Schlaft euch aus, wir sehen uns morgen.«

»Gute Nacht, Mom«, sage ich.

Harley fügt an: »Gute Nacht und vielen Dank.«

Mom scheint noch etwas sagen zu wollen, dann lässt sie es aber und schließt leise die Tür hinter sich.

Ich atme durch und schließe Harley wieder in die Arme. Sein Körper ist noch immer warm, fast schon fiebrig. »Du solltest dich hinlegen. Ich besorge Verbandszeug und werde Sally bitten, nach dir zu sehen.«

Harleys Schwägerin ist immerhin Ärztin und wird wissen, was zu tun ist.

»Hey.« Harley legt mir zwei Finger unters Kinn und hebt meinen Kopf leicht an. »Sieh mich an. Mir geht es bestens, okay?«

Ich sehe ihn an. Mustere seine blutunterlaufenen Augen, die vielen Cuts und das eingetrocknete Blut. »Wenn ich dich so ansehe, dann würde ich sagen, du stehst kurz vor dem Exitus. Bestens sieht anders aus.«

An dem Funkeln in Harleys Augen erkenne ich, dass er selbst weiß, wie schlecht er aussieht. »Pass auf, ich mache dir einen Vorschlag. Du gehst raus und schmeißt den Whirlpool an und ich wasche das Blut ab und so. Dafür lässt du Sally aus dem Spiel. Wie wäre das?«

Ich schaue raus in die verschneite Landschaft. »Es ist fünf Uhr morgens.«

»Deine Mutter hat gesagt, wir sollen das Ding benutzen, damit die Nachbarn was zu gucken haben.«

»Na, ganz so, hat sie es ja nicht gesagt.« Ich weiß selber nicht, warum ich mich gerade so ziere. Die Vorstellung, mit Harley im heißen Wasser zu sitzen, während es um uns herum schneit, hat etwas durchaus Verlockendes. Trotzdem erscheint es mir irgendwie falsch. Unter anderen Umständen wäre er jetzt in einem Krankenhaus und würde wahrscheinlich ein paar Tage zur Beobachtung bleiben. Andererseits muss er selbst wissen, wie gut es ihm geht. Die sechs Stunden Schlaf auf der Fahrt, scheinen ihm gutgetan zu haben. Dieses unsägliche Mittel, das Luigi und seine Leute ihm gegeben haben, ist vollständig raus aus seinem Blutkreislauf und er ist wieder Herr seiner Sinne. Und die Wunden … Sagt man nicht immer, dass Menschen, die eventuell eine Gehirnerschütterung haben könnten, vierundzwanzig Stunden wach bleiben sollen? So gesehen wäre es sogar völlig unvernünftig, jetzt ins Bett zu gehen.

Harley lacht leise. »Du müsstest dich sehen.«

»… Ich denke nach.«

»Das sehe ich. Ziemlich deutlich sogar.« Er musterte mich, dann legt er die Stirn in Falten. »Ungefähr so guckst du.«

»Was?«, frage ich empört. »Ich gucke gar nicht wie so ein … Basset!«

Jetzt lacht Harley lauter. »Oh doch. Ganz genauso.«

»Du musst wirklich an deinen Komplimenten arbeiten.« Ich verschränke die Arme und mache ein paar Schritte durchs Zimmer.

»Sei nicht eingeschnappt.« Harley klingt immer noch amüsiert. Dann spüre ich, wie er die Arme von hinten um mich schlingt und sofort bin ich drauf und dran, jeglichen Widerstand aufzugeben. »Ich wette, ich weiß, wie ich dich dazu kriege, nicht mehr sauer zu sein …«, flüstert er nah an meinem Ohr.

Ich kann seinen Atem auf meiner Haut spüren und schließe die Augen. »Ach ja?«

»Mhm.« Harley beginnt meinen Hals zu küssen. Ganz sanft wandern seine Lippen herüber zu meiner Schulter.

Ich schlucke und mir wird warm. Also gut. Widerstand bis auf weiteres zwecklos. Ich freue mich auf ein paar entspannte Augenblicke mit ihm im Pool. Trotzdem werde ich ihn noch ein klein wenig zappeln lassen. Schließlich hat er mich einen Basset genannt. Nicht, dass ich was gegen die knautschigen Hunde hätte, aber so aussehen will doch nun wirklich keine Frau.

»Schön, du hast mich überredet …«

Ich spüre, wie sich Harleys Lippen zu einem Grinsen verziehen. Er denkt wohl schon, er würde als Sieger aus dieser Runde hervorgehen. Aber da liegt er falsch. Erstmal verpasse ich ihm noch einen kleinen Dämpfer.

»Aber zuerst kümmerst du dich um deine Wunden und ich stelle das Wasser warm.« Damit löse ich seine Hände von meinen Hüften und mich mit einem Schritt nach vorne von ihm. Ich drehe mich zu ihm herum und sein Gesichtsausdruck spricht Bände. »Basset und begossener Pudel«, sage ich. »Ich finde, wir passen perfekt zusammen.«

Mit diesen Worten lasse ich ihn stehen, öffne die Terrassentür und trete raus in die eisige Nacht.

Ich spüre Harleys Blicke noch eine ganze Weile auf mir, bis er sich schließlich umdreht und endlich ins Bad geht.

***

Harley

Ich schließe die Badezimmertür hinter mir, lehne mich an das kühle Holz und sehe mich erst einmal um. Alles hier wirkt edel, aber ein wenig alt, so als wäre es in den achtziger Jahren mal der neueste Schrei gewesen. Doch auch wenn Waschbecken und Wanne leicht vermackt sind und der Spiegel in den Ecken, dort wo er in silberne Halterungen gefasst wurde, belaufen ist, komme ich mir dennoch vor wie im Hilton. Vielleicht liegt es daran, dass das hier so ungefähr das komplette Gegenteil von meiner Wohnung ist, einem Einzimmerapartment, das ich gemietet habe, um möglichst viel von den Schulden meines Bruders bei Luigi und seinen Männern abzuarbeiten.

Luigi. Ich stoße mich von der Tür ab, spüre, wie jede Faser meines Körpers gegen die Bewegung protestiert und weiß, dass ich die Prügel, die ich gestern Abend bezogen habe, ihm verdanke. Er hat mir irgendein Medikament geben lassen, das mich vollkommen benommen gemacht hat. Wehrlos. Er wollte, dass ich verliere, damit er und seine Strohmänner hohe Wettgewinne einfahren. Keine Ahnung, was er danach vorgehabt hätte. Mich fallen lassen? Mich von Neuem zum Unbesiegten aufbauen? Die Menschen mögen Comebacks. Und Luigi mag Geld.

Aber darum muss ich mir jetzt wohl keine Gedanken mehr machen. Ich trete an die Wanne heran, dann beginne ich mich auszuziehen. Gar nicht so einfach, denn meine Arme fühlen sich an, als hätte ich die letzten drei Tage damit verbracht, einen LKW zu stemmen. In meinem ganzen Leben bin ich noch nicht so verprügelt worden, noch nicht mal in dem Trainingslager in Italien, wo ich ein Jahr lang war, ehe meine Karriere als MMA-Kämpfer begann. Doch was mir Sorgen macht, sind nicht die Verletzungen. Die werden heilen. Nein, das, was mir Kopfzerbrechen bereitet, sind die Konsequenzen.

Ich ziehe meinen schwarzen Sweater aus und mustere mich im Spiegel, während ich versuche, mir auszurechnen, was wir nun zu befürchten haben. Wenn ich ehrlich bin, dann hätte ich nicht getan, was Megan gestern Abend getan hat. Ich wäre den Schritt nicht gegangen, Luigi und die anderen bei der Drogenbehörde anzuschwärzen. Ich habe Luigi morden sehen. Ich weiß, wozu diese Leute fähig sind. Und ich hätte darauf spekuliert, dass sie sich zurückziehen, sobald ich Scotts Schulden beglichen habe. Vielleicht war das naiv. Vielleicht war ich feige. Möglicherweise ist die zierliche Megan, von der ich bei unserer ersten Begegnung niemals so etwas erwartet hätte, einfach eine Kilotonne mutiger und stärker als ich.

Aber vielleicht war die ganze Aktion auch einfach nicht sehr klug, sondern eine Kurzschlusshandlung aus Angst um mich, und wir haben jetzt erst recht Ärger zu befürchten.

Ich setze mich auf den Rand der Wanne und streife meine Schuhe ab. Draußen höre ich jemanden leise reden. Wahrscheinlich zeigt Patricia Sally und Dale gerade ihr Zimmer. Ich lausche ein paar Momente lang ihren gedämpften Stimmen und spüre, wie etwas Seltsames geschieht. Obwohl die Zukunft alles andere als gewiss ist und ich keine Ahnung habe, was die nächsten Tage oder Wochen bringen werden, fällt eine riesige Anspannung von mir ab. Wir sind raus aus Chicago. Alle, die mir am Herzen liegen, sind hier. Und zumindest heute wird nichts geschehen, denn Luigi und die anderen sind bei der Razzia verhaftet worden und werden sich erst einmal verantworten müssen.

