Prolog
Dylan
Devils Playground, Wyoming, Juli 2022
Mein Herz raste in meiner Brust und ließ das Blut in meinen Ohren rauschen. Jede Faser meines Körpers stand unter Spannung. Ich wusste, in welche Gefahr ich mich gerade begab, während ich in der Dunkelheit über das abgelegene Gelände schlich, auf dem heute Nacht ein Haufen Pick-ups und Transporter standen. Mit ihnen waren die Kämpfer hergebracht worden, die später in den Cage mussten und von denen ein Großteil diesen nicht lebend verlassen würde. Eine ganz normale Nacht für die Anhänger der Hundekämpfe.
Ich konnte nicht länger dabei zusehen, wie diese Dreckskerle Hunde abrichteten, um sie aufeinanderzuhetzen und irgendwann wie Müll zu entsorgen. Die wenigen Vierbeiner, die bei Ryder und mir im Dog Camp landeten, das wir an seine Tierarztpraxis angeschlossen hatten, bekamen zumindest eine Chance auf Heilung. Aber sie waren nur die Spitze des Eisbergs, das wusste ich. Die meisten verschwanden spurlos – oder man fand nur noch ein paar Überreste.
Stimmen erklangen und ich drückte mich tiefer in die Schatten, beobachtete, wie zwei grobschlächtige Kerle eine Gruppe junger Leute über den Platz zwischen Hauptgebäude und Veranstaltungshalle führte. Zwei Frauen, drei Männer. Ich runzelte die Stirn, konnte mir für den Moment keinen Reim darauf machen. Kurz brachte mich diese Beobachtung ins Wanken, ob ich meinen Plan durchziehen sollte. Aber alle hier waren Teil dieses grausamen Wahnsinns. Irgendjemand musste das aufhalten!
Mike, Ryders bester Freund, kam mit seinen Kollegen von der Polizei nicht weiter, weil diese Typen sich ständig woanders trafen und die Beweislage einfach zu dünn blieb. Selbst wenn die Cops jemanden erwischten, drohte dem bestenfalls ein Bußgeld und ein Haltungsverbot für Hunde, an das sich die meisten ohnehin nicht hielten. Sie würden immer weitermachen.
Nicholas Bishop war der Schlimmste von ihnen. Er züchtete völlig legal Pitbulls und Staffs und schaffte es, stets eine weiße Weste zu behalten, obwohl jeder hier in der Gegend wusste, dass er der Kopf dieser Kampfhundemafia war. In seiner Dreistigkeit hatte er meinem Mann sogar angeboten, ihn als Tierarzt für seine Zucht anzustellen – was Ryder abgelehnt hatte. Im Nachhinein ärgerte ich mich darüber, denn mit Geduld hätten wir so vielleicht irgendwann tiefere Einblicke in Bishops Geschäfte bekommen und Mike Beweise liefern können. Aber Ryder wollte keinen Ärger.
Wenn er wüsste, wo ich mich in den letzten Monaten nachts herumgetrieben hatte, würde er mir zweifellos Vorhaltungen machen, dass ich mein Leben riskierte. Mit diesen Leuten war nicht zu spaßen. Aber mir war es das wert gewesen und meine Hartnäckigkeit zahlte sich nun aus. Seit einigen Wochen veränderte sich die Szene, und inzwischen wusste ich, warum.
Statt ständig wechselnder Treffpunkte, war hier oben im Devils Playground etwas entstanden, das man als Basis bezeichnen könnte. Gut versteckt und nur einem ausgewählten Kreis von Leuten bekannt.
Ryder würde mich dafür verurteilen, wenn er erfuhr, was ich getan hatte, um mir das Vertrauen einiger Mitglieder dieser Kreise zu erschleichen, und er würde es erfahren. Spätestens bei der nächsten Inventur, wenn ihm auffiel, dass einige der verschreibungspflichtigen Medikamente fehlten. Sie waren meine Eintrittskarte gewesen. Nicht genug, um offiziell eingeladen zu werden, aber ich hatte meine Ohren offengehalten und so immer mehr Puzzleteile aufgeschnappt, die mich schließlich hierhergeführt hatten.
Die Kerle waren mit ihren Begleitern inzwischen in der Lagerscheune verschwunden. Niemand sonst war zu sehen. Ich schob den Rucksack auf meinem Rücken zurecht, griff nach dem Benzinkanister und versicherte mich noch einmal, dass die Luft rein war. Geduckt huschte ich über die freie Fläche bis zum nächsten Gebäude. Dort angekommen, drückte ich mich an die Wand. Schweiß rann an meiner Wirbelsäule hinab, meine Nerven lagen blank.
»Ich muss das tun«, flüsterte ich mir selbst Mut zu. Die Konsequenzen waren mir egal. Um die vierbeinigen Opfer der heutigen Nacht tat es mir leid, aber deren Leben war ohnehin verwirkt, weil sie früher oder später einen Kampf verlieren würden und dann wertlos waren. Wichtiger waren die, denen dieses Schicksal erspart blieb, wenn diese Tierquälerei ein Ende fand. Und das würde sie nur auf diese Weise.
Selbst die Nacht schien auf meiner Seite zu stehen, denn dunkle Wolken verdeckten die Mondsichel und einen Großteil der Sterne. Es sah nicht nach Regen aus, das wäre auch schlecht für meinen Plan, aber die Hitze des Tages steckte noch in der kargen Erde hier draußen und machte mit ihrer drückenden Last das Atmen schwer.
