Interview Sprecher Kevin Kasper im Interview

Du gibst dem Krimi Finsterherz deine Stimme. Was hat dir am besten an der Geschichte gefallen?

Finsterherz ist ein dicht geschriebener Krimi. Er kommt ohne unnötige Umschweife aus. Im Fokus des Krimis steht die Handlung — die Ermittlung. Das Buch erzählt zwar auch von den persönlichen Schicksalen der Hauptprotagonisten Hirschfeld und Kirchhoff, dies dient aber dem Kennenlernen und Verstehen der Protagonisten und nicht dem Selbstzweck.

Nadine Buranaseda hat es geschafft, alle im Buch auftretenden Figuren mit wenigen Beschreibungen so präzise zu skizzieren, dass ich als Sprecher sofort eine Vorstellung über die Motivationen der Figuren hatte. Es ist ein großer Unterschied, ob man als Sprecher eine Figur nur karikiert — ihr etwa eine bestimmte Stimme oder Marotte verpasst — oder ob man eine Figur vor dem inneren Auge sieht und weiß, weshalb sie sich auf die Art und Weise verhält, wie sie sich verhält. Das Verständnis für die Figuren überträgt sich zunächst auf meine Interpretation und dann auf die Hörerinnen und Hörer. Karikaturen hingegen werden schnell langweilig.

Die Autorin hat durch authentische Figuren und nachvollziehbare Handlungen — sowohl innerhalb der Szenen wie auch im dramaturgischen Aufbau des gesamten Buchs — die Grundlage für eine gute Sprechleistung geschaffen.

Die Kommissare Lutz Hirschfeld und Peter Kirchhoff sind zwei sehr unterschiedliche Charaktere. Was macht die beiden besonders und wie hast du dich darauf vorbereitet?

Hirschfeld ist der Jüngere der beiden. Er ist ein scharfsinniger und erfolgreicher Ermittler und dennoch kein klischeehafter Cop. Er verurteilt Menschen nicht aufgrund ihrer äußeren Merkmale oder Lebensstile. Er wirkt liberal, offen, wertschätzend und neugierig, was möglicherweise auch von seinen guten Beziehungen zur Schwester und zur verstorbenen Mutter herrührt. Seine Mutter hatte eine künstlerische Ader, die sie jedoch nur an ihre Tochter, nicht an ihren Sohn weitervererbte.
Hirschfelds Vater ist in der Psychiatrie untergebracht. Zu ihm pflegt Hirschfeld eine schwierige Beziehung. Dennoch ist er der Einzige, der sich regelmäßig um ihn kümmert. Hirschfelds Verantwortungsgefühl, gepaart mit Ehrgeiz, Neugier und seinem wertungsfreien Interesse an Menschen macht ihn zu einem genialen Ermittler.
Hirschfeld ist starker Raucher.

Kirchhoff ist der Ältere und Erfahrenere der beiden. Er wirkt auf den ersten Blick eher wie der klassische Cop: wortkarg, eigenwillig, eher konservativ und leidenschaftslos, dafür gewissenhaft und verantwortungsbewusst. Allerdings erkennt man bei genauerem Hinsehen, dass der Schein zumindest teilweise trügt. Im Buch wird angedeutet aber nicht abschließend geklärt, dass Kirchhoff Karnevalist sein könnte, was den Verdacht auf Leidenschaftslosigkeit entkräften würde.
Entgegen erster Prognosen des Kollegiums finden Hirschfeld und Kirchhoff schnell einen Draht zueinander und entwickeln ein vertrauensvolles Verhältnis, das von Respekt für die Leistung des jeweils anderen geprägt ist.
Auch Kirchhoff hat sein Päckchen zu tragen. Er ist geschieden und sein 27-jähriger Sohn spricht schon seit vielen Jahren nicht mehr mit ihm. Das macht Kirchhoff zu schaffen.

Grundsätzlich lese ich mir ein Buch einmal komplett selbst laut vor, bevor ich in die Aufnahme gehe. Beim Laut-Lesen mache ich mir Gedanken über die Figuren und darüber, wie ich sie interpretieren möchte. Es wird mir zunehmend wichtiger, den Rollen auch wirklich gerecht zu werden, das heißt, ihnen nicht einfach nur eine Stimme oder eine Marotte zu verpassen, sondern ihre Motive, Ihre Geschichte zu verstehen. Bei meinen ersten Hörbüchern habe ich noch versucht, die Figuren über die Stimmen voneinander abzugrenzen. Ich gehe aber inzwischen mehr und mehr dazu über, die Figuren über ihre Haltungen voneinander abzugrenzen. Verschiedene Figuren reagieren aus bestimmten Gründen unterschiedlich impulsiv auf Fragen oder sprechen aus bestimmten Gründen leise, laut, ironisch, zynisch, sarkastisch oder einfach ganz normal. Manche Figuren tragen eine schwere Last auf ihren Schultern und haben deshalb körperliche Schmerzen oder Beschwerden – auch das lässt sich über die Sprache transportieren.