Und auf einmal bin ich mir doch sicher, dass das, was Megan gemacht hat, der einzig richtige Schritt gewesen ist.

Ich stehe auf, ziehe den Rest meiner Kleider aus und stelle dann die Dusche an, um das Blut abzuwaschen, das im Krankenhaus nur notdürftig und in aller Eile beseitigt worden ist. Ich stelle mich unter den heißen Wasserstrahl und spüre, wie sich neue Zuversicht in mir breit macht. Was auch immer vor uns liegt – wir werden es schon schaffen.

***

Megan

Keine fünf Minuten, nachdem ich den Whirlpool angestellt habe, steigt bereits gekräuselter Dampf in die kalte Winterluft auf. Ich stehe drinnen vor der Fensterfront, höre die Dusche rauschen und bin hin- und hergerissen.

Wie soll ich Harley empfangen? Warte ich hier auf ihn? In Unterwäsche oder angezogen? Oder nackt und im Bademantel? Oder sollte ich bereits im Pool sitzen, wenn er kommt?

Ich trete an den mannshohen Spiegel und ziehe mich bis auf BH und Höschen aus. Die Wäsche, die ich trage, ist nicht schäbig, aber auch alles andere als sexy. Schwarze Pantys und ein dunkelgrauer BH, der mit viel Glück als Seide durchgehen könnte.

Mit den Fingern fahre ich mir durchs Haar. Es lag schon mal besser.

Auch mein Gesicht ist nach der langen Fahrt blass. Ich beiße mir auf die Lippen, damit sie etwas mehr Farbe bekommen. Dann schüttle ich mein Haar, bis es etwas mehr Volumen hat und betrachte mich erneut.

Schon besser. Aber nicht gut genug.

Vielleicht sollte ich doch …

Ich sehe nochmal zum Fenster.

Der Wald liegt ganz still da. Ich kann niemanden am Waldrand entdecken und bin mir auch ziemlich sicher, dass um diese Uhrzeit und bei der Kälte kein Mensch unterwegs ist.

Ich könnte es also wagen …

Zögerlich öffne ich meinen BH, dann überlege ich es mir doch anders und lege mir den Bademantel über die Schultern. Ich stelle mich mit dem Rücken zum Fenster und entledige mich jetzt schnell meiner Unterwäsche. Dann knote ich den Mantel zu und wende mich wieder der Terrasse zu.

Der Whirlpool ist beleuchtet, das heiße Wasser blubbert und spritzt und alleine der Gedanke daran, gleich dort mit Harley zu sitzen, zaubert ein freudiges Kribbeln in meinen Unterleib.

Ich verzichte auf meine Schuhe, tappe barfuß zur Tür und schiebe sie auf. Dann trete ich nach draußen. So kalt ist es komischerweise gar nicht. Die klare, frische Luft sorgt nur dafür, dass ich mich wacher fühle.

Noch ein letzter Blick zum Wald, dann trete ich auf die Stufen zum Pool und lasse den Bademantel von meinen Schultern gleiten. Ein kühler Windhauch umspielt meine Haut und sorgt dafür, dass sich meine Nippel augenblicklich aufrichten. Ich genieße das Gefühl einen Moment, dann steige ich ins heiße Wasser. Es bildet einen aufregenden Kontrast zu der Kälte zuvor und ich lasse mich bis zum Kinn hinein sinken. Dann schließe ich die Augen und konzentriere mich ganz auf das Sprudeln des Whirlpools.

Es dauert eine Weile, bis ich höre, wie die Verandatür erneut aufgezogen wird. Lächelnd öffne ich die Augen.

Harley ist nach draußen getreten und trägt nichts außer schwarzen Retro-Pants. Während er auf mich zukommt, lasse ich meinen Blick über seinen Oberkörper gleiten. Die muskulöse Brust, der flache, trainierte Bauch, die starken Arme. Und dieses Lächeln …

Seine blauen Augen haben sich auf mich geheftet und ich erkenne Verlangen darin. »Du bist wunderschön, Megan«, flüstert er und steigt die Stufen zu mir hoch.

Ich lasse meinen Blick tiefer wandern und sehe deutlich die Beule, die sich in seiner Hose abzeichnet.

Er will mich. Und ich will ihn.

Ich kann es nicht erwarten, ihm endlich nah zu sein …

Harley wohl auch nicht. Kaum sitzt er neben mir, zieht er mich auch schon auf seinen Schoß. Meine nackten Brüste ragen jetzt aus dem Wasser und ich höre, wie Harley ein leises, überraschtes Keuchen von sich gibt.

Damit hat er wohl nicht gerechnet.

Er musterte mich einen Moment ausgiebig und ich spüre, wie seine Härte gegen meinen Schoß drückt. Dann senkt er die Lippen auf meine linke Brust und umspielt meinen harten Nippel mit der Zunge. Ich stöhne und genieße es, wie seine Hände über meinen Rücken gleiten, hinab zu meinem Po.

Ich lege meine Hände in seinen Nacken und lasse meine Finger durch sein vom Duschen feuchtes Haar fahren. Seine Erektion unter mir pulsiert und ich drücke mich enger an ihn. Noch immer liebkost Harley meine Brust mit seinen Lippen. Dann beginnt er sanft an meinem Nippel zu saugen und ich keuche vor Verlangen.

Als Harleys Hände wieder höher wandern, lehne ich mich ein Stück nach hinten. Mir raubt es den Atem und ich lege den Kopf zurück, um besser Luft zu kriegen. Ein weiteres Stöhnen dringt aus meiner Kehle und auch Harleys Atem geht deutlich schneller als noch vor wenigen Momenten.

Seine Hände fahren wieder runter über meinen Rücken, kneten meinen Hintern und ich fange langsam an, mich auf ihm zu bewegen. Uns trennt nur noch der wenige Stoff seiner Shorts und ich spüre, wie er immer härter wird.

»Harley …«, stöhne ich und als wäre das sein Stichwort, packt er mich und dreht sich mit mir herum.

Nun sitze ich im sprudelnden Wasser und er ist über mir. Ein paar Sekunden sieht er mir tief in die Augen, dann presst er seine Lippen auf meine und küsst mich mit einer Intensität, dass mir schwindelig wird. Seine Finger bahnen sich dabei ihren Weg über meinen Körper. Sie fahren über meine Schultern und von dort hinab. Ich recke ihm meine Brüste entgegen und er nimmt sie in seine großen Hände und knetet sie. Dann lässt er seine Finger weiter gleiten, über meinen Bauch und hinab zu meinen Schenkeln. Mit sanfter Gewalt drückt er meine Beine auseinander und das blubbernde Wasser, das nun an meine empfindlichste Stelle gelangt, lässt mich erschauern.

Langsam, ganz langsam, fahren Harleys Finger weiter über meine Oberschenkel zur Innenseite.

Ich küsse ihn noch intensiver und kann es kaum erwarten, dass er mich endlich berührt.

Doch er tut es noch nicht. Seine Hände wandern wieder zurück über meine Beine und meinen Bauch, hinauf zu meinen Brüsten. Ich räkele mich im Wasser, doch es ist kein Ersatz für Harleys Hände. Zwar umspülen die kleinen Wellen meinen Schoß und lassen ihn kribbeln, doch ich will ihn.

»Harley«, sage ich wieder, lege meine Hände auf seinen Rücken und ziehe ihn näher an mich heran. »Harley, bitte …«

Harley grinst und gibt mir einen kurzen, aber heftigen Kuss, während er wieder mit meinen Nippeln spielt. »Ja?« Ich sehe ihm an, wie viel Spaß es ihm macht, mich so zu quälen.

Ich gebe ihm keine Antwort. Stattdessen schlinge ich die Beine um ihn und sorge so dafür, dass er mir nicht mehr entkommen kann. Seine Härte presst sich jetzt direkt gegen meine Mitte und ich bewege mich erneut ein wenig hin und her.

Jetzt ist es Harley, der stöhnt und sein Griff um meine Brüste wird zupackender.

Wieder entlockt er mir ein Keuchen und ich gleite mit den Fingern in seine Shorts, umfasse seinen Schaft, fahren langsam daran rauf und runter.

***

Harley

Sie macht mich vollkommen wahnsinnig. Vor Megan war ich es gewöhnt, beim Sex den Ton anzugeben, aber anders als die Frauen, die ich vorher hatte, lässt sie das nicht zu, und wie sie mich zu steuern versucht, wie sie probiert zu bekommen, was sie will, turnt mich extrem an. Ich sehe in ihr Gesicht, während sie ihre Hand an meiner Härte rauf und runter gleiten lässt, und entdecke nicht den geringsten Anflug von Scham auf ihren Zügen. Ich küsse sie. Sie erhöht den Druck ihrer Finger und ich muss gleich wieder damit aufhören, um Luft zu holen. Megan nutzt den Moment, um ihre Lippen dicht an mein Ohr zu bringen und zu flüstern: »Willst du mich jetzt immer noch zappeln lassen …?«

»Ich werd dich gleich so richtig zappeln lassen«, erwidere ich atemlos und spüre mehr als dass ich höre, wie sie leise lacht.