Gut getarnt in meinen schwarzen Klamotten und mit der Sturmhaube schlich ich durch die Dunkelheit weiter vorwärts. Das Knurren und Kläffen der Hunde verriet mich nicht, weil es hier normal war und die johlende Menge rund um die Arena im eigenen Lärm nichts davon mitbekam. Die Geräusche aus dem Cage peitschten die Tiere auf, die noch in den Boxen im Inneren der Transporter oder in ihren engen Zwingern Kreise liefen, gegen die Gitterstäbe sprangen und vor Stress hechelten, weil die antrainierte Unruhe in ihrem Inneren kein Ventil fand.
Mich schauderte. Es brauchte verdammt viel Grausamkeit, um ein Lebewesen so weit zu treiben, dass es nur noch auf Zerstörung fixiert war und der Druck, diesem Drang nicht nachgeben zu können, es innerlich schier zerriss. Aber Grausamkeit gab es hier genug.
Alles stank nach Verwesung, Blut und Tod und den Ausscheidungen der Tiere, die in ihren Zwingern dahinvegetierten. Ich war mir sicher, dass es irgendwo in dieser Anlage einen Zuchttrakt gab, wo immer weiterer Nachschub produziert wurde. Vor allem für die Trainingseinheiten. Tiere, die nur zur Welt kamen, um mit wenigen Wochen oder Monaten zerfetzt zu werden. Mir stieg Galle in die Kehle.
Wäre Ryder hier, würde er zweifellos darauf bestehen, jetzt Mike anzurufen und ihm unseren Standort durchzugeben. Ich schnaubte. Hätten Mike und seine Kollegen ihren Job besser gemacht, wären sie selbst auf diesen Standort gekommen. Es sollte mich nicht wundern, wenn einige aus dem Department mit der Szene unter einer Decke steckten und sie rechtzeitig warnten, wenn eine Razzia anstand. Vielleicht war es ihnen deshalb so lange gelungen, sich vor der Gerechtigkeit zu verbergen. Damit war jetzt Schluss! Diesmal würde keiner davonkommen. Schon gar nicht mit einer reinen Geldstrafe.
Ich huschte an der nächsten Wand entlang, die Kampfgeräusche wurden lauter, weil ich mich der Arena mit dem Cage näherte. Genau dort wollte ich hin. Alle, die mit diesen Gräueln zu tun hatten, würden dort sein, ihre Wetten abschließen, sich an dem Kampf aufgeilen und dabei vollkommen sicher fühlen.
Meine Hände zitterten, als ich den Kanister aufschraubte und die Molotowcocktails aus meinem Rucksack holte, die ich heimlich, vor Ryder verborgen, in der baufälligen Scheune am Rande unserer Hundefarm präpariert hatte. Sie funktionierten gut, ich hatte mit zweien einen kleinen Testlauf draußen bei Turtle Rock vorgenommen. Zusammen mit dem Benzin, das ich vor dem verschlossenen Tor und an den Wänden des aus Holz gebauten Schobers verteilen wollte, würden sie diesen in eine Flammenhölle verwandeln, aus der es kein Entrinnen gab. Da die Fenster sehr weit oben angebracht waren, vermutlich, damit niemand von außen sehen konnte, was drinnen geschah, gab es praktisch keine Fluchtmöglichkeit.
So lautlos wie möglich verbarrikadierte ich den Eingang, dann begann ich, das Benzin auf dem Holz und dem Boden davor zu verteilen. Ich war ganz und gar auf mein Tun konzentriert. Wenn etwas schiefging, würde ich keine zweite Chance bekommen, das war mir klar.
Ich trat zurück, nahm die erste Flasche mit dem Benzin-Spiritus-Gemisch in die Hand. Zusätzlich hatte ich noch ein paar Rohrbomben aus Metall, gefüllt mit Schwarzpulver und kurzen Zündschnüren dabei, doch die würden erst später zum Einsatz kommen. Schließlich wollte ich diesen Bastarden nicht auch noch einen Fluchtweg freisprengen. Erst sollten sie brennen.
Es war nicht sehr elegant, zweifellos auch grausam, aber zielführend. Dieses Pack hatte es nicht besser verdient. Sie würden nie wieder ein anderes Lebewesen quälen.
Ich holte gerade das Feuerzeug aus meiner Hosentasche, um die Lunte des Mollys anzuzünden – da packte mich jemand von hinten. Wie ein Schraubstock legten sich die Arme um mich, drückten mir die Luft aus den Lungen. Panik lähmte mich. Wo kam der Kerl her? Ich hatte niemanden entdeckt. Aber fuck, es hätte mir klar sein müssen, dass sie zusätzliche Wachen in der Nähe der Arena postiert hatten.
Ich war am Arsch.
»Verdammt, wer bist du und was -«
Der Mann brach ab, riss die Augen auf und erkannte mit einem Blick, was ich vorhatte. Etwas unsagbar Grausamens trat in seine Miene, als er eine Verwünschung zischte und mich grob in Richtung des Gebäudes zerrte, in dem sich die Arena befand. In meiner Hand fühlte ich noch immer die Glasflasche, die in dieser Sekunde völlig wertlos war, weil er mich so fest gepackt hielt, dass ich nicht mal damit zuschlagen konnte. Meine Gedanken rasten. Wie sollte ich hier rauskommen und flüchten? Die Vorstellung, was die da drin sonst mit mir anstellten, drehte mir den Magen um. Auf keinen Fall würden sie mich am Leben lassen, weil ich sie auffliegen lassen konnte. Eine Kugel im Kopf dürfte das Gnädigste sein, worauf ich hoffen durfte. Schlimmstenfalls überließen sie mich den Hunden und schlossen Wetten darauf ab, welcher von ihnen mich kaltmachte.
