Prolog: Vor fast 3 Jahren
Constance:
Das Pärchen trennt sich. Die idyllische Liebesgeschichte endet. Ich erwarte Daisys Schluchzen, doch sie sitzt kerzengerade neben mir auf dem Sofa und schaut unbeeindruckt auf den Fernseher.
„Natürlich werden Jess und Nick am Ende wieder ein Paar sein“, meint sie und setzt ihre Tasse an ihren Mund. Der Geruch von Zimt und Schokolade verteilt sich im Wohnzimmer und erinnert mich daran, dass ich Hunger habe. Wann kommt diese blöde Pizza endlich? Ich schüttele den Kopf und lasse mich zurück gegen die weiche Sofalehne fallen.
„Bei dir muss es aber auch immer ein Happy End geben“, stöhne ich.
Meine Schwester verzieht empört das Gesicht. „Jede gute Geschichte braucht ein Happy End. Ohne das ist sie noch nicht zu Ende.“
Bullshit. Ich schnappe mir ein Kissen und werfe es ihr gegen den Kopf. Ihr fliegt vor Schreck fast die Tasse aus der Hand.
„Hey!“
„So ist das echte Leben nicht. Du musst aus deinem Märchen aufwachen“, erinnere ich sie sanft. Doch Daisy, die stets Hoffnung und einen unbändigen Glauben in sich trägt, zuckt nur mit den Schultern.
„Oder du musst beginnen, dein Märchen zu suchen.“
Manche würden sagen, dass Daisy eine unglaublich poetische Sicht auf die Welt hat. Ich dagegen denke, sie lebt außerhalb jeglicher Realität. Wenn man in einer grauen Welt Farben sieht, ist man nicht weiter als andere Menschen. Man lebt in einer Illusion, aus der man nicht ausbrechen kann. Man belügt sich selbst. Und ist das nicht noch schlimmer, als in einer grauen Welt zu verweilen? Ich kann auf ihre Aussage nur die Augen verdrehen und bin unglaublich erleichtert, als das Klingeln an der Tür unser Gespräch unterbricht. Ich springe auf und schlängele mich am Couchtisch vorbei.
„Das muss die Pizza sein“, sage ich. Daisy schaut wieder auf den Fernseher und nickt nur. Ich schiebe mich in den Flur und erkenne dunkle Gestalten durch das Glas unserer Haustür. Irgendwie gruselig. Ganz besonders, wenn unsere Eltern nicht zu Hause sind. Darum fand ich Haustüren mit Glas schon immer unschön. Lieber ein Guckloch, um potenzielle Einbrecher zu erkennen. Beim Vorbeigehen schnappe ich mir mein rotes Portemonnaie auf dem Regal hinter unserer Garderobe. Es klingelt erneut. Der Klang ist nervig. Hat der Lieferant denn überhaupt keine Geduld? Oder spielt hier jemand Klingelstreiche? Genervt öffne ich die Tür und erschrecke mich so sehr, dass ich fast hintenüberfalle. Mit letzter Kraft halte ich mich an der Türklinke fest und starre die beiden Männer in den schwarzen Polizeiuniformen an. Ihre Mienen sind ernst und lassen mich am ganzen Körper erstarren. Ich bringe keinen Ton heraus, mein Kopf ist wie leer gefegt. Da ist nur eine Frage: Was zur Hölle? Was zur Hölle? Was zur Hölle?
„Guten Abend. Sind Sie die Tochter von Marc und Victoria Grey?“
Ich umklammere den Türgriff immer fester. So fest, dass meine Hand schmerzt. Meine Lunge scheint nicht mehr zu funktionieren und ich glaube, gleich an meiner Antwort zu ersticken.
„Ja?“ Meine Stimme ist kaum ein Hauchen.
„Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihre Eltern einen schweren Autounfall hatten.“
Ich ersticke. Denn das sind sie. Die Worte, die meine Welt zum Einstürzen bringen. Die Worte, die mich daran erinnern, dass das Leben kein Märchen ist und manche Geschichten kein Happy End haben. Diese hier endet beschissen. Bemitleidenswert. Und mit zwei verlassenen Mädchen, die nie wieder dieselben sein werden. Graue Welten werden nicht plötzlich rosa, nur weil man davon träumt. Träume werden nicht wahr. Und Happy Ends gibt es nur in Filmen.