»Leere Versprechungen«, sagt sie dann und lässt ihren Daumen über meine Eichel kreisen.

Ich vergrabe mein Gesicht in ihrem dunklen Haar, damit mich im Haus keiner stöhnen hört. Verdammt, wenn sie so weitermacht, dann …

Erneut erhöht sie den Druck und lässt ihre Hand wieder über meine Männlichkeit wandern, und jetzt reicht es mir. Ich nehme meine Hände von ihrem schlanken Körper und entledige mich endlich der Shorts, die sich so eng anfühlen, als wären sie zwei Nummern zu klein.

Megan lächelt zufrieden, und als ich ihre Finger mit sanfter Gewalt von meinem Schwanz löse, beißt sie sich erwartungsvoll auf die Unterlippe.

Ich sehe ihr in die Augen, während ich mich ein wenig von ihr löse, aber nur, um ihre Schenkel zu packen und sie unter Wasser weit auseinanderzudrücken. Jetzt ist Megan diejenige, die um Fassung ringen muss. Sie atmet scharf ein und die Düsen des Whirlpools scheinen ganze Arbeit zu leisten, denn ihr Blick verklärt sich leicht, als das sprudelnde Wasser ungehindert über ihre intimsten Stellen strömt. Sie stöhnt leise und legt den Kopf auf dem Rand der Wanne ab, und ich nutze den Moment, um meine Lippen auf ihren zarten Hals zu senken und mich gleichzeitig zwischen ihre weit geöffneten Schenkel zu schieben. Ich bilde mir ein, trotz des Wassers zu spüren, wie feucht sie ist. Ihr Unterleib presst sich gegen mich und ich muss gar nicht viel tun, denn meine Spitze gleitet ganz automatisch in sie hinein. Ich packe ihre Seiten und dann schiebe ich mich ganz langsam sehr tief in sie.

Megans Stöhnen wird zu einem atemlosen Keuchen. »Harley …«, flüstert sie und greift mir mit beiden Händen ins Haar.

Ich lasse meine Lippen über ihren Hals gleiten, während ich mich in ihr zu bewegen beginne. Nicht sacht, nicht vorsichtig. Ich stoße sie kraftvoll und ihr Körper verrät mir, dass sie genau das jetzt braucht. Sie schlingt die Beine um meine Lenden, drückt sich gegen mich, scheint mich noch tiefer in sich zu wollen und ich tue ihr den Gefallen, halte sie fest und ramme mich bis zum Ansatz in sie, immer und immer wieder.

Megan sagt jetzt nichts mehr. Bei jedem meiner Stöße gibt sie ein unterdrücktes, fast gequältes Stöhnen von sich, und als ich mich schließlich in ihr ergieße, ziehen sich ihre Muskeln um mich zusammen und sie gräbt ihre Nägel in meinen Rücken, während auch sie heftig kommt.

Ich sinke über ihr zusammen. Gewisse Teile meines Körpers fragen mich, ob ich eigentlich bescheuert bin, gleich nach dem Kampf schon wieder so was Anstrengendes anzustellen. Gewisse andere Teile meines Körpers sind allerdings extrem zufrieden mit dieser Entscheidung.

»Verdammt, Harley«, flüstert Megan vollkommen atemlos, während ihr fester Griff langsam zu einer normalen Umarmung wird. »Du bringst mich komplett um den Verstand …«

»Ich dich, ja?«, frage ich nicht minder atemlos und sehe sie an.

»Wir einander vielleicht«, erwidert sie und lächelt erschöpft, aber glücklich.

Ich betrachte ihre geröteten Wangen, streiche mit dem Finger über ihre vollen Lippen und gebe ihr dann einen Kuss. »Darauf können wir uns einigen.«

***

Megan

Als ich am nächsten Tag die Augen öffne, muss ich mich erst mal orientieren. Es ist extrem hell im Zimmer und ich blinzle ein paar Mal, bis ich richtig sehen kann. Draußen scheint die Sonne und wird von der Schneeschicht reflektiert. Das Gästezimmer in Moms Haus ist lichtdurchflutet, doch ich widme mich nur kurz den pastellfarbenen Landschaftsmalereien an den Wänden und den altrosa Vorhängen. Denn etwas – nein, jemand – zieht direkt wieder meine Aufmerksamkeit auf sich.

Harley.

Er liegt neben mir, auf dem Rücken, und ist nackt. Na ja, fast. Ein schmaler Streifen Decke verläuft zwischen seinen Beinen, ansonsten kann ich jeden Zentimeter seines Körpers sehen.

Ich liege in seinem Arm und stemme mich vorsichtig in die Höhe, um ihn nicht zu wecken. Ich drehe mich auf die Seite und die Decke rutscht von meinem Körper. Auch ich habe nichts an, doch diesmal störe ich mich nicht an der Glasfront.

Stattdessen strecke ich die Hand aus und fahre Harleys Brauen mit dem Finger nach. Seine Augen sind noch immer geschwollen, aber nicht mehr so schlimm wie gestern direkt nach dem Kampf. Die Cuts, von denen er das Blut gewaschen hat, sind tief, aber klein. Sein Oberkörper ist von blauen Flecken übersät und ich hoffe, dass er keine Schmerzen hat, wenn er nachher aufwacht. Vor allen Dingen hoffe ich, dass sein Kopf keine bleibenden Schäden davon getragen hat. So was liest man ja immer wieder …

Boxerdemenz, kommt mir in den Sinn.

Dann sage ich mir, dass dieser Mist nicht ausgerechnet ihn erwischt haben wird. Trotzdem bin ich froh, dass Harley nie wieder kämpfen muss. Ich hoffe für ihn, dass er wieder in den Polizeidienst kann. Vielleicht kann Dylan ein gutes Wort für ihn einlegen. Wer weiß, vielleicht bleiben wir sogar hier und kehren Chicago für immer den Rücken zu. Harley müsste sie nicht mehr verstecken, Sally und Dale könnten in Ruhe von Neuem beginnen, ich müsste mich nie mehr wegen Russell sorgen und Mom wäre sowieso froh.

Ich spüre, dass sich ein Lächeln auf meinem Gesicht ausbreitet, streiche mit der Hand über Harleys Wange und über seinen Hals und spinne meine Zukunft weiter.

Wahrscheinlich würde ich es wirklich mal mit einem Buch versuchen. Ich liebe das Schreiben und genug zu erzählen habe ich nach den letzten Wochen sowieso.

Aber eigentlich ist das auch alles zweitrangig. Harleys Job, mein Job … Das Wichtigste ist, dass wir zusammen sind.

Also, eins nach dem anderen. Zuerst mal bleiben wir hier und warten, dass die Polizei Entwarnung gibt. Nein, ich muss noch früher ansetzen. Beim Frühstück. Ich habe einen Bärenhunger. Hatte ich gestern schon. Aber nach der … Sache im Whirlpool hatte keiner von uns mehr Lust, in die Küche zu gehen. Wir haben unsere vom Wasser feuchten Körper ins Bett gelegt, fest entschlossen, uns ein paar Stunden Schlaf zu gönnen. Doch daraus wurde nichts. Unsere aufgeheizte Haut, die Nässe und unser beider Verlangen, das noch immer nicht gestillt war, haben dafür gesorgt, dass unser kleiner Kampf in die nächste Runde ging.

Ich rufe mir gestern Nacht im Detail ins Gedächtnis und spüre, dass ich schon wieder feucht werde. Dieser Mann bringt mich einfach um den Verstand. Gedankenverloren streichle ich Harleys Brust und merke erst nach einiger Zeit, dass er mich anblickt.

»Hey«, begrüße ich ihn und hoffe, dass ich nicht zu ertappt klinge. Ich beuge mich vor und gebe ihm einen Kuss. »Starrst du mich schon lange an?«

Harley grinst. »Das Gleiche könnte ich dich fragen, hm?«

Ich grummle etwas Unverständliches, weil ich ihm nicht Recht geben will und lasse zu, dass er mich in seine Arme zieht. Als mein Kopf auf seiner Brust liegt, verspüre ich schlagartig keinen Hunger mehr auf ein ausgedehntes Frühstück. Ich kuschle mich an ihn und lege ein Bein über ihn.

Harley packt meinen Schenkel und streichelt ihn. »Wie spät ist es?«

»Will ich gar nicht wissen.« Ich verberge mein Gesicht an seiner Schulter. »Viel zu spät, um noch im Bett zu liegen, fürchte ich.«

»Hatte da jemand zu wenig Schlaf?« Harley drückt mir einen Kuss aufs Haar.

»Ich weiß nicht, wovon du redest.«

»Ach nein? Also entweder hast du ein Gedächtnis wie ein Sieb oder …«

»Oder?« Ich öffne ein Auge und sehe zu ihm auf.