Mit dem Mut der Verzweiflung setzte ich alles auf eine Karte. Ich beugte mich nach vorn, um auszuholen, und schlug dem Kerl, der mich festhielt, meinen Hinterkopf so fest gegen die Nase, dass ich hörte, wie der Knochen brach. Er jaulte auf wie ein getretener Hund und lockerte seinen Griff. Ich zögerte nicht, entwand mich ihm und trat seitlich gegen sein Knie, um ihn so weit auszuschalten, dass er mir nicht folgen konnte. Dann entzündete ich den Molly und rannte los, warf ihn blind von mir und traf zu meiner Erleichterung wie geplant die Tür. Für die anderen Brandsätze blieb keine Zeit.
Hinkend setzte der Kerl mir nach und rief nach seinen Kumpanen. Ich sah immer mehr Schatten aus allen Richtungen kommen. Zur Hölle, wo waren die vorher gewesen und warum hatte ich keinen davon bemerkt?
Ein paar von ihnen machten sich an dem Balken der Scheune zu schaffen, obwohl die Flammen dort bereits ziemlich hoch loderten und sich rasch seitlich am Gebäude entlangfraßen. Ich musste einfach hoffen, dass es reichte, und alles daransetzen, dass sie mich nicht erwischten, denn die, die sich nicht um das Feuer kümmerten, setzten mir nach.
Ich rannte um mein Leben. Selbst, wenn ich ihnen entkam, würde ich für eine Weile untertauchen müssen für den Fall, dass mich jemand erkannt hatte. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich unweigerlich auch Ryder damit in Gefahr gebracht hatte, falls sie die Verbindung zwischen uns herstellen sollten. Ein Grund mehr, dass sie mich nicht erwischen durften. Ich sollte ihn warnen. Doch erst mal musste ich mich auf meine Flucht konzentrieren.
Sonst war ich verloren.
Kapitel 1
Ryder
Cheyenne, Januar 2023, sechs Monate später
»Es tut mir so leid, Ry.«
Mike zog mich in seine Arme und hielt mich fest, während ich mich … leer fühlte. Wie im freien Fall – und der Boden war noch unendlich weit entfernt.
In den letzten Wochen war ich fast an meinen Ängsten und Schuldgefühlen erstickt, weil es keine Spur von Dylan zu geben schien. Wir hatten uns gestritten an dem Abend, an dem er verschwunden war. Wie so oft in den Wochen davor, nur viel schlimmer. Ich wusste, er hatte sich von mir im Stich gelassen gefühlt, weil ich mich auf unsere Arbeit mit den Hunden konzentrieren wollte und Mikes Meinung teilte, dass es zu gefährlich war, sich mit der Kampfhundemafia anzulegen. Als er aus dem Haus gestürmt war, hatte ich gedacht, er wollte lediglich Frust abbauen. Sich vielleicht in irgendeiner Bar betrinken oder ein paar Stunden durch die Gegend fahren, bis seine Wut verraucht war, und dann zurückkommen.
Aber er war nicht zurückgekommen.
Niemand aus unserem Freundes- und Bekanntenkreis hatte ihn seitdem gesehen.
Bei Mikes Anruf heute früh hatte ich für einen Moment geglaubt, nicht mehr atmen zu können. Wie durch Watte waren seine Worte in meinen Verstand gedrungen: ein Autowrack in einer Schlucht. Der Beschreibung nach Dylans Wagen. Die Gewissheit, dass mein Mann tot war, hatte mir die Brust zusammengeschnürt und mich gelähmt.
Dann war der Druck der Erleichterung gewichen, endlich zu wissen, was passiert war. Natürlich war ich nicht glücklich, fuck nein. Ich hatte bis zuletzt gehofft, ihn wiederzusehen, noch einmal mit ihm reden zu können, egal, wie es danach mit uns weitergegangen wäre. Alles war besser, als diese Ungewissheit. Also war ich zum Cheyenne Police Department gefahren, wo Mike bereits auf mich wartete. Doch was seine Kollegen in der Schlucht gefunden hatten, war so nichtssagend, dass ich noch immer gar nichts wusste.
Nur der Wagen. Dylans alter Ford Mustang lag zerschmettert zwischen den Felsen. Keine Hinweise auf ihn. Keine Leiche, nicht einmal Blut oder andere Überreste. Was bedeutete das? Wann hörte dieser Alptraum endlich auf? Ich wollte nach all diesen Wochen seelischer Qual einfach nur die Chance, wieder nach vorn zu schauen. Mein Leben wieder in den Griff zu bekommen und weiterzumachen, ohne mich dabei wie ein Zombie zu fühlen – oder ein Verräter.
Schuldgefühle füllten das Vakuum. Weil ich mir erlaubt hatte, dankbar zu sein, dass die quälenden Fragen einer Gewissheit wichen. Nach sechs Monaten ohne ein einziges Lebenszeichen war die naheliegendste Erklärung, dass er nicht mehr lebte. Ein Teil von mir wusste das, ein anderer hoffte dennoch darauf, dass wir noch eine Chance bekamen, und sei es nur die, uns auszusprechen, wenn er mich verlassen wollte.