Constance: 3 Monate später
„Geht auf diese Party. Das tut euch gut.“ Das waren die Worte meiner Grandma, die uns dazu gebracht haben, tatsächlich die Weihnachtsparty in der Frozen Heart-Arena zu besuchen. Dabei wohnen wir erst seit zwei Wochen bei ihr in Diamond Hills und ich kann mir wirklich Schöneres vorstellen, als loszuziehen und neue Freunde zu suchen. Meine Eltern sind tot. Daisy und ich sind Waisen. Unser ganzes Leben, unsere Träume, alles ist am Arsch. Ich fühle mich wie der verlorenste Mensch auf der Welt. Da ist keine Rettung, keine Hoffnung für mich. Und langsam bin ich schon gar nicht mehr traurig. Die Tränen werden immer seltener. Alles, was bleibt, ist ungestillte, unendliche Wut. Ich hasse, ich fluche, ich verabscheue. Doch das interessiert niemanden auf dieser Party. Hier ist nur wichtig, wer am meisten trinkt und wer danach noch steht. Die ganze Stimmung, die Menschen wirken so harmonisch, dass ich kotzen will. Ich würde meine Schwester am liebsten nehmen und mit ihr verschwinden, doch sie hat sich mit einem rothaarigen Mädchen verquatscht. Die beiden lachen, nippen an ihren mit Kakao gefüllten Tassen und ich rümpfe die Nase. Wie Daisy, meine verträumte Daisy, einfach losziehen und sich mit Leuten unterhalten kann, verstehe ich nicht. Sie ist eigentlich viel schüchterner als ich, meistens zurückhaltend und hört lieber zu, als zu erzählen. Im Gegensatz zu mir sieht sie aber aus wie eine liebe kleine Fee, die jeden mit ihrer Gegenwart verzaubert. Darum ist es keine Überraschung, dass sie sofort in Diamond Hills Freundesgruppen aufgenommen wird. Natürlich freue ich mich für sie. Irgendwo frage ich mich aber auch, warum sie so kurz vor Weihnachten nicht genauso wie ich von ihrer Trauer gelenkt wird. Warum ich brenne, auf etwas einprügeln und fluchen will, während sie mit ihrem schüchternen Lächeln alle Menschen um sich herum verzaubert. Die Freude meiner Schwester zu beobachten, sorgt für ein seltsam beklemmendes Gefühl in meiner Brust. Und jetzt stehe ich hier und habe keine Ahnung, wohin mit mir. Von den Decken baumeln Weihnachtskugeln, der Geruch von Zimt liegt in der Luft und ich erkenne einige Tische mit Leckereien im Saal. All I want for christmas erklingt und verdirbt mir die Ohren. Denn scheiße … All I want for christmas ist eine Familie, die nicht tot ist. Mein altes Leben in unserer Heimatstadt. Und ein Herz, das nicht so unglaublich wehtut. Und was habe ich hier? Hunderte knutschende und singende Menschen, die ich weder kenne noch kennenlernen will. Ich hasse alles. Jedes Lachen, jeden Laut, der sich glücklich und befreit anhört. Der nach Liebe, Spaß und Schwerelosigkeit klingt. Denn ich fühle mich so schwer wie nie zuvor. Gepackt mit etlichen Sorgen und Problemen, die ich nicht lösen kann. Und ganz egal, ob mich das zu einer schlechten Person macht, ich bin neidisch. So sehr, dass ich einfach nur verschwinden will. Also drücke ich mich durch die Menge. Ich quetsche mich durch die winzigsten Löcher, spüre mehrfaches Ziehen an meinem Haar, doch ich bleibe in Bewegung, ohne zurückzusehen. Da knallt plötzlich jemand von der Seite so brutal gegen mich, dass ich das Gleichgewicht verliere und über meine eigenen Füße stolpere. Den kleinen Tisch mit Cupcakes vor mir reiße ich bedauerlicherweise mit mir auf den Boden. Ich lande auf meinem Bauch, zwei Cupcakes im Gesicht und will plötzlich nicht nur