»Oder du willst, dass ich dir auf die Sprünge helfe.« Harley sieht mich fragend an. »Eine Gedankenstütze, du weißt schon.«

Ich muss lachen. »Also, plumper geht es wohl kaum.«

»Doch. Doch es wäre schon noch deutlich plumper gegangen. Zum Beispiel, wenn ich gefragt hätte, ob wir –«

Ich presse Harley eine Hand auf den Mund und bringe ihn so zum Schweigen. »Untersteh dich!« Ich schwinge mich rittlings auf ihn und halte ihm jetzt auch noch die Augen zu.

Er gibt protestierende Geräusch von sich, wehrt sich jedoch nicht.

Als ich mir sicher bin, dass er jetzt still ist, nehme ich eine Hand von seinem Mund und ziehe die Decke unter uns beiden weg. Ganz langsam und vorsichtig, sodass der Stoff zwischen unseren Schenkeln reibt. Dann werfe ich die Decke beiseite und sitze vollkommen nackt auf ihm.

Harleys Atem beschleunigt sich und ich nehme nun auch die Finger von seinen Augen.

Sein Blick huscht über meine Brüste, zu meinem Gesicht und hinab zu meinem Schoß. Dann sieht er mir wieder in die Augen.

»Mein Gott …«, sagt er heiser. »Megan, ich …«

»Ich weiß«, flüstere ich. »Ich liebe dich auch.«

Harley packt mir ins Haar und zieht mich zu sich hinunter, um mich zu küssen. Doch kaum haben seine Lippen meine gefunden, wird auch schon die Tür aufgestoßen.

»Onkel Harley, draußen liegt Neuschnee und –«

Blitzschnell rolle ich mich von Harley herunter und ziehe mir die Decke bis ans Kinn.

Harley bedeckt seine Männlichkeit mit den Händen und scheint nicht weniger perplex zu sein als ich. Er starrt seinen Neffen nur an und Dale starrt zurück.

»Also …« Harley ist der Erste, der die Sprache wiederfindet, doch mehr bringt er nicht heraus.

Schritte auf dem Flur, dann steht auch schon Sally hinter ihrem Sohn.

Ich spüre, dass ich feuerrot werde und presse die Augenlider fest aufeinander.

»Dale, ich habe dir hundertmal gesagt, dass du Harley und Megan –« Dann verstummt sie und ich bin mir sicher, dass sie erst jetzt sieht, dass ihr Schwager nackt ist. »Oh, das … das tut mir leid, ich …«

»Schon gut.« Harley versucht ein Lachen, doch es klingt gequält.

»Dale war schon den ganzen Vormittag so quengelig und ich habe ihn wirklich nur zwei Minuten aus den Augen gelassen, da war er schon durchs halbe Haus und …«

»Sally. Können wir das vielleicht gleich besprechen. Draußen?«

»Oh, na klar. Ich … Entschuldige. Komm, Dale.« Ich höre Schritte, dann wird die Tür geschlossen.

Ich öffne die Augen vorsichtig und kann grad noch sehen, wie Harley sich ein Kissen über den Kopf zieht.

»Das musste jetzt sein, he?«, stöhnt er, dann höre ich sein gedämpftes Lachen. »Spanner.«

Auch ich muss jetzt lachen. »Wie soll ich Sally je wieder in die Augen sehen?«

»Und ich erst mal.« Harley wirft das Kissen nach mir. »Verräterin. Das nächste Mal klau ich dir deine Decke.«

»Das nächste Mal«, sage ich und schiebe das Kissen unter meinen Kopf, »schließen wir einfach die Tür ab.«

»Guter Plan.«

»Aber zuerst gibt es Frühstück.« Ich setze mich auf.

»Nicht ganz so guter Plan, aber auch okay.«

»Bleib liegen, ich geh zuerst ins Bad.« Ich gebe Harley noch einen Kuss, dann stehe ich auf und suche meine Klamotten zusammen.

Das Bett quietscht und ich drehe mich zu Harley um. Er hat sich auf die Unterarme gestützt und sieht mir zu.

»Das Spanner-Gen liegt bei euch wohl in der Familie.« Ich ziehe den Bademantel über und schlinge mir den Gürtel demonstrativ fest um die Taille. »Mach noch ein bisschen die Augen zu. Ich wecke dich, sobald ich fertig bin.«

Damit verlasse ich das Zimmer und höre nur noch, wie Harley stöhnend zurück ins Bett sinkt. »Du machst mich fertig«, sagt er.

Ich schmunzle. Besser hätte der Tag doch nicht beginnen können. Na ja, weniger peinlich vielleicht.

Aber man kann eben nicht alles haben.

Kapitel 2

Megan

Als ich frisch geduscht und in sauberen Klamotten durch den liebevoll dekorierten Flur in den vorderen Teil des Hauses komme, bin ich überrascht, dass es nach Frühstück duftet, nach frischem Kaffee, Waffeln und Eiern mit Speck. Ein Blick auf die Wanduhr verrät mir, dass es nach drei und die Frühstückszeit somit lange vorbei. Ich höre Stimmen aus der Küche, die sich jenseits des gemütlichen Wohnzimmers befindet, und setze meinen Weg fort, bis ich Mom und Sally entdecke.

Sie stehen zwischen Spüle und Küchentheke und teilen sich den Abwasch. Dale ist nirgends zu sehen.

»Hi«, sage ich, weil mir »Morgen« um die Zeit ein wenig seltsam vorkommen würde.

Sofort drehen sie sich beide zu mir um und strahlen mich an. In Sallys Blick liegt noch immer Dankbarkeit, was mir irgendwie unangenehm ist. Wir wissen ja noch gar nicht, wohin das alles jetzt führt. Ob die beiden Chicago nicht nach ein paar Tagen vermissen werden …

»Guten Morgen, Maggie«, sagt Mom, und aus ihrem Mund klingt mein alter Spitzname nicht verdorben, auch wenn ihn zuletzt nur noch Russell benutzt hat. Sie legt das Spültuch weg und kommt mich umarmen. »Habt ihr gut geschlafen? Es muss ungewohnt für euch sein in der Stille hier draußen.«

»Es war himmlisch«, sage ich und mir entgeht nicht, dass Sallys Lächeln eine wissende Note annimmt.

Klar, sie hat ja gesehen, was Harley und ich alles so Himmlisches angestellt haben.

»Das freut mich«, sagt Mom, dann lässt sie mich los und mustert mich von oben bis unten. »Du siehst gut aus. Viel besser als bei unserer letzten Begegnung. Geht es dir gut?«

»Es geht mir bestens«, sage ich und meine es vollkommen ehrlich. Klar, Harley und ich kommen gerade aus ernsten Schwierigkeiten und wir wissen nicht, was die Zukunft für uns bereit hält. Aber jetzt gerade, heute Morgen, spielt das überhaupt keine Rolle. Die Welt könnte um Somerset herum zusammenbrechen, eine Armee aus Zombies könnte an unserer Tür kratzen und ich wäre immer noch froh, mit einem Mann wie Harley Jones hier zu sein.

Nein, nicht mit einem Mann wie ihm. Mit ihm. Harley Jones.

»Und dieser Harley«, sagt Mom mit einem kurzen Blick in Sallys Richtung, »er ist dein Freund, ja?«

Ich lache leise. »Das hoffe ich doch!« Unser letzter Stand war, dass Harley meinte, ich solle mich aus seinem Leben fernhalten, weil es zu gefährlich für mich sei. Nun …

»Und er ist Boxer?«, hakt Mom nach.

Überrascht sehe ich Sally an.

Sie zuckt mit den Schultern.

»Na ja, er war früher mal Cop, aber dann …«

Mom wirkt unbeeindruckt und in keinster Weise abgestoßen oder erschrocken. »Du bist eine starke Frau und ich finde es gut, wenn du einen starken Mann an deiner Seite hast. Solange er weiß, gegen wen er seine Fäuste einzusetzen hat und gegen wen nicht … und ich gehe davon aus, dass er das tut.«

Ich sehe sie einen Moment lang nur an, dann umarme ich sie gleich noch mal. Ich bin unheimlich erleichtert, dass sie mir nicht dieselben Vorhaltungen macht wie meine Freundin Ellie – auch wenn ich Ellie natürlich verstehen kann. Es mutet ein bisschen seltsam an, wenn eine Frau, die von ihrem Freund geschlagen worden ist, ausgerechnet etwas mit einem Profikämpfer anfängt. Dennoch bin ich froh, dass ich meine Gefühle hier nicht erklären muss.

»Es ist schön, hier zu sein«, gebe ich zu. Eigentlich will ich noch mehr sagen, aber dann knurrt mein Magen so laut, dass er wohl jeden weiteren Unterhaltungsversuch übertönen würde.

