Interview Elisa Rimpach im Interview

Worum geht es in deinem Buch Aufbruch ins Ungewisse?

Für meine beiden Hauptfiguren Hilde und Hermann ist das Kriegsende 1918 ein einerseits beängstigender, andererseits aber auch aufregender Aufbruch ins Ungewisse. Hermann kehrt verwundet aus dem Krieg zurück. Er verliert die klare Ordnung, die ihm die militärische Hierarchie vorgegeben hat und muss sich mit den neu gewonnen Freiheiten erst einmal anfreunden. Hilde steht dagegen kurz davor, die Schule zu beenden. Auch für sie geht es um die Frage, wie es weitergeht. Da lernt sie Paul kennen, einen jungen Kommunisten, und das setzt eine Reihe dramatischer Ereignisse in Gang.

 

Hilde und Hermann stehen auf politisch gegensätzlichen Seiten. Wie haben Sie ihre Entwicklung entworfen – und was sagen die beiden für Sie über das damalige Deutschland aus?

Für Hermann ist der Verlust der alten Ordnung gleichzeitig ein Wegbrechen aller Sicherheiten. Das macht ihm Angst und diese bestimmt in weiten Teilen auch seine Handlungen im Roman. Hermann steht für die vielen Deutschen, die 1918 fassungslos vor dem Zusammenbruch eines Staatsgebildes stehen, das sie noch Wochen zuvor als ewig und unzerstörbar angesehen haben. Hilde dagegen ist von der Vielfalt der politischen Strömungen und Meinungen der unmittelbaren Nachkriegszeit begeistert. Sie sieht die Entwicklungen wie etwa die Einführung des Wahlrechtes für Frauen zunächst als positiv an und ist im Gegensatz zu ihrem Bruder euphorisch. Damit repräsentiert sie eine oft unterschätzte Zahl an Menschen, die im Zusammenbruch der alten Ordnung eine Chance auf einen Neubeginn sahen.

 

Wie hast du die Beziehung der Geschwister entwickelt – stand ihr Konflikt von Anfang an fest oder ergab sich das im Schreibprozess?

Hilde und Hermann spielen bereits im letzten Teil der ursprünglichen München Saga „Zeiten der Hoffnung“ eine wichtige Rolle. Schon dort ist das Konfliktpotential zwischen den beiden Persönlichkeiten angelegt. Hermann ist konservativ, Hilde progressiv. Dass diese Gegensätze sich durch die politische Situation im November 1918 vertiefen würden, war daher eine natürliche Entwicklung.

 

Wie wichtig war dir historische Genauigkeit bei der Darstellung der Ereignisse in München?

Ich habe sehr viel zur Novemberrevolution und zur Räterepublik in Bayern recherchiert. Obwohl ich in Bayern zur Schule gegangen bin und mein mündliches Abitur in Geschichte absolviert habe, habe ich im Unterricht kaum etwas über diese spannenden Monate gehört. Eine tiefrote Republik passt in Bayern wohl nicht so ins Bild. Umso wichtiger war es mir, die Ereignisse realistisch und möglichst genau darzustellen. 

 

Hast du beim Schreiben mit historischen Vorbildern gearbeitet oder sind die Charaktere rein fiktiv?

Die Figuren sind rein fiktiv. Ich lese aber oft Romane aus der Epoche, um mich in das Denken fiktiver Figuren der Epoche einzuklinken. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit von Marcel Proust ist aufgrund des Reichtums an Figuren und der minutiösen Schilderung des Innenlebens des Protagonisten meine wertvollste Quelle für die Zeit von 1890 bis 1920.

 

Wie hat sich deine Sicht auf die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg während der Arbeit am Roman verändert?

Meine wichtigste Erkenntnis war, dass die Weimarer Republik nicht schon von ihrem Anbeginn an zum Scheitern verurteilt war. Die in vielen Augenzeugenberichten geschilderte Aufbruchsstimmung der Monate nach Kriegsende hätte durchaus auch zu einem stabilen, demokratischen Staat führen können. Dass es tragischerweise anders gekommen ist, lag an einer komplexen Mischung aus inneren und äußeren Umständen. Wir sehen den ersten Weltkrieg und die Weimarer Republik oft aus der Perspektive des 3. Reichs und des 2. Weltkriegs. Doch das war keine unvermeidbare und zwangsläufige Entwicklung. Deshalb ist es so wichtig, sich mit Geschichte zu beschäftigen. Wir können die Fehler von damals nicht mehr korrigieren, aber wir können verhindern, dass wir sie wiederholen.

 

Arbeitest du chronologisch oder entstehen deine Romane eher in Szenen, die du später zusammensetzt?

Ich arbeite streng chronologisch und orientiere mich dabei auch an den Daten der realen historischen Ereignisse.

 

Schreibst du als Psychologe anders – mit einem besonderen Fokus auf die innere Welt der Figuren?

Ich gehe beim Schreiben immer von den Figuren aus. Die sind zuerst da. Und dann frage ich mich: Wie würde in X in Situation Y handeln? Das ist oft nicht so leicht zu beantworten, weil wir (und da kommt vielleicht mein psychologischer Hintergrund zum Tragen) inzwischen wissen, dass Persönlichkeitseigenschaften und reales Verhalten oft nicht so eng zusammenhängen, wie wir es nach dem Lehrbuch erwarten würden. Unvorhergesehenes so zu schildern, dass es überrascht, im Gesamtzusammenhang aber trotzdem zu den Figuren passt, das macht für mich den größten Reiz beim Schreiben aus.

 

Welche Zeit oder Epoche würden Sie als nächstes gerne literarisch erkunden – und warum? 

Ich bin großer Fan der Gereon-Rath-Romane von Volker Kutscher und würde gerne einmal in das schillernde Berlin der Goldenen Zwanziger eintauchen. 

 

Hörst du beim Schreiben Musik – und wenn ja, was passt zur Stimmung dieses Romans?

Ich höre beim Schreiben keine Musik, das würde mich zu sehr ablenken. Zur Stimmung des Romans passt sehr gut Wagners Götterdämmerung.