Leseprobe A Kiss for Revenge | Eine Fake Dating College Sports Romance

Prolog: Eliza

Vor 6 Monaten

Ich schlage die hölzerne Tür auf und stolpere in die Bibliothek. Meine Schicht beginnt in zwanzig Minuten und ich muss mich langsam zusammenreißen. Doch ich kann mich kaum noch auf meinen wackligen Beinen halten. Schluchzend taumele ich in eine der hinteren Ecken. Vorbei an der leeren Rezeption und etlichen Regalen. Stacey hat wohl mal wieder früher Schluss gemacht. Ihre Arbeitsmoral ist unverantwortlich, doch damit kann ich mich gerade nicht auseinandersetzen. Mein Blick wandert durch den offenen Raum. Ich entdecke keine Menschenseele, nur staubige Bücher – und bin dankbar dafür. Niemand sollte mich so sehen. Vor den Rechtsbüchern sinke ich schließlich auf den Boden und atme auf. Meine Lunge schreit vor Schmerz, meine Augen brennen wie Feuer. Und ich möchte nur, dass es aufhört. Ich hätte nicht gedacht, dass der Tod einer anderen Person so sehr wehtun könnte. Es fühlt sich an wie Sterben. Ich ertrinke in meinem Schmerz und den Gefühlen der endlosen Hilflosigkeit. Da ist kein Ausweg in Sicht, keine Rettung. Meine Großmutter war zwar einige Jahre älter und reifer als ich, dennoch war sie meine engste Freundin. Und die Mutter, nach der ich mich immer gesehnt hatte. Dass ich es erst jetzt erkenne und diese Frau all das war, wonach ich immer gesucht habe, schmerzt am meisten. Hat sie überhaupt gewusst, wie viel sie mir bedeutet hat? Ich klammere mich an der Hoffnung fest, dass sie es gespürt hat, weiß aber, ich hätte mehr machen können. Und nun, wo sie tot ist, fühle ich mich, als hätte ich mehr als nur eine Person verloren. Ich krümme mich zusammen und ziehe die Beine an. Tränen laufen über meine Wangen und ich wünsche mir, stärker zu sein. Mein Vater schafft es immerhin auch, sein Leben weiterzuleben. Ihm gelingt es, Gefühle unbeachtet zu lassen. Er kann sie vergessen, als wären sie nicht von Bedeutung. Und ich? Ich fühle mich wie ein Häufchen Elend und weiß nicht, wie ich jemals wieder etwas anderes als Schmerz empfinden soll.

„So schlimm kann es doch gar nicht sein“, höre ich eine tiefe, unbekannte Stimme hinter mir. Ich zucke zusammen und halte die Luft an. Zaghaft blicke ich mich um und würde am liebsten im Erdboden versinken. Neben dem Regal steht ein blonder Typ mit einem vorsichtigen Lächeln. Er trägt ein blaues Footballtrikot, und ich glaube, ihn schon ein paarmal am Campus gesehen zu haben. Die frechen Augen und das markante Kinn würden jedem ins Auge stechen. Er sieht aus wie die Art von Jungs, von denen ich mich normalerweise fernhalte. Die nach Gefahr und Abenteuer riechen und Mädchen wie mich aus ihrer Komfortzone locken. Seine ganze Präsenz schreit förmlich: reich, arrogant und nicht gut für dich. Er hält mir ein Taschentuch entgegen. Einige Sekunden starre ich ihn nur irritiert an. Vermutlich sollte ich mich wegdrehen, weglaufen, mein verheultes Gesicht verbergen. Doch aus irgendeinem Grund tue ich nichts dergleichen. Ich nehme das Taschentuch mit zittrigen Fingern an. Und er lässt sich neben mich fallen, als seien wir schon ewig die besten Freunde. Ein warmes Gefühl breitet sich in mir aus, das ich nur selten bei Menschen verspüre.