Sally lacht leise, dann deutet sie auf ein paar abgedeckte Teller und Schalen auf der Theke, von denen einige auf einer Warmhalteplatte stehen. »Wir haben euch das Frühstück aufgehoben.«

»Das ist die beste Nachricht des Tages«, gebe ich zu, und höre, wie hinten die Dusche angeht. »Sobald Harley fertig ist, werden wir erst mal richtig zuschlagen. Soll ich solange mit dem Abwasch helfen?«

Mom gießt mir eine Tasse Kaffee ein und schiebt sie mir herüber. »Das erledigen wir schon. Ist ja nicht viel. Auch wenn der Kleine reinhaut wie ein Erwachsener.«

Ich sehe mich nach Dale um. »Wo ist er überhaupt?«

»Baut wahrscheinlich einen Schneemann.« Sally deutet nach draußen. »Für Dale ist das gerade das Paradies.« Damit wendet sie sich wieder dem Geschirr zu.

Ich zögere, weil ich nicht als Einzige faul herumsitzen will, doch dann lasse ich mich auf einen der Hocker an der Theke gleiten und nippe an meinem Kaffee. Er ist wunderbar stark und macht mich gleich viel wacher. Jetzt noch etwas zu essen, dann bin ich fit für den ersten Tag in Somerset, wenn der auch ziemlich kurz sein wird.

»Megan, jetzt wo schon ein Mann im Haus ist«, sagt Mom, »hättet ihr Lust, nachher mit mir gemeinsam einen Weihnachtsbaum zu besorgen? Ich kriege kein Exemplar gestemmt, das höher als 30 Zentimeter ist.«

Ein wenig überrascht sehe ich sie an. Ach ja, es ist ja bald Weihnachten. Das hatte ich trotz der allgegenwärtigen Beleuchtung ganz vergessen. Ob wir es hier alle zusammen verbringen können? Das wäre ein fantastisches Geschenk.

»Harley schleppt sicher gern«, sage ich und denke sogleich an seine Blessuren. »Das heißt, wenn er das hinkriegt nach gestern, also …«

Mom winkt ab. »Morgen ist auch noch ein Tag«, sagt sie, dann spült sie weiter.

Ich lausche, aber die Dusche ist nicht mehr zu hören. Dann trinke ich weiter meinen Kaffee, leere die Tasse zur Hälfte und frage mich, wo er bleibt. Vielleicht sollte ich nach ihm schauen, immerhin ist er nach wie vor verletzt. Ich stehe auf und sage den anderen, dass ich mal sehen werde, wo Harley bleibt. Dann gehe ich zurück zum hinteren Bereich, wo unser Zimmer liegt. Die Badezimmertür ist nur angelehnt und dünner Wasserdampf wabert daraus hervor. Ich bleibe stehen und öffne sie einen Spalt weiter, aber das Bad ist leer. Okay, wahrscheinlich zieht er sich gerade an. Ich gehe weiter zu unserer Tür und zögere, als ich dahinter Harleys Stimme vernehme. Auch wenn man das eigentlich nicht macht, lege ich mein Ohr an die Tür und lausche.

»Nein, geben Sie mir einfach Detective Coleman, er weiß Bescheid. … Hören Sie … Natürlich nicht, aber … Ja, genau. Harley Jones … Ja, der Harley Jones … Das hoffe ich.«

Er sagt nichts mehr, also gehe ich davon aus, dass das Gespräch beendet ist. Eigentlich könnte ich jetzt zurück in die Küche gehen und dort auf ihn warten, aber ich will keine Geheimnisse vor ihm haben.

Also trete ich ein und mache die Tür hinter mir zu.

Harley sitzt auf der Bettkante, mit dem Rücken zu mir. Oben ohne. Seine Schultern und Rippen sind blau, außerdem erkenne ich leichte Kratzspuren auf seiner Haut. Das muss ich gewesen sein.

»Alles okay?«, frage ich.

Harley dreht sich ein wenig ertappt zu mir um. Er scheint gar nicht gehört zu haben, wie ich eingetreten bin. Sofort lächelt er, aber der besorgte Ausdruck in seinen Augen entgeht mir nicht. »Ja, alles in Ordnung«, sagt er. »Ich hab nur versucht Dylan zu erreichen, aber der ist gerade nicht zu sprechen. Ist wahrscheinlich ein gefragter Mann, jetzt wo er in Sekundenschnelle vom Sicherheitsvertreter zum Leiter einer Razzia wurde.«

»Ich wusste nicht, wem ich den Tipp sonst geben sollte«, sage ich und komme näher. »Jemand anders hätte sicher nicht so schnell gehandelt. Dylan ist ein Freund von dir.«

»War«, sagt Harley und legt den Arm um mich, als ich mich zu ihm setze und meinen Kopf an seine Schulter lege. Gemeinsam sehen wir ins Schneetreiben vor der Glasfront. »Er war ein Freund.«

»Du selektierst ziemlich genau, wen du in dein Leben lässt, was?«

»Ist besser so«, sagt Harley und drückt mir einen Kuss aufs Haar.

»Hättest du die Wahl gehabt, was mich angeht …« Ich sehe zu ihm auf.

Harley lacht laut- und weitgehend humorlos, dann blickt er zu mir herunter. »Du weißt, wie ich mich dann entschieden hätte. Nicht, weil ich dich nicht liebe. Sondern weil ich dich liebe.«

Klar, das verstehe ich. Trotzdem verletzen mich seine Worte irgendwie. Er soll gefälligst um jeden Preis mit mir zusammen sein wollen.

»Meg«, sagt er und streicht mir eine Strähne aus der Stirn. »Dir ist klar, wie ernst ich es mit dir meine, oder?«

Ich zucke mit den Schultern, auch wenn es das eigentlich ist.

Harleys blaue Augen ruhen einen Moment lang auf mir, dann sagt er: »Du hast Luigi auf andere Art und Weise kennengelernt als ich. Als ich ihn zum ersten Mal traf, in seinem Haus, führte er mich in seinen Keller. Dort befand sich eine Frau, die Ehefrau eines Geschäftspartners, der ihm Geld schuldete. Sie war in Panik, offensichtlich misshandelt worden. Er erschoss sie, ohne mit der Wimper zu zucken, ehe ich auch nur verstand, was da passierte.«

Ich schlucke unmerklich, als Harleys Worte Bilder in meinem Kopf erzeugen. Brutale Bilder voller Blut. Ich wusste, dass Luigi skrupellos ist, aber für so schlimm hätte ich ihn nicht gehalten. Erst jetzt wird mir wirklich klar, worauf wir uns eingelassen haben. Dass wir uns mit einem Mörder angelegt haben.

Ich schließe die Augen, atme tief durch und spüre, wie er mir einen weiteren Kuss auf den Kopf haucht.

»Ich liebe dich«, sagt er dann, »und was man liebt, das schützt man. Und es wäre am sichersten für dich gewesen, wenn du kein Teil meines Lebens geworden wärst.«

»Simple Logik«, sage ich ein wenig bitter.

»Nein, alles andere als simpel. Und das weißt du auch.«

Ich mache die Augen auf und sehe ihn an. Sein Blick ruht immer noch auf mir und ich erkenne die Liebe, die darin liegt. Verdammt, ich weiß es doch. Ich weiß, wie unendlich viel ich ihm bedeute. Ich empfinde ja dasselbe für ihn.

»Eins kannst du mir glauben«, sagt er. »Auch wenn es unlogisch ist. Auch wenn es anders sicherer gewesen wäre. Ich bin froh, mit dir hier zu sein.«

Ich sehe ihn einen Moment lang einfach nur an, dann lächle ich und richte mich leicht auf, um ihn küssen zu können. »Ich bin auch froh«, erwidere ich und gebe mir einen Ruck. »Aber ich bin auch am verhungern. Gehen wir frühstücken. Aber zieh dir vorher was an, du Angeber.«

»Als wärst du so wild drauf«, sagt Harley und zwinkert mir zu.

Und auf einmal ist die finstere Stimmung verschwunden, als wäre sie bloß ein verblassender Traum gewesen.

***

Megan

Ich habe mir Moms Schaukelstuhl ans Fenster gezogen, mich in eine rosafarbene Fleecedecke gewickelt und sehe Harley und Dale zu, wie sie draußen herumtollen. Sie haben sich beide kleine Festungen aus Schnee gebaut, hinter denen sie sich verbergen und versuchen, sich gegenseitig abzuwerfen. Sowohl Dale als auch Harley sehen glücklich aus und ich bin froh, dass wir hier sind. Am liebsten würde ich da draußen mitmischen, aber so ganz kann ich mich der sorglosen Weihnachtsatmosphäre noch nicht hingeben.

Deshalb hole ich mein Handy hervor und gehe ins Internet. Unser Gespräch vorhin hat Fragen aufgeworfen. Wie soll es weitergehen? Werden Luigi und die anderen für längere Zeit weggesperrt werden, sodass wir uns ein neues Leben aufbauen können? Ich fürchte, diese Hoffnung ist naiv. Aber wer weiß? Während Harley und Dale draußen Spaß haben, checke ich die Newsseiten.