Dass es in unserer Ehe schon länger kriselte, war mir bewusst. Dylan verstand nicht, warum ich mich aus den Ermittlungen gegen die Kampfhundemafia raushielt und mich lieber auf die Hunde konzentrierte, die wir retten konnten. Ich hingegen haderte mit dem Fanatismus, den er zusehends entwickelte, weil er denen das Handwerk legen wollte. Wir lebten uns langsam und stetig auseinander. Dennoch fühlte es sich falsch an, mich jetzt auf eine neue Zukunft ohne ihn einzustellen, solange nur die geringste Möglichkeit bestand, dass er zurückkam. Dass er noch am Leben war. Dabei ließen sechs Monate Funkstille praktisch nur zwei Möglichkeiten. Entweder er war tot – oder er scherte sich einen Dreck um mich. In beiden Fällen sollte mein Fazit dasselbe sein. Wir hatten keine gemeinsame Zukunft mehr – aber ich hatte eine, wenn ich endlich nach vorn blickte.
Wenn es nur so einfach wäre.
Ich krallte meine Finger in Mikes Hemd und die festen Muskeln darunter, öffnete den Mund zu einem lautlosen Schrei und schämte mich nicht dafür, dass meine Tränen den Stoff durchtränkten. Vor Mike schämte ich mich für gar nichts. Ohne ihn wäre ich durchgedreht. Ich war mir sehr wohl bewusst, dass er mir mehr verraten hatte, als er aus ermittlungstechnischen Gründen durfte. Nicht, dass ich jemals akut tatverdächtig gewesen wäre, aber auf jeden Fall sowas wie ein Zeuge.
»Kommst du klar?«, raunte er leise. »Oder soll ich dich nach Hause bringen?«
Ich holte bei dieser Frage tief Luft. Wenn er mich jetzt nach Hause fuhr, bedeutete das im Umkehrschluss, dass ich ihn morgen wieder nach Cheyenne bringen musste. Oder ihm mein Auto für einen Tag leihen. Es erschien mir dennoch die bessere Lösung, denn fahrtüchtig war ich gerade nicht. Dafür herrschte zu viel Chaos in meinem Kopf.
»Wenn du hier weg kannst, wäre ich dir dankbar …«
Er nickte, ohne dass ich den Satz beenden musste. So war Mike. Ich war froh, ihn als Freund zu haben.
»Ich sag nur kurz Bescheid. Hab eh genug Überstunden.«
Dass es dennoch nicht so einfach war, als Cop früher Feierabend zu machen, war mir bewusst, aber ich stellte das nicht infrage.
Eine Viertelstunde später fuhren wir los. Draußen dämmerte es bereits und ich war müde, aber gleichzeitig so aufgewühlt, dass ich keine Ruhe fand. Mike versuchte nicht, mich abzulenken oder mich mit Ratschlägen und den üblichen Floskeln zu trösten. Er schwieg – genau wie ich, als spürte er, dass ich die Stille gerade brauchte. Erst, als wir die Stadt hinter uns ließen und über menschenleere Straßen raus nach Hillsdale fuhren, fasste ich den Mut, die Fragen zu stellen, die mir durch den Kopf spukten.
»Wie geht es jetzt weiter? So ohne Hinweise auf Dylan.«
Mike sah mich von der Seite an, konzentrierte sich dann wieder auf die Fahrbahn.
»Das Auto ist ein Hinweis.«
Ich räusperte mich. »Ja, schon, aber ich meine … du weißt schon …«
Er atmete tief ein. »Die Spurensicherung wird sich den Wagen genauer ansehen. Das kann ein paar Tage dauern.« Ich sah, wie er zweifelnd den Kopf schüttelte. »Ry, ich will ehrlich sein. Die Chancen, etwas Verwertbares zu finden, sind gering. Das Wrack lag jetzt monatelang da draußen, war Wind und Wetter ausgesetzt. Unwahrscheinlich, dass wir noch brauchbare Fingerabdrücke finden. Das Einzige, was die Kollegen sicher sagen konnten, war, dass sich niemand darin befunden hat, als es über den Felsrand in den Abgrund gerollt ist. Da war nirgendwo Blut, keine Knochen oder Gewebereste.«
Was letztlich bedeutete, dass jemand den Wagen dort entsorgt hatte. Dylan hing an diesem Fahrzeug, er würde das niemals tun. Also musste es jemand anders gewesen sein. Um Spuren zu verwischen? Weil er etwas mit Dylans Verschwinden zu tun hatte – und es keine Rolle mehr spielte, ob Dylan damit einverstanden war oder nicht? Ich schluckte.
Mike legte seine Hand beruhigend auf mein Knie und drückte zu. Instinktiv schob ich meine darüber auf der Suche nach Halt, was albern war, schließlich saßen wir im Auto.
»In ein paar Tagen wissen wir mehr.«
»Und wenn nicht?«, presste ich hervor.
Er seufzte nahezu lautlos. »Ry …«
Ich kannte die Antwort. Wenn es keine Spuren mehr gab, die man verfolgen konnte, wurden die Fälle auf Eis gelegt. Es war dann noch kein Cold Case, aber es gab einfach zu viele Verbrechen, um sich auf die zu konzentrieren, in denen man nicht weiterkam. Womöglich musste ich irgendwann damit leben, nichts zu wissen, und trotzdem weitermachen.