„Ich bin Blake.“

Ich wische mir einmal über die nassen Wangen und versuche kläglich, mir ein Lächeln abzuringen. „Ich bin Eliza.“

Er deutet auf mein Gesicht und stöhnt lautstark auf.

„Was soll das sein? Willst du mich umbringen oder mir zulächeln?“

Beschämt lasse ich den Kopf sinken. Sofort stupst er mich an, bis ich wieder aufschaue.

„Das war ein Scherz.“ Er grinst breit und offenbart mir seine geraden weißen Zähne. Vielleicht bilde ich es mir ein, doch ich glaube, dass sie sogar funkeln. Prince-charming-mäßig.

„Es kann eben nicht jeder ein perfektes Zahnpastalächeln haben.“

Nun erntet er doch ein leises Lachen meinerseits. „Du bist ganz schön arrogant, Blake.“

Er stützt seinen Arm gegen ein Regal und neigt den Kopf zur Seite. „Und du bist ganz schön traurig, Eliza.“

Ich zucke mit den Schultern, möchte den Schmerz lieber herunterspielen, als weiter darin zu ertrinken.

„Ich habe einen schlechten Tag“, sage ich nur.

„Das ändern wir sofort.“

Etwas blitzt in seinen Augen auf. Ich erinnere mich nochmals daran, dass er die Art von Jungs ist, von denen ich mich fernhalte. Er nach Gefahr und Abenteuer aussieht. Doch plötzlich habe ich Lust, eins zu erleben.

Eliza (Heute)

Ich tauche den Pinsel in die Schokolade und bestreiche damit anschließend den warmen Kuchen. Er duftet herrlich nach Zimt, Schokolade und süßen Versprechen. Ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen und ich bekomme es gar nicht mehr aus meinem Gesicht. Es ist immer noch ungewohnt, eine feste Freundin zu sein. Ungewohnt, aber auch überraschend schön. Nicht oft haben mich die Wellen meiner Emotionen derartig überschwemmt. Das letzte Mal nach dem Tod meiner Großmutter vor ungefähr einem halben Jahr. Diese Wellen hätten mich fast ertränkt. Doch das hier? Es ist überwältigend, doch gleichzeitig macht es mir keinerlei Angst. Blake ist da. Er wird immer da sein. Und ich habe das Gefühl, nun auf diesen Wellen surfen zu können. So sicher bin ich mir, dass das mit uns etwas Besonderes, etwas Echtes ist. Ein Schokoladentropfen landet auf dem Holztisch. Ich strecke meinen Finger danach, wische ihn auf und lecke die süße Flüssigkeit ab. Ich lasse mir den Geschmack auf der Zunge zergehen und verziehe genüsslich das Gesicht. Ich. Liebe. Schokolade. Und. Blake.

Mein Handy vibriert und lässt mich zusammenzucken. Ich habe Blake absichtlich den ganzen Tag noch nicht geschrieben, um ihn heute beim Spiel zu überraschen. Bisher weiß niemand von uns. Außer uns beiden und meiner Großcousine Lexie, die ich heimlich eingeweiht habe. Und es war wunderbar, ein paar ungestörte, unglaubliche Monate auf Wolke sieben zu verbringen. Um nichts als Liebe, Sternchen und Aufregung zu spüren. Doch mir ist klar geworden, dass ich mehr will als die perfekte kleine Idylle, die wir uns aufgebaut haben. Ich möchte ihn. Mit all seinen Farben. Angefangen mit seinen Footballspielen. Jeder soll wissen, ich gehöre zu ihm. Und er zu mir.

Ich greife nach meinem Handy, das Herz klopft mir bis zu den Ohren. So wie jedes Mal, wenn er mir schreibt. Es ist, als würde die Verliebtheitsphase niemals enden und ich will es auch gar nicht.

Hey. Ich gehe gleich zu meinem Spiel. Danach bin ich mit den Jungs unterwegs. Wir sehen uns also erst am Wochenende wieder. Liebe dich.