Ich gehe auf die Homepage der Daily News und finde eine kleine Schlagzeile am Rand. Eilig überfliege ich den Artikel. Im Großen und Ganzen werden die gestrigen Ereignisse zusammengefasst. Es wird erwähnt, dass es, nachdem ein anonymer Hinweis eingegangen war, eine Razzia im Ivory gab. Die Verantwortlichen beider Teams wurden daraufhin vorläufig festgenommen. Von Harley ist nicht die Rede. Die Leute werden davon ausgehen, dass er ebenfalls in Gewahrsam der Polizei ist. Nicht sehr gut für seinen Ruf, aber der sollte unsere kleinste Sorge sein.

Die nächste Newsseite aus Chicago hat eine schwarz-rote Schlagzeile auf der Startseite platziert: Mafia, Drogen, Schlägereien – der Szene-Club Ivory im Fokus der Verbrecher!

Ich schüttle den Kopf und ärgere mich über diesen reißerischen Titel. Erst dann wird mir klar, dass ich die Sache früher genau so aufgebauscht hätte. Früher … Noch vor einigen Wochen.

Es kommt mir ewig lange her vor, dass ich bei den Daily News als Journalistin gearbeitet habe. Es wirkt wie ein anderes Leben.

Ich klicke die Schlagzeile an und lese den Artikel. Er befasst sich eher mit dem Ivory als Treffpunkt für Kriminelle als mit der Razzia gestern Abend. Sie bildet nur den krönenden Abschluss des Artikels.

Ein paar weitere Klicks und mehrere Seiten später komme ich zu dem Schluss, dass sich die Polizei bedeckt hält und ich im Netz nur auf Halbwahrheiten und Mutmaßungen stoßen werde. Unsere zuverlässigste Quelle ist wahrscheinlich Dylan, auch wenn er sich offenbar gerade rar macht. Vielleicht will er uns auch nur nicht beunruhigen. Oder vielleicht ist es im Moment auch einfach zu gefährlich, uns zu kontaktieren. Ob wir in eine Art Zeugenschutzprogramm kommen werden?

Eigentlich glaube ich das nicht. Obwohl die Zeitungen teilweise über die ›Mafia‹ schreiben, bin ich mir sicher, dass wir es bei Luigi und den anderen nur mit gewöhnlichen Kriminellen zu tun haben. Mit mordenden Kriminellen – schießt es mir durch den Kopf.

»Scheiße«, flüstere ich und wische mir durchs Gesicht.

Diese Männer sind gefährlich. Wahrscheinlich sollte ich hoffen, dass Dylan und die anderen Cops uns in den Zeugenschutz schicken.

Ehe ich diesen Gedanken vertiefen kann, öffnet sich die Terrassentür und Dale und Harley kommen lachend rein.

Dales Gesicht ist rot und er strahlt. »Ich habe ihn besiegt! Ich hab den Unbesiegten besiegt!«

»Scheint mir jetzt öfter zu passieren.« Harley tritt sich den Schnee von den Boots ab und kommt zu mir herüber.

Schnell lege ich das Handy beiseite und lächle zu ihm auf.

Harley küsst mich, dann mustert er mich plötzlich ernst. »Ist alles in Ordnung?«

»Aber klar doch.« Ich will ihn nicht anlügen, ich will mit meinen düsteren Gedanken aber auch nicht die Stimmung versauen. Also lenke ich kurzerhand ab. »Können wir morgen mit Mom einen Weihnachtsbaum besorgen?«

»Er muss mindestens fünf Meter sein!«, ruft Dale und reckt die Arme über den Kopf.

»Fünf Meter? Sollten wir hinkriegen.« Harley sieht sich grinsend um. »Wir legen ihn einfach quer ins Wohnzimmer.«

»Scheiße, nein«, protestiert Dale und dann flitzt er auch schon wieder nach draußen.

Ich sehe ihm nach und bin fasziniert von der Mischung aus kindlicher Unbeschwertheit und frühem Teenagergehabe, das sich bei ihm stetig abwechselt. Bald schon wird er ein Jugendlicher sein, der hoffentlich nicht allzu gern die Fäuste fliegen lässt.

»Scheiße, nein«, äfft Harley ihn nach. »Sally wird noch ihren Spaß kriegen mit ihm.« Damit lehnt er sich ans Fensterbrett und mustert mich erneut. »Worüber machst du dir Sorgen?«

»Worüber wohl?« Ich ziehe die Beine an, was angesichts des Schaukelstuhls keine leichte Angelegenheit ist, und verstaue sie unter der Decke.

»Hier sind wir erst mal sicher.«

»Erst mal, du sagst es.«

»Wir überlegen uns was, Meg. Das ist keine Dauerlösung hier. Wenn wir Glück haben, dann wandert Luigi ins Gefängnis und wir können sogar zurück nach Chicago.«

»Und wenn wir kein Glück haben?« Ich schüttle den Kopf. »Du und ich, wir kommen schon klar. Aber da sind auch noch Sally, Dale und meine Mom. Die drei sind hilflos.« Ich wundere mich selbst ein wenig über mein neu gewonnenes Selbstbewusstsein – anscheinend hat Megan Clark die Opferrolle ein für alle Mal abgelegt und ich wette, damit hat nicht nur Harleys Training, sondern auch die Tatsache zu tun, dass ich gerade erst meinen brutalen Ex aus eigener Kraft in die Flucht geschlagen habe. An meiner Sorge um Mom und die zwei anderen ändert das jedoch nichts.

»Du musst keine Angst haben. Ich passe auf die drei auf. Ich werde keinen von euch jemals hängen lassen.« Harley geht um meinen Stuhl herum, legt mir die Hände auf die Schultern und beginnt sie sanft zu kneten. »Es wird alles gut werden. Entspann dich ein bisschen.«

Ich schließe die Augen und konzentriere mich voll und ganz auf Harleys Berührung. Auf seine starken Hände. »Und wenn sie dich … wenn sie dir etwas tun?«

»Mach dir keine Sorgen. Ich sorge dafür, dass wir alle heil aus der Sache herauskommen.«

Harleys Worte sollten mich beruhigen, aber das tun sie nicht. Im Gegenteil. Da ist so ein finsterer Unterton in seiner Stimme, der alle Alarmglocken in mir schrillen lässt und mir gleichzeitig eine Sache umso klarer macht: Es ist noch nicht vorbei. Unser gemeinsamer Kampf ist noch nicht ausgestanden. Ich greife nach Harleys Hand und halte sie fest, während ich entschlossen nach draußen in den Schnee blicke. Was auch immer noch auf uns zukommt, ich werde an seiner Seite sein. Mit ihm für unsere Zukunft kämpfen. Egal, was auf uns zukommt – gemeinsam stehen wir es durch.

***

Doch in den nächsten Tagen zumindest bleibt alles ruhig. Harley schafft es am Morgen darauf, Dylan ans Telefon zu bekommen, der ihm erklärt, dass sein Dezernat schon länger Interesse an Luigi und seinen Schergen gehabt hätte und man die Jungs deswegen gerade gründlich durchleuchte. Das ist gut – je länger es dauert, bis sie wieder auf freien Fuß gesetzt werden, desto besser für uns. Und wer weiß, vielleicht findet man ja den entscheidenden Hinweis, der dafür sorgt, dass sie wirklich lange im Gefängnis bleiben.

Fürs Erste jedoch können wir uns ganz auf etwas konzentrieren, das ich die letzten Jahre über gar nicht genießen konnte: Weihnachten. Mit Russell war Weihnachten eine Zeit der Anspannung, mehr nicht. Über die Feiertage war er fast pausenlos zu Hause, und häufig kam uns auch noch seine Familie besuchen. Russells Verwandtschaft stammt aus dem ländlichen Kentucky und führt sich auch so auf. Seine Mutter ist eine fiese, selbstgefällige, alte Kuh, die Streitigkeiten und Ungerechtigkeiten einfach an sich vorüberziehen lässt, als ginge sie das alles nichts an. Sein Vater ist einer vom alten Schlag, wobei ich Schlag wörtlich meine, und Russell würde fast alles tun, um seinem Dad zu gefallen. Oft genug stand ich Weihnachten gestresst in der Küche und musste mir irgendwelche Beleidigungen anhören, und einmal hat mich Russell sogar vor seinen Eltern und Geschwistern geohrfeigt, wofür sein Vater ein zufriedenes Grinsen und seine Mom nur ein müdes Lächeln übrig hatte. Heute verstehe ich selbst nicht mehr, wie ich mir dieses Leben antun konnte. Es war wohl eine Mischung aus Angst und Selbstbetrug.

Aber das ist Vergangenheit, und dieses Jahr sieht alles anders aus. Und so freue ich mich richtig, als wir am zweiten Tag nach unserer Ankunft alle zusammen losziehen, um einen Baum zu kaufen. Zumindest denke ich, dass wir ihn kaufen, aber als Mom ihren robusten SUV – kaum zu glauben, dass sie einen solchen Wagen fährt! – nicht in Richtung des kleinen Stadtzentrums von Somerset, sondern stattdessen aus dem Ort hinaus steuert, werde ich stutzig.

