Du gibst dem Krimi Finsterherz deine Stimme. Was hat dir am besten an der Geschichte gefallen?
Finsterherz ist ein dicht geschriebener Krimi. Er kommt ohne unnötige Umschweife aus. Im Fokus des Krimis steht die Handlung — die Ermittlung. Das Buch erzählt zwar auch von den persönlichen Schicksalen der Hauptprotagonisten Hirschfeld und Kirchhoff, dies dient aber dem Kennenlernen und Verstehen der Protagonisten und nicht dem Selbstzweck.
Nadine Buranaseda hat es geschafft, alle im Buch auftretenden Figuren mit wenigen Beschreibungen so präzise zu skizzieren, dass ich als Sprecher sofort eine Vorstellung über die Motivationen der Figuren hatte. Es ist ein großer Unterschied, ob man als Sprecher eine Figur nur karikiert — ihr etwa eine bestimmte Stimme oder Marotte verpasst — oder ob man eine Figur vor dem inneren Auge sieht und weiß, weshalb sie sich auf die Art und Weise verhält, wie sie sich verhält. Das Verständnis für die Figuren überträgt sich zunächst auf meine Interpretation und dann auf die Hörerinnen und Hörer. Karikaturen hingegen werden schnell langweilig.
Die Autorin hat durch authentische Figuren und nachvollziehbare Handlungen — sowohl innerhalb der Szenen wie auch im dramaturgischen Aufbau des gesamten Buchs — die Grundlage für eine gute Sprechleistung geschaffen.
Die Kommissare Lutz Hirschfeld und Peter Kirchhoff sind zwei sehr unterschiedliche Charaktere. Was macht die beiden besonders und wie hast du dich darauf vorbereitet?
Hirschfeld ist der Jüngere der beiden. Er ist ein scharfsinniger und erfolgreicher Ermittler und dennoch kein klischeehafter Cop. Er verurteilt Menschen nicht aufgrund ihrer äußeren Merkmale oder Lebensstile. Er wirkt liberal, offen, wertschätzend und neugierig, was möglicherweise auch von seinen guten Beziehungen zur Schwester und zur verstorbenen Mutter herrührt. Seine Mutter hatte eine künstlerische Ader, die sie jedoch nur an ihre Tochter, nicht an ihren Sohn weitervererbte.
Hirschfelds Vater ist in der Psychiatrie untergebracht. Zu ihm pflegt Hirschfeld eine schwierige Beziehung. Dennoch ist er der Einzige, der sich regelmäßig um ihn kümmert. Hirschfelds Verantwortungsgefühl, gepaart mit Ehrgeiz, Neugier und seinem wertungsfreien Interesse an Menschen macht ihn zu einem genialen Ermittler.
Hirschfeld ist starker Raucher.
Kirchhoff ist der Ältere und Erfahrenere der beiden. Er wirkt auf den ersten Blick eher wie der klassische Cop: wortkarg, eigenwillig, eher konservativ und leidenschaftslos, dafür gewissenhaft und verantwortungsbewusst. Allerdings erkennt man bei genauerem Hinsehen, dass der Schein zumindest teilweise trügt. Im Buch wird angedeutet aber nicht abschließend geklärt, dass Kirchhoff Karnevalist sein könnte, was den Verdacht auf Leidenschaftslosigkeit entkräften würde.
Entgegen erster Prognosen des Kollegiums finden Hirschfeld und Kirchhoff schnell einen Draht zueinander und entwickeln ein vertrauensvolles Verhältnis, das von Respekt für die Leistung des jeweils anderen geprägt ist.
Auch Kirchhoff hat sein Päckchen zu tragen. Er ist geschieden und sein 27-jähriger Sohn spricht schon seit vielen Jahren nicht mehr mit ihm. Das macht Kirchhoff zu schaffen.
Grundsätzlich lese ich mir ein Buch einmal komplett selbst laut vor, bevor ich in die Aufnahme gehe. Beim Laut-Lesen mache ich mir Gedanken über die Figuren und darüber, wie ich sie interpretieren möchte. Es wird mir zunehmend wichtiger, den Rollen auch wirklich gerecht zu werden, das heißt, ihnen nicht einfach nur eine Stimme oder eine Marotte zu verpassen, sondern ihre Motive, Ihre Geschichte zu verstehen. Bei meinen ersten Hörbüchern habe ich noch versucht, die Figuren über die Stimmen voneinander abzugrenzen. Ich gehe aber inzwischen mehr und mehr dazu über, die Figuren über ihre Haltungen voneinander abzugrenzen. Verschiedene Figuren reagieren aus bestimmten Gründen unterschiedlich impulsiv auf Fragen oder sprechen aus bestimmten Gründen leise, laut, ironisch, zynisch, sarkastisch oder einfach ganz normal. Manche Figuren tragen eine schwere Last auf ihren Schultern und haben deshalb körperliche Schmerzen oder Beschwerden – auch das lässt sich über die Sprache transportieren.
Es gilt allerdings der Grundsatz, dass Hörbucharbeit immer auch effizient gestaltet werden muss. Jeden Satz mehrmals zu durchdenken ist ineffizient. Jede Idee im Text mit einer Notiz festzuhalten ebenfalls. Selbst wörtliche Reden hebe ich inzwischen nur noch dann farblich voneinander ab, wenn sich diese nur schwerlich auf den ersten Blick den richtigen Rollen zuordnen lassen. Mit der Zeit schärft man seine Sinne. Man lernt, bereits während des Lesens jedes einzelne Wort hinsichtlich seiner Bedeutung für die geschilderte Situation zu gewichten. Vieles passiert irgendwann intuitiv. Dennoch fühle ich mich erst dann wohl, wenn ich ein Buch mindestens einmal vorher laut gelesen und mir meine Gedanken zu den wichtigen Rollen gemacht habe.