Wir waren auf der alten Ranch angekommen, die Dylan und ich zwei Jahre zuvor gekauft und zu einer Tierarztpraxis mit angeschlossenem Rehabilitationszentrum für ausrangierte oder beschlagnahmte Kampfhunde umgebaut hatten. Ein gemeinsames Lebensziel, für das wir beide unsere gutbezahlten Jobs in L.A. aufgegeben hatten. Ich in einer auch von Prominenten gut frequentierten Tierklinik, er in einer angesehenen Werbeagentur.
Gerade fragte ich mich, ob wir nicht besser dort geblieben wären.
Der Motor verstummte, Mike sah mich an, doch ich war nicht fähig, mich zu rühren und auszusteigen. Wie eingefroren saß ich da und starrte hinaus in die Dunkelheit. Als Dylan losgefahren war, war es genauso dunkel gewesen.
»Lass uns reingehen.«
Ich hob den Blick, hatte gar nicht bemerkt, dass Mike ausgestiegen und um den Wagen herumgekommen war, wo er jetzt die Beifahrertür für mich aufhielt. Er streckte mir seine Hand entgegen und nachdem ich mit zittrigen Fingern den Gurt gelöst hatte, ergriff ich sie und stieg aus. Auf dem Weg zur Veranda hatte er den Arm um mich gelegt. Dennoch fror ich, und das lag nicht an den winterlichen Temperaturen, sondern an dem Aufruhr in meinem Inneren. Ich hatte das Gefühl, der Zusammenbruch trieb ganz nah unter der Oberfläche und ich wusste nicht, wie lange ich mich ihm noch widersetzen konnte.
»Soll ich etwas kochen? Du hast sicher den ganzen Tag noch nichts gegessen.«
Essen – Futter – die Hunde.
Mit einem gequälten Laut drehte ich mich um, aber Mike hielt mich auf, ehe ich zu den Zwingern gehen konnte.
»Du gehst jetzt rein und ich mach dir wenigstens einen Kaffee oder einen Tee. Dann kümmere ich mich um die Hunde. Ich bekomm das hin.«
Ich nickte stumm. Es würde keine ausgeklügelte Fütterung nach Plan sein, aber für einen Tag reichte es.
Nachdem er mich mit einer Tasse Kaffee und einem Sandwich versorgt hatte, verschwand Mike nach draußen. Ich hörte die Hunde unruhig bellen, während ich mich an der warmen Keramik festhielt.
Genauso saß ich noch da, als Mike etwa eine halbe Stunde später wieder hereinkam, nur, dass der Kaffee mittlerweile kalt war und ich zitterte. Allerdings nicht wegen des kalten Kaffees und auch nicht wegen der Winterluft, die Mike mit hereinbrachte. Der Zusammenbruch war noch ein Stückchen höher geklettert in den letzten Minuten, kratzte bereits an der dünnen Schicht meines Nervenkostüms.
»Hey.« Mikes Stimme klang sanft und voller Sorge. Ich hob den Blick zu ihm, meine Unterlippe zuckte und meine Sicht verschwamm. Die Tasse entglitt meinen Händen, landete dumpf auf dem Tisch, wo sie eine große, schwarze Pfütze hinterließ. Ich hingegen sprang auf, warf mich in Mikes Arme und ließ den Tränen freien Lauf. Zitterte und krampfte unter dem Druck der Emotionen in meinem Inneren.
Mike murmelte leise Worte, deren Sinn ich nicht greifen konnte, weil es in meinen Ohren rauschte. Aber er war da. Sein warmer, starker Körper, der mir Halt und Trost gab. Die tiefe, dunkle Stimme, die Ruhe in meine gepeinigte Seele schickte. Ich hatte keine Ahnung, wie lange wir so dastanden, bis ich mich endlich beruhigte. Mike hielt mich weiter im Arm, eine Hand auf meinem unteren Rücken, die andere strich in gleichmäßigen Zügen meine Wirbelsäule hinauf und hinab. Meine Wahrnehmung verschob sich und der nächste Schauer, der mich erfasste, war ein wohliger, weil ich mich bei ihm geborgen fühlte. Ich seufzte tief. Nur einen kurzen Moment stillhalten und genießen. Mikes unverkennbarer Duft nach Sandelholz und Ambra flutete meine Nase. Ein sanftes Kribbeln breitete sich von seinen Händen weiter in meinen Körper aus.
Es war keine bewusste Entscheidung, mehr ein Instinkt, dem ich folgte, als ich mein Gesicht aus seiner Halsbeuge löste, die feucht von meinen Tränen war, und meine Lippen über seine Kieferlinie und sein Kinn bis zu seinen Lippen wandern ließ.
Mike versteifte sich und es traf mich wie ein Schlag. Was zur Hölle tat ich hier?
Doch dann erwiderte er den Kuss und jeder Zweifel in meinem Kopf war wie weggefegt. Dieser Kuss war wie Balsam auf den Wunden in meinem Herz und gleichzeitig so leidenschaftlich, dass er einen zutiefst animalischen Trieb in mir befeuerte. All mein Fühlen fokussierte sich auf Mikes weiche Lippen und seine drängende Zunge, die sich in meinen Mund schob und dort zärtlich und gierig zugleich an meiner entlangglitt, mich gänzlich zu erobern schien. Ich keuchte, drängte mich an ihn, spürte, dass auch ihn dieser Kuss nicht kalt ließ. Meine Hände glitten über seine Brust nach unten, unter den Saum seines Sweatshirts und über seinen nackten, muskulösen Bauch. Ich hörte ihn stöhnen – oder war ich das?