verschwinden, sondern mich für immer in Luft auflösen. Verdammte Scheiße. Was war das? Der Duft nach Bratapfel und Zimt steigt mir in die Nase, und ich möchte mich am liebsten übergeben. Ich nehme die Cupcakes aus meinem Gesicht und streiche über meine Haut. Meine Finger ertasten eine klebrige Masse, und ich will überhaupt nicht wissen, wie ich aussehe. Vor mir erkenne ich schwarze Sportschuhe. Ich folge der Gestalt mit meinem Blick bis zu ihrem Gesicht. Er trägt eine dunkle Hose und einen weißen Eishockey-Pullover. Die braunen kurzen Haare sind verwuschelt, und der Typ scheint wohl in meinem Alter zu sein. Er starrt mich an. Irgendwie zu erwarten, wenn man mit Cupcake-Creme im Gesicht auf dem Boden einer Party liegt. Womit ich jedoch nicht gerechnet habe, ist der Fakt, dass er lautstark anfängt zu lachen. Er prustet los, hält sich den Bauch und ich kann ihn nur entsetzt anstarren. Neben ihm tauchen andere Typen auf, die sich köstlich über mein Leid amüsieren und mich auslachen. Scheiße. Scheiße. Scheiße. Einige zücken sogar ihre Handys und ich verstehe, dass ich in einer Stadt voller Idioten gelandet bin. Das Lachen des Jungen wird lauter. Und ich denke nur: Fick dich! Denn Scheiße, meine Eltern sind tot, mein ganzes Leben ist am Arsch und du, du kleiner mieser Trottel, ergötzt dich jetzt auch noch an meinem Leid.
„Arschloch“, zische ich, ziehe mich auf meine Knie und rappele mich auf. Der Typ hat tatsächlich die Dreistigkeit, mir seine Hand anzubieten.
„Bist du okay?“, fragt er. Immer noch lachend tritt er einen Schritt näher.
Ich lehne seine Hand ab und ziehe mich selbst wieder auf die Beine. Lieber würde ich weiter auf dem Boden sitzen, als mir von diesem Typ helfen zu lassen. Ich spüre immer noch eine klebrige Substanz in meinem Gesicht und muss mich zwingen, nicht gleich hier loszuheulen. Die heißen Tränen kündigen sich schon an und wollen hinaus. Stattdessen werfe ich dem Typ einen vernichtenden Blick zu und sein Lachen verstummt.
„Hast du dir wehgetan?“, fragt er besorgt. Es klingt täuschend aufrichtig, als hätte er sich eben nicht als größter Wichser des Jahrtausends bewiesen. Und ich will ihm ein Messer in die Kehle rammen. Dieses verdammte Arschloch verdient nichts als meine Wut. Mein Blick schweift durch den Raum und mir fällt etwas Besseres ein. Ich bücke mich, greife nach einem Cupcake und drücke ihn dem Jungen mit voller Wucht ins Gesicht. Es ist ein seltsam befreiendes Gefühl, und ich spüre, dass alles, meine gesamte Seele, in diesem Moment brennt. Der Junge weitet die Augen, doch er presst wortlos die Lippen zusammen. Ich lasse den Cupcake fallen und erkenne die rote Creme in seinem Gesicht. Ein leiser Aufprall ist zu hören, doch ich sehe nicht nach unten. Mein Blick richtet sich weiter auf den mit Cupcake-Creme verschmierten Typ. Genauso beschissen muss ich auch aussehen. Er sieht mich an, als wüsste er nicht, was ich bin. Als könne er nichts außer meiner harten Fassade sehen und nicht hindurchblicken. Und ganz genau so will ich es haben. Mit schnellen Schritten verlasse ich die Weihnachtsfeier und schwöre mir, diesen Typ auf ewig zu hassen. Es erklingt A Holly Jolly Christmas und ich muss fast lachen. Das hier wird das schlimmste Weihnachten aller Zeiten.
Brandon (Heute)
„Beweg deinen Arsch! Der Coach ist bestimmt schon da. Wir sind immer so spät dran“, drängt mich Ash und zieht mich an meinem Trikot aus der Kabine.