Mein Herz schlägt Saltos, doppelte Sprungrollen und wie auch immer die kompliziertesten Turnsprünge heißen. Liebe dich. Ich lese diese Worte immer und immer wieder und scheine fast an meinem Glück zu ersticken. Wenn Blake nur wüsste, dass ich ihn mit seinem Lieblingskuchen überraschen werde. Ich kann mir sein verdutztes Gesicht schon bildlich vorstellen. Ich denke an seine funkelnden Augen und die zuckenden Nasenflügel wie immer, wenn er sich freut. Bei dieser Vorstellung ziehen sich meine Mundwinkel nach oben.

Ich liebe dich auch. Wir sehen uns!

Noch früher, als er glaubt. Ich lege mein Handy weg und stelle den Kuchen zum Abkühlen in den Keller. Als ich wieder in der Küche ankomme, löffele ich erst die übrige warme Schokolade und räume danach auf. Versteht sich.

Etwa eine Stunde später scheint mich die Vorfreude fast umzubringen und ich rutsche wild auf meinem Sitz herum.

Auf der Anzeigetafel des Busses blitzen die Worte Rosefall College auf. Endlich. Ich erhebe mich bereits, während der Bus noch fährt. Bei der Bremsung greife ich blitzschnell nach einer der gelben Stangen und klammere mich daran fest. Ich rutsche ein Stück vor, kann mich gerade so noch auf den Beinen halten. Mit der anderen Hand umklammere ich meine Tasche, in der sich der Kuchen befindet. Ich würde diese Tasche mit meinem Leben beschützen, um es mal dramatisch auszudrücken. Die Tür des Busses öffnet sich und ich steige langsam aus. Mir folgen weitere Studenten, doch da ist kein bekanntes Gesicht dabei. Ich kenne die wenigsten an diesem College. Es ist nicht so, dass ich keine Freunde haben möchte, aber das Gefühl von „Am College wird alles einfacher“ ist noch nicht wirklich zu mir durchgedrungen. Mir kommt es eher wie eine Highschool 2.0 vor. Ein braunhaariger Junge taucht neben mir auf, den ich tatsächlich kenne. Oder besser gesagt, verpflichtet bin zu kennen. Riven Nevermore. Frauenschwarm. Footballspieler. Blakes Erzfeind. Was auch immer das bedeutet. Mir hat Blake nur erzählt, dass Riven ihm seit Jahren alles wegnimmt, was ihm gehört. Und er ihn mehr hasst als jeden anderen. Vermutlich sollte ich ihn aus Loyalität nicht einmal anblicken. Doch das ist ziemlich schwer, wenn dieser große, muskulöse Junge Kopfhörer trägt und ohne sich umzublicken, auf die Straße marschiert. Als gehöre ihm die ganze Welt. Ein rotes Auto saust auf ihn zu, doch er sieht es nicht. Unbeeindruckt geht er weiter, als könnte ihm nichts geschehen. Instinktiv mache ich einen schnellen Schritt vor, packe ihn an seiner blauen Collegejacke und ziehe ihn zurück. Es geht so schnell, dass ich nicht einmal darüber nachdenken kann. Das Auto rast an uns vorbei und ich höre ihn erschrocken aufatmen. Auch ich stoße ein leises Seufzen aus. Das war knapp. Mein Herz hämmert wie verrückt, als Riven langsam seine Kopfhörer absetzt und sich in meine Richtung dreht. Es geschieht scheinbar in Zeitlupe. Die Sonne erhellt sein markantes Gesicht und bringt seine braunen Augen zum Funkeln. Er ist wunderschön, das kann nicht einmal ich bestreiten. Riven ist jener lockere Typ, über den es Filme gibt. Der sich nicht aus der Ruhe bringen lässt und jeden Tag so nimmt, wie er kommt. Zumindest schätze ich ihn so ein. Und nicht mal jetzt, wo er fast angefahren wurde, steht ihm Angst ins Gesicht geschrieben. Interessiert mustert er mich, als wäre es ein normaler Tag in seinem Leben und ich seine nächste Eroberung. Als mir auffällt, dass meine Hand immer noch an seinem Arm liegt, ziehe ich sie blitzschnell zurück. Das hat mir gerade noch gefehlt.