Es gilt allerdings der Grundsatz, dass Hörbucharbeit immer auch effizient gestaltet werden muss. Jeden Satz mehrmals zu durchdenken ist ineffizient. Jede Idee im Text mit einer Notiz festzuhalten ebenfalls. Selbst wörtliche Reden hebe ich inzwischen nur noch dann farblich voneinander ab, wenn sich diese nur schwerlich auf den ersten Blick den richtigen Rollen zuordnen lassen. Mit der Zeit schärft man seine Sinne. Man lernt, bereits während des Lesens jedes einzelne Wort hinsichtlich seiner Bedeutung für die geschilderte Situation zu gewichten. Vieles passiert irgendwann intuitiv. Dennoch fühle ich mich erst dann wohl, wenn ich ein Buch mindestens einmal vorher laut gelesen und mir meine Gedanken zu den wichtigen Rollen gemacht habe.

Seelengrab Sprecherfoto
Quelle: © Matthias Scheuer, audioberlin.com

Welcher Charakter hat dir am meisten Spaß gemacht zu sprechen?

Am meisten Spaß hat mir Hirschfeld gemacht. Bei Hirschfeld habe ich versucht, nicht allzu viel Gewicht in seine Worte zu legen, sondern das Gesagte möglichst ehrlich zu empfinden und auszusprechen. Wenn er nachts zum Leichenfundort gerufen wurde, klang er müde, wenn er eine heiße Spur entdeckte, klang er aufgeregt, wenn er mit seinem Vater sprach, oszillierte er zwischen Wut, Liebe, Verantwortungsgefühl und naturgegebener Untergebenheit. Das hat meines Erachtens erstaunlich gut funktioniert.

Manchmal habe ich dann aber doch Lust, mir eine Figur herauszugreifen, die ich etwas karikaturesker ausschmücke. Das bot sich dieses Mal bei Dr. Stein, dem Gerichtsmediziner, an, der selbst in den grauenhaftesten Situationen nicht den Spaß an seiner Arbeit verliert. Als Sprecher macht es Spaß, so etwas zu spielen. Man muss aber immer aufpassen, dass man auch diesen Figuren Momente der Tiefe zugesteht.

Gibt es eine Szene im Krimi, die dir besonders im Kopf geblieben ist?

Es gibt diese eine Szene, in der Kirchhoff und Hirschfeld in der WG des Mordopfers ermitteln und dort einer Frau mit Dreadlocks begegnen. Ganz der Polizist, wundert sich Kirchhoff lautstark, wie man so etwas seinen Haaren nur antun könne. Hirschfeld entgegnet jedoch, dass er die Frisur ganz hübsch fände.
Mir ist diese Szene in Erinnerung geblieben, weil sie an einem simplen Beispiel so vieles über die beiden Ermittler aussagt. Ich konnte mir sofort vorstellen, mit welchen Menschen sich die beiden privat umgeben, welche privaten und beruflichen Erfahrungen dazu geführt haben, dass sie entsprechende Haltungen zu bestimmten Personengruppen entwickelt haben und was es für beide bedeuten könnte, dass sie nun zusammenarbeiten und sich trotz vieler Unterschiede doch mögen.

Wie sieht dein Arbeitsalltag als Sprecher aus und wie kamst du überhaupt dazu?

Für mich sieht jeder Arbeitstag anders aus. Es gibt Tage, da erledige ich nur meinen Bürokram — das kann sich auch mal zwei Tage ziehen — oder betreibe Akquise, erstelle Demos aus fertigen Produktionen oder ruhe mich aus, weil ich am Tag zuvor einen guten Lauf hatte und sehr viel gearbeitet habe.
Dann gibt es wieder Tage, da stehe ich von morgens bis abends im Studio — entweder in meiner eigenen Kabine oder in einem Studio, das mich gebucht hat. Neben Hörbüchern arbeite ich auch in den Bereichen Synchron, Games, Hörspiele und Dokumentationen. Insbesondere für Synchron- und Games-Jobs reise ich oft nach Berlin oder München, was meinen Tagesablauf komplett durcheinanderbringt. Ich habe eine Frau und eine dreijährige Tochter. Und irgendwie muss ich alles unter einen Hut bringen. Das ist nicht so leicht. Dadurch, dass ich eher unregelmäßige Arbeitszeiten habe, versuche ich insgesamt weniger zu arbeiten, als ich es in einem nine-to-five-Job täte. Das ist aber auch nicht so einfach, weil man als Selbständiger immer wieder an die Arbeit erinnert wird. Sobald ich Facebook öffne, sehe ich Kolleginnen und Kollegen bei der Arbeit. Wenn mein Handy klingelt, hat es meistens etwas mit meiner Arbeit zu tun und wenn ich dann mal entspannt ein Hörbuch hören möchte, vergleiche ich mich automatisch mit dem Sprecher, den ich höre. Das ist einerseits toll, weil ich meine Arbeit liebe und man ständig gewinnbringende Erkenntnisse hat, andererseits kann es auch sehr anstrengend sein, weil es schwierig ist, komplett abzuschalten.
Es fällt mir grundsätzlich schwer, einen Tag in mehrere Etappen einzuteilen, indem ich etwa festlege, dass ich morgens ein paar Stunden Hörbuchvorbereitung mache, mittags dann ein paar Stunden aufnehme und nachmittags Büroaufgaben erledige.
Ich arbeite lieber im Block, erledige die Hörbuchvorbereitung und die Aufnahme am Stück an mehreren Tagen, gern arbeite ich dann auch mal länger als acht Stunden am Tag — ich habe eine gute Ausdauer — und hake es dann ab, um mich dem nächsten Aufgabenblock zu widmen.