»Fick mich, Mike«, flüsterte ich heiser an seinem Mund. »Fick mich so hart, dass ich an nichts anderes mehr denken kann. Wenigstens für eine Weile.«
Er packte mich, umfasste meinen Arsch mit beiden Händen und drängte so unser beider beginnende Erektionen aneinander. Doch dann lockerte sich sein Griff, schob er eine Hand auf meine Brust und drückte mich sanft, aber bestimmt ein Stück von sich weg.
Ich starrte ihn aus großen Augen an. In seinen lag ein Sturm im dunklen Blau, der mich verwirrte. Mike schüttelte langsam den Kopf, um die Lippen ein schmerzvoller Zug.
»Das wäre keine gute Idee, Ry. Du bist durcheinander, aufgewühlt – und ich verstehe das. Aber wenn wir jetzt miteinander schlafen, wirst du es spätestens morgen früh bereuen. Und ich auch.«
Ich schluckte. In meiner Brust zog es unangenehm, weil ich mich gerade so sehr nach ihm sehnte. Nur langsam gewann mein Verstand wieder die Oberhand. Er hatte recht. Ich sehnte mich vor allem danach, für einen Moment vergessen zu können. Nicht mehr zu fühlen, was in mir tobte, weil die Lust all meine Sinne vereinnahmte. Doch das war keine Lösung.
Mike trat zurück, brachte einen weiteren Schritt Abstand zwischen uns, auch wenn seine Hände weiterhin auf meiner Brust und an meiner Hüfte ruhten.
»Vielleicht wäre es besser, wenn ich wieder fahre. Den Wagen kann ich dir morgen -«
»Nein!« Panik schwang in meiner Stimme mit, presste mein Herz zusammen. »Lass mich nicht allein, Mike. Bitte! Du hast recht, ich hätte das gerade nicht sagen sollen. Entschuldige. Aber bitte bleib einfach bei mir und halt mich fest. Ich dreh sonst durch heute Nacht.«
Er zögerte sichtlich, dann nickte er langsam und ich sank erleichtert gegen ihn.
Noch einmal strich er mir über den Rücken und ich spürte eine federleichte Berührung auf meinem Scheitel, war mir aber nicht sicher, ob es ein Kuss war.
»Dann gehst du ins Bad? Ich mach hier schnell sauber.«
Er deutete auf den Kaffeefleck auf dem Tisch.
»Das kann ich auch morgen –«
»Nein, ich mach das jetzt. Bis morgen ist das so tief ins Holz gezogen, dass du es nicht mehr wegbekommst.«
Ich fügte mich, weil sein Ton keine Widerrede zuließ. Zum Duschen fehlte mir die Energie, für heute musste eine Katzenwäsche genügen. Danach noch Zähneputzen und ein kurzer Gang zur Toilette. Unschlüssig stand ich anschließend mit dem Shirt in der Hand in meinem Schlafzimmer, nicht sicher, ob ich heute Nacht besser in meinen Klamotten schlafen sollte, damit Mike keinen falschen Eindruck gewann. Aber es war albern, ich schlief immer nur in Boxershorts und wir waren schließlich erwachsen, kannten uns seit Ewigkeiten. Entschlossen streifte ich mir die Jeans von den Beinen und warf sie zusammen mit dem Hoodie und den Socken auf den Stuhl in der Ecke. Ich war kaum unter die Decke gekrabbelt, als Mike im Türrahmen erschien, ein Lächeln auf den Lippen, das ebenso unsicher war, wie ich mich fühlte.
Fahrig strich er mit gespreizten Fingern durch seinen blonden Undercut. Sein Blick glitt über meinen nackten Oberkörper und mir war schlagartig heiß, obwohl in seiner Miene keinerlei Anzüglichkeit oder gar Lüsternheit lag. Im Gegenteil. Ein wehmütiger Zug legte sich um seine Lippen, als er das Medaillon betrachtete, das ich nicht abgenommen hatte. Dylans und mein Ersatz für einen Ehering. Instinktiv griff ich nach dem silbernen Blatt und schluckte gegen die Schuldgefühle an, dass ich vorhin fast vergessen hatte, zu wem ich gehörte.
Schweigend ging Mike auf die andere Seite des Bettes – Dylans Seite. Er zog sich ebenfalls bis auf die Unterhose aus und legte sich neben mich mit gerade so viel Abstand, dass wir uns nicht berührten. Dennoch fühlte ich seine Wärme. Ich schluckte, löschte das Licht und murmelte ein ›gute Nacht‹, ehe ich ihm den Rücken zudrehte und angespannt unter der Decke verharrte.
Eine Weile blieb es still, dann hörte ich ihn leise seufzen. Im nächsten Moment senkte sich die Matratze unter mir, als er näher an mich heranrückte, mich in seine Arme zog und die Wange an meinen Hinterkopf schmiegte. Ich hielt den Atem an. All meine Sinne fokussierten sich auf seine Nähe, seine warme weiche Haut, seinen Atem, der über meinen Nacken und meine Schulter strich. Mit aller Macht kämpfte ich gegen die Gefühle an, die sich – stärker noch als vorhin in der Küche – in mir ausbreiteten und meinen Schwanz zucken ließen. Das war sowas von daneben, und Mike hatte seinen Standpunkt dazu klar gemacht. Aber solange er es nicht bemerkte …
»Schlaf, Ry«, murmelte er. »Versuch, zur Ruhe zu kommen. Morgen kannst du wieder klarer denken. Ist im Moment einfach zu viel, was da auf dich einströmt. Ich werde nicht gehen, versprochen. Ich bin da, wenn du mich brauchst.«
Nach und nach entspannte ich mich, verstand, dass er mich nicht dafür verurteilte, dass meine Emotionen gerade völlig überdrehten. Er war an meiner Seite und ich konnte mich bei ihm sicher fühlen. Es war egal, dass sich dieses Versprechen vorrangig auf heute Nacht bezog. Ich war einfach nur dankbar, dass ich nicht alleine schlafen musste und die Stille mich nicht erdrücken würde.
