Kapitel 1
Jess
Wie langweile ich sie in den ersten zehn Sekunden?
Oder: Drei erste Sätze, um ihr zu beweisen, dass du langweilig bist.
Ich nickte, obwohl ich keine Ahnung hatte, worüber der Typ jetzt gerade sprach. Es lag an mir! Es musste an mir liegen! Hatte ich auf meiner Stirn stehen: Keine hohen Ansprüche an Gesprächsthemen?
Um wenigstens ein bisschen Interesse vorzutäuschen, richtete ich mich auf und beugte mich vor, nahm mein Weinglas, ohne den Typen aus den Augen zu lassen, und nickte wieder.
Merkte er gar nicht, dass er mich langweilte? Stellte er sich diese Frage nicht selber? Auch wenn ich Interesse heuchelte, so musste ihm doch eigentlich inzwischen klar sein, dass er laberte. Sein Job, seine Hobbys, seine Wohnung, sein letzter Urlaub – alles langweilig. Selbst sein Aussehen war öde. Für das Bild auf seinem Dating-Profil hatte er sich anscheinend besonders zurechtgemacht. Und ich erkannte auch die Ähnlichkeit zu dem Foto. Aber das nicht ganz kurze braune Haar hing jetzt nur schlaff an ihm herunter, es sah nicht einmal frisch gewaschen aus. Er trug ein graues T-Shirt und anthrazitfarbene Jeans – hatte er gedacht, er ginge zum Fasching, und wollte sich als Maus verkleiden?
Wie ich eine Frau mit meinem Maus-Outfit abschrecke.
Diesmal verkniff ich mir ein Grinsen. Mir würde schon noch eine passende Überschrift für dieses Date einfallen.
»Was meinst du dazu, Jess?«, fragte er und blickte mich erwartungsvoll an.
Ich versuchte, in meinem Hirn nach den letzten Worten zu graben, die er gesagt hatte. Doch anscheinend war ich wirklich komplett abwesend gewesen.
»Ja, klar.« Die Wahrscheinlichkeit, mit dieser Antwort richtig zu liegen, war hoch. So viel wusste ich aus meinen zahllosen vorigen Dates. Wenn der Typ lächelte, wollte er Zustimmung auf seine Frage.
Sein Lächeln verbreiterte sich noch. Wahrscheinlich hatte ich ihn nur in seiner Ansicht über die Vorzüge eines neuen Gaming-PCs bestätigt. Dass er seit einigen Minuten über Computer sprach, hatte ich nämlich noch mitbekommen.
»Das freut mich, Jess. Ich habe da auch noch ein paar Kostüme, die für Frauen geeignet sind.« Er zog die Augenbrauen auf eine Weise hoch, die mir einen Schauer über den Rücken jagte.
Schnell setzte ich die Wortfetzen zusammen, die ich in den letzten Minuten mitbekommen hatte. Computer, Computerspiele – er wollte zu so einer Convention, auf der man sich als eine Spielfigur verkleidete. Hier in Berlin. Und er dachte jetzt, ich würde ihn begleiten und ein Kostüm anziehen – seinem Blick nach zu urteilen und dem Ton, in dem er meinen Namen ausgesprochen hatte, ein freizügiges.
Ich schnaubte. Zeit, die Sache zu beenden. Ich hatte genug Material und würde ihm jetzt den Todesstoß versetzen.
»Da liegt wohl ein Missverständnis vor«, erklärte ich ihm. »Ehrlich gesagt habe ich dir kein bisschen zugehört. Glaubst du wirklich, ich würde beim ersten Date und nach drei Begrüßungssätzen mit dir nur über dein Hobby sprechen wollen? Wenn du in deiner Freizeit nicht gerade schwarze Löcher oder den Erdmittelpunkt erforschst, ist das nämlich ziemlich langweilig.«
Er schaute mich entgeistert an, während ich dem Kellner zuwinkte und zu verstehen gab, dass wir gehen wollten. Ich hatte darauf bestanden, die Essensbestellung zu verschieben, und so würde es heute beim Wein bleiben. Wobei ich mir eigentlich eine Pizza zum Mitnehmen bestellen konnte. Aber vielleicht ließ ich mir lieber eine nach Hause liefern, sonst war ich gezwungen, weiter mit diesem Langweiler hier zu sitzen. Erste Dates in Restaurants hatten ihre Tücken.