„Und du bist dann wohl meine gute Fee?“, begrüßt er mich mit einem schäbigen Grinsen.

Ich verschlucke mich fast an seinen Worten. „W…Was?“

Sein Lächeln wird noch breiter. „Meine Retterin in Not.“

Hitze steigt mir in die Wangen und ich ringe nach Worten. „Na ja, die gute Fee hat Cinderella nicht das Leben gerettet, sondern sie für einen Ball …“ Ich stoppe. Warum rede ich? Was sage ich da?

Riven lacht und Grübchen blitzen in seinen Wangen auf. „Es war quasi eine Rettung. Ihr Leben war ziemlich beschissen. Arschloch-Stiefmutter, Arschloch-Schwestern, Arschloch-Ofen, Arschloch-Leben“, erwidert er.

Ich muss mir ein Lachen verkneifen. „Das war ziemlich viel Arschloch für einen Satz.“

Er neigt seinen Kopf zur Seite und mustert mich. Meine Hände werden schwitzig und mir fällt wieder ein, dass ich dringend verschwinden muss. So ziemlich an jeden anderen Ort, um nicht mit Blakes Erzfeind zu plaudern.

Er streckt die Hand aus. „Ich bin Riven.“

Ich schlage nicht ein, schenke ihm aber ein vorsichtiges Lächeln. „Ich muss …“, beginne ich.

Er lässt seine Hand sinken. „Und du heißt?“, fragt er mit gehobener Augenbraue.

Ich blicke mich einmal um, ehe ich die Straße überquere. Das Hauptgebäude unseres Colleges sehe ich bereits aus der Entfernung. Riven folgt mir.

„Ich muss los“, sage ich knapp.

„Dann bleibt es also bei guter Fee?“

Ich erwidere nichts und mache schnellere Schritte. Hinter mir höre ich ein lautes Seufzen.

„Ich schulde dir was, gute Fee.“

Ich schüttle nur den Kopf, wenn auch zu einem winzigen Teil amüsiert. Eine Begegnung mit Riven Nevermore war sicher nicht das, was ich heute geplant hatte. Wüsste Blake davon, würde er sicherlich durchdrehen. Ich kann mir seine Kommentare vorstellen.

Wieso hast du ihn nicht Bekanntschaft mit dem Auto machen lassen? Er hätte es verdient.

Ich weiß, dass Blake ein guter Junge ist. Doch wenn es um Riven geht, kennt er plötzlich keinerlei Toleranz, keine Gnade. Dabei sind sie sich gar nicht mal so unähnlich. Beide sind reich, spielen Football und studieren Wirtschaft, um höchstwahrscheinlich mal das Familienunternehmen zu übernehmen. Doch vielleicht ist es gerade das, was er so sehr an Riven hasst. Dass auch er sein Leben lebt.

Meine Blase drückt mit jedem Schritt mehr und ich bereue es, nicht zu Hause noch einmal auf Toilette gegangen zu sein. Also spaziere ich geradewegs in Richtung Eingangstür. Ich könnte Blake ohnehin erst nach dem Spiel sehen. Da wären ein paar Minuten Verspätung sicherlich nicht schlimm. Außerdem war Riven selbst noch auf dem Sprung. Wenn sich der Quarterback verspätet, kann ich ruhig noch eine Toilettenpause einlegen.

