Kann man mit einer Sehbehinderung Bücher schreiben? Natürlich geht das und Autorin Helene Reckling zeigt uns wie 7. November 2025
„Wo entspringen Fantasie und Leidenschaft? Im Kopf und im Herzen. Das kann auch mangelndes Sehvermögen nicht ändern.“
Einen schöneren und treffenderen Einstieg kann man sich in dieses Interview wohl kaum wünschen. Mit diesen Worten beschreibt Schriftstellerin Helene Reckling, wie es ist, mit einer Sehbehinderung Bücher zu schreiben.
Die Autorin von mehreren Romanen wie unter Anderem Schatten über Barkley House hat sich bereiterklärt, uns einen Einblick in ihr Leben mit einer Augenerkrankung zu geben und wie sie es schafft, so wundervolle Romane fürs Herz zu schreiben.
Liebe Helene, erst einmal: Wie bist du zum Schreiben gekommen?
Fantasie und Geschichten waren schon immer ein Teil von mir. Als Kind lebte ich mich im fantasievollen Spielen aus, in der Schule reichte die Zeit nie aus, wenn es darum ging, Aufsätze zu schreiben und diese dann auch noch in Schönschrift abzuschreiben. Glücklicherweise wurde die Vorschrift bei der Benotung auch berücksichtigt, sodass mir meine guten Noten sicher waren. Später erlebte ich mit meiner Lieblingsband große Abenteuer und so ging es immer weiter. Glücklicherweise versiegen meine Ideen nicht, und wenn ich auch auf mein geliebtes Schreiben mit der Hand verzichten muss, setze ich meine Leidenschaft für das Erdenken von Städten, Personen, ganzen Stammbäumen und Begebenheiten am PC fort.
In einem Gespräch hast du mir erzählt, dass du unter Retinitis pigmentosa leidest. Eine Augenerkrankung. Kannst du ein bisschen mehr darüber berichten?
RP ist eine degenerative Netzhauterkrankung, bei der sich die Zellen der Netzhaut nicht erneuern können und letztlich absterben. Dies führt in den allermeisten Fällen zur vollständigen Erblindung. Zwar gibt es vielversprechende Ansätze, aber bisher ist sie weder heilbar noch therapierbar.
Du bist Schriftstellerin und schreibst wundervolle Liebesgeschichten. Magst du uns einmal näherbringen, wie du deine Bücher schreibst? Gibt es bestimmte Technologien, die dich dabei unterstützen, wie beispielsweise Audioprogramme, Diktierfunktionen, etc.?
Ja, es gibt Programme, die vorlesen, was du schreibst, und es gibt solche, die Sprache in Schrift umwandeln. Was für jeden am besten funktioniert, muss jeder selbst herausfinden, denke ich. Bisher habe ich immer StarOffice oder MS Word benutzt. Da ich die Augen beim Schreiben ohnehin meist geschlossen halte, um mich in die Geschichte hineinversetzen zu können, macht das keinen Unterschied.
Hast du bestimmte Rituale, die dich in deinem Schreiballtag begleiten?
Direkte Rituale habe ich nicht. Ich nutze sehr gerne Musik oder Hörbücher, um eine bestimmte Stimmung zu erzeugen oder zu verstärken.
Welche Bücher/Genres liest oder hörst du selbst gerne?
Ich liebe historische Romane, Geschichten über eine Liebe, die nicht sein durfte und doch war, die Geschichten über Anne Shirley (Anne auf Green Gables, etc.). Ich liebe Geschichte und habe viele Fachbücher zu verschiedenen historischen Ereignissen.
Welche Projekte oder Ideen beschäftigen dich aktuell?
Ich habe den Kopf voller Ideen und das Herz voller Träume. Die Geschichten, an denen ich arbeite, sind vielfältig. Sie beinhalten historische Stoffe, zeitgenössische Themen mit gesellschaftlichem Bezug, Liebesgeschichten und vieles mehr. Humor, Zauber und ein wenig Grusel dürfen aber auch nicht fehlen.
Wie stellst du dir die Literatur der Zukunft vor – insbesondere mit Blick auf Barrierefreiheit?
Finger weg von KI! Wenn man Geschichten mit Herz und Seele möchte, kann das eine Technologie wohl kaum leisten.
Mit Hinsicht auf die Barrierefreiheit sollte die Schrift ausreichend groß sein und E-Book-Reader sollten immer das Lesen im dunklen Design ermöglichen. Ich liebe Hörbücher, halte aber überhaupt nichts von Online-Angeboten. Ich bevorzuge die guten, alten CDs. Warum nicht auch einmal einen Roman in Blindenschrift veröffentlichen?
Wie ist es für dich am besten, wie andere Menschen mit deiner Erkrankung umgehen?
Wie mit jedem anderen Menschen auch. Wenn ich Hilfe benötige, werde ich darum bitten. Im Zweifelsfall sollte man mich direkt ansprechen, nicht meine etwaige Begleitperson. Kommunikation ist, wie immer, das Wichtigste.
Wenn du jungen blinden oder sehbehinderten Menschen, die Romane schreiben möchten, einen Rat geben könntest: Welcher wäre das?
Wenn es in euch liegt, schreibt! Wo entspringen Fantasie und Leidenschaft? Im Kopf und im Herzen. Das kann auch mangelndes Sehvermögen nicht ändern. Zeigt Ausdauer und glaubt an euch und eure Fähigkeiten! Es gibt blinde Richter, Anwälte, Musiker und Leistungssportler. Es gibt also keinen Grund, warum es nicht noch mehr blinde oder sehbehinderte Schriftsteller geben sollte.
Das sind wundervolle Worte, lieben Dank dafür! Gibt es etwas, dass du generell noch loswerden möchtest?
Es gäbe noch einiges zu sagen, doch das würde jeden Rahmen sprengen. Ich bin versucht Margot Friedländer zu zitieren, denn besser könnte man es nicht ausdrücken: „Seid Menschen!“