»Sollte es dich nicht interessieren, wofür ich mich interessiere?«, fragte er jetzt.
»Dem Grunde nach schon. Allerdings wäre es schön gewesen, wenn du auch erst einmal nach meinen Interessen gefragt hättest. Wenn man dann Überschneidungen findet, kann man sich auf ein Thema festlegen. Lest ihr Jungs denn keine Dating-Ratgeber?«
Er verzog den Mund. »Ich brauche keinen Dating-Ratgeber. Aber du vielleicht. Dann wüsstest du nämlich, dass es ganz normal ist, dass wir Männer gerne über uns reden.«
Oh, er zeigte Biss. Das machte ihn prompt ein bisschen interessanter – nicht als Traummann, aber als Material für eine Date-Geschichte.
»Das wissen wir Frauen, aber wir haben die Nase voll davon«, erwiderte ich. »Bevor du eine Frau mit deinen Themen langweilst, solltest du sicherstellen, dass sie sich auch dafür interessiert. Denn erst dann wollen wir zuhören.«
»Das denkst du vielleicht.«
»Das mag schon sein. Du wirst ja sehen, wie erfolgreich deine Masche in den nächsten Wochen noch sein wird.«
Der Kellner stand neben unserem Tisch, und ich bezahlte meinen Wein, bevor ich mich erhob.
»Danke trotzdem!«, sagte ich.
»Wofür?«
»Typen wie du sichern mir mein Einkommen.« Mit diesen Worten drehte ich mich um und ging.
***
Ich war wirklich dankbar. Allen Typen, die ich datete.
In den letzten Wochen hatte ich meine Dates in immer speziellere Kategorien eingeteilt. Ungewöhnliche Dates, abschreckende Dates, und jetzt waren eben langweilige Dates dran. Demnächst würde ich mir noch vornehmen, eine Serie über Dates mit Bartträgern zu schreiben. Sportler und Nerds hatte ich bereits hinter mir, wobei ich hin und wieder noch eine Folge hinzufügte, wenn sich etwas Passendes ergab. Manche Männer zeigten ihr wahres Gesicht erst, wenn ich ihnen gegenübersaß.
Zurück zu Hause setzte ich mich an meinen Laptop und machte Notizen. Entsprechend dem Motto, langweilige Dates, würde es keinen Artikel für jedes dieser Dates geben – schließlich wollte ich meine Leserinnen nicht gleichermaßen langweilen wie diese Typen mich.
Und ich hatte vor allem Leserinnen. Natürlich bekam ich auch regelmäßig Nachrichten oder Kommentare von Männern. Die meisten beschimpften mich oder kritisierten zumindest meine Ansichten. Doch hin und wieder fragte einer etwas und wollte einen Rat.
Und auch an diesem Abend erhielt ich eine Mail über meine Website, auf der ich meinen Blog Wandadates betrieb.
Hallo Wanda,
ich hoffe, es ist okay für dich, dass ich dich direkt anschreibe. Deinen Blog lese ich seit einiger Zeit regelmäßig, und ja, ich kann sehr oft verstehen, warum wir Typen dich nerven. Aber ich vermisse konkrete Tipps, wie wir es besser machen können. Vielleicht kannst du ja mal eine Art Ratgeber darüber schreiben, eine Umkehr deines Blogs sozusagen. Würde mich freuen.