Ich betrete den leeren Flur des Colleges. Noch nie war ich an einem Sonntag hier. Es ist ungewohnt, doch gleichzeitig seltsam beruhigend. Keine Menschenseele an diesem Ort, an dem ich sonst immer glaube, in der großen Menge unterzugehen. So ganz ohne Studenten wirkt dieser Ort gar nicht mal so fürchterlich. Die grauen Wände sind mit wissenschaftlichen Postern und Auszeichnungen des Colleges bepflastert. Gleichzeitig entdecke ich Poster unseres Footballteams. Ein Knall lässt mich zusammenzucken. Es hat sich angehört, als wäre etwas heruntergefallen. Ich blicke mich um, doch außer mir scheint niemand hier zu sein. In der Ferne entdecke ich eine offene Hörsaaltür. Seltsame Geräusche dringen heraus und ich steuere automatisch darauf zu. Ich denke, es ist dem verschuldet, ein Mensch zu sein. Wenn wir etwas hören und nicht wissen, was es ist, müssen wir es herausfinden. Deswegen sterben die Menschen auch immer in Horrorfilmen. Also schleiche ich den Flur entlang. Die Geräusche werden lauter und ich bin mir langsam sicher, dass es Küsse sind. Wenigstens kein Mörder, aber das hier ist auch nicht optimal. Ich verharre in meiner Bewegung und will am liebsten gleich mehrere Kilometer zwischen mich und diese Tür bringen. Es ist unangebracht, jemanden beim Knutschen zu beobachten. Ich muss schnellstmöglich weg, bevor das Paar mich bemerkt. Ich drehe mich um und möchte gerade zurückgehen.

„Ich muss zu meinem Spiel“, stöhnt er heißer.

Und mein gesamter Körper spannt sich an. Ich muss mich verhört haben. Das kann niemals seine Stimme gewesen sein. Vermutlich habe ich mich nur getäuscht.

„Dann wiederholen wir das später?“, höre ich eine helle Stimme quietschen. Mir wird schlecht und ich stehe immer noch wie versteinert da. Ich bete, dass er es nicht ist. Ich bete, dass ich keine Idiotin bin und mich in einer Liebe verrannt habe. Ich lege all meine Hoffnung in diesen Wunsch.

„Ich habe den ganzen Abend für dich Zeit, meine Liebe.“

Und die Hoffnung stirbt. Mein Herz bricht. Und mein Körper weiß nicht mehr, wie er arbeiten soll. Das war definitiv Blakes Stimme. Ich würde sie überall wiedererkennen, weil ich sie doch so sehr liebe. Und das macht es noch schlimmer. Ich bin ihm vollkommen verfallen, während er in mir vermutlich nicht mehr als eine Affäre gesehen hat. Ich stoße einen lauten, frustrierten Laut aus und schlage mir im nächsten Moment die Hand vor den Mund. Das darf nicht wahr sein!

„Hast du das gehört?“, fragt Blake.

Ein Schauer läuft über meinen Körper. Schritte erklingen hinter der Tür und ich drehe mich um, laufe los. Sein erschrockenes Schnappen nach Luft lässt es real werden. Das ist keine Lüge. Ich habe nichts falsch verstanden. Es ist meine Realität.

„Eliza!“

Mein Name mit seiner Stimme lässt meine Augen brennen. Wie konnte er mir das antun? Wie konnte er nur? Ich höre schnelle Schritte hinter mir.

„Bleib stehen, verdammt!“

Und ich gehorche. Weil ich immer noch in ihn verliebt bin. Weil ich immer noch hoffe. Ich hoffe, er kann mir all das erklären. Dass ich doch zu blöd war, um etwas zu verstehen. Gerade wäre ich lieber dumm als hintergangen. Ich wäre lieber dumm als ungeliebt.

Ich drehe mich langsam um und blicke in das Gesicht, das ich so sehr liebe. Seine Stirn liegt in tiefen Falten. Sind das Schuldgefühle?

„Was machst du hier?“

Seine Stimme bricht, was mir Tränen in die Augen jagt. Ich deute auf die Tasche in meiner Hand. „Ich habe deinen Lieblingskuchen gebacken. Ich wollte dich überraschen.“ Und während ich das so sage und seinen mitleidigen Blick sehe, fühle ich mich mit einem Mal erbärmlich. Nicht wie das glücklichste Mädchen auf der Welt.