Ich sitze neben ihr auf dem Beifahrersitz und blicke zweifelnd zu ihr herüber. Mit ihrer flauschigen cremefarbenen Wollmütze und den beinahe weißen Ponyfransen, die darunter hervorschauen, sieht sie wie eine moderne Großmutter aus. Ich frage mich unwillkürlich, ob sie irgendwann ein Enkelkind von mir erwarten kann. Dann sehe ich zu Harley und stelle fest, dass er mich ebenfalls anblickt. Seine Augen sind nicht mehr stark geschwollen, nur noch blau umschattet und er sieht fast schon wieder so umwerfend gut aus wie bei unserem Kennenlernen. Ich mag seine markanten Züge und die sinnlichen Lippen. Und natürlich seine hellblauen Augen, die immer, wenn er in den Ring steigt, eisig kalt werden.

Er zwinkert mir zu. Mein Herz schlägt schneller und ich lächle ihn an. Dann kommt im Radio Frosty the Snowman und Dale bittet darum, dass wir das Lied lauter machen. Ja, er bittet darum. Wenn meine Mom anwesend ist, ist er meist ziemlich höflich. Anscheinend hat er Respekt vor ihr.

Etwa eine halbe Stunde später, als wir irgendwo in der Wildnis halten, wird mir klar, was Mom vorhat. Schlagartig fühle ich mich in diesen alten Weihnachtsfilm versetzt, wie hieß der noch gleich … Ach ja, Schöne Bescherung. Dort fährt die Familie ganz am Anfang raus in den Wald, um einen Weihnachtsbaum zu fällen und erlebt eine Menge Abenteuer, bis sie schließlich mit einem Ungetüm von Tanne zurückkehrt. Mom hat offenbar Ähnliches vor, denn sie holt aus dem Kofferraum ganz stolz eine Axt, die aussieht, als würde sich jeder Serienmörder die Finger danach lecken.

»Normalerweise hacke ich damit nur Kaminholz«, sagt sie stolz, »aber heute bekommt dieses Schätzchen mal richtig was zu tun.« Damit drückt sie Harley die Axt in die Hände. Bei ihm sieht sie gleich viel kleiner und zierlicher aus.

Er lacht. »Ma’am, Sie meinen, wir stehlen einen Baum?«

»Du bitte. Mein Name ist Patricia. Und es ist doch kein Diebstahl, etwas zu nehmen, das in der Natur einfach so wächst.«

»Doch, Mom, ich bin mir ziemlich sicher, dass man das nicht einfach so machen darf.«

»Wir müssen es ja nicht an die große Glocke hängen!« Mom sieht uns alle der Reihe nach an. »Nun kommt schon, Kinder, jetzt stellt euch mal nicht so an.«

Mit ihrem Tatendrang überzeugt sie uns schließlich alle, und als wir erst einen Baum gefunden haben, komme auch ich auf meine Kosten, denn natürlich ist Harley derjenige, der ihn fällt, und wie sich dabei seine Muskeln unter seiner abgewetzten Lederjacke spannen, ist ein Schauspiel für sich. Mein Gott. Kaum zu glauben, dass ein dermaßen heißer Typ mit mir zusammen ist. Nicht, dass Russell hässlich gewesen wäre – früher. Aber allein Harleys Körperbau ist ein Geschenk an die Frauenwelt. Er ist nicht nur groß und hat breite Schultern, sondern auch athletisch schmale Hüften und schlanke, muskulöse Beine, und all das wird dadurch perfekt in Szene gesetzt, dass sich Harley durch seinen Sport einfach zu bewegen weiß. Wie er mit der Axt ausholt. Wie er sie gekonnt auf den Stamm niedersausen lässt …

»Erde an Megan«, grinst mich Sally an und reißt mich dadurch aus meinen … Beobachtungen.

Ich blinzle perplex und sie lacht mich aus.

»Weißt du, wenn man den Kerlen zu deutlich zeigt, wie begeistert man von ihnen ist, dann werden sie eingebildet. Weiß ich aus eigener Erfahrung.«

»Dann war Scott also eingebildet?«, frage ich. Ich weiß mittlerweile, dass ich sie ruhig auf ihren verstorbenen Mann ansprechen kann. Sie scheint es manchmal sogar zu genießen, über ihn zu reden. Als wäre dadurch ein Stück von ihm wieder da.

»Er konnte ein ganz schöner Gockel sein«, sagt sie. »Klar, er sah ja auch ganz gut aus, das haben die Jones-Männer so an sich. Manchmal musste ich ihn schon zurück auf den Boden der Tatsachen holen.«

»Und wie hast du das gemacht?«

»Hab ihn auf seine schiefe Nase angesprochen. Hey Hakennase, komm mal wieder runter. Das hat geholfen.«

»Hmm«, sage ich und sehe herüber zu Harley, der gerade Dale und Mom mit sich zur Seite zieht, weil der Baum zu kippen beginnt. Bisher kann ich absolut keinen Makel an ihm ausmachen. Seine Nase ist nicht schief und auch sonst … Ich sehe wohl alles noch durch die rosarote Brille.

»Hach ja, ich glaube, ich muss mich auch mal wieder verlieben!« Damit geht Sally rüber zu ihrem Sohn und ich sehe ihr zufrieden hinterher. Ich bin froh, dass sie aus ihrer Trauer um Scott langsam herauszufinden scheint. Wer weiß, vielleicht findet sie ja hier in Somerset einen Mann, mit dem sie wieder glücklich werden kann.

Kaum ist der Baum gefällt, ziehen Harley und ich ihn gemeinsam durch den Wald bis zum Auto. Der Schnee macht es uns leicht, und als wir ihn auf dem Dach befestigt haben, stelle ich erleichtert fest, dass er nicht so riesig ist. Er hängt weder über die Windschutzscheibe noch schleift er hinten über den Boden, also wird er wohl auch ins Wohnzimmer passen.

Und wir haben Glück: Als wir ihn aufgestellt haben, macht er sich in Moms gemütlichem Zuhause richtig gut. Zwar nimmt er die komplette Ecke zwischen Kamin und Tür ein, aber dafür sieht er auch total prächtig aus. Ich helfe Mom, die Kartons mit dem Schmuck aus dem Keller zu holen, und dann passiert etwas, das mich ziemlich verblüfft: Dale besteht darauf, den Baum zu schmücken, und zwar ganz alleine. Und Mom besteht darauf, dass wir anderen ihr in der Zeit mit dem Abendessen helfen.

»Wir alle?«, ächzt Harley.

Ich grinse ihn an. »Da ist wohl jemand kein Meisterkoch.«

Er stöhnt, während er uns in die Küche folgt. »Du wirst dich noch wundern.«

Harley bekommt dann zum Glück keine schwere Aufgabe, sondern muss lediglich das Gemüse für den Salat schneiden. »Gut so?«, fragt er, nachdem er einen Eisbergsalat halbiert hat, »oder wollt ihr noch mundgerechtere Stücke?«

»Harley«, tadelt ihn Sally, die wie ich mit Kartoffelschälen beschäftigt ist.

»Was denn? Wir haben doch alle gesunde Zähne!«

Ich muss lachen und sehe zu, wie er den Salat schließlich doch noch klein schneidet. Er sieht dabei so konzentriert aus, als würde er die Weltformel zu berechnen versuchen.

Währenddessen schiebt Mom ein gefülltes Hähnchen in den Ofen und Sally und ich steuern scharf gewürzte Kartoffelecken bei, und als es im ganzen Haus schon lecker riecht, ruft Dale aus dem Wohnzimmer: »Fertig!«

Gespannt begeben wir uns alle zur Tür, nur um dann etwas zu erblicken, das ziemlich … eigenwillig ist.

Der Baum ist im oberen Drittel mit einer bunten Lichterkette geschmückt, darunter folgt eine einfarbige und ganz unten kommt wieder eine bunte. Auf gewöhnliche Kugeln hat Dale verzichtet und sich dafür an Moms Vorrat von kleinen Hängefiguren bedient, die in erster Linie zum Einsatz kamen, als ich noch ein Kind war. So hängen in den Zweigen jetzt kunstvoll verzierte Rentiere, Schneemänner, Engel und Santas. Die Figuren hat Dale nach Farben sortiert, also hängen unten die überwiegend grünen, dann kommen die blauen, die roten, dann die weißen. Obenauf thront eine Spitze in Form einer Zuckerstange und ich wundere mich ein bisschen, denn ich wusste gar nicht, dass Mom so eine hat. Dann sehe ich jedoch, dass es sich dabei auch nicht um richtigen Baumschmuck, sondern um eine echte Zuckerstange handelt – fixiert mit grauem Isolierband.