Gruß
Marco
Natürlich schrieb ich ihm eine nette Antwort zurück und erklärte, dass ich darüber schon nachgedacht, aber nicht das Gefühl hatte, bereits genug Material beisammen zu haben für einen Ratgeber, der wirklich helfen konnte.
Ricarda, genannt Ricky, meine beste Freundin, bezeichnete das als Ausrede. Wir waren auch Kolleginnen und arbeiteten für die Berliner Frauenzeitschrift BERTRICE. Schon oft hatten wir darüber gesprochen, meinen Blogartikeln eine positive Note zu geben, wie sie es nannte. Aber etwas hielt mich zurück. Genoss ich etwa diese schrägen Dates? Vielleicht war ich selbst noch nicht bereit für Mister Right, und das war der eigentliche Grund dafür, dass meine Dates meistens Pleiten waren.
Nein, das lag eindeutig an den Typen. Diese Stadt war so groß. Es gab sogar eine eigene Dating-Plattform. Auf Berlindates tummelten sich haufenweise Hauptstadt-Singles. Doch die wenigen guten Dates, die ich gehabt hatte, konnte ich an meinen beiden Händen abzählen – vielleicht musste ich auch noch einen Fuß dazunehmen. Sie hatten sich jedenfalls in Grenzen gehalten. Einige hatten mir zumindest heiße Nächte und Tage beschert. Niemand konnte somit behaupten, ich sei in Wirklichkeit nicht offen für die Liebe.
Marco bekam also meine übliche Ausrede, aber auch ein Dankeschön dafür, dass er sich bemühte. Das war immerhin schon etwas.
Männer wie du lassen mich noch daran glauben, dass nicht alles verloren ist und es in dieser Stadt doch brauchbare Männer gibt, schrieb ich zum Abschluss. Das würde er lieben, und es würde sein Selbstbewusstsein aufbauen. Die nächste Frau, die er datete, konnte sich bei mir bedanken.
Auch ich würde irgendwann bei einem Mann die passende Kombination aus gutem Aussehen und Feinfühligkeit finden. Oder schloss sich das gegenseitig aus? Hatten es gutaussehende Typen nicht nötig, einfühlsam zu sein? Anscheinend nicht.
Genug für heute! Ich rief Ricky an und lud sie auf eine Pizza ein.
»Oh, hattest du ein mieses Date?«, fragte sie.
Ich brummte nur als Antwort.
Sie lachte. »Warum frage ich überhaupt noch? Du hast ja nur noch miese Dates.«
»Das liegt aber nicht an mir.«
»Da bin ich mir nicht so sicher.«
»Es liegt an den Typen. Die werden immer schlimmer. Kein Wunder, dass man da misstrauisch wird. Kommst du jetzt?«
»Ich bringe die Pizza mit.«
Eine Dreiviertelstunde später klingelte es an der Tür.
»Jetzt erzähl mal«, forderte sie mich auf, als wir gemütlich auf meiner Couch saßen und uns über die Familienpizza hermachten, die sie mitgebracht hatte. »Aber immer erst schön aufessen, bevor du sprichst.«
Ich verdrehte die Augen. Diesen Witz brachte sie öfter, weil sie meinte, ich würde laute Geräusche beim Essen machen. Mir selbst fiel das nicht auf, und es war angeblich auch schon besser geworden.
»Eigentlich war es nichts Besonderes«, begann ich. »Genau genommen muss ich mir ganz schön viel Mühe geben, um überhaupt etwas darüber schreiben zu können. Der Typ war nämlich einfach nur öde. Hoffentlich wird es der Artikel über langweilige Dates nicht.« Ich zählte ihr einige der Überschriften auf, die ich mir schon während des Dates überlegt hatte.
Sie lachte und schüttelte hin und wieder den Kopf.
»Du bist wirklich zynisch«, fasste sie am Schluss zusammen.
»Wenn ich schon meinen Traummann nicht finde, will ich wenigstens noch einen Vorteil aus der Suche ziehen.« Das war wieder eine Standardantwort, die ich ihr auf solche Bemerkungen gab.