Nicht tapfer, nicht erfüllt. Einfach nur armselig.

„Wir wollten uns doch am Wochenende sehen“, erwidert er kühl. Sprachlos starre ich ihn an. Ich habe mich geirrt. Da liegt kein Fünkchen Schuldgefühl in seinem Gesicht. Es ist Ermüdung. Er wirkt genervt. Ich bin ihm eine Last.

„Damit du unter der Woche andere Mädchen sehen kannst?“, feuere ich zurück. Ich habe keine Ahnung, woher ich den Mut fasse. Blakes Augen weiten sich für einen kurzen Moment.

„Hör zu, du weißt, wie begehrt ich bin. Es ist nicht so, dass ich dich nicht mag. Aber das … du bist mir einfach nicht genug.“

Der Schmerz seiner Worte brennt sich durch meine Haut und ich möchte einfach nur noch weinen. Für immer. Doch nicht vor ihm. Diesen Triumph schenke ich ihm nicht.

„Für Sex war ich aber gut genug?“, frage ich bitter.

Er macht einen Schritt auf mich zu, ich weiche aus.

„Du bist gut genug. Ich bin nur niemand, dem eine Freundin reicht. Ich hoffe, du verstehst das. Die anderen verstehen es immerhin auch.“

Ist das sein Ernst? Die anderen. Sie wissen davon und spielen weiter mit? Doch seinem Blick und dem verwegenen Lächeln nach zu urteilen, funktioniert seine Welt so.

„Du hast sie ja nicht mehr alle!“, brülle ich ihn an. Und das Brüllen fühlt sich unglaublich befreiend an. Am liebsten würde ich ihn wochenlang nur noch anbrüllen und ihm all das an den Kopf werfen, was ich gerade über ihn denke. Blake streckt einen Arm nach mir aus, doch ich schlage ihn weg.

„Liebes, jetzt sei doch nicht so. Du weißt, dass ich dich liebe.“

Wut kocht in meinen Adern und ich will sie ihm entgegenschleudern. Er soll all das fühlen, was mich gerade erdrückt. „Das ist keine Liebe, Blake!“

Er verdreht die Augen. Er. Verdreht. Wirklich. Die. Augen. Ich würde sie ihm am liebsten auskratzen.

„Ich muss jetzt zu meinem Spiel. Lass uns später … Lass uns am Wochenende darüber sprechen. Ich bringe die Zartbitterschokolade mit, die du so magst und …“

„Oreo-Schokolade“, korrigiere ich ihn.

„Wie auch immer. Wir werden reden und …“

Ich kann nicht glauben, dass das Gesicht, das mir einmal wie das eines Engels vorkam, plötzlich so verlogen aussehen kann. Doch das tut es. Und ich will es am liebsten nie wieder sehen. Ich will es hinter mir lassen, es aus meinem Leben verbannen.

„Wir reden überhaupt nicht mehr. Ich … Ich möchte dich nie wieder sehen.“

Etwas flackert in seinen Augen auf, das ich nicht richtig deuten kann.

„Was soll das heißen?“, knurrt er.

Ich fahre mir einmal über das Gesicht. „Schlaf dich ruhig durch den ganzen Campus. Aber ohne mich. Ich möchte dich nicht mehr treffen. Nie wieder.“

Sein Blick verdunkelt sich. „Eliza, das kannst du nicht tun!“ Er packt meinen Arm, bevor ich ihn wegschlagen kann. Dann blickt er mir durchdringend in die Augen.

„Ich liebe dich, hörst du? Ich liebe dich.“

Diese Worte sind alles, was ich mir erträume, doch ich weiß, sie sind nicht mehr als das. Ein Traum.