Ich schlage seine Hand weg und stöhne genervt. Das restliche Team zieht sich weiter um. Ich höre ihr schadenfrohes Lachen und Ash schließt die Tür hinter uns. Was macht er nur für einen Stress? Die anderen sind doch auch noch nicht fertig.
„Wir sind nie zu spät. Du kommst nur bei allem zwanzig Minuten zu früh“, entgegne ich.
Er fährt sich durch das dunkle Haar. „Besser früh als spät.“
„Dafür dankt dir Tara beim Sex bestimmt nicht“, ziehe ich ihn auf und ernte einen leichten Schlag in meinen Bauch. Ich verkrümme mich kurz, lache aber leise auf. Die Wahrheit tut manchmal weh. Genauso bereitet er mir mit seiner ewigen Stresserei mentale Schmerzen.
Wir laufen in die Eishalle und setzen uns auf eine der Spielerbänke, um unsere Schlittschuhe anzuziehen. Ja, denn dafür war natürlich auch keine Zeit. Der Typ muss wirklich mal klarkommen und verstehen, dass wir nicht aus dem Team fliegen, weil wir uns zwei Minuten verspäten. Ash hatte davor aber schon immer mehr Angst als wir anderen. Während Eishockey für mich meine Leidenschaft ist, ist sie für ihn seine Bestimmung. Zumindest beschreibt er es so. Eishockey ist die Sache, ohne die sein Leben farblos wäre. Und wer könnte schon eine farblose Welt ertragen? Ich sehe mich einmal um. Ein Blick auf die Bahn zeigt, dass außer zwei Eiskunstläuferinnen alle anderen verschwunden sind, um die Halle für uns Eishockeyspieler freizugeben. Dass es ausgerechnet Daisy und Constance Grey sind, überrascht mich wenig. Sie sind meistens die Letzten auf dem Eis, weil sie jede freie Sekunde zum Trainieren nutzen. Daisy dreht sich geschmeidig im Kreis und sieht dabei so elegant aus, dass ich sie mal wieder nur anstarren kann. Sie legt ihren Kopf leicht in den Nacken, während ich mit meinem Blick über ihre langen Beine und das schöne blonde Haar schweife. Daisy trägt es in einem lockeren Pferdeschwanz, der in der Luft flattert. Sie bewegt sich auf eine besondere Art anmutig, die andere nicht kopieren können. Die graue Hose und das blaue Oberteil liegen eng an und offenbaren ihren wohlgeformten Körper.
„Starr Daisy nicht so an. Du sabberst ja gleich“, zieht Ash mich auf.
Den Kommentar, dass er bei Taras Anblick in den vergangenen Jahren jedes Mal fast umgekippt ist, spare ich mir. Ewigkeiten war er in sie verliebt und hat nie einen Ton herausbekommen. Umso überraschter war ich, als er sie vor ein paar Wochen endlich um ein Date gebeten hat. Das war so unwahrscheinlich wie ein Meteoriteneinschlag direkt auf Constance Greys Kopf. Aber wenn Ashs Träume in Erfüllung gehen, darf ich wohl auch noch weiter hoffen. Ich schüttele den Kopf und lande mit meinem Blick auf der Grey-Schwester mit der grimmigen Miene. Constance Grey, die in einer schwarzen Winterjacke neben Daisy steht.
„Gut so! Denk dran, die Arme noch etwas weiter auszustrecken“, gibt sie Daisy Anweisungen. Sie ist offenbar so etwas wie ihr Coach zwischen den normalen Trainingseinheiten des Frozen Heart-Teams. Allein sieht man Constance Grey jedenfalls nie auf dem Eis. Oder sonst wo, wenn ihre Schwester nicht gerade dabei ist. Mal abgesehen von ihrem Job im Kims, aber das ist eben Arbeit und kein Vergnügen. Manchmal ist es schwer, sich vorzustellen, dass sie Geschwister sind. Daisy ist ruhig, freundlich, ein echter Sonnenschein. Constance dagegen sieht mit ihrem weißblonden Haar und dem genervten Gesichtsausdruck immer so aus, als wolle sie jeden in ihrer Nähe umbringen. Mich ganz besonders seit dem kleinen Unfall bei unserem Kennenlernen.