Ich habe im Jahr 2010 eine Ausbildung mit Studium zum gehobenen Polizeivollzugsdienst begonnen. Im Jahr 2015 wurde ich als Polizeikommissar bei der Polizei Baden-Württemberg eingestellt. Ich habe dann beim Landeskriminalamt gearbeitet und wurde nach ein paar Jahren zum Polizeioberkommissar befördert.
Schon zu Beginn meiner Polizeilaufbahn im Jahr 2015 hatte ich das Gefühl, dass mich die Polizeiarbeit allein nicht mein Leben lang glücklich machen würde.
Ich begann dann ein Fernstudium in Psychologie an der FernUniversität in Hagen, das ich im Jahr 2018 abgeschlossen habe. Inzwischen befinde ich mich im Masterstudium Psychologie. Eigentlich hatte ich das Ziel, irgendwann den Beruf zu wechseln und etwas im Bereich Psychologie zu machen.
Bereits während meines Studiums zum gehobenen Polizeivollzugsdienst habe ich aber auch angefangen, auf Amateurtheaterbühnen Theater zu spielen. Dafür habe ich dann auch Feuer gefangen und so habe ich beschlossen, Schauspieler oder Psychologe zu werden und dem Polizeiberuf irgendwann den Rücken zu kehren. Durch zahlreiche Fortbildungen, Workshops und Coachings in den Bereichen Stimme/Sprache/Artikulation/Schauspiel und sehr viel Ehrgeiz und Durchhaltevermögen habe ich tatsächlich erste Sprecher-Jobs bekommen. Ich stellte fest, dass das reine Sprechen genauso spannend ist wie das klassische Schauspiel und konzentrierte mich fortan auf das Sprechen.
Inzwischen lebe ich vom Sprechen, studiere aber auch noch Psychologie und könnte mir immer noch gut vorstellen, irgendwann etwas im Bereich Psychologie zu machen.

Was gefällt dir am meisten an deinem Job?

Ich finde es am schönsten, wenn ich meine eigenen Werke anhöre und eine Passage genau das Gefühl transportiert, das ich im Moment des Sprechens empfunden habe. Das sind perfekte Momente.
Natürlich ist auch die Vielseitigkeit meines Berufs toll. Aber ein guter Synchron- oder Hörbuchsprecher zu sein, heißt nicht automatisch, auch ein guter Werbe- oder Industriefilmsprecher zu sein. Jedes Genre, das man sich neu erschließt, bedeutet erst einmal wieder richtig viel Arbeit. Deshalb finde ich die Vielseitigkeit meines Berufs zwar toll, aber nur, wenn ich mir erlaube, zu scheitern oder meinen eigenen hohen Ansprüchen nicht zu genügen.

Gibt es einen bestimmten Roman, den du am liebsten einmal einsprechen möchtest?

Nein. Ich möchte gern irgendwann nur noch Bücher sprechen, die ich selbst auch gern lesen beziehungsweise hören würde. Das ist mein Anspruch und Ziel.

Hörst du selbst gern Hörbücher? Hast du eine Empfehlung für uns?

Ich höre gern Hörbücher, allerdings passiert es mir immer automatisch, dass ich Hörbücher „technisch“ höre, also darauf achte, wie der Sprecher spricht. Manchmal hilft es mir, Hörbücher zu hören, die von Frauen gesprochen sind. Da neige ich nicht so sehr dazu, mich zu vergleichen.

Grundsätzlich empfehle ich fast alle Hörbücher, die von Simon Jäger, Johannes Steck oder Tanja Geke gesprochen sind.

Welches Buch liegt aktuell auf deinem Nachttisch?

Auf meinem Nachttisch liegt aktuell Mörderische See von Regine Kölpin, weil ich das aktuell für dp DIGITAL PUBLISHERS spreche und Statistik-Fachliteratur für mein Psychologiestudium, weil ich am Montag eine Prüfung schreibe.