„Lass mich bitte in Ruhe!“ Ich versuche mich ihm zu entziehen, doch er lässt mich nicht los. Fest hält er mich und starrt mich weiter an, als sei er im Recht und ich im Begriff, den größten Fehler meines Lebens zu machen.

„Du kannst nicht einfach …“

Ich lasse meine Tasche fallen, trete ihm mit voller Wucht gegen sein Schienbein und reiße mich schließlich los. Mit entsetzter Miene sieht er mich an. Wenn mein Tritt wehgetan hat, lässt er sich nichts davon anmerken. Er greift nicht nach seinem Bein, sondern starrt mich nur weiter an.

„Lass mich gehen, Blake.“ Nach diesen Worten renne ich davon. Durch die Tür. Zurück in meine fürchterliche Realität. Und mit einem Mal fühle ich mich nackter als jemals zuvor.

Wut loswerden war vielleicht doch keine gute Idee. Denn nun ist da Platz für etwas anderes. Und den Schmerz werde ich so schnell wohl nicht mehr los. Tränen laufen über meine Wangen und ich zücke mein Handy, um Lexie anzurufen.

Riven

Du wirst es nie zu etwas bringen.

Ich starre die Nachricht meines Vaters länger an, als ich sollte. Ich hatte keine Glückwünsche vor dem Spiel erwartet. Doch das trifft selbst mein schwarzes Herz. Mich hätte es mit meinem Vater echt nicht viel schlechter treffen können. Doch wenn es nach ihm geht, denkt er dasselbe vermutlich auch über mich.

„Riven, beweg deinen Arsch! Es geht gleich los!“, brüllt Lane. Jemand anderes zieht mich ruppig am Arm in die Kabine. Ich reiße mich los und verdrehe die Augen. Ich hasse es, wenn sie mir Vorschriften erteilen wollen. Ich bin ihr Captain, das sollten sie besser nicht vergessen.

„Entspannt euch. Sonst wird meine Hand unruhig und euer Quarterback wirft nur halb so weit“, gebe ich ironisch zurück. Lane verzieht das Gesicht. „Ich wünschte, unser Quarterback wäre nicht so ein riesiges Arschloch.“

Ich lege eine Hand auf die Brust. „Autsch. Es wird eine Weile dauern, bis ich mich von dieser Beleidigung erholt habe.“

Lane lacht, doch er verdreht die Augen. „Okay, Prinzessin. Zieh dich jetzt trotzdem an.“

Ich zwinkere ihm zu und lege meine Collegejacke ab. „Schon erledigt, Boss“, ziehe ich ihn auf. Darunter trage ich bereits mein Trikot. Ich werfe die Collegejacke auf eine der roten Bänke und lege auch meine Jeans ab. Damit entblöße ich meine Sporthose.

„Du hattest das da drunter?“, fragt Mo mit angewiderter Miene. Ich zucke mit den Schultern. „Ich nenne das effizient.“ Ich blicke mich einmal in der Umkleide um. „Wenn wir schon bei Effizienz sind. Wo ist das Schwein?“

Lane zuckt mit den Schultern. „Wir warten doch immer auf euch beiden Idioten.“

Ich lasse mich auf meiner Bank nieder. „Mit dem Unterschied, dass sich bei mir das Warten wenigstens lohnt. Er spielt so schlecht, dass er eigentlich pünktlich kommen müsste, um sein fehlendes Talent auszugleichen.“

Lane schüttelt den Kopf. „Ihr zwei …“

„Wo ist er nun?“

„Ich bin hier.“ Blake taucht im Türrahmen auf und sieht verändert aus. Seine Augen sind dunkel und es legt sich eine leichte Rötung darum. Als hätte er … geweint? Ich frage nicht nach. Es interessiert mich nicht, wann dieser Typ heult oder warum. Solange er es nicht auf dem Spielfeld tut.

„Also … Treten wir diesen Idioten in ihren Arsch“, sagt Blake und lässt sich neben mir nieder. Noch nie war ich dermaßen seiner Meinung.