»Dann sollte ich wohl ein Buch über meine letzte Beziehung schreiben.« Sie lachte zwar, aber um ihre hellgrünen Augen lag ein trauriger Zug. Ihre halblangen blonden Haare standen heute in besonders wirren Locken von ihrem Kopf ab, sodass sie mich wieder ein bisschen an einen Engel erinnerte, einen hübschen Engel. So hübsch, dass die Männerauswahl besonders schwer für sie war, weil die falschen Typen ihr zu oft die Sicht verstellten.
»Nur, wenn du daraus eine Komödie machst und nicht das Trauerspiel, das es war. Titel:
Wie man keine Beziehung mit einem verheirateten Mann führt.«
Sie lachte. »Genau, ich schreibe einen Ratgeber darüber, was man alles falsch machen kann, wenn man sich mit dem falschen Mann einlässt.«
»Und wie man von ihm loskommt.« Ich tätschelte ihre Hand. »Das ist nämlich das Wichtigste. Du hast es geschafft, ihn abzuschießen. Es hätte schlimmer kommen können. Zum Beispiel, wenn du von ihm schwanger geworden wärst und vielleicht noch zehn weitere Jahre darauf gewartet hättest, dass er seine Frau verlässt, obwohl wir beide wissen, dass das nie passieren wird.«
Sie nickte kurz, schüttelte dann aber unwillig den Kopf. »Darüber will ich jetzt nicht reden. Das ist aus und vorbei, und jetzt blicke ich nach vorn.«
»Du könntest mich bei meiner Recherchearbeit unterstützen«
»Ich soll mit dir auf Dates gehen und mir danach überlegen, wie ich die Typen alle schlecht machen kann? Ich bleibe lieber bei Mode und Lifestyle. Darüber schreibe ich am liebsten.«
»So siehst du meine Artikel?«
»Ein bisschen schon. Während ich dazu neige, das Beste in den Typen zu sehen, tendierst du dazu, nur das Schlechte zu bemerken.«
»Das klingt doch nach der perfekten Ergänzung. Vielleicht sollten wir das mal bei der Redaktionssitzung als Artikelserie vorschlagen. Ein und dasselbe Date aus verschiedenen Perspektiven. Ich ziehe alles runter, und du siehst alles positiv.«
Sie nickte. »Das klingt zumindest nach Abwechslung. Mal sehen.«
Ich zeigte ihr die Nachricht von diesem Marco und meine Antwort dazu.
»Du bist ja mal nett«, sagte sie.
Ich schnaubte. Der Unterton gefiel mir nicht. »Bin ich das nicht immer? Wer nett zu mir ist, zu dem bin ich es auch.«
Sie lachte.
Vielleicht hatte sie recht. Ich war zynisch geworden.
»Hast du wieder den Blog von diesem Weichspüler gelesen?«, fragte ich.
Ricky grinste. »Weichspüler? Weil er Frauen versteht?« Sie lachte.
»Tut er das wirklich? Oder denkt er das nur?«
»Zumindest gibt er nicht grundsätzlich den Frauen die Schuld an misslungenen Dates.«
»Das sehe ich anders. In einem seiner letzten Artikel hat er sich darüber ausgelassen, wie man im Vorfeld dafür sorgt, dass die Erwartungen nicht enttäuscht werden. Damit waren eindeutig die Erwartungen der Frauen gemeint. Sei ehrlich, zeig ihr, wer du bist – all so was stand darin. Für ihn haben die meisten Frauen zu hohe Erwartungen, und die armen Männer sollen diese sofort herunterschrauben, statt sich einfach mehr Mühe zu geben.«
Ricky lachte. Sie amüsierte sich immer köstlich darüber, wenn ich mich über den selbst ernannten Dateprofessor aufregte. Damit hatte sie auch recht. Ich würde mich bei seinem nächsten Artikel mit einem bissigen Kommentar abreagieren und versuchen, ihn zu vergessen.