Kapitel 2
Mike
Ryder lag nicht mehr neben mir, als ich aufwachte.
»Shit!« Ich fuhr mir mit einer Hand übers Gesicht und ließ den vergangenen Abend gedanklich Revue passieren. Das Ziehen in meiner Brust war noch da, vielleicht sogar ein wenig stärker als zuvor, und es war nicht die einzige Region meines Körpers, die auf diese gemeinsame Nacht reagierte.
Wie gern ich mich darauf eingelassen hätte, mit Ryder zu schlafen. Schon der Kuss hatte mir die Sinne vernebelt. Für einen kurzen Moment hatte ich das Gefühl gehabt, ein Traum würde sich erfüllen. Ich liebte Ryder beinah genauso lange, wie ich ihn kannte, hatte mir hundertmal in Gedanken ausgemalt, wie es wäre, mit ihm zusammen zu sein. Und dieser Kuss hatte jede Fantasie davon weit übertroffen. Aber es wäre falsch gewesen, sich darauf einzulassen und weiterzugehen.
Um meines eigenen Seelenfriedens willen, hätte ich anschließend nach Hause fahren sollen, aber der abgrundtiefe Schmerz und die Panik in Ryders Augen, als er mich angefleht hatte, ihn nicht allein zu lassen, ließen das nicht zu.
Er wusste nicht, was ich für ihn empfand. Vielleicht ahnte er es, doch das spielte keine Rolle. Zum jetzigen Zeitpunkt war er nach wie vor ein verheirateter Mann und das hatte ich all die Jahre respektiert.
»Fuck! Warum musste der Chief ausgerechnet mich als leitenden Ermittler für diesen Fall einteilen?«
Nicht, dass für Ryder als Freund da zu sein und ihm dennoch nicht näherkommen zu dürfen nicht allein schon schwierig gewesen wäre. Aber meine Gefühle auch noch mit der nüchternen Sachlichkeit in Einklang zu bringen, die ich als Polizist wahren musste, um alle Spuren objektiv zu betrachten, war eine Herausforderung, der ich mich gerade kaum gewachsen fühlte. Mein Ziel musste es sein, Dylan zu finden. Wenn möglich, lebend. Dabei war er das, was zwischen Ryder und mir stand.
Ich würde nicht so weit gehen, zu behaupten, dass ich ganz sicher Chancen bei Ry hätte, wenn er und Dylan nicht schon zusammen gewesen wären, als wir uns kennenlernten. Aber wäre er ungebunden und Single, hätte ich zumindest längst einen Versuch gestartet. Seit gestern Abend würde ich sogar sagen, da waren gewisse Vibes zwischen uns.
Aber das änderte nichts. Gar nichts.
Entschlossen schlug ich die Decke zurück und stand auf. Ich schlüpfte in die Klamotten von gestern und nach einem kurzen Umweg übers Bad ging ich in die Küche, schenkte mir einen Kaffee aus der Glaskanne von Ryders altmodischer Kaffeemaschine ein und trat mit dem Becher in der Hand nach draußen. Ich konnte Ryder nirgendwo sehen, aber ich hörte die Hunde winseln und bellen, also war er vermutlich dort. Nachdem ich auch für Ry Koffeinnachschub besorgt hatte, machte ich mich auf die Suche.
Als ich den Zwingerbereich betrat, schloss Ry gerade einen der Käfige und hängte die Leine an den Haken neben der Tür. Wie es schien, war er mit dem Tier draußen auf dem Platz gewesen.
»Guten Morgen.« Mein Atem bildete weiße Dampfwölkchen in der kalten Luft. Ich wollte nicht, dass es so aussah, als würde ich mich anschleichen, deshalb machte ich mich bemerkbar. Ryders Kopf ruckte zu mir herum, für einen Moment wirkte er erschrocken, aber dann lächelte er schief.
»Guten Morgen.« Er deutete auf die zweite Tasse. »Ist der für mich?«
Ich nickte und reichte sie ihm. »Wie lief es mit dem Burschen?«
Er schnaubte belustigt. »Der Bursche ist eine Hündin.«
»Oh. Sorry. Dallas ist nicht wirklich eindeutig.«
Da gab er mir recht.
»Dabei sollte sie dir noch bekannt sein. Sie stammt aus der Inbeschlagnahme letztes Jahr. Damals hieß sie allerdings noch Kali. Wie diese Todesgöttin.«
Ah, jetzt erinnerte ich mich. Ihren neuen Namen verdankte sie dann wohl Dylan. Er hatte die meisten Hunde umgetauft, weil man in der Szene allzu gern die Zerstörungskraft der Kämpfer durch furchteinflößende Namen verdeutlichen wollte und Dylan der Meinung war, dass die Tiere spürten, was das in den Köpfen der Menschen auslöste und es sich daher auf ihren Charakter auswirkte. Ob er damit recht hatte, wagte ich nicht zu beurteilen.