„Komm“, meint Ash.
Ich ziehe meine Schnürsenkel fest und gleite bedächtig auf die Eisfläche. Als Daisy mich entdeckt, stoppt sie mitten in ihrer Drehung.
„Wir müssen Schluss machen“, sagt sie zu ihrer Schwester und deutet auf mich.
Constance dreht sich zu mir um. Wenn ihr Blick vorher schon kühl war, verwandelt er sich bei meinem Anblick in pure Abscheu. Ja, du mich auch. Wo ist ein Meteorit, wenn man ihn braucht? Ich fahre zu den beiden und begrüße die jüngere Schwester mit einem breiten Grinsen. „Hallo, Daisy.“ Ich gleite, bis ich vor ihren Füßen stoppe und ihr zuzwinkere.
„Hallo, Brandon.“ Sie lacht leise und blickt schnell auf den Boden. Sie ist viel zu schüchtern, um jemals ein längeres Gespräch mit mir anzufangen. Sehr gut also, dass ich mutig genug für uns beide bin und daran bald etwas ändern werde. Mein Blick gleitet weiter zu ihrer Schwester. „Hallo, Connie.“ Meine Mundwinkel hüpfen, als ihre immer weiter abfallen. Ich weiß doch, wie sehr sie diesen Spitznamen hasst.
„Nenn mich noch einmal so und ich vergifte deinen nächsten Smoothie.“ Ihre Stimme trieft vor Abscheu.
Ich erinnere mich an keine andere, die ich in meinem gesamten Leben genauso verabscheut habe. Ihr Klang ist rau, unterkühlt, hoffnungslos. Sie ist ein Kaktus, Constances ganzer Körper besteht aus Dornen. Und niemand hat eine Chance, sich ihrem Zorn widersetzen zu können. Und ich hasse alles daran. Sie gleitet an mir vorbei und zieht ihre Schwester am Handgelenk mit sich. Ich schaue ihnen hinterher und zweifle nicht im Geringsten daran, dass Constance Grey mich vergiften würde. Und wenn es mich vor dieser Schlange bewahrt, würde ich vielleicht sogar kurz in Erwägung ziehen, das Gift zu trinken. Eine Hand landet auf meiner Schulter.
„Ob die Eiskönigin jemals einen guten Tag hat?“, fragt Ash mit amüsiertem Tonfall.
Haben Monster gute Tage? Und damit meine ich keine lieben Disney-Monster-AG-Monster, sondern diese abscheulichen Kreaturen, die dich mit in den Abgrund reißen und nichts als Bosheit in ihren Herzen verbergen. Ich zucke mit den Schultern und gleite weiter auf dem Eis, um mich warmzulaufen. Wenn Constance einmal froh ist, dann sicherlich nur schadenfroh. „Vermutlich, wenn ich einen besonders schlechten Tag habe“, murmele ich so leise, dass Ash mich wahrscheinlich nicht mehr hören kann.
Und obwohl Constance Grey eine eingebildete, emotionslose, widerliche Zicke ist, habe ich mir unseren täglichen Schlagabtausch selbst zu verdanken. Immerhin ist sie meinetwegen in diesen Cupcake-Turm gefallen und wurde deswegen von den anderen Eishockeyspielern vermutlich ein ganzes Jahr Cupcake genannt. Aber meine Fresse … Wie nachtragend kann ein Mensch sein? Die Sache ist über zwei Jahre her. Trotzdem sieht sie mich bis heute an, als hätte ich ihre ganze Familie auf dem Gewissen. Hat die große Constance Grey etwa noch nie einen Fehler gemacht? Ich korrigiere mich. Sind Constances Fehler etwa weniger schlimm als diese eine Sache, die ich verbrochen habe? Das laute Grölen meiner Mitspieler reißt mich aus meinen Gedanken. Ich blicke mich um und erkenne gut gelaunte Eishockey-Spieler in weiß-violetten Trikots, die zu mir gleiten. Mit ihren Schlägern schlagen sie auf die Eisfläche, heizen sich gegenseitig ein, und ich laufe zu ihnen.