Kapitel 2
Marten
Wenn sie noch einmal kichert, kicher ich zurück. Ich schwöre es.
Natürlich riss ich mich zusammen und beschränkte mich auf ein leichtes Lächeln. Die Frau war so unsicher, wer weiß, was ich mit so einer Reaktion anrichten würde? Ich könnte sie damit für immer schädigen. Wenigstens hätte sie auf diese Weise etwas, was sie ihren Freundinnen erzählen konnte. Das Bedürfnis, schlecht laufende Dates auf den Mann zu schieben, schien bei vielen Frauen unendlich zu sein.
Wenn ich so ein armes Geschöpf wie jetzt vor mir hatte, erwachte allerdings mein Bedürfnis, ihr direkt einen Ratschlag zu geben, statt mich auf allgemeine Einlassungen in meinem Blog zu verlassen. Als Dateprofessor gab ich dort gerne gefragt und ungefragt Tipps zum Gelingen eines Dates. Doch ich sollte auch direkt vor Ort helfen, wenn Hilfe nötig war, und die Frau vor mir brauchte definitiv Unterstützung.
Sie hatte mich am Tresen angesprochen, was ich eigentlich sehr mutig fand, weshalb sich jetzt alles in mir dagegen sträubte, ihr eine Abfuhr zu erteilen. Als ich sie bat, sich mit mir an einen Tisch zu setzen, hatte ich es noch für eine gute Idee gehalten.
Wieder kicherte sie und klimperte dabei merkwürdig mit den Augen. Ob sie das so einstudiert hatte? Wahrscheinlich nicht, sonst hätte sie nämlich bemerkt, wie dämlich das aussah. Ich sollte ihr vorschlagen, ein Video davon zu drehen, damit sie es sich mal selbst ansehen konnte.
Was für ein abstruser Gedanke! Nachher dachte sie noch, ich hätte wirklich Interesse an ihr, und ignorierte das, was das Video eigentlich offenbaren sollte. Oder, schlimmer noch, sie hielt mich für einen Perversen. Wobei – das war nicht schlimmer, denn es war mir egal.
»Genug von mir«, rief sie jetzt über den Lärm der Musik hinweg. »Erzähl mal etwas von dir, Marten!«
Ah, anscheinend beschäftigte sie sich doch mit Ratschlägen zum richtigen Daten, und irgendwo hatte sie wohl gelesen, dass Männer es angeblich liebten, über sich selbst zu reden, statt zuzuhören.
Doch ich war nicht auf der Suche und musste nicht erobert werden. Viel lieber probierte ich aus, was bei den Ladys ankam.
»Nein, ich habe dir gern zugehört, wie du über deine Katze sprichst«, erwiderte ich artig. Ich war allergisch gegen Katzen, weder würde ich mir eine ins Haus holen noch eine Frau, die eine besaß. Sobald sie auch nur das Wort Katze gesagt hatte, hatte ich mich ein Stück von ihr zurückgezogen, nur für den Fall, dass sie Katzenhaare irgendwo auf ihrer Kleidung hatte.
Doch darum ging es jetzt nicht. Ich wollte meine Strategie überprüfen.
Tatsächlich lächelte sie mich breit an.
»Magst du Katzen wohl auch?«, fragte sie.
»Nein, eigentlich nicht. Aber wenn du über Katzen sprechen möchtest, höre ich gerne weiter zu.« Das war vielleicht etwas dick aufgetragen, aber ich wollte schließlich etwas testen.
Sie runzelte die Stirn. »Warum magst du keine Katzen?«
»Weil ich allergisch bin«, antwortete ich wahrheitsgemäß. Mal sehen, wie weit mich diese Ehrlichkeitsmasche bringen würde. Jedenfalls im Hinblick auf meinen Katzenhass war ich ehrlich, was mein Interesse an ihr anging, natürlich nicht.