»Sie macht sich gut. Was auch wichtig ist, denn ich habe Interessenten für sie. Ein Paar, das Erfahrung mit ehemaligen Fightern hat. Sie haben schon solche Hunde übernommen, allerdings aus anderen Resozialisierungscamps. Der vorherige ist vor ein paar Monaten an Herzschwäche gestorben. Das könnte für Dallas die Chance sein.«
Die Umstände lösten gemischte Gefühle in Ryder aus, das wusste ich. Er war froh über jeden Hund, der nach dem Horror seiner Vergangenheit noch ein paar schöne Jahre haben durfte, aber in diesem Fall lag die Vermutung nahe, dass der Tod des Vorgängers auch in diesem Milieu begründet lag. Den Hunden, die in den Ring geschickt wurden, gab man nicht selten Aufputschmittel und Anabolika, was die Organe angriff – insbesondere das Herz.
»Als Zweithund ist Dallas nicht geeignet, so sozialverträglich wird sie nicht mehr. Zu viele Fights. Aber sie läuft inzwischen problemlos an den anderen Hunden vorbei und lässt sich nicht provozieren. Ab kommender Woche werde ich Ben und Laurie in ihr Training mit einbinden. Wenn alles gutgeht, kann Dallas vielleicht Ende März umziehen.«
Ich nickte anerkennend und hockte mich vor den Zwinger. Die hellbraune Hündin kam sofort schwanzwedelnd heran und drückte sich ans Gitter, damit ich sie durch die Stäbe hindurch kraulen konnte.
»Mit Menschen war sie zum Glück immer schon recht freundlich. Erstaunlich, wenn man bedenkt, was ihr Besitzer ihr vermutlich alles angetan hat.«
Die Narben in ihrem kurzen Fell sprachen auf jeden Fall davon, was sie in der Arena erlebt hatte. Nachdem ich jetzt wusste, wer sie war, erinnerte ich mich gut. Sie hatte nie einen Fight verloren. Womöglich hätte sie nach ihrer Kampfkarriere noch als Gebärmaschine herhalten müssen, um weitere Hunde mit ihrem Potenzial hervorzubringen.
Unruhig kratzte Ryder mit einem Fuß über den Boden. »Mike, wegen gestern Abend …«, begann er.
Ich hob abwehrend die Hand und schüttelte den Kopf. »Du musst dich nicht entschuldigen und auch nicht dafür schämen. Dir sind die Nerven durchgegangen und du hattest deine Gefühle für einen Moment nicht unter Kontrolle. Das passiert unter solchen Umständen.« Ich wich seinem Blick aus. Wollte nicht, dass er womöglich in meinen Augen lesen konnte, welchen Kampf ich innerlich gerade focht.
»Ich wollte mich gar nicht entschuldigen«, sagte er nun leise, was mich veranlasste, ihn unsicher anzusehen. »Ich wollte mich bei dir bedanken. Dafür, dass du die Nerven behalten und mich gestoppt hast.«
Ich schluckte. »Kein Problem. War doch selbstverständlich.« Scheiße, meine Stimme klang viel zu kratzig.
Ryder nickte. »Es war richtig. Aber trotzdem bereue ich diesen Kuss nicht. Ich wollte, dass du das weißt.«
Mir wurde heiß. Was wollte er mir damit sagen?
Gar nichts, Mike. Er will dir gar nichts sagen. Fang nicht an, etwas hineinzuinterpretieren.
»Passt schon. Ich bereu ihn auch nicht, wenn dich das beruhigt. Du küsst gar nicht so schlecht, wie ich gedacht hätte.« Ich grinste und rettete mich so durch eine Spur Humor. Ryder schnaubte gespielt empört, grinste dann aber auch. Ich stand auf und leerte den Kaffeebecher.
»Also … ich würde dann wieder zurück nach Cheyenne fahren. Brauchst du den Wagen? Dann versuch ich einen Kollegen zu erreichen, der mich hier abholt. Oder willst du mit aufs Revier? Wenn nicht, würde ich Alan bitten, heute Abend mit herzukommen und mich dann mit zurückzunehmen.«
Alan und ich wohnten beide in Altvan. Er könnte mich dann morgen auch wieder mit zur Arbeit nehmen, wo mein Wagen stand. Die Entfernung war überschaubar und ich wusste, Alan hätte kein Problem damit.
»Wenn du noch einen Moment hast, dann fahr ich dich rasch aufs Revier. Ist am einfachsten.«
Ich nickte, nahm ihm die leere Tasse ab und ging zurück ins Haus. Keine zwanzig Minuten später brachen wir auf.
Die Fahrt von Hillsdale nach Cheyenne dauerte etwas mehr als eine halbe Stunde, bis zum Polizeirevier noch mal knapp zehn Minuten mehr. Ryder hielt vor dem Eingang und sah mich mit einer Mischung aus Unsicherheit und Dankbarkeit an.
»Du meldest dich?«
Für einen Moment wollte ich hoffen, dass er damit nicht nur Dylans Vermisstenfall meinte, aber ich war zu vernünftig, um an diesem Gedanken festzuhalten. Es war gut, wenn ich Ryder ein paar Tage nicht sah, dann hatte ich mich sicher wieder im Griff.
»Ich halte dich auf dem Laufenden, Ry. Sobald die Ergebnisse von der Untersuchung des Wagens und der näheren Umgebung vorliegen, gebe ich dir Bescheid. Wenn es eine Spur gibt, die uns zu Dylan führt, dann finden wir sie auch.«