Nach dem Training geht es für mich direkt ins Kims. Der Geruch von Bananen, Äpfeln und Beeren liegt wie immer in der Luft. Manchmal glaube ich, wir sollten mal einen Wechsel der Location in Betracht ziehen. So oft, wie wir hier etwas trinken, hat sich der Geruch beinahe in meiner Nase festgesetzt. Und Constance sehe ich dadurch auch öfter, als mir lieb ist. Spike und Gale lassen sich neben mich auf die Sitzbank fallen und ich lese in ihren fröhlichen Gesichtern, dass sie in Partystimmung sind. Spike schlägt die Beine übereinander und sieht mich auffordernd an.
„Also, was geht später noch?“, fragt er grinsend.
Ich überlege, ihn daran zu erinnern, dass wir letzte Woche zweimal Krach mit dem Coach hatten, weil wir alle total verkatert zum Training gekommen waren. Und wir ihm erst Honig ums Maul schmieren müssen, bevor wir uns so etwas wieder leisten können. Füße stillhalten und ein wenig herunterfahren ist nicht das, was Spike normalerweise bevorzugt. Doch vielleicht ist es genau das, was auch ihm mal guttut. Ich werfe einen ratlosen Blick zu Ash, der normalerweise immer einen Plan hat.
„Tara und ich wollten ins Kino. Ich weiß, das ist Neuland für euch. So ganz ohne Wodka. Aber kommt ruhig mit. Daisy ist auch dabei.“
Sofort schrillen meine Alarmglocken. Spike fragt, was für einen Film sie anschauen wollen, doch ich höre überhaupt nicht mehr zu. Dass Ash seit Kurzem mit Tara King zusammen ist, dürfte mir noch einmal nützlich sein. Das wusste ich bereits, als ich davon erfahren habe. Für viele ist sie nur die sogenannte Königin des Frozen-Heart-Eislauf-Teams aufgrund ihres immensen Talents. Für mich verbirgt sie ganz andere Chancen. Denn wenn mein bester Freund ausgerechnet die beste Freundin von Daisy datet, ist das mehr als ein Zeichen. Und meine Gelegenheit, Daisy Grey endlich um ein Date zu bitten. Das will ich sicher schon seit drei Monaten. Warum ich es nicht getan habe? Vermutlich, weil sie fast jedes Mal in der Begleitung von Voldemort war, wenn ich ihr begegnet bin. Constance balanciert ein Tablet mit Smoothies zu uns und unterbricht meine Gedanken. Diese Frau mit dem schwarzen Rollkragenpullover, der Schürze und den fast weißen Haaren ist der Ursprung vieler meiner Probleme. Und die Hürde, die ich überwinden muss, wenn ich Daisy von mir überzeugen will. Niemand am Tisch sagt ein Wort, als Constance die Gläser vor Ash und mich stellt. Die meisten aus dem Team fürchten sie ein wenig, was ich für etwas übertrieben halte. Natürlich hat sie diesen krassen Killerblick drauf. Gleichzeitig ist sie doch nur eine normale Frau. Sogar ein Jahr jünger als wir, wenn ich mich nicht täusche. Sie hat keine Superkräfte und wird uns alle verfluchen, sobald wir ihr einen schiefen Blick zuwerfen. Constance stellt einen pinkfarbenen Smoothie vor mir ab und ich werfe ihr einen verwirrten Blick zu. Was soll das denn?
„Ich hatte Blaubeere bestellt. Ich bin allergisch gegen Erdbeeren.“
Auf ihren Lippen bildet sich ein boshaftes Lächeln. Fuck. Natürlich weiß sie das. Immerhin arbeitet sie seit einem Jahr im Smoothieladen des Frozen Heart und hat mir schon so einige Smoothies serviert. Dieses verdammte Miststück schreckt wirklich vor nichts zurück.
„So ein Mist“, erwidert sie mit gespielt unschuldiger Stimmlage.