»Oh!« Sie wirkte aufrichtig enttäuscht.
»Wäre es dir jetzt lieber gewesen, wenn ich das verschwiegen und dich weiter darüber reden gelassen hätte?«
Sie runzelte die Stirn. »Analysierst du mich oder was?«
»Nicht direkt. Aber ich probiere gerne etwas aus beim Daten oder Flirten. Und an dir teste ich gerade, wie es ankommt, wenn ich zwar ehrlich aber trotzdem bereit bin, über ein Thema mit dir zu sprechen, das mich nicht interessiert.«
»Ehrlich gesagt ist es abtörnend.«
»Warum genau?«
Sie runzelte die Stirn und schien abzuwägen, ob sie mir ernsthaft antworten sollte oder nicht. »Weil es zum Flirten gehört, die Stimmung positiv zu halten«, erwiderte sie schließlich.
»Auch wenn es unehrlich wäre?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Eigentlich habe ich auch gar keine Lust, meine Zeit mit einem Typen zu verschwenden, der meine Katze hasst.«
»Zusammenfassend kann man also feststellen, dass ich uns beiden viel Zeit erspart habe, indem ich ehrlich war, oder?«
»Das kann man so oder so sehen. Wenn du so getan hättest, als würde dich interessieren, was ich zu sagen habe, hätte ich vielleicht zumindest die Nacht mit dir verbracht. Aber so …« Sie zuckte wieder mit den Schultern, zog eine Augenbraue hoch, was sie augenblicklich attraktiver erscheinen ließ, stand auf und ließ mich allein an dem Tisch sitzen.
Ein kleines Gefühl des Bedauerns fuhr durch mich hindurch, als ich ihr hinterherblickte. Optisch war sie wirklich nicht zu verachten. Ich mochte Blondinen mit Kurven. Wenn nur dieses nervige Gekicher nicht gewesen wäre. Vielleicht wäre ich dann nicht zu ehrlich gewesen, eben weil ich gehofft hätte, zumindest eine heiße Nacht mit ihr verbringen zu können. Ihr Abgang war stark gewesen. Das musste ich anerkennen.
Ich ließ meinen Blick durch die Bar schweifen auf der Suche nach einer weiteren Testperson. Vielleicht sollte ich darüber nachdenken, mehr nach Optik auszusuchen. Waren weniger aufgestylte Frauen eventuell zugänglicher für Ehrlichkeit? Zumindest würde ich dann weniger bedauern, es mir durch mein großes Mundwerk verdorben zu haben.
Ich beobachtete noch ein Weilchen die anderen Menschen hier in der Bar. Das Publikum war gemischt. Die meisten Leute schätzte ich zwar auf etwa Mitte zwanzig, aber es gab auch Männer und vor allem Frauen, die älter waren. Allerdings waren Letztere in Grüppchen unterwegs und weniger zum Flirten aufgelegt. Sie feierten hier vermutlich einfach nach der Arbeit oder hatten Mädelsabend, was auch immer sie darunter verstanden.
Ob ich mich trotzdem mal an Frauen in meinem Alter wagen sollte? Es gab hier eine große Auswahl davon. Um die dreißig und Single – meistens unberechenbar. Warum das so war, darüber konnte ich nur spekulieren. Doch die Idee hatte was. Ich konnte eine ganze Serie über Frauen ab dreißig und ihre Eroberung schreiben. Der Gedanke ließ mich nicht los, sodass ich beschloss, es für heute gut sein zu lassen und stattdessen meine Ideen sofort niederzuschreiben.
***
Es war Freitagabend. Auf dem Nachhauseweg hatte ich meinem Freund Tom eine Nachricht geschrieben, die er genauso wenig beantwortete wie die, die ich ihm einige Stunden zuvor geschickt hatte. Vermutlich hockte er wieder vor seinem Computer, um ein neues Computerspiel zu testen. Typisch für ihn! Alle paar Wochen zog er sich für so eine Spielsession ein ganzes Wochenende lang zurück und stand nicht für einen Abend unter Männern zur Verfügung.