»Das ist wirklich ein toller Baum, Schatz«, sagt Sally und kann sich hörbar das Lachen kaum verkneifen.

»Er ist wunderbar«, beschließt Mom, »der schönste in der ganzen Stadt!«

»Der schönste, den ich seit Jahren gesehen habe«, füge ich hinzu.

»Ich glaube, da hat sich gerade jemand ein Extraweihnachtsgeschenk verdient«, sagt schließlich Harley, und bei diesen Worten fängt Dale gleich an zu strahlen.

»Ich wusste, er gefällt euch!«

Wir essen alle gemeinsam und verbringen dann einen gemütlichen Abend am Kamin, wobei Harley und ich, als Sally und Dale im Bett sind, die Gelegenheit nutzen, Mom so weit wie nötig alles zu erzählen, was in der letzten Zeit geschehen ist. Einiges davon schockiert sie, anderes stimmt sie sehr nachdenklich und immer wieder betont sie, wie froh sie ist, dass wir jetzt hier sind und nicht mehr in Chicago.

Auch Harley und ich reden viel in der nächsten Zeit. In den ersten Wochen nach unserem Kennenlernen hatten wir eine Menge Geheimnisse voreinander. Ich konnte ihm zuerst nicht verraten, dass ich eine Journalistin und als solche auf ihn angesetzt worden war, und später wollte ich es nicht mehr, aus Angst ihn zu verlieren. Harley hingegen hat mir lange verheimlicht, dass er sich nicht freiwillig dem MMA verschrieben hat, sondern dazu gezwungen worden ist, um die Schulden zu begleichen, die sein Bruder, der bis zu seinem Tod als Sportmanager gearbeitet hat, bei Luigi gemacht hatte. Jetzt, endlich, berichtet er mir ausführlich davon, wie er sich dort verpflichten musste, wie er den Polizeidienst quittiert hat und dafür ein Jahr lang in ein geheimes Trainingslager in Italien ging, wo aus einem Mann mit mäßiger Boxerfahrung der Unbesiegte geformt wurde. Er erzählt von seinen ersten Kämpfen und davon, wie er manchmal nah dran war, anzufangen, sich selbst für unbesiegbar zu halten, nur weil es alle anderen taten. Und wie er gleichzeitig befürchtete, dass Sally und Dale etwas zustoßen könnte, wenn er seine Vereinbarung mit Luigi nicht einhielt, wenn er es nicht schaffte, einen Kampf zu gewinnen, den er wegen der Wettquoten unbedingt gewinnen musste, und so weiter.

Er erzählt auch, wie er sich gefühlt hat, nachdem ihn Luigis Leute unter Drogen gesetzt haben, damit er verliert, kurz nachdem er bei einem anderen Fight fast verloren hatte, weil sein Gegner gedopt gewesen war. Zu der Zeit kannten wir uns schon. Ich war schon rettungslos in ihn verliebt und habe live mit angesehen, wie sein Kontrahent, von den Steroiden vollkommen benebelt, seine Zähne in Harleys Körper grub, was zum Kampfabbruch führte.

Als wir eines Abends im Bett liegen, fahre ich behutsam über die kleine Narbe, die der Biss auf Harleys Oberarm hinterlassen hat.

»Zum Glück hat er nicht die tätowierte Seite erwischt«, sage ich schließlich leise.

»Das hätte man nachstechen können.«

Ich setze mich halb auf und betrachte die zahlreichen Motive, die sich von seiner Schulter über seinen gesamten rechten Arm ziehen. »Lässt du dir noch mehr stechen?«

»Vielleicht.«

»Mein Gesicht?«, scherze ich.

»Deinen Hintern. Ich will ja auch was davon haben.«

Ich muss lachen. »Du bist ein Idiot.« Dann gebe ich ihm einen Kuss.

»Entschuldige. Zu viele Kopftreffer.«

»Ja ja, faule Ausreden.« Ich kuschle mich wieder an ihn und ziehe die Decke über unsere Körper. Die Monatsmitte naht und es wird kälter und kälter. Weihnachten sind wir hier wahrscheinlich eingeschneit. Nicht, dass das schlimm wäre.

»Erzählst du mir, was es bei euch früher für Weihnachtsbräuche gab?«, frage ich und mache die Augen zu. »Habt ihr … den Baum zusammengetreten oder so?«

Ich spüre, wie Harley lacht. »Wie kommst du denn auf so was?«

»Na ja, bei dir waren doch alle Kampfsportler.«

»Ja, aber keine Höhlenmenschen.«

Ich muss grinsen und würde gern seinen Gesichtsausdruck sehen, bin aber zu träge, um die Augen aufzumachen. »Erzähl schon«, sage ich.

Harley atmet tief durch. »Der Baum stand bei uns nicht drinnen, sondern im Garten«, fängt er dann an. »Dort konnten wir ihn besser, du weißt schon, kurz und klein schlagen. Einen Truthahn gab es bei uns nicht, stattdessen Eiweißshakes mit Truthahngeschmack. Und wenn wir die Geschenke verpackt haben …«

Ich lausche dem Unsinn, den er da verzapft und muss immer wieder anfangen zu lachen. So lange, bis ich irgendwann einschlafe.

***

An einem Abend kurz nach dem dritten Advent sitzen wir wieder mal zusammen. Sally und Dale schlafen schon und um uns herum herrscht wunderbare, winterliche Stille. Der Kamin prasselt und ich lehne an Harley, während Mom ihm allerlei Fragen über das Kämpfen stellt. Er hat einen Sandsack besorgt und den mit ihrer Erlaubnis in der Garage aufgehängt, wie er sagt, um sich fit zu halten. Ich glaube aber, dass mehr dahintersteckt. Sicher will er im Training bleiben, falls … Ja, falls was? Ich merke, wie mir langsam die Augen zufallen.

Dann dämmere ich weg und schrecke erst auf, als irgendwo ein Telefon schellt.

Sowohl Mom als auch Harley lachen über meinen alarmierten Gesichtsausdruck.

»Ist nur ein Telefon«, sagte Harley und drückt mich. »Vielleicht erinnerst du dich noch daran, aus unserer Zeit in der Stadt.«

»Ha ha.« Ich setze mich ein bisschen aufrechter hin und wische mir durchs Gesicht.

»Ich bin gleich wieder da.« Mom schält sich aus einer Patchwork-Decke und steht auf, um in die Küche zu gehen. »Clark?«, höre ich sie dann fragen.

Ein wenig gespannt sehe ich zur Küche hinüber. Vielleicht sind es ja Nachrichten für uns, aus Chicago.

»Nein. Hier ist Patricia. Patricia Clark. Wer spricht da, bitte?«

»Ich seh mal nach ihr.« Ich löse mich aus Harleys Umarmung und stehe auf. Erst jetzt spüre ich, dass sich mein Herzschlag nach meinem Aufschrecken nicht beruhigt hat. Irgendwie habe ich gerade ein verdammt schlechtes Gefühl. Journalistengespür hätte Dad es genannt, »Mom?«

»Hallo?«, fragt Mom und es führt nicht gerade dazu, dass ich mich besser fühle. Dann legt sie auf.

»Was …« Ich räuspere mich. »Wer war das denn?«, frage ich so beiläufig ich kann und hoffe, dass niemand was von meiner plötzlichen Aufgewühltheit merkt. Es reicht, dass ich unter Strom stehe, da will ich niemanden mit reinziehen.

Ich höre Schritte und dann ist auch schon Harley bei uns und legt seinen Arm um mich. »Alles in Ordnung?«

»Das war nur jemand, der … nach deinem Vater gefragt hat«, erklärt Mom an mich gewandt und mir fallen hundert Steine vom Herzen.

»Nach Dad?«

Mom nickt. »Der Kerl schien ziemlich betrunken zu sein, naja … Vielleicht hat er einfach vergessen, dass Theo nicht mehr ist.«

»Mistkerl«, knurrt Harley.

Ich nehme Mom in die Arme, weil ich spüre, dass sie der Anruf aufgewühlt hat. Ich sage ihr nicht, dass ich nicht glaube, dass wirklich jemand mit Dad reden wollte. Man kennt solche Maschen doch aus dem Fernsehen. Einbrecher rufen bei älteren Menschen an, um herauszufinden, ob sie alleine sind oder womöglich ein Mann im Haus ist.

»Am besten nimmst du so spät abends gar nicht mehr den Hörer ab«, rate ich ihr.

»Du hast Recht, Kind.« Mom drückt mir einen Kuss auf die Wange und löst sich dann aus meiner Umarmung. »Legt euch schlafen. Wir reden morgen weiter.«

Kurz darauf lassen Harley und ich uns ins weiche Bett fallen und liegen eine Weile einfach nur schweigend da. Auch wenn mir der Anruf einen gehörigen Schreck eingejagt hat, war das wieder mal ein wunderschöner Abend. Mein letzter Gedanke ist, dass ich noch nie in meinem Leben so glücklich war wie im Moment. Und dass ich alles dafür tun würde, dass es für immer so bleibt …