Und ich will ihr den Smoothie am liebsten ins Gesicht schütten. Ihre Augen funkeln boshaft und ich denke noch, dass sie sich sicher super in einem Horrorfilm machen würde. Sie bräuchte nicht einmal ein Kostüm. Da dreht sie sich auf ihren dunklen Turnschuhen herum und geht zum nächsten Tisch, um eine Bestellung aufzunehmen. Spike hält sich eine Hand vor den Mund, doch kann er damit sein lautes Lachen nicht vertuschen. Wichser.
„Fuck, wann kriegt ihr beide endlich euren Scheiß geregelt?“
Ich zucke mit den Schultern. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine Welt gibt, in der sie mich nicht hasst. Und in der sie mich nicht wahnsinnig macht. Denn solange sie sie ist und ich ich wird sich daran sicher nie etwas ändern. Ash schiebt mir seinen Bananen-Smoothie rüber und wir tauschen. Ich nicke ihm dankbar zu.
„Ich hoffe für dich, der hier ist nicht vergiftet“, sagt er eindringlich und deutet auf den Erdbeersmoothie.
Ich würde nicht darauf wetten. Wieso stellen sie im Kims nicht mal Personal ein, das kundenfreundlicher und weniger gemeingefährlich ist?
„Sie kriegt sich schon irgendwann wieder ein“, knurre ich, als Constance hinter den Tresen verschwindet. Ihr Schürzenband flattert an ihrem Rücken. Spike stößt einen ungläubigen Laut aus und ich richte meinen Blick wieder auf ihn.
„Ich glaube nicht, dass sie dir jemals verzeihen wird. Es ist Constance Grey.“ Ihr Name klingt wie eine Beleidigung.
„Deshalb lege ich mich auch nicht mit ihr an“, mischt Gale sich ein.
Verdammt, haben sie wirklich so große Angst vor ihr? Sie ist nicht mehr als eine verbitterte Frau, die keine Freunde hat. Keine mächtige Todesgöttin, die jeden verflucht, der böse zu ihr ist. Sie ist gar nichts. Ich lehne mich gegen die Sitzpolster. „Sie wird mir verzeihen müssen, wenn ich erst mal der Freund ihrer Schwester bin“, sage ich mit gehobenem Kinn.
Ruhe kehrt am Tisch an. Die drei starren mich an. Blinzeln. Falten entstehen zwischen Augenbrauen. Und dann lachen sie los. Als wäre diese Aussage das Lustigste, was sie seit Langem gehört haben. Ihr Lachen ist lautstark, ungeniert und zieht die Aufmerksamkeit anderer Kunden auf uns.
„Das ist nicht dein Ernst. Deshalb hast du sie so angestarrt. Scheiße …“, erwidert Ash mit vor Lachen zitterndem Körper. Gale hält sich den Bauch fest und kommt überhaupt nicht mehr klar.
„Was wollt ihr mir sagen? Die meisten Frauen würden sich um mich prügeln.“
Ash beruhigt sich langsam und seufzt lautstark. „Ja, aber diese Frauen sind nicht die Schwester von Constance Grey. Die dich mehr hasst als jeden anderen. Die niemals lacht. Die niemanden mag. Die boshaft ist. Die …“
Ich unterbreche ihn. Er schenkt ihr zu viel Bedeutung. „Ich hab den Wink verstanden.“
„Dann lässt du es sein?“, fragt Spike.
Ich werfe einen Blick in Richtung Tresen und beobachte Constance dabei, wie sie gerade Orangen in einen Smoothiemaker stopft. Sie wirkt konzentriert und ihre Augenbrauen kräuseln sich leicht. Die Augen sehen tot aus wie immer. Ihr Dutt sitzt fest an ihrem Kopf, keine winzige Strähne löst sich. Diese Frau ist mein Untergang. Trotzdem werde ich ihn überstehen, wenn es darum geht, das zu bekommen, was ich will. Constance Grey? Du machst mir keine Angst. Und wenn ich Daisy erobern will, werde ich sie kriegen. „Ganz im Gegenteil. Ich muss nur Daisy überzeugen. Constance wird sich damit arrangieren müssen.“
Meine Freunde schütteln amüsiert die Köpfe. Sie reden etwas davon, dass die Situation aussichtslos ist. Dass nicht die geringste Chance besteht. Ich bin Sportler. Diese Herausforderungen sind meine liebsten.