Als ich wieder zu Hause war, schaute ich als Erstes nach neuen Kommentaren zu meinem letzten Artikel. Gerade am Wochenende kamen viele neue dazu. Es war nach zweiundzwanzig Uhr, genug Zeit, um bereits das erste miese Date hinter sich zu haben.
Hallo Dateprofessor! Wann merke ich, dass sie kein Interesse hat?
Die Frage trug als Unterschrift MisterFantastik. Ein Kunststück, zu erraten, was bei ihm schieflief. Von seinen sprachlichen Fähigkeiten mal abgesehen. Wann. Als ob er von mir eine Uhrzeit hören wollte.
Die nächste Nachricht war schon interessanter.
Hey Professor, welchen ersten Satz würdest du mir für ein Blind Date empfehlen? LG Alisa37.
Ich freute mich immer besonders über Kommentare von Frauen. Bei meinen Dating-Tipps achtete ich sehr darauf, beide Seiten zu beleuchten. Außerdem nutzte es niemandem, wenn ich den Frauen nur vorwarf, dass sie einfach zu oft mit falschen Erwartungen zu einer Verabredung gingen. Ich wollte auch beraten, den Frauen die Gelegenheit geben, es besser zu machen, und Männern helfen, mit den Erwartungen umzugehen. Das andere Geschlecht niederzumachen und ihm die Schuld an allem zu geben, überließ ich anderen Blogs.
Wandadates. Dieser Blog kam mir dabei immer als Erstes in den Sinn. Diese Wanda schrieb auch Artikel für eine Frauenzeitschrift, wie sie immer wieder stolz erklärte. Als würde sie das für irgendetwas qualifizieren. Während ihre Blogartikel eindeutig männerfeindlich waren, hielt sie sich in ihren Zeitschriftenartikeln aber zurück, schrieb sogar recht humorvoll. Trotzdem war ihre Meinung eindeutig: Schuld an miesen Dates waren immer die Männer.
Ich wollte zumindest nach außen hin ein differenzierteres Bild abgeben. Deshalb probierte ich alles Mögliche aus. Orte, Zeiten und Gesprächsthemen wechselte ich ständig. Ich hatte Profile auf mehreren Datingplattformen, ging aber auch, so wie heute Abend, einfach in eine Bar und schaute, wie sich die Dinge entwickelten.
Zwanzig neue Kommentare standen unter meinem letzten Artikel, in dem es mal wieder um Dating-Fails ging. Diese Stadt hatte einen großen Bedarf an Dating-Tipps.
Danach schaute ich, ob Wanda heute schon etwas veröffentlicht hatte. Sie beschränkte ihre Dates nicht auf das Wochenende. Bestimmt hatte sie bereits etwas Interessantes über ihren gestrigen Abend zu berichten.
Wie zeige ich ihr, dass ich ein Langweiler bin in drei Minuten?
So lautete die provokative Überschrift. Wieder einmal hoffte ich, dass hinter den Geschichten keine echten Männer steckten, die sich darin wiedererkennen konnten. Das würde diesen kein bisschen weiterhelfen. Aber bei dem, was ich selbst da draußen erlebte, musste ich befürchten, dass ihr all das, was sie beschrieb, tatsächlich passierte.
Vielleicht sollte ich sie auch einmal daten und Dinge ausprobieren? Leider konnte ich das nur ein einziges Mal tun.
Diese Überlegung hatte sich bereits vor ein paar Wochen in meine Gedanken geschlichen, als ich ihre Artikel über Dates im Kino gelesen hatte. Sie machte sich einen Spaß daraus, Filmrezensionen mit Dates zu verbinden. Die Artikel waren eine Mischung aus Film- und Männerbewertung. Immerhin musste man ihr lassen, dass sie eine besondere Art von Humor zu besitzen schien – auch wenn sie ihn lieber auf andere Weise hätte einsetzen sollen.
Was mich bisher davon abgehalten hatte, aktiv nach ihr zu suchen, konnte ich selbst nicht sagen. Hatte ich vielleicht Angst vor ihrem Urteil? Umgekehrt musste sie keine Angst vor mir haben. Erstens machte ich niemanden nieder in meinen Artikeln, und zweitens würde ich ihr nicht sagen, wer ich war.
Dass sie von meiner Existenz wusste, war mir bekannt, denn natürlich hatte ich es mir einige Male nicht nehmen lassen, ihre Artikel zu kommentieren. Anfangs hatte sie ihrerseits meine Kommentare kommentiert, es aber bald sein lassen. Bestimmt war sie längst zu der Ansicht gekommen, dass wir beide niemals auf einen Nenner kommen würden. Wie auch, wenn aus ihrer Sicht immer die Männer schuld waren?
Allerdings häuften sich unter meinen Artikeln in letzter Zeit Kommentare einer gewissen Widow. Auch heute war dort einer.
Dating-Fails? Kenne ich. Du hast langweilige Gesprächsthemen vergessen.
Das musste sie sein. Der Kommentar passte zu ihrem neuesten Artikel.
Zu gern würde ich sie mir einmal genauer anschauen. Vielleicht stimmte etwas nicht mit ihr. Daraus konnte ich einen interessanten Artikel machen. Warum wir immer die Schuld beim anderen suchen, oder so ähnlich.
Ja, das gefiel mir. Sie schrieb auch hin und wieder etwas über Dating-Plattformen. Es war doch sehr wahrscheinlich, dass wir auf denselben unterwegs waren, auch wenn einer ihrer letzten Blogartikel kein gutes Haar an diesen ließ. Ob ich ihr schon einmal begegnet war? Das hatte ich mich schon öfter gefragt, es dann aber ausgeschlossen, nachdem ich in ihrem Archiv auf keinen einzigen Artikel gestoßen war, der mich zum Thema hätte haben können.
Ob sie sich sonst auch Wanda nannte? Das bezweifelte ich. Welcher Mann würde sich schon freiwillig mit einer Frau einlassen, bei der er damit rechnen musste, Gegenstand ihrer Blogartikel zu werden? Ob sie das überhaupt merkten? Dann würden sie andere Männer doch vor ihr warnen, oder? Sie war definitiv nicht als Wanda unterwegs und wechselte bestimmt oft ihr Profil.
Vielleicht hatte sie einen ähnlichen Namen gewählt. Wanda war sicher nicht ihr richtiger Name, aber vielleicht hatte er etwas zu bedeuten. So wie Widow. Ob sie ein Marvel-Fan war? Das würde sie mir sofort sympathischer machen.
Sie wohnte hier in Berlin. Also suchte ich auf Berlindates nach Scarlet, Scarlet Witch und Namen mit Widow darin. ScarletW fand ich schließlich. Ob sie das war? Ich schaute mir das Foto an. Eine hübsche Brünette lächelte mir entgegen. Ihre Augen waren strahlend blau. Kein Wunder, dass sie so viele Dates hatte. Wenn sie wirklich so aussah wie auf dem Foto …
Ich suchte im Blog nach Fotos von Wanda. Ja, es gab ein Foto in Schwarz-Weiß, auf dem sie die Haare hinten zusammen gebunden hatte. Außerdem war es in einem anderen Winkel fotografiert, aber ich war mir fast sicher, dass es sich um ein und dieselbe Frau handelte. Also wirklich ein Marvel-Fan.
Das könnte interessant werden. Zuvor würde ich aber ihren neuen Artikel kommentieren und ihr etwas von Langeweile zieht Langeweile an erzählen.